Nr. 219
Von Abtuung der Bilder und dass kein Bettler unter den Christen sein soll
, [1522, [Anfang Februar]]

Einleitung
Bearbeitet von Harald Bollbuck

1. Überlieferung

Frühdrucke:

[A:]Karlstadt, Andreas Bodenstein von
Von abtuhung der Bylder / ∥ Vnd das keyn Betdler ∥ vnther den Chri⸗∥ſten ſeyn ſoll. ∥ Carolſtatt. in der Chriſtlichē ∥ ſtatt Wittenberg. ∥ [TE] [Am Ende:] Gedruckt tzu Wittenberg Nickell Schyr⸗∥lentz / nach Chriſti geburt Tauſent ∥ funffhundert vn̄ tzway vnd ∥ tzwentzigſten Jar. ∥
[ Wittenberg ]: [ Nickel Schirlentz ], [1522].
4°, 20 Bl., A4–E4. java:org.exist.xquery.XPathException exerr:ERROR XPTY0004: The actual cardinality for parameter 1 does not match the cardinality declared in the function's signature: normalize-space($arg as xs:string?) xs:string. Expected cardinality: zero or one, got 2. [at line 12, column 40, source: String/6179231931242326616]. XPTY0004: The actual cardinality for parameter 1 does not match the cardinality declared in the function's signature: normalize-space($arg as xs:string?) xs:string. Expected cardinality: zero or one, got 2. String/6179231931242326616 12
Editionsvorlage:
HAB Wolfenbüttel, A: 146.12 Theol. (15)..
Weitere Exemplare: SUB Göttingen, 8° Theol. thet. II.171a. — BSB München, 4 Polem. 534. –- HAB Wolfenbüttel, A: 116.6 Theol. (31). –- HAB Wolfenbüttel, H: H 69.4 Helmst. (1). –- HAB Wolfenbüttel, H: Yv 1746.8 Helmst. –- HAB Wolfenbüttel, H: Yv 2175.8 Helmst. –- HAB Wolfenbüttel, H: Yv 2431.8 Helmst. (5). — [A1] UB Würzburg, Th. dp. q. 458..
Bibliographische Nachweise:

Die Titeleinfassung verwendete der Drucker Schirlentz bei verschiedenen Karlstadtdrucken.1 Zur weiteren Versionsbeschreibung s. u.

[B:]Karlstadt, Andreas Bodenstein von
Von abtuhung der Bylder / ∥ Vnd das keyn Betdler ∥ vnther den Chri⸗∥ſten ſeyn ſol⸗∥len. ∥ ⸪ ∥ Carolſtatt in der Chriſtlichē ∥ ſtatt Wittenberg. ∥ [TE] [Am Ende:] Gedruckt tzu Wittenberg Nickell Schyr⸗∥lentz / nach Chriſti geburt Tauſent ∥ funffhundert vn̄ tzway vnd ∥ tzwentzigſten Jar. ∥
[ Wittenberg ]: [ Nickel Schirlentz ], [1522].
4°, 20 Bl., A4–E4.
Editionsvorlage:
SB-PK Berlin, Cu 1259 R..
Weitere Exemplare: KiB Eisleben, 247p. — ULB Halle, If 4960. — Gymnasial-Bibliothek Freiberg (hsl. Dedizierung Karlstadts unter dem TH: »Dem Erenwirdigem Hern Nicolao Demuth ∣ probst des Newe werkes zu hall etc meynem oh[eim]«)., .
Bibliographische Nachweise:

Die Bogen A–E der Drucke A und B sind in unterschiedlichen Varianten gedruckt worden: Bogen A und C in drei Varianten, Bogen D und E in zwei und Bogen B in nur einer. Bei Bogen A ist der Schöndruck (fol. A1r, A2v, A3r, A4v) durch Neusatz verschieden, der Widerdruck gleich; ähnlich Bogen D (Korrekturen auf fol. D1r, D3r, D4v). Bogen C wurde auf beiden Seiten neugesetzt (Korrekturen auf fol. C1r, C2r, C2v, C3r, C4r). Der letzte Bogen zeigt nur eine Satzänderung auf fol. E1r. Es handelt sich bei A, A1 und B um Zwitterdrucke;2 die editorische Aufnahme zweier Varianten mit eigenen Siglen (A, B) erfolgt nur auf Grund der Abweichungen auf dem Titelblatt. Anhand einiger Verbesserungen scheint A die korrigierte Fassung von B gewesen zu sein;3 die seltene Pressvariante A1 zeichnet sich durch Verschlimmbesserungen einer Kustode (fol. A4v) und eines relativen Anschlusses (fol. C4r) aus.4 Die Variantenbestimmungen erschweren sich dadurch, dass die Bogen der unterschiedlichen Pressvarianten inkohärent Exemplaren zugeordnet wurden, sodass sich Lagen der Varianten A, A1 und B in einem Exemplar finden lassen.5 Als reine Varianten A und B sind die oben den Siglen zugeordneten Exemplare anzusehen. Bei einer Reihe von Exemplaren aus München und Göttingen entsprechen nur Bogen C und D der Variante B;6 wenige Exemplare weisen dagegen eine Mischform auf, die Bogen C und D der Variante A mit Bogen A der Variante B vermengt.7

[C:]Karlstadt, Andreas Bodenstein von
Von abthieung der ∥ Bylder/ Vnnd das keyn ∥ Betler vnder den Chꝛi∥ſten ſein ſoll. ∥ Carolſtatt in der Chꝛiſtlichen ∥ ſtat Wittenberg. ∥ [TE]
[ Straßburg ]: [ Ulrich Morhart d. Ä. ], [1522].
4°, 22 Bl. (letztes Blatt leer), A4–D4, E6.
Editionsvorlage:
SB-PK Berlin, Cu 1260 R.
Weitere Exemplare: SLUB Dresden, Hist.eccl.E.243,22. — UB München, 4 Theol.5463(3:10. — HAAB Weimar, 4 IX:137b(n.17.).
Bibliographische Nachweise:

Variante C ist ein Straßburger Nachdruck von A. Die Titeleinfassung ist mit der sogenannten Indianerbordüre aus der Offizin Schürer (Datierung unten rechts »1519«) versehen.8

Editionen:

Literatur:

Beilage: Eine löbliche Ordnung der fürstlichen Stadt Wittenberg (1522, [zwischen 24. Januar und Anfang Februar])

Frühdrucke:

Frühdrucke:

[A:][Stadtrat Wittenberg]
Ain lobliche ordnun̄g ∥ der Fürſtlichen ſtat Wittemberg ∥ Jm tauſent fünfhundert vnd zway vnd ∥ zwaintzigſten jar auffgericht. ∥
[ Augsburg ]: [ Melchior Ramminger ], [1522].
4°, 3 Bl.
Editionsvorlage:
BSB München, 4 J.germ. 202,11.
Weitere Exemplare: SB-PK Berlin, Gu 19700. — ULB Halle, Ye 2893. — BSB München, Res/4 J.pract. 88#Beibd.1. — RFB Wittenberg-Evangelisches Predigerseminar, MSW522/1. — RFB Wittenberg-Luthergedenkstätten, Kn A 117/682.
Bibliographische Nachweise:

[B:][Stadtrat Wittenberg]
Ain lobliche ordnun̄g ∥ der Fürſtlichen ſtat Wittemberg ∥ Jm tauſent fünfhundert vnd zway vnd ∥ zwaintzigſten iar auffgericht. ∥ ❦ ∥ [TH]
[ Augsburg ]: [ Melchior Ramminger ], [1522].
4°, 3 Bl., TH.
Editionsvorlage:
SB Regensburg, 999/Jur.3093..
Weitere Exemplare: SB Regensburg, 999/Caps. 51(17. — ÖNB Wien, 33.M.62..
Bibliographische Nachweise:

Unterscheidung von A auf Titelblatt: »iar«, mit Blättchen und Titelholzschnittleiste. A verbessert Fehler von B.

[C:][Stadtrat Wittenberg]
Ain lobliche ordnung der ∥ Fürſtlichen ſtat Wittemberg. Jm tau⸗∥sent funf hundert vnd zwey vn̄ ∥ zweintzigſten jar. auff⸗∥gericht. ∥
[ Speyer ]: [ Johann Eckhart ], [1522].
4°, 3 Bl.
Editionsvorlage:
Bibliothek Otto Schäfer Schweinfurt, OS 1394..
Bibliographische Nachweise:

Nachdruck von A.

