Nr. 270
Andreas Karlstadt an Herzog Johann von Sachsen
Orlamünde, 1524, 11. September

Einleitung
Bearbeitet von Stefanie Fraedrich-Nowag

1. Überlieferung

Handschrift:

[a:]LATh-HStA Weimar, EGA, Reg. N 623, fol. 3r–v(Ausfertigung von unbekannter Schreiberhand mit eigenhändigen Korrekturen Karlstadts)

Frühdruck:

Frühdruck:

[A:]Karlstadt, Andreas Bodenstein von
Die ander Copien
in:
Karlstadt, Andreas Bodenstein von
Vꝛſachen der halben An⸗∥dres Carolſtatt auß den landen ∥ Ʒů Sachſen vertryben. ∥
[Straßburg]: [Johann Prüss d. J.], [1524], fol. A2v–A4r.
4°, 6 Bl.
Editionsvorlage:
BSB München, Res/4 H.ref. 802,34.
Weitere Exemplare: BSB München, 4 H.ref. 163a. — UB München, 0014/W 4 Theol. 5463(2) 20. — ÖNB Wien, 20.Dd.369. — HAB Wolfenbüttel, A: 231.174 Theol. (1).
Bibliographische Nachweise:

Editionen:

Beilage: Rat und Gemeinde von Orlamünde an Herzog Johann von Sachsen, Orlamünde, 1524, 12. September

Handschrift:

[a:]LATh-HStA Weimar, EGA, Reg. N 623, fol. 5r–6v (Ausfertigung von unbekannter Schreiberhand)
Edition:

Literatur:

2. Entstehung und Inhalt

Karlstadt nimmt in dem hier edierten Schreiben zunächst Bezug auf das vorangegangene, ebenfalls an Herzog Johann gerichtete Schreiben vom 14. August 1524 (KGK 265), das er den herzoglichen Räten in Abwesenheit Johanns am Tag darauf persönlich in Weimar übergeben und in dem er sich bereit erklärt hatte, seine Lehre mit »allen leuthen, jung und alt, groß, klein, die mich verdencken« öffentlich zu disputieren.1 Hierauf hatte er offenbar noch keine Antwort erhalten und legte das besagte Schreiben daher nochmals als Kopie bei. Als Grund für sein erneutes Herantreten an den Herzog nannte Karlstadt Anfeindungen und Schmähungen, denen er sich ausgesetzt sah.2 Seine Beschwerde richtete sich v.a. gegen Luther, der im Rahmen seiner Predigt- und Visitationsreise durch das Saaletal (22.–24. August1524) gegen ihn gepredigt und ihn und seine Lehre mit Müntzer und den Ereignissen in Allstedt gleichgesetzt hatte. In diesem Zusammenhang berichtet Karlstadt auch von seinem Streitgespräch mit Luther im »Schwarzen Bären« zu Jena am 22. August 1524, in dessen Verlauf LutherKarlstadts Angebot einer öffentlichen Disputation ausgeschlagen hatte und sie übereingekommen waren, ihre Differenzen zukünftig nur noch publizistisch auszutragen.3 Ungeachtet dieser Vereinbarung kündigte Karlstadt dem Herzog zum Beweis seiner gemäßigten Haltung (»gelimpf und linigkeit«) nun an, für eine gewisse Zeit auf das Schreiben zu verzichten und sich der Prüfung seiner Lehre zu stellen, in der Hoffnung, »das E'uer' F'urstlich' G'naden' erkennen/ das ich nichts hyrinnen/ dann allein/ den grundt gotlicher warheit such.«4 Sollte dies dem Herzog jedoch nicht möglich sein, so bat Karlstadt darum, ihn zumindest nicht daran zu hindern, seine Lehre in Druckschriften gegen Luther zu verteidigen und ihn nicht der Zensur auszusetzen.5 Die noch im Schreiben vom 14. August angebotene öffentliche Disputation seiner Lehre6 war nach den Ereignissen in Jena nun wohl auch aus Karlstadts Sicht keine Option mehr.

Darin stimmte er mit Luther überein, der sich im Nachgang seiner Reise durch das Saaletal gegenüber Kurprinz Johann Friedrich sowohl mündlich als auch schriftlich dazu geäußert hatte, wie Karlstadt auf sein Schreiben vom 14. August (KGK 265) und das darin unterbreitete Disputationsangebot zu antworten sei, wie er dem Weimarer Hofprediger Wolfgang Stein Anfang September berichtete.7 Anders als von Luther vermutet, spielte bei der Beantwortung der Schreiben vom 14. August bzw. 11. September das Disputationsangebot Karlstadts jedoch gar keine Rolle mehr – die Fürsten ließen Karlstadt vielmehr durch ihre Räte seine Ausweisung aus Kursachsen mitteilen.8

