Nr. 265
Andreas Karlstadt an Herzog Johann von Sachsen
Orlamünde, 1524, 14. August

Einleitung
Bearbeitet von Stefanie Fraedrich-Nowag

1. Überlieferung

Handschrift:

[a:]LATh-HStA Weimar, EGA, Reg. N 624, fol. 18r–v (gestempelte Blattnummerierung, alte hsl. Nummerierung »19«; Autograph)

Frühdrucke:

Frühdruck:

[A:]Karlstadt, Andreas Bodenstein von
¶ Die erſte Copien ∥ Dem Durchleüchten vnd hochgeboꝛn fürſten vn̄ ∥ herꝛn/ herꝛn Johanſen Hertzogen zů Sachſen. ∥ Landgrauen in Düꝛingen vnd Marg⸗∥grafen ʒů Meyſſen meinem gnedi⸗∥gen herꝛen. ∥
in:
Karlstadt, Andreas Bodenstein von
Vꝛſachen der halben An⸗∥dres Carolſtatt auß den landen ∥ Ʒů Sachſen vertryben. ∥
[Straßburg]: [Johann Prüss d. J.], 1524.
4°. 6 Bl., fol. A2r–v.
Editionsvorlage:
BSB München, Res/4 H.ref. 802,34.
Weitere Exemplare: BSB München, 4 H.ref. 163a. — UB München, 0014/W 4 Theol. 5463(2) 20. — ÖNB Wien, 20.Dd.369. — HAB Wolfenbüttel, A: 231.174 Theol. (1).
Bibliographische Nachweise:

Editionen:

Literatur:

2. Entstehung und Inhalt

Mit dem vorliegenden Schreiben bot KarlstadtHerzog Johann an, zu allen gegen ihn und seine Lehre vorgebrachten Kritikpunkten schriftlich Stellung zu beziehen, und bat um eine Zusammenstellung dieser Punkte. Damit reagierte er auf die ihm während seines jüngsten Aufenthalts in Wittenberg am 22. Juli1 zugetragene Information, dass der Herzog auf ihn »ergrymmet und erbittert« sei. Sollte eine solche Aufstellung zu aufwendig sein, erklärte er sich bereit, mit »allen Leuthen, jung und alt, groß, klein, die mich verdencken« öffentlich zu disputieren, und brachte seine Hoffnung zum Ausdruck, der Herzog werde nicht gegen ihn vorgehen, ohne ihn vorher angehört zu haben. Auch gegenüber Kurfürst Friedrich III. hatte sich Karlstadt in einem verschollenen Schreiben (KGK 263) zu einer Disputation der strittigen Fragen bereiterklärt, wie er direkt zu Beginn des hier edierten Briefes berichtet. Dieser hatte das Angebot jedoch – was im vorliegenden Schreiben unerwähnt bleibt – bereits mit dem Hinweis abgelehnt, dass Karlstadt, sollte er dieses »Geschwür« antasten, umgehend seinen Herrschaftsbereich verlassen müsse (KGK 264).2