[D:][Stadtrat Wittenberg]
Newe oꝛdnung der Stat ∥ Wittenberg. ∥ M.D. xxij. jar. ∥ Des Newen biſchoffs zu ∥ der Lochaw verhoꝛ ∥ vn̄ diſputation voꝛ ∥ dem Biſchof vō ∥ Meiſſen. ∥ ✠ ∥
[ Bamberg bzw. Coburg ]: [ Georg Erlinger bzw. Aegidius Fellenfürst ], [1522].
4°, 7 Bl., TE.
Editionsvorlage:
BSB München, Res. 4° Polem 3363(18)..
Weitere Exemplare: RFB Wittenberg-Evangelisches Predigerseminar, EKU 614. — HAB Wolfenbüttel, A: 171.21 Quod. (1)..
Bibliographische Nachweise:

Die Wittenberger Stadt- und Kirchenordnung ist in vier zeitgenössischen, 1522 erschienenen Drucken überliefert. Ein Wittenberger Druck konnte bisher nicht nachgewiesen werden. Die Druckvarianten A, B und C stehen in unmittelbarer Abhängigkeit voneinander. A und B sind bei Ramminger in Augsburg erschienen; B mit Titelblattschmuck, dennoch als schlechtere Variante, denn A unterscheidet sich nicht allein durch das Titelblatt (»jar« statt »iar«, es fehlen die Schmuckelemente Blattherz und Holzschnittleiste), sondern auch durch veränderten Zeilensatz und Abweichungen einzelner Zeichen (u. a. Verwendung von »oͤ«). An zahlreichen Stellen sind Textkorrekturen festzuhalten (»Item« statt »Ittem«, »seynd« statt »send«, »alters« statt »altar«). Die Ausgabe von Johann Eckhart in Speyer9 erscheint – bis auf wenige Ausnahmen – als Nachdruck der verbesserten Fassung A. Der Variante D, mit den sog. Fellenfürst-Typen in Coburg oder Bamberg gesetzt, ist der Disput von Lochau beigefügt.10 Der Druck unterscheidet sich in einer Reihe von Lesarten. Die Textversionen A, B, C auf der einen und D auf der anderen Seite scheinen auf verschiedene, sachlich jedoch wenig differierende handschriftliche Vorlagen zurückzugehen, deren Übereinstimmung gegenüber der Handschriftenversion a überwiegen.

Handschrift:

Handschrift:

[a:]RSB Zwickau, Msc. Stephan Roth, Misc. 17.9.1, Nr. 27a, fol. 25r–27r (Abschrift Stephan Roth)

Die Handschrift a der Wittenberger Stadt- und Kirchenordnung entspricht bis zum 13. Artikel den Drucken A, B und C, abgesehen von Wortabweichungen und einer auffälligen Umstellung der Syntax im 3. Artikel. Die Artikel 14 und 15 sind in der Handschrift jedoch in fünf Abschnitte aufgegliedert, sodass das Manuskript insgesamt 18 Artikel zählt; die Artikel 16 und 17 der Drucke sind vollkommen ausgelassen. Artikel 3 weist signifikant divergierende Formulierungen und veränderten Satzbau auf, die dem im Druck durcheinander geratenen Satz den richtigen Sinn verleihen; auch die in Artikel 1 genannte »Bruderschefft« ist gegenüber der Lesung »Priesterschaften« der Drucke vorzuziehen. Clemen vermutet, dass es sich bei der Handschrift um eine ursprüngliche Textfassung handeln könnte.11 Roth unterhielt Verbindungen zu führenden Wittenberger Persönlichkeiten.12 Anders als die Drucke ist der Text der Handschrift aber nur begrenzt öffentlichkeitswirksam geworden.

Editionen:

Literatur:

2. Entstehung und Inhalt

Predigtgrundlage und Anlass der Schrift

Die Schrift Von Abtuung der Bilder beruht in weiten Teilen auf einer Predigt Karlstadts gegen Bilder, Statuen und Votivgaben, die er am 26. Januar 1522 gehalten hatte.13 Ihre Widmung ist auf den 27. Januar datiert.14 Bald nach ihrer Abfassung ist die Abhandlung in der Offizin von Nickel Schirlentz gedruckt worden, der 1521 seine Laufbahn als Hausdrucker Karlstadts begonnen hatte.15

Die Widmungsvorrede ist an Graf Wolfgang von Schlick16 gerichtet, dessen Familie die Herrschaft über die neu gegründete Bergbaustadt St. Joachimsthal innehatte. Sie unterrichtet den Grafen über die aktuelle Entwicklung in Wittenberg und die jüngsten Beschlüsse des Stadtrates, d. h. über die am 24. Januar beschlossene neue Stadtordnung. Karlstadt stellt drei zentrale Themen der Ordnung heraus: 1. Die Messe in der Stadtpfarrkirche finde nun gemäß biblischen Vorgaben in einheitlicher Form statt.17 2. Aus den Kirchen sollen die Bilder entfernt werden.18 3. Niemand solle mehr betteln müssen oder dürfen (im Falle der Mendikantenorden);19 Arme erhalten ihren Unterhalt aus einem Gemeinen Kasten, in den die Einnahmen der Kirchen fließen.20 Zudem seien Maßnahmen zum Schutz der Witwen und Waisen in Vorbereitung.21 Indem Karlstadt seine Hoffnung ausdrückt, dass der Graf von der Ehrlichkeit des Vorhabens der Wittenberger und dessen Übereinstimmung mit dem biblischen Bericht überzeugt sei, zielt er darauf, Reformen in St. Joachimsthal anzustoßen.

Zum Inhalt der Schrift

Da die Messreformen schon Gegenstand anderer Schriften Karlstadts gewesen seien, stellt er in dieser Abhandlung in zwei Teilen die Bilder- und die Bettelfrage in den Mittelpunkt. Der erste Teil setzt ein mit der Klage über die Allgegenwärtigkeit der »Ölgötzen« in den Kirchen: Man findet sie auf Altären, in der Höhe des Kirchenraumes und an den Wänden – ein Bezug auf Altarbilder, Wandbilder und freischwebende, aufgehängte Bilder und Skulpturen. Im Haus Gottes aber sei nur Gott selbst zu verehren Alle anderen Abbildungen müssen entfernt werden. Dafür gebe es drei Gründe: 1. Sie stehen im Widerspruch zum Ersten Gebot. 2. Der Altar erinnere an das Opfer Christi; daher seien Bilder auf Altären besonders schädlich und teuflisch. 3. Die Entfernung der Bilder aus dem Gotteshaus entspreche Vorgaben der Heiligen Schrift.

Karlstadt definiert »Ölgötzen« als geschnitzte und gemalte Bilder, also Skulpturen und Gemälde. Ihre Verehrung beeinträchtige die Verehrung Gottes, denn die Liebe zu diesen Bildern zeige sich in ihrer kunstvollen Ausgestaltung22 und dem prominenten Ort ihrer Aufstellung – nämlich dort, wo Gott verehrt werden müsste. Die Bilderverehrung tötet die Seelen der Spender und Anbetenden.23 Karlstadt stellt nun verschiedene Arten der falschen Bilderverehrung zusammen. Dazu zählten 1. Votivgaben (Messgaben) in Form wachsartiger Nachbildungen von Körperteilen oder Häusern.24 Mit der Weihung und Aufstellung solcher Votiva und Devotionalien verhielten sich die Christen wie die von Gott getadelten Juden.25 2. Wallfahrten (»Laufen«) zu »Ölgötzen« mit den Beispielen Wilsnack und Grimmenthal,26 da sie dem Ersten Gebot widersprächen. Zum 3. Heiligenbilder auf dem Altar. Sie seien besonders teuflisch, da an diesem Ort nur Gott und Christus angerufen werden dürfe, und seien daher tausend Mal besser in der Hölle oder im Feuerofen aufgehoben.27

Als nächstes setzt sich die Schrift mit der päpstlichen Heiligen- und Bildertheologie auseinander. Demnach würden nicht die Bilder, sondern die Heiligen, die sie darstellten, angebetet. Dem entgegnet Karlstadt, dass eine Glossierung unnötig sei, da Gott es verbiete, dass die Gläubigen in der Kirche ihr Knie vor etwas anderem als ihm beugten. Papst Gregor der Große habe Bilder als Bücher für die Laien bezeichnet, doch durchdringe dieses Verständnis die theologische Materie nicht, denn Bilder seien nur in der Lage, das fleischliche Leben und Leiden abzubilden, das Wort Gottes aber ereigne sich geistlich.28 Mit dem Einsatz geschnitzter und gemalter Heiligenbilder zur Krankenheilung gelange der Gläubige allenfalls zu einer fleischlichen Vorstellung der Passion Christi. Selbst das Kruzifix unterliegt Karlstadts Kritik, indem er es als Holz bezeichnet und heraushebt, dass es im Heilsprozess nicht darum gehe, wie Christus am Kreuz gelitten habe, sondern warum.29

