Nr. 272
Verschollen: Karlstadt an die Brüder und Schwestern in Orlamünde
ohne Ort, 1524, [nach 26. September]

Einleitung
Bearbeitet von Stefanie Fraedrich-Nowag

Luther an Spalatin, 30. Oktober 1524: »Carlstadius literas Orlamundae scripsit, alteras viris, alteras feminis […].«1

Luther an Amsdorf, 27. Oktober 1524: »Carlstadius interim scripsit Orlamundensibus, quoque seorsim […].«2

1. Inhaltliche Hinweise

Nach seiner Ausweisung aus Sachsen wandte sich Karlstadt Mitte Oktober mit zwei getrennten Briefen schriftlich an die Männer und Frauen von Orlamünde, wie durch die oben zitierten Schreiben belegt ist. Über ihren Inhalt ist nichts Näheres bekannt, wohl aber über die Umstände ihrer Verlesung in Orlamünde, wo die unter Glockengeläut vorgetragenen Worte die Anwesenden angeblich zu Tränen rührten.3 Unterzeichnet waren die Schreiben mit den Worten »Andreas Bodensteyn unverhort und unuberwunden durch Martinum Luther vertrieben.«4 In Orlamünde hielten sich zu diesem Zeitpunkt noch Karlstadts hochschwangere Ehefrau Anna von Mochau und ihr gemeinsamer Sohn5 auf – möglicherweise in dem Haus, das sie in Naschhausen in der Nähe von Orlamünde besaßen.6 Nach ihrer Niederkunft im Januar 1525 und der Weigerung, den neugeborenen Sohn Andreas taufen zu lassen, wurden auch sie aus Sachsen verwiesen und trafen dann in Rothenburg wieder mit Karlstadt zusammen.7

Bei diesen Briefen handelt es sich um den letzten nachweisbaren direkten Kontakt zwischen Karlstadt und den Orlamündern; er kehrte nie mehr dorthin zurück, widmete »den Brudern an der Saale« aber seine Schrift Anzeige etlicher Hauptartikel christlicher Lehre.8 Dennoch scheinen diese ihm und seiner Lehre – trotz aller Widerstände – noch geraume Zeit die Treue gehalten zu haben. Im Januar 1525 berichtete Glatz in einem Brief an Luther:»Kann euch nicht bergen, was meine Schwärmer mit Eurem Büchlein, so vom Sacrament und itzt von himmlischen Propheten ausgangen, machen: brauchen ihr uf dem Secret [der Toilette], wie ich gesehen und von Andern glaublich bericht, sagen, es sei Alles wider den Sohn von Nazareth, was hierin geschrieben, nicht wert, daß man sie lesen soll, und ander Ding mehr, das nicht zu erzählen ist. Die armen, elenden Leut! wenn ich dawider predige, heißen sie mich ein Fürstenheuchler, Martinischen Verführer. Alle Ding nehmen sie auf, allein vom Sacrament und Tauf mögen sie nicht hören und von weltlicher Obrigkeit, derselbigen gehorsam zu sein.«9

Noch 1527 berichtete Melanchthon den Kurfürsten von seiner Visitationsreise ins Saaletal: »Wir haben auch im ampt Leuchtenberg, als zu Calo und sonderlich zu Orlemund, noch etliche Karolstadter gefunden. Mit den selbigen irs irtuhumbs halben geredt und vil disputationes gehaltten. Seint so vil aus vorleihung gotlicher genaden untterricht worden, das sie yren irthumb bekannt und got dem almechtigen dancksagung gethan, mit verheissung, sich hinforder diesen irthumb nit verfuren lossen, sonder dovon abtzustehen.«10 Auch einige noch ungetaufte Kinder seien in Abstimmung mit dem Rat getauft worden.11 Lediglich ein Schuster aus Orlamünde möglicherweise derjenige, der sich in der Disputation mit Luther hervorgetan hatte, sei so verstockt gewesen, dass man ihn mit Ausweisung aus den kursächsischen Landen bedroht habe.12 Trotz dieser landesherrlichen Maßnahmen sind auch 1529 und 1539 in den Visitationsprotokollen noch einige Anhänger der Lehren Karlstadts oder zumindest seiner religiösen Praktiken erwähnt.13


1WA.B 3, 365,14f. Nr. 787.
2WA.B 3, 361,11f. Nr. 785.
3Luther an Spalatin, Wittenberg, 30. Oktober 1524: »[…] que publice vocatis per campanas lecte sunt omnibus simul flentibus.« (WA.B 3, 365,15f. Nr. 787).
4Vgl. WA.B 3, 365,16f. Nr. 787 und WA.B 3, 361,12f. Nr. 785.
5Zu diesem Sohn siehe KGK 280 (Anmerkung).
6Hierzu siehe KGK 260 (Anmerkung).
7Vgl. Barge, Karlstadt 2, 216.
8Vgl. Karlstadt, Schriften (Hertzsch) 2, 59–104. Wird in KGK VIII neu ediert.
9WA.B 3, 242,1–10 Nr. 818.
10MBW 3, 131,25–31 Nr. 574.
11Vgl. MBW 3, 132,58–60 Nr. 57: »Es seint auch noch etzliche ungetaufte kinder Orlemunde, die haben der roth bewilliget auf unser gescheft zu tauffen lossen.«
12Vgl. MBW 3, 131,31–132,41 Nr. 574.
13Vgl. Barge, Karlstadt 2, 142f.

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