1. Überlieferung
Frühdruck:
Copien der Raͤthe zů Weymar
in:
Karlstadt, Andreas Bodenstein von
Vꝛſachen der halben An⸗∥dres Carolſtatt auß den landen ∥ Ʒů Sachſen vertryben. ∥
[Straßburg]: [Johann Prüss d. J.], 1524, fol. A4r–v.
4°, 6 Bl.
Editionsvorlage:
BSB München, Res/4 H.ref. 802,34.Weitere Exemplare: BSB München, 4 H.ref. 163a. — UB München, 0014/W 4 Theol. 5463(2) 20. — ÖNB Wien, 20.Dd.369. — HAB Wolfenbüttel, A: 231.174 Theol. (1).
Bibliographische Nachweise:
- VD 16 B 6209.
- Freys/Barge, Verzeichnis, Nr. 141.
- Zorzin, Flugschriftenautor, Nr. 72A.
- Köhler, Bibliographie, Nr. 1923.
- Benzing, Lutherbibliographie, Nr. 1946.
Edition:
- Karlstadt, Schriften (Hertzsch) 2, 55–56.
Handschriften:
Edition:
- Hase, Orlamünda, Nr. XXIX, 123f.
Die Ausfertigung des vorliegenden Schreibens ist verschollen, als Basis für die Edition dient der Text, den Karlstadt im Rahmen der im November 1524 erschienen Flugschrift Ursachen seiner Vertreibung aus Sachsen (KGK 281) veröffentlichen ließ. Es existieren jedoch zwei handschriftliche Konzepte des Schreibens in unterschiedlichen Bearbeitungsstufen (a und b), die aufgrund ihrer Abweichungen hier als gesonderte Beilagen abgedruckt werden.
Literatur:
- Hase, Orlamünda, 81f.
- Barge, Karlstadt 2, 138–143 mit Anm. 113–115.
- Joestel, Ostthüringen, 139f.
- Wähler, Orlamünde, 113–115.
2. Entstehung und Inhalt
In Beantwortung seines Schreibens an Herzog Johann vom 11. September 1524 (KGK 270) setzten die herzoglichen Räte Karlstadt mit dem vorliegenden Brief davon in Kenntnis, dass er nicht nur die Pfarrei Orlamünde zu räumen, sondern auch die sächsischen Lande zu verlassen habe. Hierzu verwiesen sie zunächst auf die Nachricht der Universität Wittenberg von Ende August über die Wahl des Rektors der Wittenberger Universität, Kaspar Glatz, zum Nachfolger des ausgeschiedenen Konventors Konrad Glitzsch für die vakante Pfarrstelle in Orlamünde.1 In diesem Zusammenhang hatten sie auch darum gebeten, Karlstadt, der sich gegen ihren Willen in die Pfarrei gedrängt habe, anzuweisen, diese zu räumen und sämtliches Inventar zurückzulassen.2 Dieser Bitte kamen die Räte nun im Auftrag des Herzogs nach und forderten Karlstadt darüber hinaus auf, die sächsischen Lande unverzüglich zu verlassen. Abschließend sicherten sie Karlstadt im Namen Herzog Johanns zu, dass publizistische Angriffe auf Luther ungestraft bleiben würden. Dieser Passus wurde erst im zweiten Konzept (b) eingefügt. Hierbei handelt es sich höchstwahrscheinlich um ein Zugeständnis an die zwischen den beiden Reformatoren bei ihrem Aufeinandertreffen im »Schwarzen Bären« am 22. August 1524 in Jena getroffene Vereinbarung, sich zukünftig nur noch publizistisch auseinanderzusetzen.3 Es ist also durchaus möglich, dass es schon vor dem Jenaer Gespräch am Weimarer Hof Überlegungen zur Ausweisung Karlstadts gegeben hat.