Natürlich sind Bilder für Karlstadt grundsätzlich – und vor allem in allen außerkirchlichen Zusammenhängen – erlaubt, doch entfalten sie keine Heils- und Trostwirkung. Um aber den verfestigten fleischlichen Aberglauben auszulöschen, empfiehlt er die geordnete Beseitigung aller Bilder aus den Kirchen durch die Obrigkeit. Historisch erinnert er an den Bericht des Hieronymus über die Fahrt des Bischofs Epiphanius von Salamis nach ort.Anablatha. Der Bischof habe dort in der Kirche einen Vorhang mit Christusbild entdeckt und zerschnitten, denn er wollte nur die [Verlesung der] Schrift in der Kirche zulassen. Das Problem der Bilderverehrung, so die Quintessenz dieses historischen Einschubs, sei also alt, und bereits Hieronymus habe mit der Überlieferung des Berichts seine grundsätzliche Zustimmung zur Bilderentfernung gegeben. Am Beispiel der Verehrung des Heiligen Christophorus werde deutlich, dass das Bild wie ein Gott angebetet und somit zu einem »Ölgötzen« werde. Karlstadt vergleicht den Akt der Bilderverehrung mit Hurerei. Gott aber will das Herz der Gläubigen einnehmen, dafür sei es unnötig, sich menschengemachte Bilder vor Augen zu stellen.30

Im folgenden Abschnitt bekennt Karlstadt seine eigene Bilderfurcht und Scheu, Bilder zu verbrennen, seine Angst vor dem Teufelsnarr, vor Schatten und vor unheimlichen Geräuschen.31 Doch bestehe das Problem darin, dass sich die Abgötter im Innern der Menschen befänden, die Furcht vor Bildern einjagten. Die Bilder säßen fest und tief im Herzen. Doch zeige die Bibel, dass sie keine Macht hätten. Der Geist Gottes schreie gegen die »Ölgötzen« an. Die inneren Hemmnisse seien nichts als Anfechtungen des Teufels.32 Daher sei es Aufgabe der Obrigkeit, die Bilderentfernung zu exekutieren, andernfalls falle sie göttlicher Strafe anheim, weil sie gegen die Schrift und das Glaubensärgernis handele. Denn Christus sei nicht gekommen, das [alte mosaische] Gesetz zu brechen, sondern zu erfüllen.33

Der zweite Teil der Abhandlung setzt mit der Forderung ein, dass es unter den Christen keine Bettler geben dürfe und niemand für Brot laufen [wallfahren] bzw. betteln solle.34 Der Akt der Nächstenliebe verbindet sich mit sozialen Aspekten: Selig sei, wer Armen Achtung schenke und Bettelei und Hunger verhüte; dabei sei es besser, die Not vorbeugend zu verhindern als erst nach ihrem Eintreten zu lindern – eine Absage an das bisherige Prinzip der Gabe von Almosen an bereits Notleidende. Die Bettler sollten nicht mit Gewalt vertrieben werden, sondern durch Unterstützung ihres Lebensunterhalts. Wie es schon Luther35 vorschlug, sei es Aufgabe der christlichen Stadt, ihre eigenen Bürger zu versorgen, indem der wohlhabendere Christ mit Almosen und Abgaben an die Stadt dem Mitbürger hilft. Seien die eigene Familie und das Gesinde sicher versorgt, könne der Rest abgegeben werden.36 Letztlich redet Karlstadt in der Fürsorgefrage einer Tauschwirtschaft per Leihe das Wort. Gottgewollt sei Armut nur, damit Wohlhabendere ihre Sittlichkeit beweisen könnten.37 Voraussetzung der Fürsorge sei es aber, dass jeder sich als tätiges Mitglied der Gemeinde verstehe. Somit sei für die Unterstützung durch die Obrigkeit eine Teilhabe durch Arbeit zwingend.

Karlstadt gibt eine Reihe von praktischen Vorschlägen, die sich ähnlich in der Wittenberger Stadt- und Kirchenordnung wiederfinden lassen. Für Handwerker in Notlage oder bei Betriebsaufnahme wird eine Unterstützung gefordert.38 Der Magistrat solle die Verteilung der Güter organisieren.39 Geliehenes solle nicht zurückgefordert werden, da für Christen stets Jubeljahr sei und im biblischen Erlassjahr nichts zurückgefordert werde.40 Hier schließt sich der Kreis zum ersten Teil der Abhandlung: Die mosaischen Bestimmungen zum Erlassjahr (nach 5. Mose 15) besäßen weiterhin bindende Kraft. Karlstadt bemüht dafür historische Analogien. Die hebräischen Knechte vergleicht er mit Leibeigenen in Neapel und Rom.41 Freigelassenen Knechten und Mägden [in der Bibel: Sklaven] sei eine Wegzehrung und finanzielle Hilfe mitzugeben.42 Allerdings müsse die Hilfe reziprok sein: Wenn vormals Arme zu Geld kämen, sollten sie der Gemeinschaft bzw. dem Leiher Mittel zurückgeben.

Die folgenden Passagen wechseln die Stoßrichtung und nehmen die Bettelorden ins Visier. Studenten sollten nicht betteln.43 Besser sei es, das Handwerk der Eltern zu erlernen, da die Jungen dann auch nicht zu verlogenen Pfaffen würden.44 In Wiederaufnahme des Freilassungsmotivs sollten die Äbte die Mönche freigeben45 und ihnen Geleitgeld zur Verfügung stellen, die Mönche wiederum im Handwerk arbeiten. Zum ersten Unterhalt könnten sie die Kelche und Messgewänder des Klosters verkaufen.46 Ein Mönchs- und Nonnenleben sei nicht gottgefällig.47 Daher sollten die Bettelorden verboten und die Klöster aufgehoben werden.48

Alle finanziellen Mittel seien im Gemeinen Kasten zu sammeln, dem auch die Einkommen der Bruderschaften zufließen sollten.49 Die meist Heiligen unterstellten Bruderschaften bedeuteten nur eine Zerteilung der Christenheit,50 sie seien letztlich Fress- und Saufgemeinschaften, die andere verachteten, ihre Zeit mit übler Nachrede verbrächten und daher aufzuheben.51 Auch die Zinsen der geistlichen Lehen gehörten in den Kasten.52 Mit dem Ende der gestifteten Seelmessen verschwänden diese Lehen, zugleich auch viele Pfarrstellen. Ohnehin gäbe es viel zu viele Pfarrer.53 Daher solle sich im Sterbefall das Lehen erledigen.54 Den noch lebenden Pfarrern aber werde nichts genommen, allein schon, um deren Bettelei zu verhindern.55 Überhaupt sei das gesamte Einkommen der Kirchen möglichst im Gemeinen Kasten zu sammeln.

Zur Abfassung der Wittenberger Stadt- und Kirchenordnung

Es ist offensichtlich, dass die von Karlstadt entwickelten Ideen einer Neuordnung der städtischen Armenfürsorge sich komplementär zu den Forderungen der vom Rat der Stadt errichteten Wittenberger Stadt- und Kirchenordnung (hier als Beilage ediert) verhalten. Sein Anteil an den aufgestellten Artikeln ist unübersehbar.56 Auch die Datierung der – ersten Fassung der – Stadtordnung auf den 24. Januar 1522 erschließt sich aus der in Von Abtuung der Bilder erfolgten Festlegung auf »freytags nach Sebastiani«.57 Allerdings weisen einige Indizien auf mehrere Überarbeitungen und eine etappenweise Entstehung zwischen dem 24. Januar und dem 14. Februar hin, sodass die Vermutung besteht, dass die handschriftliche Fassung auf das Januardatum zurückgeht und bis Anfang Februar überarbeitet wurde, um dann in den Druck zu gelangen.58 Die Druckfassung weist zwei zusätzliche Artikel zur Beschränkung des Zinssatzes auf 4% und zur Finanzierung der Ausbildung armer Kinder auf.59 Zu den Verhandlungen zwischen Rat und Universitätsvertretern über die Ordnung äußerte sich der frisch gewählte Bürgermeister und gleichzeitige kurfürstliche Rat Christian Beyer am 25. Januar gegenüber Hugold von Einsiedel.60 Er erläuterte die wesentlichen Inhaltspunkte, wobei besonders die Formulierung heraussticht, dass die Messe auf die Art wiedereingeführt würde, wie sie von Christus eingesetzt worden war, und bekannte, sich in der Diskussion als einziger für die Erhaltung des Kruzifix ausgesprochen zu haben: »Ich disputirt allein von crucifix, sye wolen es nicht mehr gut sein lassen.«61 Karlstadt nahm intensiv an den Beratungen teil,62 plädierte für ein entschiedenes Vorgehen und zweifelte an der Entschlossenheit des Rates.63 Der Einbezug der kirchlichen Einnahmen in den Gemeinen Kasten sollte daher möglichst rasch erfolgen, bevor sich die Ratsseite plötzlich wieder gegen eine Reform entscheide.

