Nr. 257
Andreas Karlstadt an Kurfürst Friedrich III. von Sachsen
Orlamünde, 1524, 22. Mai

Einleitung
Bearbeitet von Stefanie Fraedrich-Nowag

1. Überlieferung

Handschrift:

[a:]LATh-HStA Weimar, EGA, Reg. N 624, fol. 14r–v;

20v (Autograph mit Siegelspuren; fol. 20v Dorsalvermerk: »A°. 24. Ubersendet Inligendt, was er an herzog Johannsen Zu S'achsen' seiner Vocation halben geen Wittenbergk, Auch seines Abzugs wegen von der Pfarr zu Orlamünde geschrieben, Mit angehengter untertheniger bitt etc.«; unter der Adresse von anderer Hand: »Doctor karlstat«).

Edition:

Beilage: Rat und Gemeinde von Orlamünde und die Gemeinden Dienstädt, Bucha, Zeutsch und Freienorla an Kurfürst Friedrich III. von Sachsen, Orlamünde, 1524, 22. Mai

Handschrift:

[a:]LATh-HStA Weimar, EGA, Reg. N 624, fol. 15r–v;

19v (Ausfertigung mit Siegelspuren; fol. 19v Dorsalvermerk: »Rat und gemein zu orlamund und etlich dorfschaften fur [?]Doctor Karlstat beschwernn sich, das von Inen von der Universitet und Capittel zu Wittenb'erg' zu dinste abgefordert worden, vermug Inligender Copei der Universitet schreibens etc. Ant'wort' drin [?]«).

Edition:

Literatur:

2. Entstehung und Inhalt

Ab Mai 1524 entwickelte sich ein reger Briefwechsel zwischen dem Rat der Stadt Orlamünde und den zugehörigen Landgemeinden Dienstädt, Bucha, Zeutsch und Freienorla einerseits und Herzog Johann von Sachsen, Universität und Stiftskapitel Wittenberg und dem Kurfürsten andererseits über den Verbleib Karlstadts in Orlamünde. Auslöser war die Ende März 1524 durch Universität und Stiftskapitel an ihn ergangene Aufforderung, nach Wittenberg zurückzukehren und seine Pflichten als Archidiakon und Dozent wieder aufzunehmen (KGK 255). Obgleich Karlstadt sich bei seinem Aufenthalt in Wittenberg Anfang April zunächst hierzu bereiterklärt hatte, änderte er nach seiner Rückkehr nach Orlamünde seine Meinung und ersuchte Herzog Johann stattdessen, ihm den Verbleib auf seinem Posten zumindest bis zum Ende des Sommers zu gestatten (KGK 256). Diese Bitte blieb ohne Antwort und auch die Gesuche der Gemeinden im Saaletal bei Herzog Johann bzw. Universität und Stiftskapitel Wittenberg (Beilage 1 und Beilage 2 zu KGK 256) blieben erfolglos.1Karlstadt wandte sich daraufhin – nach einem Monat des Stillschweigens – mit seiner Bitte direkt an den Kurfürsten als eigentlicher Entscheidungsinstanz.2

In seinem Schreiben legte Karlstadt seine und die Zukunft der Pfarrei Orlamünde in die Hände Friedrichs III. und stellte ihm anheim, ihn von seinem Posten zu entfernen oder ihn auf dieser Stelle zu belassen, für die er so viel auf sich genommen habe.3 Er zeigte sich bereit – unter der Voraussetzung, dass der Kurfürst damit einverstanden sei – die Stelle als Konventor zu bedienen und dafür finanzielle Einschränkungen hinzunehmen.4 In diesem Zusammenhang rekurrierte er nochmals auf seine vordringlichsten Beweggründe, die er bereits bei seiner Übersiedelung nach Orlamünde ins Feld geführt hatte – das Vermeiden von Ärgernissen des Glaubens, in seinem Fall die Verstrickung in das altkirchliche Pfründensystem.5 Aus Gewissensgründen sei er daher »widder gunst oder geltes halben« bereit, Umgang mit den »Messhaltern und Götzendienern« des Allerheiligenstifts zu pflegen, also seine gottesdienstlichen Pflichten dort wieder aufzunehmen, wie er bereits in seinem Gespräch mit den Vertretern der Universität am 4. April deutlich gemacht und auch Herzog Johann in seinem Schreiben vom 19. April 1524 als conditio sine qua non für seine Rückkehr mitgeteilt hatte.6 Dennoch sehe er sich nicht in der Lage, ohne Einkommen zu leben, weshalb man ihn nun nach Wittenberg zurückzwingen oder ihn seines Lehens (Orlamünde) berauben wolle. Er legte eine Kopie seines Briefes an Herzog Johann (KGK 256) bei, um sicherzustellen, dass, sollte er Orlamünde verlassen müssen, es mit Kenntnis des Kurfürsten geschehe und er sich eine neue Bleibe suchen könne bzw. für den Fall seiner Rückkehr nach Wittenberg die Universität oder jemand anderes zur Zahlung seines Lohns verpflichtet werde.7 Abschließend erklärte er sich bereit, jede gegen ihn und seine Lehre vorgebrachte Kritik schriftlich zu beantworten und eine Strafe hinzunehmen, sollte es ihm an einer begründeten Antwort mangeln. Einige Universitätskollegen seien darauf aus, ihm zu schaden,8 was er jedoch nicht hinnehmen werde, zumal er in seiner jetzigen Situation schon genug Schaden zu erleiden habe.9