Parallel zu Karlstadt wandte sich auch der Orlamünder Rat am 12. September mit einem Schreiben an Herzog Johann (Beilage). Hierin beschwerten die Orlamünder sich unter Verweis auf LuthersBrief an die Fürsten zu Sachsen von dem aufrührerischen Geist über die darin vorgenommene (indirekte) Gleichsetzung mit den Anhängern der radikalen Reformation um Thomas Müntzer und berichteten vor diesem Hintergrund auch über den Besuch Luthers in Orlamünde am 24. August 1524.9 Das Schreiben schließt mit der Bitte an den Herzog, Luther davon abzuhalten, seine Vorwürfe gegen die Orlamünder zu wiederholen und einen Ausgleich zwischen ihnen herbeizuführen. Der Herzog ließ ihnen daraufhin am 18. September durch seine Räte mitteilen, dass er über »allerley unschicklichkait«, derer sie sich auch schon vor Luthers Besuch in Orlamünde schuldig gemacht hätten, aber auch über die Geschehnisse selbst durch Luther bereits informiert sei10 und kündigte eine nähere Untersuchung an, nach der er sich dann »der gebur und dermasse zcu zeigen wissen [werde], damit man befinde, das sein f'urstlich' g'naden' solcher unschicklichkeit, wo dy dermassen, wie sie für sein f'urstlich' g'naden' komen, von euch geübt, ungefallens tragen.«11 Welche »unschicklichkait« hier gemeint ist, bleibt offen – möglicherweise bezogen sich die Räte auf die in Orlamünde vorgenommene Entfernung der Bilder aus den Kirchen im Zusammenhang mit den dort von Karlstadt durchgeführten Reformen12 sowie das allgemein selbstbewusste Auftreten der Orlamünder sowohl gegenüber ihrem Landesherren13 als auch gegenüber Luther.14 Die hier dargestellte Korrespondenz zwischen den Orlamündern und Herzog Johann verlief scheinbar vollkommen unabhängig von der »causa Karlstadt« – weder erwähnten die Orlamünder das kurze Aufeinandertreffen zwischen Luther und Karlstadt in Orlamünde15 noch thematisierten die herzoglichen Räte die am selben Tag wie ihr Antwortschreiben erfolgte schriftliche Ausweisung Karlstadts aus den sächsischen Landen (KGK 271).


2Vgl. KGK 270 (Textstelle). Tatsächlich legt ein Schreiben Herzog Johanns an Kurfürst Friedrich III. vom 24. August 1524 jedoch nahe, dass ihm das Schreiben Karlstadts spätestens bei seiner Rückkehr nach Weimar zur Kenntnis gebracht wurde: »[…] und Doctor Carlstadt uns itzo geschrieben, dorinne er sich auch erboten vorzukommen […]« (Förstemann, Geschichte des Bauernkrieges, 199 Nr. 34). Zur Abwesenheit Herzog Johanns siehe die Einleitung zu KGK 265.
3Hierzu siehe KGK 267.
7Vgl. Luther an Wolfgang Stein, Wittenberg, [Ende August/ Anfang September] 1524 »Nunc ad istas quoque literas vel vocato eo vel scripto ad eum in hunc modum respondeantur: Lieber Herr Doctor! Ihr habt […] die Sach angefangen und den Gulden von Doctor Martin empfangen. […] Aufs ander, daß er sich zu vorhören und disputieren erbeut, soll man so lassen sagen: es nehme meinem gnädigsten Herrn fast Wunder, sintemal Karlstadt so oft gefodert ist gen Wittenberg, seim Amt nach zu disputieren, lesen und predigen, wie er furstlichem Lehn verpflicht, und nu allererst aufblose sein Disputieren, als hätte man ihm solches geehret oder gesperret, das er doch weiß, wie ihm niemand bisher hat dahin mögen zwingen, daß er hinfort mit solchem Spiegelfechten meinen gnädigsten herrn wollte zufrieden lassen und handeln, wie er's wisse zu verantworten« (WA.B 3, 343,3–16 Nr. 774). Die Datierung des Schreibens ergibt sich aus der Erwähnung der Übergabe des Goldguldens im Rahmen des Jenaer Gesprächs zwischen Luther und Karlstadt am 22. August 1524 (siehe KGK 267 (Textstelle)) sowie der Ortsangabe Wittenberg. Luther kann das Schreiben also frühestens nach seiner Rückkehr nach Wittenberg Ende August/Anfang September verfasst haben.
8Vgl. KGK 271.
9Hierzu siehe KGK 267.
10Über die Ereignisse in Jena und Orlamünde dürfte der Herzog bereits durch Wolfgang Stein oder Luther selbst informiert gewesen sein. Dieser begab von Orlamünde aus wohl zunächst nochmals nach Weimar, wo er am Hof von den Ereignissen berichtete; vgl. Hasse, Visitationsreise, 172–176. Möglicherweise reiste er aber auch auf direktem Wege nach Wittenberg; vgl. WA.B 3, 344 Nr. 775 Anm. 1. Die von Luther erwähnten Unterredungen mit Kurprinz Johann Friedrich (z.B. WA.B 3, 343 Nr. 774 oder WA 18, 86) könnten sich auch auf seinen gesicherten Aufenthalt in Weimar am 21. August 1524 zu Beginn seiner Reise beziehen.
11LATh-HStA Weimar, EGA, Reg. N 623, fol. 9r–v = Hase, Orlamünda, 122f. Nr. XXVIII.
12Vgl. die Einleitungen zu KGK 255 und KGK 264.
13Die Orlamünder machten gegenüber den Herzögen und der Universität das Recht geltend, ihren Pfarrer selbst zu wählen, obgleich dieses Recht gemäß den Statuten Universität, Stiftskapitel und Kurfürst zustand; vgl. KGK 256 mit Beilage 1.
14Vgl. den Brief der Orlamünder an Luther vom 14. August 1524, in dem sie ihn nicht nur persönlich angriffen, sondern sich durch die Anrede »lieber bruder« auch auf eine Stufe mit ihm stellten; vgl. KGK 267.

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