Inhalt der Wittenberger Stadt- und Kirchenordnung

Die Ordnung ist in 17 Artikel unterteilt. Sie beschäftigt sich zuerst mit der Neugestaltung der Liturgie und sanktioniert die seit Dezember ausgeübten Gottesdienstgebräuche. Die Reform der Messe erfolgte gemäß der Schrift, doch blieben viele Teile des römischen Kanons – bis auf die Teile, die Opfercharakter tragen – erhalten. Die Laienkommunikanten empfingen Brot und Wein, ausgegeben in die Hand; die Gottesdienstsprache sei Deutsch. Bilder in den Kirchen – seien es Heiligen-, Marien- und Christusfiguren – sollten ebenso wie Altäre geordnet entfernt werden; übrig blieben drei bilderlose Altäre.64

Alle kirchlichen Einnahmen sollten insgesamt in einem dafür einzurichtenden Gemeinen Kasten zusammengeführt werden. Dazu zählten die Zinsen der Gotteshäuser, beruhend auf den Seelmessstiftungen, den Einkünften der Lehen (gestiftete Altarpfründen) und der Bruderschaften sowie einer jährlich aus dem Einkommen von Klerikern und Bürgern zu erhebenden Armensteuer (Art. 1, 2 und 11). Das Klostergut sei bereits inventarisiert in Hinsicht auf eine baldige Aufhebung der Klöster (Art. 6). Das Ende der Seelmessen und der geistlichen Lehen würde zu einer deutlichen Verringerung der Einnahmen der Priester führen. Erhalten blieben die Lehen nur, damit die derzeit von ihnen abhängigen Priester nicht der Bettelei anheimfielen. Im Todesfall des Priesters aber würden sie erlöschen und ganz an den Gemeinen Kasten fallen.

Auch die religiösen Bruderschaften sollten aufgelöst werden, von denen es zu dieser Zeit in Wittenberg 21 gab.65 Bettler dürfe es keine mehr geben in der christlichen Stadt Wittenberg. Dieser Artikel richtete sich zuerst gegen professionelle Laienbettler, aber auch gegen Bettelmönche und Terminierer66. Kranke Bettler sollten der städtischen Armenfürsorge anheimfallen, [ehemalige Bettel-]Mönche aber möchten sich vom Klostervermögen ernähren und das, woran es ihnen fehlt, selbst erarbeiten.67 Die eigene Versorgung und Selbstbeköstigung werden zur Voraussetzung für die Aufnahme stadtfremder Schüler; Stationierer68 seien nicht mehr erlaubt.69

Den Priestern wurde das gelassen, was sie zum Unterhalt benötigten. Auch ihre Tätigkeit änderte sich. Anstelle der weggefallenen Seelmessen und Vigilien sollten sie arme, kranke Leute besuchen, ohne zu Testamentariern (Begünstigten) eingesetzt werden zu dürfen. Die Mittel aus dem Gemeinen Kasten sollten nur für gemeinnützige Zwecke für die gesamte Gemeinde eingesetzt werden.70 In erster Linie dienten sie der Fürsorge der städtischen Notleidenden, aber auch der Unterstützung von Waisen und armen Kindern (Art. 10) bzw. begabten Kindern Armer für einen Schul- und Universitätsbesuch, um weltliche Beamte und gelehrte Prediger für die eigene Stadt auszubilden (Art. 17). Auch zinslose Darlehen an mittellose Handwerker sollten aus dem Kasten vergeben werden (Art. 9). Sie seien zu einem festgesetzten Termin zurückzuzahlen, könnten aber auch erlassen werden, wenn es jenen an Möglichkeiten fehlte (Art. 11). Wohlhabende könnten für 4% Zinsen Kapital aus dem Kasten leihen (Art. 16).71 Dies zeigt, dass die Stadtordnung die Zinsnahme nicht als einen an sich sündhaften Akt ablehnte, sondern den Zinsfuß begrenzen und die üblichen Wirtschaftsformen abmildernd gestalten wollte.

Letztlich bezieht sich die Ordnung auch auf die innerstädtischen Sitten, dabei vornehmlich auf die Frage der Prostitution. Sogenannte unsittliche Personen, also Prostituierte und andere unehrenhaft Tätige, wurden aufgefordert zu heiraten. Seien sie dazu nicht bereit, müssten sie aus der Stadt vertrieben werden. Wirte, die nicht sesshaften Personen Herberge gewährten, sollten bestraft werden (Art. 14).

Die Beziehung der Wittenberger Stadt- und Kirchenordnung zur Beutelordnung

Das Verhältnis der undatierten Wittenberger Beutelordnung72 zur Stadtordnung ist nicht endgültig geklärt. Einerseits wurde sie als Ausführungsverordnung zur Wittenberger Stadt- und Kirchenordnung aufgefasst und ihre Entstehung dementsprechend nach dieser in den Februar 1522 gelegt.73 Andererseits fallen viele Übereinstimmungen mit Ideen Luthers auf, die dieser 1520 in den beiden Wuchersermonen und der Adelsschrift entwickelt hatte, sodass eine Entstehung auch Ende 1520/Anfang 1521 denkbar ist.74 Laut Beutelordnung ist eine Auswahl von vier Bürgern der Gemeinde aus den jeweiligen Vierteln als Vorsteher der lokalen Armenfürsorge vorgesehen, die über Vermögen, Wesen, Stand, Herkommen und Redlichkeit der Armen ihres Viertels gut informiert sein müssen. In den Gemeinen Kasten gehen die Kollekten der Kirchen ein. Nach der Sonntagspredigt werde über die Verteilung der Gelder an Arme beraten. Für die Öffnung des Kastens sind drei Schlüssel notwendig, von denen einer beim Bürgermeister und zwei bei den Vorstehern und ihren drei beigeordneten Räten deponiert werden. Diese Maßnahme dient der Verhinderung von Argwohn und Vorteilsnahme. Jährlich ist von den Vorstehern Rechenschaft über die Gelder abzulegen. Eine ihrer Aufgaben besteht darin, dafür zu sorgen, dass keine Jakobsbrüder und Romanisten [Wallfahrer nach Santiago de Compostella und Rom] in die Stadt kommen. Die Stadt solle dann Getreide zur Armenversorgung aufkaufen, wenn es billig ist; ebenso im Sommer das Holz für den Winter.75 Beide Güter sollten an Vermögende gegen Geld abgegeben werden, an die Stadtarmut aber kostenlos. Zudem solle ein Gebäude für Arme errichtet werden, die an Infektionskrankheiten leiden.

Auffällige Übereinstimmungen zeigt die Beutelordnung besonders mit Luthers Adelsschrift.76 Diese will Bettelei abschaffen und sieht eine Fürsorge der eigenen Stadtarmut unter Ausschluss stadtfremder Bettler vor;77 empfiehlt die Einsetzung von Vorstehern einer lokalen Armenfürsorge, die den Rat über die Bedürftigen und deren Bedürftigkeit unterrichten, wonach sich die Austeilung der Gelder zu richten habe;78 schließlich sollten die Kirchenkollekten in den Kasten überführt werden.

Zwei Neuerungen unterscheiden die Stadtordnung von der Beutelordnung wesentlich. Zum einen verankert sie zinslose Kredite für Handwerker, Waisen und arme Kinder, eine Unterstützung Verschuldeter mit billigen Krediten sowie Schul- und Studienstipendien für Kinder armer Leute – Forderungen, die sich ähnlich in Luthers sozialethischen Schriften des Jahres 1520 finden lassen. Noch grundlegender aber scheint, dass der Gemeine Kasten der Stadtordnung eine massive finanzielle Aufstockung durch die Zusammenführung aller kirchlichen Einkünfte erhielt. Hinzu traten die Zinseinkünfte der geistlichen Institutionen, Bruderschaften und Zünfte, die im Todesfall freiwerdenden Benefizien und der gesamte inventarisierte Klosterbesitz. Bei Bedarf konnte zudem eine jährliche Abgabe der »priester oder burger«79 als »eine Art allgemeiner Kirchensteuer«80 zur Armenfürsorge erhoben werden. Dieses Modell der lokalen Armenfürsorge kann als die »historisch primär wirksam gewordene Konzeption des Gemeinen Kasten« gelten, die »wohl maßgeblich auf Andreas Bodenstein von Karlstadt zurückgeht.«81

