1. Überlieferung
Frühdruck:
Uꝛſachen der halben An⸗∥dres Carolſtatt auß den landen ∥ Ʒů Sachſen vertryben. ∥
[Straßburg]: [Johann Prüss d. J.], [1524].
4°, 6 Bl., A1--A6.
Editionsvorlage:
BSB München, Res/4 H.ref. 802,34.Weitere Exemplare: BSB München, 4 H.ref. 163a. — UB München, 0014/W 4 Theol. 5463(2) 20. — ÖNB Wien, 20.Dd.369. — HAB Wolfenbüttel, A: 231.174 Theol. (1).
Bibliographische Nachweise:
- VD 16 B 6209.
- Freys/Barge, Verzeichnis, Nr. 141.
- Zorzin, Flugschriftenautor, Nr. 72A.
- Köhler, Bibliographie, Nr. 1923.
- Benzing, Lutherbibliographie, Nr. 1946.
Die Schrift enthält Korrespondenzen Karlstadts, die bis auf zwei Stücke als eigene Editionseinheiten in diesem Band abgedruckt sind. Im Einzelnen handelt es sich um die Schreiben (1.) Karlstadt an Herzog Johann von Sachsen, Orlamünde; 14. August 1524 (KGK 265); (2.) Karlstadt an Herzog Johann von Sachsen, Orlamünde, 11. September 1524 (KGK 270); (3.) Herzogliche Räte an Karlstadt, Weimar, 18. September 1524 (KGK 271); (4.) Rat von Orlamünde an Herzog Johann von Sachsen, Orlamünde, Freitag 23. September 1524 und (5.) Herzogliche Räte an den Rat von Orlamünde, Weimar, 25. September 1524. Die Informationen zur Überlieferung finden sich in der jeweiligen Einheit bzw. im Falle der Schreiben (4) und (5) in der Transkription1.
Edition:
- Karlstadt, Schriften (Hertzsch) 2, 50–58.
Literatur:
- Hase, Orlamünda, 82–85.
- Barge, Karlstadt 2, 217f. mit Anm. 173.
- Zorzin, Flugschriftenautor, 101–105; 157 mit Anm. 108; 233 mit Anm. 51.
- Joestel, Ostthüringen, 136–140.
2. Entstehung und Inhalt
Mit der vorliegenden, Anfang November 1524 in Straßburg in Druck gegebenen Schrift machte Karlstadt fünf Schreiben publik, die zwischen dem 14. August und 25. September 1524 im Zusammenhang mit seinem Abzug aus Orlamünde und der Ausweisung aus Sachsen zwischen Orlamünde und dem herzoglichen Hof in Weimar kursierten. Damit reagierte Karlstadt nach eigener Aussage auf zirkulierende Briefe von Studenten Luthers aus Wittenberg, die seine Ausweisung aus Sachsen publik gemacht hatten.2 Mit der Veröffentlichung dieser Korrespondenz wollte Karlstadt, der sich auf der Suche nach einer neuen Wirkungsstätte befand, möglicherweise seine Position rechtfertigen und gegen Luthers Angriffe absichern.
