1. Überlieferung
Handschrift:
Edition:
- Hase, Orlamünda, 94–96 Nr. VIII.
Das Schreiben Karlstadts ist von der gleichen Hand geschrieben wie die beiden Beilagen, möglicherweise handelt es sich um den Orlamünder Stadtschreiber. Diese Tatsache spricht dafür, dass Karlstadt und die Orlamünder bei ihrem Vorgehen in engem Austausch standen.
Beilage 1: Rat und Gemeinde von Orlamünde und die Gemeinden Dienstädt, Bucha, Zeutsch und Freienorla an Herzog Johann von Sachsen, Orlamünde, 1524, 3. Mai
Handschrift:
r–v (gestempelte Blattnummerierung, alte hsl. Nummerierung »7«; Ausfertigung).
Edition:
- Hase, Orlamünda, 97f. Nr. IX.
Beilage 2: Rat und Gemeinde von Orlamünde und die Gemeinden Dienstädt, Bucha, Zeutsch und Freienorla an Universität und Stiftskapitel Wittenberg, Orlamünde, 1524, 12. Mai
Handschrift:
r–v, 21v (gestempelte Blattnummerierung, alte hsl. Nummerierung »11«; fol. 21v Dorsalvermerk: »Rath unnd gemeine zu Orlamunda, samb den eingepfarten dorffschafften bitten umb D. Carlstads lenger anwesen bei Inen, Mit uberschickung Inligender Copei, wes sie an herzog Johansen seiner des [Carlstats] von Inen beschehenen Nomination halben Zu Irem Pfarrn gesch[ickt]«).
Edition:
- Hase, Orlamünda, 99–101 Nr. XI.
Literatur:
- Hase, Orlamünda, 62–68.
- Barge, Karlstadt 2, 105–107.
- Barge, Gemeindechristentum, 248–254.
- Wähler, Orlamünde, 72–78.
- Joestel, Ostthüringen, 89.
2. Entstehung und Inhalt
Nach der Übersiedelung Karlstadts nach Orlamünde im Verlauf des Sommers 1523 ist eine Lücke in seiner Korrespondenz von etwa einem Jahr zu verzeichnen. Überhaupt sind Informationen über seine Tätigkeit für die Zeit zwischen Mitte Juni 1523 und März 1524 nur anhand weniger, zumeist indirekter Quellen greifbar.1 Mit dem vorliegenden Brief setzt die nachweisbare Korrespondenz Karlstadts nach dieser Pause wieder ein. Anlass des Schreibens war das Treffen Karlstadts mit Vertretern der Universität am 4. April 1524 in Wittenberg als Folge der Ende März durch Universität und Stiftskapitel an ihn ergangenen Aufforderung, innerhalb von dreißig Tagen auf sein Archidiakonat am Allerheiligenstift nach Wittenberg zurückzukehren und die damit verbundenen Aufgaben an Kirche und Universität wiederaufzunehmen (KGK 255). Karlstadt hatte sich daraufhin Anfang April nach Wittenberg begeben, um seine Angelegenheiten – neben der Rückkehr auf das Archidiakonat die Begleichung der Schulden, die er bei der Universität gemacht hatte2 – mit den Vertretern von Universität und Stiftskapitel zu klären. Über den Verlauf dieses Gesprächs am 4. April 1524 ist nur wenig bekannt. Rückschlüsse über dessen Inhalt lassen sich aber aus dem vorliegenden Brief sowie einem undatierten Schreiben der Universität an Friedrich III. ziehen, das die mit Karlstadt getroffenen finanziellen Regelungen thematisiert.3
Karlstadt berichtet im vorliegenden Schreiben an Herzog Johann, die Anwesenden hätten sich ihm gegenüber »erbothen sie wolten mich furdere und helffen«, woraufhin er sich bereiterklärt habe, nach Wittenberg zurückzukehren, wenn auch unter der Voraussetzung, dass er nichts mit den »altgläubigen« Stiftsherren (»meßhaltern«) zu tun haben würde. Im Anschluss verfasste die Wittenberger Universität in Person des Rektors Philipp Melanchthon und anderer nicht namentlich genannter Männer einen »brieff« im Namen Karlstadts an Herzog Johann, mit dem dieser über das Ergebnis der Verhandlungen informiert werden sollte.4 Dieser heute verschollene Brief wurde Karlstadt kurz vor seiner Abreise nach Orlamünde zugestellt, traf in verschiedenen Punkten jedoch auf sein Missfallen. Daher behielt er ihn zunächst bei sich und schickte ihn erst am 19. April nach mehreren Tagen Bedenkzeit mit dem vorliegenden Schreiben, in dem er u.a. zu den, aus seiner Sicht falsch dargestellten Punkten Stellung bezog, von Orlamünde aus nach Weimar.5