Zur zeitgenössischen Armen- und Bilderdiskussion

Wie bei Karlstadt nicht unüblich, entwickelte er den in Von Abtuung der Bilder und in der Stadtordnung aufgestellten Forderungskatalog in mehreren Schriften dieser Zeit. Die Idee des dauerhaften christlichen Erlassjahres und der zinslosen Leihe, aber auch jene der Verpflichtung der Schuldner, Unterstützungen im Falle eigener Vermögensvermehrung zurückzuzahlen und der Kontrolle der Mittelvergaben durch die städtische Obrigkeit sind Themen der 10 Conclusiones de anno iubileo et anno remissionis,82 die dementsprechend im Januar 1522 disputiert worden sein müssen. Im Sendbrief von seiner Wirtschaft veröffentlichte Karlstadt die Beschlüsse des Generalkapitels der Augustinerkongregation vom 6. Januar 1522.83 Letztlich ist nicht zu übersehen, dass Karlstadt seine Ausarbeitungen in Von Abtuung der Bilder und in der Wittenberger Stadt- und Kirchenordnung als praktische Ausführung von Vorschlägen verstand, die Luther in den beiden Wuchersermonen und der Adelsschrift im Jahr 1520 angestoßen hatte. Luther schlug die Abschaffung der Seelmessen vor84 und forderte, dass Mönche – abgesehen von denen, die die Unterweisung der Brüder in der Bibel übernahmen – sich von Arbeit ernähren sollten.85 Bettelei gehöre nicht in eine christliche Stadt, vor allem stadtfremde Bettler und Wallfahrer seien nicht mehr aufzunehmen.86 Die Armen hätten aber zu arbeiten.87 Zinsnahme sei unchristlich, daher Zins und Rentenkauf zu verbieten;88 möglichst auch die Prostitution.89 Der Obrigkeit gebühre die Durchsetzung der Verordnungen.90 In starkem Praxisbezug fordert Luther, Amtsvorsteher einzusetzen, die den Magistrat über Bedürftige informieren.91 Schließlich solle die Armenfürsorge vorbeugend ansetzen und nicht erst, wenn die Notlage bereits groß sei92 – diesen Ansatz sollte Karlstadt wiederholen. Seine Forderung nach dauerhaftem christlichen Erlassjahr findet einen Bezug zu Luthers Römerbriefvorlesung von 1515/16, die auf Grund der Aufhebung der mosaischen Kultvorschriften durch Christus postuliert, dass jeder Tag für einen Christen ein Festtag und jeder Ort heilig sei.93

Dennoch stellt sich die Frage, warum die Bilderfrage nun, im Januar 1522, so virulent wurde, dass sie Anlass zu einer Predigt sowie dieser zentralen Schrift Karlstadts gab und als Artikel in die Stadtordnung aufgenommen wurde. In den Auseinandersetzungen über die Messreform im Dezember 1521 wie auch in den sechs Forderungen der Bürgerschaft vom Dezember 1521 war sie noch kein Thema.

Karlstadts Schrift Von Abtuung der Bilder und die Wittenberger Stadt- und Kirchenordnung boten den sich häufenden, mehr oder minder gewalttätigen Aktionen gegen Liturgica der altgläubigen Messe den Möglichkeitsraum, in geordnete und verwaltete Handlungen überführt zu werden. Bereits im Frühjahr oder Juni 1521 war bei einem Angriff auf eine Prozession in Treptow a. d. Rega die Heiliggeistkapelle verwüstet, einige der dort entnommenen Bilder zerrissen und in einen Brunnen geworfen worden.94 Ob es sich dabei um den ersten reformatorisch inspirierten Bildersturm handelte oder um eine Desakralisierungshandlung, wie sie antiklerikale Empörungen des Spätmittelalters kennzeichnen, kann auf Grund der Quellenlage nicht eindeutig geklärt werden. Seit Herbst 1521 häuften sich in Sachsen Aktionen gegen Klöster und deren liturgische Gerätschaften. In Eilenburg wurde am 5. November 1521 die Terminei der Leipziger Dominikaner gestürmt, dortige Kisten, Öfen und Fenster zerstört.95 Bei den studentischen Unruhen am 4. Dezember 1521 vor dem Franziskanerkloster in Wittenberg drangen einige Studenten in das Kloster ein und zerstörten einen Altar.96 Am 6. Januar 1522 verbrannten Mönche des Augustinerklosters (wohl unter Anleitung Gabriel Zwillings) die Bilder der Klosterkirche; am 10. Januar wurden alle Altäre – abgesehen vom Hochaltar – zerstört, deren Bilder und Statuen zerschlagen und verbrannt.97

Den Akzelerator, der die zentrale Stellung der Bilderfrage entscheidend beförderte, bildeten die Beschlüsse des Generalkapitels der Augustinerkongregation in Wittenberg vom 6. Januar 1522.98 Sie verkündeten die christliche Freiheit, das Kloster zu verlassen, und setzten der Bettelei als eigener Daseinsform, einer Wesensbestimmung ihres Mendikantenordens, ein Ende. Ihren Unterhalt wollten sie nun mit Arbeit erlangen. Zugleich sollten keine gestifteten Seelmessen mehr abgehalten werden, Messgaben (missiva votiva) seien verboten.99 Diese Forderungen, verbunden mit dem Ende der gestifteten Messen, legten den Grund für die von den Mönchen selbst vorgenommene Zerstörung von Altären, Bildern und Liturgica am 6. und 10. Januar 1522.

Schließlich ist zu bedenken, dass der Rat nicht nur durch diese Ereignisse, sondern auch durch die Massenaufläufe zu den Predigten (u. a. Karlstadts), vor allem aber durch die sechs Artikel der Stadtgemeinde vom Dezember 1521 unter Druck gesetzt wurde. Diese forderten die freie Predigt für jeden Christen, die Abstellung der alten Messen inklusive Requiem, Leichenbegängnis (Seelenamt), Vigilien, Bruderschaften, Hochzeitsmesse und Votivmessen, die generelle Kommunion in beiderlei Gestalt und die Schließung von Bordellen wie Bier- und Schankhäusern.100 Anders als im Dezember 1521 mag der Rat auf Grund der aufgewühlten Lage nun dankbar den Beitrag der Universität für eine Reform von Messe und Stadtordnung aufgenommen haben.

Die gesamte Problematik eröffnet den wichtigen Konnex, der sich zwischen der Abschaffung der Bilder und dem Verbot der Bettelei auftut. Sie erhält sozialpolitische Brisanz, da die Bilderfrage mit der Lösung der sozialen Not und einer Umverteilung der Güter verbunden wird.101 Die Verklammerung der beiden Probleme war nicht in erster Linie ein geschickter rhetorischer Griff.102 Vielmehr waren die Aufhebung der Seelmessen, Bestiftungen und Altarpfründen und die Entfernung der Bilder und Statuen von Heiligen zwei Seiten einer Medaille. Die Bettelmönche wurden zur Anrufung der Heiligen nicht mehr gebraucht; damit verbunden war eine Verringerung der Spenden und Almosen. Die Sozialethik und die städtische Armenfürsorge mussten daher grundsätzlich überdacht werden. Damit ergab sich ein direkter Zusammenhang zwischen Bilderentfernung und Neuordnung der Armenversorgung, die im gut christlichen Sinne als vorwegnehmende Linderung der sozialen Not auf vollkommen neue Grundlagen gestellt werden sollte. Die Frage hatte praktische Relevanz, der eine theologische Basis und Motivation beigegeben wurde: Aufgabe der Vermögenden sei der Unterhalt der Armen.103 Die Armen sind der lebendige Tempel Gottes: sich für sie einzusetzen, bedeute den wahren Gottesdienst.104 Sie sind Gegenstand der Fürsorge der christlichen Liebe und würdige Empfänger des Zehnten und werden auf diesem Weg quasi zu den wahrhaft zu verehrenden Heiligen.105 Armenfürsorge heißt Vorsorge, damit die Notlage im Voraus abgewendet wird und der Notleidende gar nicht erst in die unangenehme Lage kommt, um Hilfe bitten oder gar betteln zu müssen;106 ebenso sei eine unnötige Diskussion der städtischen Entscheider über die Hilfsbedürftigkeit zu vermeiden.107 Die Darlehen an Hilfsbedürftige sind zinslos oder gar verloren (einer Schenkung gleich); andererseits zahle der, der könne, auch zurück. Die Zinsgewinne sind stark eingeschränkt. Die christliche Stadt kennt keine Armut und Bettelei, keinen Betrug und keine gegenseitige Schädigung ihrer Bürger. Sie beruht auf gegenseitiger Rücksichtnahme und einem auf der christlichen Gemeinde, den Zünften und den kirchlichen Körperschaften begründeten, korporativen Solidarprinzip.108