Der Korrespondenz ist eine auf den 6. November 1524 datierte Widmungsvorrede an den Joachimsthaler Schulmeister Philipp Eberbach3 vorangestellt.4 Diese Datierung wurde vermutlich im Rahmen der Drucklegung nachträglich vorgenommen, da KarlstadtStraßburg zu diesem Zeitpunkt bereits verlassen hatte und sich auf der Weiterreise Richtung Heidelberg befand, wo er sich nachweislich am 7. November für eine Kurzvisite bei Simon Grynaeus aufhielt.5 Der Korrespondenz nachgestellt ist ein ebenfalls an Philipp Eberbach adressiertes Nachwort, in dem Karlstadt erstmals knapp, aber deutlich die drei Hauptkonfliktpunkte benennt, in denen Luther»wider mich und die warheyt« sei – »einer ist von dem Sacrament/ der ander von der Tauff/ der dritt von der lebendigen stymm gottes.«6 Hierzu verweist er auf seine zu diesen Themen verfassten und kurz zuvor in Basel gedruckten bzw. im Druck befindlichen Schriften – sieben zum Abendmahl,7 einen einfachen (»schlechten«) Dialog zur Taufe8 sowie ein »buͤchlin« von der »lebendigen stymm gottes«9 – und kündigt an, jedem »unsere[r] bruͤder ein buͤchlin« zu überschicken.10
Wo sich Karlstadt zum Entstehungszeitpunkt der vorliegenden Schrift Anfang November 1524 genau aufhielt, ist nicht bekannt, da sich sein Reiseweg nach der offiziellen Ausweisung aus Sachsen am 18. September 1524 (KGK 271) nur anhand indirekter Quellen nachvollziehen lässt. So verließ er Orlamünde wohl um den 26. September, nachdem auch das Ersuchen der dortigen Gemeinde vom 23. September, seine Ausweisung aufzuschieben, durch die Räte Herzog Johanns am 25. September abschlägig beschieden worden war.11 Daraufhin machte er sich auf den Weg Richtung Schweiz, wohin er bereits seit Mai intensive Kontakte zum Züricher Kreis um Konrad Grebel und Andreas Castelberger pflegte.12 Wahrscheinlich folgte Karlstadt der Haupthandelsroute über Nürnberg und Augsburg13 und erreichte Zürich bald nach dem 14. Oktober.14
Hier vermutete er wohl auch seinen Schwager Gerhard Westerburg, der bereits Ende August kurz nach dem Jenaer Gespräch in die Schweiz aufgebrochen war, wohl um im Auftrag Karlstadts den Druck einiger seiner Schriften in die Wege zu leiten. Westerburg befand sich nach einem sechstägigen Aufenthalt in Zürich seit Ende September in Basel, wo er bereits die ersten Karlstadtschriften zum Druck gebracht hatte.15Karlstadt begab sich daher nach einem Treffen mit den Zürcher Brüdern um Grebel bereits nach kurzen Aufenthalt weiter nach Basel, wo er schließlich auf Westerburg traf. Karlstadt hatte weitere Manuskripte bei sich, von denen er einige in Basel in den Druck gab, ohne jedoch deren Drucklegung komplett abzuwarten.16 Bereits nach kurzer Zeit brach er in Begleitung Westerburgs mit einigen Exemplaren seiner frisch gedruckten Abendmahlsschriften von Basel nach Straßburg auf.17
Karlstadt erreichte Straßburg vermutlich in den letzten Oktobertagen und hielt sich dann vier Tage dort auf.18 Bei dieser Gelegenheit hinterließ er vermutlich auch die vorliegende Schrift sowie die Predigten Von Engeln und Teufeln (KGK VI, Nr. 246) und Von den zwei höchsten Geboten der Liebe (KGK VI, Nr. 247) zum Druck. Spätestens am 3. November verließ er Straßburg wieder und reiste weiter nach Heidelberg, wo er am 7. November 1524 für einen Kurzbesuch bei Simon Grynaeus Halt machte. Anders als v.a. von der älteren Forschung angenommen, wählte er von Straßburg aus wohl nicht den Weg über Rothenburg, sondern begab sich direkt nach Heidelberg,19 von wo aus er seine Reise in Richtung des sächsischen Herrschaftsgebiets mit dem Ziel fortsetzte, seine