Sein besonderes Missfallen erregte demzufolge die Auslassung der von ihm vorgeschlagenen Regelung in Bezug auf die Abgeltung der Kosten, die er der Universität durch seine Reisen zwischen Orlamünde und Wittenberg in der Zeit vor seiner Übersiedelung dorthin noch schuldete. Karlstadt hatte in den Verhandlungen nach eigener Aussage angeboten, die ihm von seinem Nachfolger, dem zukünftigen Konventor, aus der Pfarrei Orlamünde zustehenden Abgaben bis zur Begleichung seiner Schulden an die Universität abzutreten, womit sich die Universitätsvertreter seiner Meinung nach auch einverstanden erklärt hatten.6 Mit Blick auf das von der Universität verfasste Schreiben befürchtete er nun jedoch, seine Schulden bei einer endgültigen Rückkehr nach Wittenberg direkt begleichen zu müssen, wozu er sich aktuell nicht in der Lage sah, wie im weiteren Verlauf des hier edierten Schreibens durch die Darstellung der wirtschaftlichen Situation der Pfarrei Orlamünde indirekt deutlich wird. Vor diesem Hintergrund wollte Karlstadt geklärt wissen, wer zukünftig für die Einziehung und Auszahlung seines Einkommens, insbesondere wohl der Einnahmen aus Orlamünde,7 zuständig sei. Hierbei hoffte er auf die Universität, da er aufgrund seiner bisherigen Erfahrungen mit dem eigentlich dafür zuständigen Allerheiligenstift8 bezweifelte, seine Einnahmen zu erhalten und daher befürchtete, »dauerhaft zum Bettler zu werden«. Denn, so berichtet er dem Herzog mit Blick auf die Zustände in Orlamünde, die dortigen Ländereien brächten auch nach einem Jahr großer Mühen und finanzieller Aufwendungen seinerseits kaum Ertrag und die Zehnteinnahmen würden im Idealfall gerade für Schulmeister und Kaplan ausreichen. Ein neuer Konventor müsse sich bei der Übernahme der Pfarrei daher verschulden, weil er neben den Kosten zur Bewirtschaftung der heruntergekommenen Pfarrgüter auch Karlstadt für seinen bislang geleisteten Aufwand entschädigen müsse.9 Auch sei die Übergabe der Pfarrei durch seinen Vorgänger, Konrad Glitzsch, noch immer nicht abgeschlossen.10 Bevor diese strittigen Punkte – Zahlung seines Einkommens in Wittenberg, Klärung der Angelegenheit mit Glitzsch und Entschädigung für die Aufbauarbeiten in Orlamünde – nicht gelöst seien, wolle er die Pfarrei nicht verlassen.
Gegen einen baldigen Abschied aus Orlamünde sprach aus Karlstadts Sicht aber auch seine Verpflichtung als Pfarrstelleninhaber, als welcher er den Menschen aus Orlamünde und den umliegenden Landgemeinden11 täglich die Apostelgeschichte und feiertags das Evangelium des Johannes auslegte.12 Es könne dem Herzog nachteilig ausgelegt werden – so Karlstadt – sollte er so plötzlich und während der laufenden Predigtreihen (lectiones) aus Orlamünde abgezogen werden. Er bat den Herzog daher darum, noch bis zum Ende des Sommers (also bis nach der Ernte) in der Gemeinde bleiben zu dürfen.