Eine Interpretation der Passagen über die Bilderfurcht in den Herzen der Gläubigen muss die rhetorische Situation der Predigt als Grundlage der Bilderschrift einbeziehen. Indem sich Karlstadt mittels seiner Bilderfurcht mit den Vorstellungen des Kirchenvolks und ihrer Volksfrömmigkeit gemein machte, verlieh er seiner Argumentation Glaubwürdigkeit im Verstehenshorizont der laikalen Gemeindemitglieder. Karlstadts Bilderbegriff muss im Sinne eines Abbildungsbegriffs verstanden werden, der nicht nur Malerei und Statuen umfasst, sondern auch darüberhinausgehende Zeichen.109 Dies wird ebenfalls in den Passagen zur Bilderfurcht deutlich, die eine Analogie zu geisterhaften Erscheinungen, Schatten- und Geräuschassoziationen herstellt.110 Das Bild wird im übertragenen Sinn zu einer Allegorie bzw. zu einem Abbild von etwas; es ist Widerhall, Schein eines Wesens, Materialisation eines Geistes bzw. materielles Zeichen. Die Abgötter befinden sich nicht wesentlich im »Ölgötzen« selbst, sondern im Innern des Menschen. Sie flößen die Furcht vor den Abbildern ein, indem sie diesen eine ihnen nicht zukommende Aura der Heiligkeit verleihen. Tatsächlich aber seien die Bilder nur Zeichen, die zwar tief im Herzen der Menschen verankert, im festen Glauben an Gott aber zu überwinden seien. In ihrer Trugbildhaftigkeit sind sie teuflische Anfechtungen (afflictiones), gemäß Karlstadts Bußlehre dem Christen auf dem Weg zu Gelassenheit und Selbstverleugnung als Prüfung auferlegt. Im Gegensatz zu Luthers rein zeichenhaft nominalistischem111 offenbart Karlstadt als ehemaliger Thomist ein im göttlichen Bereich realistisches Bildverständnis.112 Dies könnte auch das Beharren auf strikter Einhaltung der biblisch gedeuteten Zeichen in der Eucharistie begründen. Göttliche Zeichen erhalten eine geradezu substantielle Repräsentanz. Die Heiligenbilder auf dem Altar sind dagegen Teufelsköpfe113, eine dämonische Perversion des göttlichen Zeichencharakters. Karlstadt spricht sich dezidiert gegen den Gebrauch von Bildern in Kirchen aus;114 eine generelle Ablehnung der Abbildung von Mensch und Ding auch in weltlichem Kontext ist nicht zu konstatieren.

Die Bilderschrift wurde lange Zeit als Ausdruck eines Ikonoklasmus eingeordnet, der in einen Bildersturm in der Pfarrkirche Wittenberg gemündet hätte115 bzw. vergeblich versucht habe, diesen zu verhindern.116 Jüngere Untersuchungen konnten jedoch nachweisen, dass der sogenannte Bildersturm in der Wittenberger Pfarrkirche von Anfang Februar 1522 eine sehr begrenzte Aktion gewesen ist, die weniger Auswirkungen zeitigte, als bisher vermutet. Nur eine Person wurde zur Rechenschaft gezogen.117 Das Inventar der an der Pfarrkirche angesiedelten Bruderschaft »Unser Lieben Frauen« zeigte im April 1522 kaum Verluste an.118 Die Distanzierung des Rates durch Verhängung der Strafe und öffentliche Anprangerung119 muss vor dem Hintergrund des Reichsregiments und des Rechtfertigungsdrucks vor Kurfürst Friedrich III. angesichts der durch die Messreformen seit Herbst 1521 ausgelösten Spannungen gelesen werden. Somit ist die Abhandlung Von Abtuung der Bilder als Versuch einer obrigkeitlich sanktionierten und magistral gesteuerten Ordnung der Bilderentfernung aus den Kirchen, wie es die Stadtordnung vorschreibt, zu sehen.

Dennoch kam es in der Folge zu weiteren ungeordneten Aktionen wie dem Klostersturm in Grünhain am 6. März 1522.120 Zu bezweifeln aber ist, dass dieser als Folge bzw. auf der Basis der Vorschläge der Bilderschrift erfolgte. Als Ausläufer der gesamten Diskussion ist dagegen die geordnete Abschaffung der Bilder in Orlamünde durch Karlstadt im Herbst 1523 oder Frühjahr 1524 zu betrachten.121 Luther diskutierte mit den Orlamündern persönlich darüber;122 in der Schrift Wider die himmlischen Propheten, seiner großen Abrechnung mit Karlstadts Theologie, widmete er der Bilderfrage eine längere zusammenhängende Passage.123

Ob es zur obrigkeitlich vom Rat gesteuerten Bilderentfernung in Wittenberg kam, bleibt offen. Einige andere der Reformen scheinen aber tatsächlich durchgesetzt worden zu sein. Christian Beyer schrieb am 25. Januar 1522 an Hugold von Einsiedel, dass in jeder Gasse ein frommer Mann die Aufsicht über Arme und die Sünden [Schenken, Bordelle] habe – Forderungen aus der Beutel- wie Stadtordnung.124 Karlstadt selbst setzte gegen Widerstand die Abschaffung der Ohrenbeichte in der Messe durch.125 Die Vertreibung der »gemeinen Frauen« aus der Stadt wurde wohl schnell erwirkt; an die Franziskaner und Augustiner erging eine Weisung, die Kleinodien aufzulisten und ihre Klöster bis Mitfasten (30. März) zu räumen.126 Es gibt Berichte, dass der Wittenberger Rat die Reform eifrig betrieben habe;127 im Ratsarchiv sind Ausführungen der Stadtordnung nachweisbar.128

Luthers Reaktion nach der Rückkehr von der Wartburg auf die geplante Bilderentfernung auf Grundlage der Stadtordnung, mithin auch auf Karlstadts Abhandlung Von Abtuung der Bilder, ist bekannt.129 In den Invocavitpredigten erklärte er den Reformansatz zu einem fleischlichen Gottesdienstverständnis, das zum Ärgernis der Schwachen und zu Unruhe in der Gemeinde geführt habe.130 Es solle um die Zerstörung der inneren Bilder und die Überwindung der Götzenanbetung in evangelischer Glaubensunterweisung gehen.131 Bei genauer Betrachtung fällt auf, dass der Angriff auf die inneren Götzenbilder auch Karlstadts Ziel war, nur wollte er dafür die äußeren Bilder als Stützen des Götzenkultes, aber auch als Verletzung göttlicher Gesetze entfernen lassen. Luther erklärte die Existenz von Bildern in der Kirche und ihren Gebrauch für frei, doch meinte auch er, dass es »besser were, wir hetten sie [scil. die Bilder] gar nicht. Ich bin in [scil. ihnen] auch nit holt.«132


