Nr. 269
Verschollen: Andreas Castelberger (Zürcher Grebel-Kreis) an Andreas Karlstadt
Zürich, 1524, 5. September

Einleitung
Bearbeitet von Wolfgang Huber

Der Zürcher Humanist Konrad Grebel, der zunächst ein Anhänger des führenden Reformators Huldrych Zwingli gewesen war, dann aber aus einer radikaleren Haltung heraus eine kritische Position ihm gegenüber entwickelt hatte, berichtete in einem Brief vom 3. September 1524 seinem Schwager Joachim Vadian in St. Gallen:1 »Quid sit, quod ago, quaeris. Rescribo Andreae Carolostadio; Thomae Münzero […] primum; forsitan et Lutherum compellabo, fiducia verbi divini percitus.«

Grebel und sein Kreis schrieben am 5. September 1524 in zwei Briefen an Thomas Müntzer:»[…] daß du mitsampt Carolostadio by unß für die reinisten ußkünder vnd prediger deß reinisten goͤtlichen wortes geacht sind […].«2 »Ob du oder Carolostadius nit gnůgsam wider den kindertouff schriben werdend mit aller zůgehoͤrt, wie vnd warumb man touffen soͤlle etc. […].«3 »So du vnd Carolostadius eineß gemuͤteß sind, begerend wir ouch bericht werden. Wir hoffends vnd gloubends. Diser bott, so ouch dem lieben unserem brůder Carolostadio brief gebracht hat von unß, sye dir befolet. Und magst du zů Carolostadio kummen, daß ir unß mitt einander antwurtind, wurd unß ein hertzliche freud sin.«4 »Hertzliebster brůder Tomam. Wie ich in vnser aller namen geschriben hat in die il5 vnd gmeint, dißer bott wurd nit harren, daß wir dem Luther ouch schribind, also hat er regenß halb muͤßen beitten und harren. Do han ich für mich vnd die anderen mine vnd dine brůder ouch dem Luter geschriben6 vnd in gemanet abzestan von dem falschen schonen der schwachen, welche sy selbs sind. Der Andreß Castelberg hat Carolostadio gschriben […].«7

1. Erläuternde Hinweise

Die Zitate lassen erkennen, dass aus dem ZürcherGrebel-Kreis heraus Briefe im Namen aller Mitglieder (»Brüder«) des Kreises geschrieben wurden.8 Das hier bezeugte, aber nicht erhaltene Schreiben Andreas Castelbergers, eines Buchführers,9 ist darum als Brief an Karlstadt zu verstehen, der im Namen aller »Brüder« verfasst wurde. Konrad Grebel hat also, anders als seine Ankündigung vom 3. September 1524 wörtlich lautet, sicher keinen eigenen Brief – neben dem von Castelberger verfassten – an Karlstadt geschrieben.10 Der Brief Castelbergers vom 5. September 1524 war zugleich Teil der vermutlich bereits im Mai 1524 begonnenen Korrespondenz zwischen dem ZürcherGrebel-Kreis und Karlstadt.11 Möglicherweise berichtete der Grebel-Kreis von seinen nun unternommenen Kontaktversuchen mit Müntzer und Luther und bekräftigte sein fortdauerndes Interesse an Karlstadts Schrift über die Kindertaufe.

Zusammen mit den Briefen an Müntzer vom 5. September 1524, die Karlstadt mehrmals als hoch geschätzten Theologen erwähnten, zu dem die »Brüder« des Grebel-Kreises bereits einen vertrauten Austausch unterhielten, sandten sie mit demselben Boten eben auch ein kritisches Schreiben an Martin Luther, das nicht erhalten ist. Während der Brief an Luther in Wittenberg übergeben, aber von diesem offenbar ignoriert wurde,12 konnten die beiden Schreiben des Grebel-Kreises an Müntzer nicht zugestellt werden. Sie gelangten nämlich, wohl durch denselben Briefboten, wieder zurück in die Schweiz, und wurden in der Vadianischen Briefsammlung aufbewahrt.13 Dagegen ist der am 5. September 1524 von Castelberger verfasste Brief des Grebel-Kreises an Karlstadt – so wie der an Luther – ebenfalls nicht erhalten. Es liegen keinerlei weitere Informationen über ihn vor. Dass das Schreiben vom 5. September 1524 Karlstadt erreicht hat, ist unwahrscheinlich, da Karlstadt bereits gegen Ende September Kursachsen verlassen musste. Möglicherweise traf der Briefbote in Orlamünde aber noch Karlstadts Ehefrau Anna an.


1Vadianische Briefsammlung 3, 85, Nr. 404; QGTS 1, 12 Nr. 13.
2TMA 2, 355,3f. Nr. 103.
3TMA 2, 359,11f.
4TMA 2, 360,15–19.
5in Eile.
6Der (nicht erhaltene) Brief des Grebel-Kreises an Luther wird im Schreiben an Müntzer weiterhin noch zweimal erwähnt; TMA 2, 361,1–3; 365,17–19. Der Brief wurde Luther zugestellt, der ihn aber anscheinend nicht beachtete; vgl. Bräuer, Briefe, 15 mit Anm. 56.
7TMA 2, 362,2–363,1.
8Auch die Briefe Grebels an Müntzer vom 5. September 1524 sind von allen Mitgliedern seines Kreises unterzeichnet worden; TMA 2, 103,1; 360,24–26; 365,14–16.
9Castelberger hat wohl Grebel, aber wahrscheinlich auch Zwingli mit Karlstadt-Drucken versorgt; zu ihm vgl. Strübind, Eifriger, 129f.; 138–145; HLS s.v. Andreas Castelberger.
10Vgl. die knappen Darstellungen bei Pater, Karlstadt, 141 mit Anm. 137–140, und Strübind, Eifriger, 207f.
11Zur Korrespondenz zwischen dem ZürcherGrebel-Kreis und Karlstadt siehe KGK 268 (Anmerkung) sowie die Einleitung zu Karlstadts Briefgutachten Wider die alte und neue papistische Messe (KGK 275 (Textstelle); KGK 275 (Textstelle)).
12Siehe den Brief Karlstadts an den Grebel-Kreis (nach 24. August 1524) (KGK 268 mit KGK 268 (Anmerkung)). Luther bestellte über Erhard Hegenwald immerhin Grüße nach Zürich, die dieser am 1. Januar 1525 auch an Grebel ausrichtete; vgl. Bräuer, Wittenberg.
13Vgl. Bräuer, Briefe, 15 bzw. 9; vgl. auch die früheren Überlegungen von Stayer, Radikalismus, 172f.

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