Am gleichen Tag wandten sich auch die Gemeinden im Saaletal mit einem Schreiben an den Kurfürsten (Beilage 1), in dem sie ebenfalls um den Verbleib Karlstadts in Orlamünde baten, was nahelegt, dass es sich um eine konzertierte Aktion handelte.10 Unter Beifügung ihrer Korrespondenz mit Herzog Johann sowie Universität und Stiftskapitel wandten sie sich gegen deren »bebstlich anthwort« und die Abberufung Karlstadts aus Orlamünde. Hierbei beriefen sie sich wie bereits in ihren vorigen Schreiben unter Verweis auf Paulus darauf, Karlstadt rechtmäßig als Pfarrer gewählt zu haben11 und stellten die Widersprüchlichkeit des universitären Handelns gegen deren eigene Lehre und Schriften heraus.12 Möglicherweise verbirgt sich hier bereits eine indirekte Kritik an Luther, auf dessen Schriften – vermutlich Dass eine Christliche Versammlung und Gemeine Recht und Macht habe – sie bei ihrem Streitgespräch mit Luther im August 1524 direkt eingingen.13


1Vgl. KGK 256.
2Die Besetzung der Pfarrstelle in Orlamünde oblag Universität und Stiftskapitel (Nomination) und Kurfürst (Präsentation); vgl. Bünger/Wentz, Brandenburg, 91. Indem sie sich in dieser Sache an Herzog Johann wandten, hatten Karlstadt und die Gemeinde Orlamünde wie bereits in der Vergangenheit die eigentlichen Entscheidungsträger zunächst umgangen. Zu dieser Problematik siehe auch die Einleitung zu KGK VI, Nr. 242 mit Anm. 10.
3Vgl. KGK 257 (Textstelle). Was Karlstadt hier genau meint, bleibt unklar, möglicherweise bezieht er sich auf den auch finanziell hohen Aufwand und geringen Ertrag, der mit der Übernahme der heruntergewirtschafteten Pfarrei für ihn verbunden gewesen war. Vgl. hierzu auch KGK 256 (Textstelle).
4Vgl. KGK 257 (Textstelle). Die Übernahme der Pfarrei als Konventor hatte für Karlstadt bislang auch aus finanziellen Gründen nur die äußerste Option dargestellt; vgl. die Einleitung zu KGK VI, Nr. 242, S. 158 Anm. 11. Da das von Karlstadt bei seiner Übersiedlung nach Orlamünde implementierte neue Unterhaltsmodell durch die Forderungen von Universität und Stiftskapitel nun jedoch obsolet war, bestand die einzige Möglichkeit, eine Rückkehr nach Wittenberg und damit die erneute Verstrickung in das altkirchliche Pfründensystem zu umgehen, für Karlstadt in der Übernahme der Pfarrei als einfacher Konventor bei gleichzeitigem Verzicht auf das Archidiakonat und die damit verbundenen Einnahmen. Zu dieser Problematik siehe auch KGK 256 (Textstelle).
5Vgl. KGK VI, Nr. 242.
6Vgl. KGK 256 (Textstelle). Hierzu siehe auch die Einleitung zu KGK 256.
7In seinem Schreiben an Herzog Johann war Karlstadt detailliert auf seine finanziellen Gründe und Verpflichtungen als Pfarrer eingegangen und hatte in Zweifel gezogen, sein Gehalt zu bekommen, solange das Allerheiligenstift dafür zuständig sei; vgl. KGK 256 (Textstelle). Diese Argumentationslinie fehlt im vorliegenden Schreiben fast vollständig.
8Wen Karlstadt hier meint, ist nicht klar; möglicherweise handelt es sich um eine unterschwellige Spitze gegen Luther und seine Anhänger.
9Wahrscheinlich spielt Karlstadt hier auf seine, durch den schlechten Zustand der Pfarrei verursachte, finanziell und wirtschaftlich angespannte Lage an, die er in seinem Brief an Herzog Johann näher erläutert hatte; vgl. KGK 256 (Textstelle).
10Wähler geht sogar davon aus, dass Karlstadt seinen Brief dem Schreiben der Orlamünder beilegte; vgl. Wähler, Orlamünde, 79.
11Zu dieser Argumentation siehe KGK 256 mit Beilagen 1 und 2.
13Zwei Paragraphen dieser Predigt Luthers waren auch einer Ausgabe der im Sommer 1523 erschienen Karlstadtschrift Selig ohne Fürbitte Marias angefügt; vgl. hierzu KGK VI, Nr. 244, S. 176.

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