1Vgl. die Beschreibung in Freys/Barge, Verzeichnis, Nr. 75 und in KGK IV, Nr. 208, S. 697 f., Abb. in Luther, Titeleinfassungen, Tafel 21. Gruber, Themen, 95 postuliert eine Zusammenarbeit von Karlstadt und Schirlentz beim Entwurf dieser Titeleinfassung, die sich nicht durch Quellen belegen lässt, sondern interpretativ bleibt. Vgl. dazu KGK IV, Nr. 208, S. 698 f.
4Das Würzburger Exemplar A1 hat Bogen A mit einer vermeintlichen Korrektur der Kustode; die Änderung von Bogen C nur im Exemplar in Eisleben unter Sigle B.
5HAB Wolfenbüttel, A: 125.45 Quod. (12).
6BSB München, 4 Polem. 534 – HAB Wolfenbüttel, A: 147.4 Theol. (14) – H: G 70.4 Helmst. (11) – H: Yv 1743.8 Helmst. – H: Yv 1744.8 Helmst. – H: Yv 1745.8 Helmst. – H: Yv 2172.8 Helmst. (1) – H: Yv 2329.8 Helmst. – H: Yv 2562.8 Helmst. (3).
7ULB Halle, If 4960.
8Zu dieser Bordüre vgl. Benzing, Indianerbordüre.
9Beschrieben bei Barge, Karlstadt 1, 378 Anm. 154.
10Clemen, Flugschriften 1, 61. Von dem Verhör gibt es einen Einzeldruck aus der Presse von Nickel Schirlentz (VD 16 V 782). Es könnte daher auch Drucke der Wittenberger Ordnung von Schirlentz gegeben haben; Variante D hätte in dem Fall beide Vorlagen nachgedruckt.
12Der ebenfalls aus Zwickau stammende Wittenberger Stadtschreiber und spätere Bürgermeister (1530–43) Philipp Reichenbach hatte gemeinsam mit Roth ein Stipendium des Zwickauer Rates erhalten. Vgl. Metzler, Roth, 88 f.
13Laut Brief von Felix Beyer Ulscenius an Wolfgang Capito vom 24. Januar 1522 hatte Karlstadt geplant, diese Predigt am kommenden Sonntag, den 26. Januar 1522, zu halten. Vgl. Müller, Wittenberger Bewegung, 172 Nr. 74, der die Predigt falsch auf den 27. Januar datiert.
16Graf Wolfgang von Schlick (gest. 1556) aus der Falkenauer Linie der Schlicks, den Herren und Begründern der Bergbaustadt St. Joachimsthal. Als Erbe von Kaspar von Schlick (gest. 1515) war Graf Stefan von Schlick der Pfandherr über die Herrschaft Schlackenwerth geworden, auf deren Grund Joachimsthal errichtet wurde (vgl. Mittenzwei, Joachimsthaler Aufstand, 7 f.). 1520 kam es unter den drei Linien der Familie Schlick zu Streitigkeiten über die Regalrechte (Mittenzwei, Joachimsthaler Aufstand, 41 f.). Die briefliche Beziehung von Wolfgang von Schlick zu Luther thematisierte Johannes Mathesius häufiger in seinen Predigten. S. Mathesius, Historien (1566), fol. 42r–v; 221v–222r. Vgl. Kaufmann, Luthers Judenschriften, 171. Zur vorliegenden Widmung vgl. Zorzin, Flugschriftenautor, 150 Anm. 83; zum Einfluss Karlstadts auf die Familie Schlick s. Wolkan, Anfänge der Reformation und KGK 232 (Anmerkung). Der Versuch der Einflussnahme auf die religiöse Ausrichtung der Stadt ist offensichtlich. Die Wittenberger Stadtordnung mit Armenversorgung und neuer Gottesdienstzeremonie sollte als vorbildlich-löbliche Ordnung auch auf Joachimsthal übertragen werden. Der Kampf um diesen Einfluss manifestiert sich in den Predigten des Joachimsthaler Pfarrers Johannes Sylvius Egranus, der am Palmsonntag (13.4.1522) gegen die Austeilung des Abendmahls in beiderlei Gestalt agitierte und die Zeichen nur als Zeremoniell bzw. äußerliches Gepränge deutete, an deren Einhaltung keine Seligkeit hänge – eine deutliche Invektive gegen Karlstadts Abendmahlsauffassung. Am 17. April musste er sich gegen gegen ihn erhobene Einwände aus der Gemeinde wehren. Vgl. Buchwald, Ungedruckte Predigten, 75–82; 93–96; zu Egranus in Joachimsthal vgl. Mittenzwei, Joachimsthaler Aufstand, 84 f. Die Abschaffung der Ohrenbeichte und von Wasser und Salz 1522 in der Ordnung der Stadt Elbogen, die zur Herrschaft des Grafen Sebastian von Schlick (gest. 1528) gehörte, mag auch unter dem Einfluss der Theologie Karlstadts erfolgt sein; s. Ordnung Elbogen (1522) und KGK 232 (Anmerkung).
17Vgl. Artikel 14 der Wittenberger Stadt- und Kirchenordnung, siehe KGK 219 (Textstelle).
18Vgl. Artikel 13 der Wittenberger Stadt- und Kirchenordnung, siehe KGK 219 (Textstelle).
19Artikel 3 und 5 der Wittenberger Stadt- und Kirchenordnung, siehe KGK 219 (Textstelle) und KGK 219 (Textstelle).
21Vgl. Artikel 10 der Wittenberger Stadt- und Kirchenordnung, siehe KGK 219 (Textstelle).
22Aufgenommen von Emser, Vorantwurtung (1522), fol. H2r–v; s. KGK 228 (Anmerkung).
24Diese Vorgabe kann durch die Beschlüsse des Generalkapitels der Augustinerkongregation in Wittenberg vom 6.1.1522 beeinflusst worden sein, die die Abschaffung der Messgaben (missiva votiva) forderte (Müller, Wittenberger Bewegung, 147–151 Nr. 67). S. auch die zeitgenössische Textwiedergabe in KGK 215 (Textstelle).
26Hierzu siehe KGK 219 (Anmerkung). Vgl. die Erwähnung der Wallfahrtsorte in Von Gelübden Unterrichtung (KGK IV, Nr. 203, S. 532, Z. 21–23) und Luthers rigorose Aufforderung, Feld- und Wallfahrtskirchen zu zerstören, in seiner Adelsschrift: »Das die wilden Capellen und feltkirchen wurden zu poden vorstoret, als da sein, da die newen walfarten hyn gahen, Welsznacht, Sternberg, Trier, das Grymtal und itzt Regenspurg,« (WA 6, 447,17–19). S. auch WA 10.3, 326,1.
28Karlstadt knüpft an die nicht allein litterale, geistliche Exegese in De legis litera an; s. KGK IV, Nr. 197.
29Die Materialkritik am Kruzifix auch in Glosse des Ablasses; s. KGK IV, Nr. 193, S. 332, Z. 2–8: »das huͤltze creutz kond ir pfaffen wol auff richten und besingen/ yr berget das heilig gaistlich cruͤtz Christi/ und tzaiget ein unfruchtbar holtzeen cruͤtz/ daran werdet ihr genahelt und tzappeln bis ihr von [e]urez drigen und finantzen abstellet.« Die Kruzifixkritik scheint sich auch in den Verhandlungen zur Stadtordnung niedergeschlagen zu haben. Bürgermeister Christian Beyer berichtete: »Ich disputirt allein von crucifix, sye wolen es nicht mehr gut sein lassen.« (Müller, Wittenberger Bewegung, 174 f. Nr. 75). Die Kritik am hölzernen Kruzifix manifestierte sich im Rekurs auf Jes 44 häufig als Materialverspottung: das Holz der Götzen sei auch als Brennholz zu verwenden. Vgl. Michalski, Phänomen, 104; mit Verweisen auf Ludwig Hätzers Ein Urteil Gottes (vgl. Laube/Looß, Flugschriften 1, 275) und Johannes Calvins Institutio Christianae religionis 1,11,4.
31Er spricht von der Angst vor »gemalten teuffel/ vor eynem schatwen/ vor eynem gereusch eines leychten bletlins« (KGK 219 (Textstelle)). Hier ergibt sich ein Zusammenhang mit der vermutlich im März gehaltenen Disputation 47 Conclusiones de coniuratione mortuorum (s. Einleitung zu KGK 225), die sich mit der Beschwörung wandelnder Geister von Verstorbenen beschäftigt.
32Ein erneuter Konnex mit den 47 Conclusiones de coniuratione mortuorum, die die Ansprache von Geistern als Form teuflischer Einflüsterungen diskutieren (KGK 225 (Textstelle)). Zugleich sind diese teuflischen Hemmnisse als Anfechtungen (afflictiones) zu verstehen, die es für den büßenden Christen auf dem Weg zur Gelassenheit zu überwinden gelte.
33Bezug auf Mt 5,17.
34Vgl. bereits Luther, Kleiner Wuchersermon: »[…] solt billich keyn bettley unter den Christen sen, vill weniger dan unter den Juden.« (WA 6, 4,3 f.).
35Luther, Kleiner Wuchersermon: »Wen man aber das halten will, ßo muͤst man auch dafur sein, das man nit yn eyner statt allen fremden, auß wonenden gebe. Drumb setzt er yn seynem gepott das woͤrtlin yn deiner statt, das yn eyner yglicher statt die durfftigen von der selben statt eynwoͤner sollen versorgt werden.« (WA 6, 4,5–8); so auch in der Adelsschrift (LuStA 2, 146,13–17).
36Bei Karlstadt findet sich kein Gedanke an Akkumulation und Kapitalbildung.