Die Gründe für die Ausweisung aus Sachsen werden weder im vorliegenden noch in späteren Schreiben thematisiert. Auf die Bitte Karlstadts im November 1524, ihm diese nochmals darzulegen,4 wiederholten die herzoglichen Räte in ihrem Antwortschreiben vom 26. November 1524 lediglich die eher inhaltsleere Formulierung des vorliegenden Schreibens (»sachen halben die seine f'urstlich' G'naden' darzů bewegenn«),5 verwiesen aber zugleich auf das »was euch auß befel/ seiner f'urstlich' g'naden' zuvor mundtlich zu weimar furgehalten.«6 Diese Formulierung legt nahe, dass Karlstadt bereits vor dem 18. September 1524 bei einem Treffen am Hof in Weimar ermahnt und über eine drohende Ausweisung informiert wurde. Auch wenn für Karlstadt spätestens seit Juni festgestanden haben dürfte, dass er gezwungen sein würde, seinen Platz als Pfarrer von Orlamünde zu räumen, scheint ihn der Ausweisungsbefehl doch unvorbereitet getroffen zu haben. Die Tatsache, dass er während seiner Zeit in Orlamünde ein Haus in Naschhausen ganz in der Nähe erworben hatte, spricht – ebenso wie seine gegenüber Luther in Jena geäußerte Ankündigung, sich zukünftig »mit dem pflug zuneren«7 – vielmehr dafür, dass er plante, sich dort als Bauer niederzulassen.8
Hintergrund für die Entscheidung der Herzöge dürften zum einen die seit Anfang des Jahres kursierenden Berichte über Karlstadts Wirken in Orlamünde,9 vor allem aber die von Luther vehement vertretene Gleichsetzung Karlstadts mit Müntzer und seiner Bewegung und die damit einhergehende Verknüpfung mit den Ereignissen im Allstedt im Sommer 1524 gewesen sein, die den Anlass von Luthers Predigt- und Visitationsreise ins mittlere Saaletal Ende August 1524 gegeben hatten.10 Die Berichte, die die Herzöge im Anschluss an diese Reise von Luther, aber auch von anderer Seite erreichten,11 mögen die Befürchtungen der Herzöge verstärkt haben, ein Verbleib Karlstadts in Orlamünde und Umgebung könne dauerhaft – wie im Falle Müntzers – zu Unruhen führen.12 Was schließlich den Ausschlag dazu gegeben hat, Karlstadt nicht nur zum Abzug aus Orlamünde aufzufordern, sondern aus Sachsen auszuweisen, ist unklar; noch Ende August hatten Herzog Johann und Friedrich III. – wenn auch in Unkenntnis der Ereignisse im Saaletal – eine Lösung des Konflikts mittels einer Disputation in Betracht gezogen.13
Wie groß der Einfluss Luthers auf die Entscheidung der Herzöge zur Ausweisung Karlstadts gewesen ist, ist unklar. Auch wenn seine Berichte und Schreiben v.a. an Kurprinz Johann Friedrich zweifelsfrei und mit Erfolg versuchten, Karlstadt zu diskreditieren und aktiv seine Abberufung aus Orlamünde zu erreichen, war er in den Entscheidungsprozess selbst wohl nicht einbezogen und ebensowenig über die Ausweisung Karlstadts informiert: Noch am 22. September 1524 bekräftigte er in einem Brief an Herzog Johann – offensichtlich in Unkenntnis der bereits erfolgten Ausweisung – seine Vorwürfe gegen Karlstadt und setzte sich im Namen Kaspar Glatz' für dessen Entfernung aus Orlamünde ein;14 die Vermutung liegt also nahe, dass Luther mit der Ausweisung Karlstadts aus Sachsen nicht gerechnet hatte, auch wenn sie durchaus seine Zustimmung erhielt.15
Wann Karlstadt auf die Anweisung der Räte tatsächlich aus Orlamünde abreiste, ist unklar. Dass er Orlamünde direkt nach Erhalt dieses Schreibens verließ, erscheint eher unwahrscheinlich, da sich der Rat der Stadt am 23. September nochmals mit der Bitte an Herzog Johann wandte, ihrem »Bürger«Karlstadt mit Blick auf seine hochschwangere Frau und den herannahenden Winter den Aufenthalt in Orlamünde zumindest bis zur Ankunft des neuen Pfarrers zu gestatten und ihm – der bereits im Ausräumen begriffen sei – damit auch die Möglichkeit zu geben, zunächst seinen Besitz zu verkaufen.16 Höchstwahrscheinlich verließ er die Stadt am 26. oder 27. September 1524 kurz nach dem Eintreffen der abschlägigen Antwort der herzoglichen Räte auf das Gesuch der Orlamünder,17 die er zusammen mit dem Gesuch des Rates und weiterer Korrespondenz Anfang November in Ursachen seiner Vertreibung aus Sachsen (KGK 281) publik machte.18