Familie dort abzuholen.20 Vermutlich begab er sich von Heidelberg aus zunächst nach Schweinfurt, wo er sich nachweislich Mitte November aufhielt.21 Von dort aus wandte er sich nochmals an Herzog Johann mit der Bitte um freies Geleit zur Regelung seiner Angelegenheiten in Sachsen (KGK 282). Nach kurzer Zeit verließ Karlstadt Schweinfurt möglicherweise auf Betreiben Graf Wilhelms von Henneberg wieder22 und begab sich nach Kitzingen, wo er wohl Ende November anlangte, die Stadt jedoch ebenfalls nach kurzer Zeit wieder verlassen musste.23 Anfang Dezember gelangte er schließlich nach Rothenburg, brach jedoch nach kurzer Zeit wohl erneut auf, um sich über Crailsheim nach Nördlingen zu begeben.24
Etwa um die gleiche Zeit, am 23. November 1524, erhielt Luther Kenntnis von der vorliegenden Schrift, die ihm zusammen mit vier Abendmahlstraktaten durch die Straßburger zugestellt wurde.25 Im Ende 1524 erschienenen ersten Teil seiner Schrift Wider die himmlischen Propheten26 mit der er direkt auf die Publikationsoffensive Karlstadts vom Herbst 1524 reagierte, setzte er sich dann ausführlich mit der vorliegenden Schrift auseinander: Unter der Überschrift »Auff die klage D. Carlstads, das er aus dem land zu Sachssen vertrieben ist«27 ging Luther zum Gegenangriff auf Karlstadt über. Neben dem Vorwurf, »unchristlich« mit dem Fürsten umzugehen, was ihn zu ihrer Verteidigung veranlasse,28 rechtfertigte und bekräftigte Luther seine Meinung, Karlstadt zähle – wie Müntzer in Allstedt – zu den »aufrührerischen Geistern«, was er an dessen Ablehnung der Bilder und ihrer Entfernung aus den Orlamünder Kirchen festmachte.29 Zugleich wiederholte er seine Vorwürfe, Karlstadt habe sich zu Unrecht in die Pfarrei Orlamünde gedrängt30 und sprach der dortigen Gemeinde das Recht ab, ihren Pfarrer selbst zu wählen.31
Die Schrift Ursachen seiner Vertreibung aus Sachsen kann als Auftakt der zwischen Karlstadt und Luther in Jena vereinbarten schriftlichen Auseinandersetzung über ihre theologischen Differenzen gesehen werden und bildet damit gleichsam eine publizistische Einheit mit den bereits im September 1524 erschienenen Acta Jenensia (KGK 267), dem Bericht über das Aufeinandertreffen der beiden Kontrahenten in Jena am 22. August, und den in Basel gedruckten Abendmahlsschriften. Durch die Acta Jenensia wurden der Bruch zwischen den beiden Reformatoren und ihre Vereinbarung, sich zukünftig nur noch publizistisch auseinanderzusetzen, erstmals öffentlich. Die Schrift diente so gleichzeitig als Rechtfertigung für die von Westerburg in Basel in die Wege geleitete Publikationsoffensive. Mit der im Nachwort zu Ursachen seiner Vertreibung aus Sachsen platzierten öffentlichen Bekanntgabe, dass die Schriften zu den Konfliktpunkten zwischen Luther und Karlstadt jetzt im Druck vorlägen, wurde nun ihr offizieller Beginn eingeleitet, auch wenn die Baseler Abendmahlschriften zumindest teilweise bereits kursierten. Die Acta Jenensia und die vorliegende Schrift geben den Baseler Abendmahlstraktaten gleichsam einen kontextuellen Rahmen. Die Veröffentlichung ausgewählter Korrespondenz zu Karlstadts Ausweisung aus Sachsen verleiht Ursachen seiner Vertreibung aus Sachsen zugleich aber auch einen anklagenden Charakter, der auf die Unrechtmäßigkeit seiner Ausweisung abhebt, die nicht nur ohne die Möglichkeit erfolgt sei, seine Lehre noch einmal öffentlich vor den Fürsten zu verteidigen, sondern auch gegen den Willen seiner Gemeinde in Orlamünde, ohne Rücksicht auf seine schwangere Frau und ohne ihm Zeit zu geben, seinen Besitz zu veräußern.