Ein Antwortschreiben Herzog Johanns auf diesen Brief sowie eine weitere Korrespondenz zwischen ihm und Karlstadt im Anschluss an dieses Schreiben ist nicht bekannt. Es entwickelte sich jedoch ein intensiver Briefwechsel über die »causa Karlstadt« zwischen Herzog, Kurfürst, Universität und Stiftskapitel einerseits sowie Rat und Gemeinde Orlamünde und den umliegenden Landgemeinden Dienstädt, Bucha, Zeutsch und Freienorla andererseits. Letztere wandten sich am 3. Mai 1524 mit der Bitte an den Herzog, »gedachtem Capittell und universitet wittenbergk mit nichte gestatten/ uns eynen solchen ordentlichen erwelten hirtthen von Goth und den menschen/ hynwegk zcunhemen.«13 Dabei beriefen sie sich auf die Notwendigkeit und das dringende Bedürfnis der Gemeinde nach adäquter geistiger Unterweisung, die sie unter Karlstadts Vorgängern nicht erhalten hätten, aber auch auf das bei Paulus (Tit 1,5–9) formulierte Recht der Gemeinde, ihren Pfarrer selbst zu wählen, was sie mit dem hier als Beilage 1 edierten Schreiben dann auch offizell taten.14 Damit nahmen sie zum einen das von Luther in seiner im Mai 1523 erschienen Schrift Dass eine christliche Versammlung oder Gemeinde Recht und Macht habe postulierte äußere Recht der Gemeinde zur Berufung ihres Pfarrers für sich in Anspruch15, folgten in ihrer Argumentation aber zugleich derjenigen Karlstadts, der in seiner Schrift Ursachen seines Stillschweigens und von rechter Berufung (KGK VI, Nr. 248) der göttlichen Berufung den Vorang eingeräumt und bei der Erwählung der Priester unter Referenz auf 1. Tim 5,22 zur Besonnenheit gemahnt hatte.16 Diesem Gedankengang Karlstadts – adressiert an die »brüder«, die ihn berufen hätten17 – folgten die Gemeinden nun mit wiederholtem Rekurs auf die Erwählung Karlstadts, der ihnen von Gott gesandt18 und von ihnen nach ausreichender Prüfung erwählt worden sei.19
Damit nahmen die Gemeinden rechtswidrig das Nominationsrecht für die Besetzung der Pfarrstelle, das nach den Statuten eigentlich in den Händen von Universität und Stiftskapitel lag, für sich in Anspruch und versuchten nun ihre Wahl durch die Eingabe bei Herzog Johann bestätigen bzw. legitimieren zu lassen.20 Eine solche Legitimation hätte eine Egalisierung der kirchlichen und obrigkeitlichen Hierarchien in diesem Punkt bedeutet und die Funktion des Laien im kirchlichen Machtgefüge deutlich aufgewertet. Herzog Johann wies in seinem Antwortschreiben vom 5. Mai 1524 dann auch darauf hin, dass das Nominationsrecht für die Besetzung der Pfarrstelle in OrlamündeUniversität und Stiftskapitel in Wittenberg zugeschrieben sei und sich die Gemeinden wegen einer etwaigen Nomination Karlstadts zunächst an diese zu wenden hätten.21
Die Gemeinden richteten daraufhin am 12. Mai ein Schreiben direkt nach Wittenberg (Beilage 2),22 in dem sie Universität und Stiftskapitel als eigentliche Inhaber des Nominationsrechts um die Bestätigung der von den Gemeinden vorgenommenen Wahl und Nomination baten.23 Zur Untermauerung der Rechtmäßigkeit ihrer Forderungen verwiesen sie zum einen darauf, dass einige der Adressaten von den Fürsten – also Laien – erwählt und besoldet würden,24 zum anderen – wie bereits gegenüber Herzog Johann – auf ihr unbedingtes Bedürfnis nach christlicher Unterweisung, die durch die vorhergehenden Pfarrer vernachlässigt worden sei. In diesem Zusammenhang warnten sie vor einem drohenden Aufruhr, sollte Karlstadt während der laufenden Lektionen aus der Gemeinde abberufen werden.25
Universität und Stiftskapitel wandten sich daraufhin mit der Frage an Kurfürst Friedrich III.,26 was in diesem Fall zu tun sei, der sie in seinem Antwortschreiben anwies, sich den Statuten des Allerheiligenstifts gemäß zu verhalten.27 Damit bekräftigte er nicht nur das Nominationsrecht von Universität und Stiftskapitel in Bezug auf die Besetzung der Pfarrstelle in Orlamünde,28 sondern erteilte gleichzeitig allgemein der Forderung bzw. dem Anspruch nach einer eigenständigen Pfarrwahl durch die Gemeinde eine Absage. Derart abgesichert verfassten Universität und Stiftskapitel am 19. Mai ein Anwortschreiben an die Gemeinden im Saaletal, mit dem sie deren Gesuch auf Bestätigung der Nomination bzw. Wahl Karlstadts ablehnten und zugleich versicherten, die Gemeinden mit einem neuen Pfarrer zu versorgen.29 Ein Verbleib Karlstadts in Orlamünde war damit von ihrer Seite ausgeschlossen.