Acta Jenensia (KGK 267): »Dise und dergleichen wort der predigt/ als sy doctor Karlstadt hoͤret (dann er selb in der predigt war) behertziget er/ befand sich etzlicher sachen halben wie unden angezeigt/ hyerrinne getroffen/ Schreyb ein brieff an Doctor Luther/ den etzliche in obgemelter herberg zum schwartzen Bern uber der mittag malzeit gelesen.«1
1. Inhaltliche Hinweise
Zwischen dem 21. und 24. August unternahm Luther eine Predigt- und Visitationsreise ins mittlere Saaletal, in deren Verlauf er diejenigen Städte besuchte, in denen Karlstadt über eine wachsende Anhängerschaft verfügte, die er durch wortgewaltige Predigten, möglicherweise nach dem Vorbild seiner Invokavitpredigten, zu disziplinieren suchte.2 Die erste Station seiner Reise bildete Jena, wo Luther am 22. August 1524 die Morgenpredigt in der Michaeliskirche hielt, in der er »wider der geister leer unnd fruchte« predigte und polemisierte. Als zentrale Merkmale dieses aufrührerischen Geistes hob er dabei – wie bereits in seinem Ende Juli erschienen Brief an die Fürsten zu Sachsen von dem aufrührerischen Geist3 – die Entfernung der Bilder und die Abschaffung der Sakramente Abendmahl und Taufe hervor, die Ausfluss eines teuflischen Geistes seien.4 Obgleich Luther sich hierbei eines direkten Angriffs auf Karlstadt enthielt, und explizit nur auf Müntzer und die Vorgänge in Allstedt und Zwickau einging,5 fühlte sich Karlstadt, der dieser Predigt inkognito beiwohnte,6 durch seine Worte getroffen und in ungerechtfertigter Weise in eine Reihe mit Müntzer und den Anhängern der radikalen Reformation gestellt.7
Er sah sich daher veranlasst, einen Brief zu verfassen, in dem er um eine Unterredung mit Luther bat. Diesen ließ er in Luthers Quartier – das Gasthaus zum Schwarzen Bären – bringen, wo ihn »etzliche […] uber der mittag malzeit gelesen.«8 Der Brief scheint also eine gewisse öffentliche Aufmerksamkeit erlangt zu haben; möglicherweise wurde er von Karlstadts Boten im Gastraum angeschlagen oder herumgereicht. Luther ließ Karlstadt daraufhin mündlich ausrichten, »So doctor Karlstat komen wolt zu im/ moͤcht ehrs wol leyden/ wue nicht moͤcht ers wol lassen.«9
Über den weiteren Inhalt dieses Briefes ist nichts bekannt, aus dem Ende September im Druck erschienenen Bericht über das am Nachmittag desselben Tages stattgefundene Treffen zwischen den beiden Kontrahenten, den sog. Acta Jenensia (KGK 267), lassen sich jedoch einige inhaltliche Rückschlüsse ziehen, die auch die zitierte, wenig höfliche Reaktion Luthers erklären. Dieser bezeichnete das Schreiben Karlstadts nämlich als »spytzigen brieff«, den er ihm nicht hätte schreiben dürfen, da Luther ihm nichts getan habe.10 Diese Äußerung legt nahe, dass Karlstadt sich in seinem Schreiben ebenso vehement und pointiert gegen die Gleichsetzung mit den »mörderischen Geistern« gewandt hatte, wie er es im Folgenden im Gespräch mit Luther tat.11