Das vorliegende Schreiben, das Karlstadt am 15. August 1524 in Abwesenheit des Herzogs persönlich in der Hofstube zu Weimar abgegeben hatte, erreichte diesen wahrscheinlich erst bei seiner Rückkehr um den 24. August.3 Zu diesem Zeitpunkt stand Herzog Johann der Idee einer Disputation noch offen gegenüber, denn er berichtete seinem Bruder am gleichen Tag vom Vorstoß des Eisenacher Predigers Jakob Strauß, eine Disputation unter Beteiligung Luthers, Karlstadts, Melanchthons, Müntzers und weiterer Teilnehmer durchzuführen. Er berichtete darüber hinaus, Karlstadt habe sich jüngst ihm gegenüber erboten, seine Lehre und Ansichten zu verteidigen,4 so dass »[…] wir [Herzog Johann] gnaigt [sind], den kosten dorauf zugehen lassen und sie mit einander furderlich, dergleichen auch den Schosser, schultes [Schultheiß] und rat von alstet auf die selb zeit hieher [nach Weimar] zu ervordern […].«5 Bei der Abfassung dieses Schreibens hatte der Herzog offenbar noch keine Kenntnis vom Verlauf der Predigt- und Visitationsreise Luthers durch das mittlere Saaletal (22.–24. August 1524), zu deren Beginn es beim Zusammentreffen in Jena am 22. August zum endgültigen Bruch zwischen Luther und Karlstadt gekommen war und sie vereinbart hatten, sich zukünftig nur noch publizistisch auseinanderzusetzen.6 Der Bericht über diese Ereignisse erreichte den Herzog höchstwahrscheinlich erst am 25. August.7 Der Kurfürst – wohl ebenfalls in Unkenntnis der Ereignisse im Saaletal – reagierte auf den Vorstoß Herzog Johanns, anders als zuvor gegenüber Karlstadt,8 durchaus wohlwollend. In seinem Antwortschreiben von 27. August 1524 heißt es: »Wil dan E. l. auf die anzaig und underrede, so Doctor Strauss, der prediger zu Eissnach, mit E. l. gehabt, bedacht und fur gut ansehn, doctor martinum, doctor karlstat, den Straussn, Melanchton, thomas Muntzer, auch den schosser, Schulthes und Rat zu Alstet gein Weymar zu beschaiden und mit Inen weiter handln zulassen: so bitten wir freuntlich, E. l. wolln solchs zur irer gelegenhait furderlich thun.«9 Durch die bereits erwähnte, zwischen Luther und Karlstadt bei ihrem Zusammentreffen in Jena getroffene Vereinbarung hatte sich die Möglichkeit einer öffentlichen Disputation zu diesem Zeitpunkt jedoch bereits überholt.10


1Karlstadt hielt sich um den 22. Juli in Wittenberg auf, um offiziell seinem Archidiakonat zu resignieren; vgl. KGK 260 (Anmerkung).
2Diese Korrespondenz ist verschollen, ihre Existenz ist lediglich durch ein Schreiben Martin Frechts an Wolfgang Reichart vom 10. November 1524 überliefert (Beilage zu KGK 279); vgl. auch KGK 263 und KGK 264. Ob Karlstadt zum Abfassungszeitpunkt des vorliegenden Schreibens bereits Kenntnis von der Antwort des Kurfürsten hatte, ist unklar.
4Hierbei bezieht sich Herzog Johann höchstwahrscheinlich auf das vorliegende Schreiben, von dessen Inhalt er erst kurz zuvor Kenntnis erlangt hatte.
5Förstemann, Geschichte des Bauernkrieges, 199 Nr. 34. Anscheinend hoffte Herzog Johann zu diesem Zeitpunkt noch, die Differenzen innerhalb des reformatorischen Lagers durch eine Disputation befrieden zu können.
6Vgl. KGK 267.
7Herzog Johann hielt sich zum Abfassungszeitraum des hier edierten Schreibens nicht in Weimar auf (siehe KGK 265 (Anmerkung)) und traf wohl auch erst um den 24. August 1524 wieder in dort ein, da er erst an diesem Tag das Schreiben Kurfürst Friedrichs III. vom 11. August 1524 beantwortete. Hierin berichtete er von seinem Aufenthalt in Eisenach; vgl. Förstemann, Geschichte des Bauernkrieges, 194–200 Nr. 34. Wahrscheinlich erfuhr er daher erst am 25. August durch seinen Hofprediger Stein, der Luther auf seiner Predigt- und Visitationsreise begleitet hatte, von den Ereignissen in Jena und Orlamünde. Dieser dürfte nicht vor dem späten Abend des 24. August in Weimar eingetroffen sein, da er sich zusammen mit Luther noch am selben Tag ab ein Uhr für mehrere Stunden in Orlamünde aufgehalten hatte. Ob Luther sich von Orlamünde aus direkt nach Wittenberg begab oder mit Stein nach Weimar reiste, ist unklar; vgl. KGK 267 (Anmerkung).
8Vgl. KGK 263.
10Vgl. die Einleitung zu KGK 270.

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