Der Zürcher Humanist Konrad Grebel, der zunächst ein Anhänger des führenden
Reformators Huldrych Zwingli gewesen
war, dann aber aus einer radikaleren Haltung heraus eine kritische Position ihm
gegenüber entwickelt hatte, berichtete in einem Brief vom 3. September 1524 seinem
Schwager Joachim Vadian in St. Gallen:1
Grebel und sein Kreis schrieben am 5.
September 1524 in zwei Briefen an Thomas
Müntzer:
1. Erläuternde Hinweise
Die Zitate lassen erkennen, dass aus dem ZürcherGrebel-Kreis heraus Briefe im Namen aller Mitglieder (»Brüder«) des Kreises geschrieben wurden.8 Das hier bezeugte, aber nicht erhaltene Schreiben Andreas Castelbergers, eines Buchführers,9 ist darum als Brief an Karlstadt zu verstehen, der im Namen aller »Brüder« verfasst wurde. Konrad Grebel hat also, anders als seine Ankündigung vom 3. September 1524 wörtlich lautet, sicher keinen eigenen Brief – neben dem von Castelberger verfassten – an Karlstadt geschrieben.10 Der Brief Castelbergers vom 5. September 1524 war zugleich Teil der vermutlich bereits im Mai 1524 begonnenen Korrespondenz zwischen dem ZürcherGrebel-Kreis und Karlstadt.11 Möglicherweise berichtete der Grebel-Kreis von seinen nun unternommenen Kontaktversuchen mit Müntzer und Luther und bekräftigte sein fortdauerndes Interesse an Karlstadts Schrift über die Kindertaufe.
Zusammen mit den Briefen an Müntzer vom 5. September 1524, die Karlstadt mehrmals als hoch geschätzten Theologen erwähnten, zu dem die »Brüder« des Grebel-Kreises bereits einen vertrauten Austausch unterhielten, sandten sie mit demselben Boten eben auch ein kritisches Schreiben an Martin Luther, das nicht erhalten ist. Während der Brief an Luther in Wittenberg übergeben, aber von diesem offenbar ignoriert wurde,12 konnten die beiden Schreiben des Grebel-Kreises an Müntzer nicht zugestellt werden. Sie gelangten nämlich, wohl durch denselben Briefboten, wieder zurück in die Schweiz, und wurden in der Vadianischen Briefsammlung aufbewahrt.13 Dagegen ist der am 5. September 1524 von Castelberger verfasste Brief des Grebel-Kreises an Karlstadt – so wie der an Luther – ebenfalls nicht erhalten. Es liegen keinerlei weitere Informationen über ihn vor. Dass das Schreiben vom 5. September 1524 Karlstadt erreicht hat, ist unwahrscheinlich, da Karlstadt bereits gegen Ende September Kursachsen verlassen musste. Möglicherweise traf der Briefbote in Orlamünde aber noch Karlstadts Ehefrau Anna an.