37Karlstadt behauptet sogar: »[…] Almußen tilget sunden auß.« (KGK 219 (Textstelle)). Diese »Arbeitsteilungslogik«, nach der die Reichen die Aufgabe hätten, die Armen zu nähren und zu versorgen, steht in der Tradition mittelalterlicher Soteriologie; vgl. Angenendt, Geschichte, 592–595; Hamm, Zeitliche Güter, passim; Kaufmann, Sozialethische Vorstellungen, 336. Auch bei Luther heißt es, dass die christliche Liebe den Bedürftigen helfe; vgl. WA 12, 13,26 f. Zu Karlstadts Imago-Dei-Lehre, die Gottesdienst und soziales Leben in der Stadt als Einheit begreift und den armen Mann als lebendigen Tempel Gottes – im Gegensatz zu den steinernen Kirchen – sieht; vgl. auch Bubenheimer, Christliche Stadt.
38Vgl. Artikel 9 der Wittenberger Stadt- und Kirchenordnung; siehe KGK 219 (Textstelle).
39Laut Stadtordnung bestellt der Magistrat Aufseher, die den Gemeinen Kasten verwalten und die Gelder an Handwerker, Witwen, Waisen, Arme und zur Erziehung von deren begabten Kindern verteilen; zudem überwacht er die Einhaltung eines niedrigen Zinsfußes.
40Die Leihe an arme Handwerker soll gemäß Wittenberger Stadt- und Kirchenordnung ohne Verzinsung erfolgen; siehe KGK 219 (Textstelle). Vgl. auch die 4. These der 10 Conclusiones de iubileo et anno remissionis (KGK 214 (Textstelle)).
41Bubenheimer, Christliche Stadt erkennt hierin eine allgemeine Kritik an den Verhältnissen der Leibeigenschaft.
43Auch bei Luther; vgl. WA 6, 4,1–17; 45,20–23; LuStA 2, 146,13–17.
44Tatsächlich gingen in dieser Zeit nicht nur die Studentenzahlen auf 85 zurück (AAV 1, 108 f.), sondern es häuften sich Handlungen, die dem bisherigen Ausbildungssystem mit Kritik begegneten. Der Student Philipp Eberbach (später Schulmeister in Joachimsthal und Coburg) quittierte seine Quintilian-Lektur nach dem Hören eines Karlstadtkollegs (Alber, Verfluchte lere (1556) (1556), fol. X3r; die Lektur hatte er im Herbst 1522 vom erkrankten Joachim Camerarius übernommen; vgl. 1, 499,79 f. Nr. 240). Der Professor der Eloquenz Philipp Gluenspieß gab seine Stellung auf und wurde Bäckermeister in Mansfeld. Das Kirchenvolk beteiligte sich angeblich lautstark an den Bibellesungen. Möglicherweise wegen solcher Vorgänge wandten sich Melanchthon und Justus Jonas Anfang Februar von den Reformprozessen ab; am 24. Februar spekulierte Melanchthon über einen Fortgang aus Wittenberg zu Ostern; der Hebraist Matthaeus Aurogallus ging nach Prag. Vgl. den Brief des Studenten Felix Beyer Ulscenius an Wolfgang Capito vom 24.2.1522 (Müller, Wittenberger Bewegung, 173 Nr. 74; zum Auszug von Nürnberger Studenten gemeinsam mit dem Augustinerprior Konrad Helt vgl. Müller, Wittenberger Bewegung, 206 Nr. 98; insgesamt s. Barge, Karlstadt 1, 422 f.).
45Diese Passage steht sicherlich unter dem Einfluss der Beschlüsse des Generalkapitels der Augustiner-Kongregation in Wittenberg vom 6.1.1522, die es der christlichen Freiheit anheimgaben, ob die Mönche das Kloster verlassen oder im Kloster bleiben wollten. Alle Christen stünden gleich in Christus, ungeachtet ihres Mönchs- oder Laienstatus' (Müller, Wittenberger Bewegung, 147–151 Nr. 67). Das theologische Fundament legte Karlstadt aber bereits in seinen Gelübdeschriften von 1521; vgl. KGK 181, KGK 189, KGK 190 und KGK 203.
46Luther hatte bereits 1520 gefordert, Kleinodien der Kirchen und Klöster für die Armenversorgung zu verwenden. WA 6, 46,33–41. Vgl. Kaufmann, Sozialethische Vorstellungen, 330.
47In diesem Zusammenhang sei auf Karlstadts Schriften zum Zölibat aus dem Jahr 1521 verwiesen. Vgl. insbesondere Super coelibatu (KGK IV, Nr. 190).
48Die Stadtordnung fordert zwar nicht die Aufhebung der Klöster, verbietet aber den Mönchen das Betteln sowie Termineien von außerstädtischen Klöstern und ordnet die Inventarisierung des Klosterbesitzes an. Siehe KGK 219 (Textstelle).
49Vgl. Artikel 1 der Wittenberger Stadt- und Kirchenordnung; siehe KGK 219 (Textstelle).
50Ähnlich der Vorwurf des Schismas an die Franziskaner in der Franziskanerdisputation; vgl. KGK II, Nr. 139, S. 508; S. 513, Z. 8 f.; S. 513, Z. 15–17.
51Luther hatte bereits 1519 den Bruderschaften »eyn heydenisch, ja eyn seuisch weßen« unterstellt; vgl. WA 2, 752,25 f.
52Artikel 2 der Wittenberger Stadt- und Kirchenordnung; KGK 219 (Textstelle).
53Im 8. Artikel der Wittenberger Stadt- und Kirchenordnung heißt es, es gäbe zu viele Kirchen: »[…] in ansehung das alle kirchn berayt und mer dann zůvil gebaut seind.« (KGK 219 (Textstelle)).
55Artikel 7 der Wittenberger Stadt- und Kirchenordnung: »dann wir kainem woͤllen gestaten zů betlen noch zů mendicieren« (KGK 219 (Textstelle)). Vgl. bereits die Schrift Von Anbetung der Zeichen: »Jedoch wurd der Sachen wohl geraten, daß kein Pfaff nach Brot gehen müßt oder am Leib beleidigt werde. Wer das begehrt, der ist nit evangelisch.« (KGK IV, Nr. 204, S. 611, Z. 16–18.).
56Im Anschluss an Sehling, Kirchenordnungen 1.1.1, 696 f., sehen Strohm/Klein, Ordnung Europas 2, 13 in Karlstadt den alleinigen Verfasser der Wittenberger Stadt- und Kirchenordnung. Bubenheimer, Christliche Stadt korrigiert diese Aussage dahingehend, dass die Kirchenordnung als Ergebnis von Verhandlungen anzusehen sei. Zur Konvergenz von Formulierungen und Forderungen mit Werkaussagen Karlstadts s. die folgenden Anmerkungen.
58Vgl. Pallas, Wittenberger Beutelordnung, 121–124. Die Unterschiede zwischen handschriftlicher und gedruckter Fassung sind signifikant; vgl. hierzu Bubenheimer, Christliche Stadt. Auch hatte Karlstadt selbst gefordert, dass alle Zinseinnahmen der Kirchen dem Gemeinen Kasten zugeschlagen werden sollten (KGK 219 (Textstelle)), was der 1. Artikel der Wittenberger Stadt- und Kirchenordnung dann tatsächlich festlegte (KGK 219 (Textstelle)).
65Aus dem Brief Christian Beyers an Einsiedel vom 25.1.1522; vgl. Müller, Wittenberger Bewegung, 174 f. Nr. 75.
66Zu dem Begriff siehe KGK 219 (Anmerkung).
67KGK 219 (Textstelle). Diese Forderung entspricht den Beschlüssen des Generalkapitels der Augustinereremiten vom 6. Januar 1522. S. o. KGK 219 (Anmerkung) und KGK 219 (Anmerkung). Zu dieser Forderung vgl. auch WA 6, 46,33–41.
68Zu dem Begriff siehe KGK 219 (Anmerkung).
69Dies bereits in Luthers Wuchersermonen (WA 6, 4,5–7; 45,20–29) und seiner Adelsschrift: »[…] das ein yglich stad yhr arm leut vorsorgt, und keynen frembden betler zuliesse, sie hiessen wie sie wolten, es weren walbruder odder bettel orden.« (WA 6, 450,25–27).
70Barge, Karlstadt 1, 381 betont, dass die Vergabe der Mittel der »Hebung der niederen, in Bedrängnis befindlichen Klassen« diente und nicht wie in späteren Säkularisierungen allein der Bildung der höheren, gebildeten Schicht.
71Der übliche Zinsfuß betrug 5–6%, lag aber oft darüber. S. hierzu Luther, Kleiner Wuchersermon: »Wan nu das geschicht an ubirtretung des geystlichen gesetzs, das man auffs hundert 4, 5, 6 gulden gibt, lest sichs tragen […].« (WA 6, 6,24–26). Den Wucher thematisiert eine Tischrede: »Drumb laß ich gern zu, was die recht und keiser zu lassen: 5 oder 6 von hundertt. Aber 20, 30 und 40, das ist ubermacht!« (WA.TR 4, 565,16 f.). Vgl. auch Kerridge, Usury, 41; HRG 5, 1710; 1719–1722; TRE 36, 684–686.
72RA Wittenberg, Nachrichten des Gotteskastens zu Wittenberg, Fundationes Donationes und Stiftungen sämtl. Güter- und Grundstücken 1300–1721, Vol. ABc 4, fol. 156b–d; s. Barge, Karlstadt 2, 559–561; Pallas, Wittenberger Beutelordnung, 7–11; Karlstadt, Bilder (Lietzmann), 31 f.; WA 59, 63–65.
74Vgl. Pallas, Wittenberger Beutelordnung, 4; 14 f.; 33; WA 59, 62; Kaufmann, Sozialethische Vorstellungen, 353 f. Auf eine frühe Entstehung deutet auch die Wendung am Schluss der Beutelordnung: »Alles gott unnd allen heyligen zu eren […].« (WA 59, 65,19).
76Zum Einfluss von Vorschlägen Luthers auch auf die Stadtordnung vgl. zuletzt Bubenheimer, Christliche Stadt.
77Vgl. WA 6, 450,25–27.
78Vgl. WA 6, 450,32–34.
79Vgl. Artikel 11 der Wittenberger Stadt- und Kirchenordnung; siehe KGK 219 (Textstelle).
82Vgl. dort die Thesen 3, 8 und 9 (KGK 214 (Textstelle); KGK 214 (Textstelle) und KGK 214 (Textstelle)).
84WA 6, 444,22–446,6; Kaufmann, Adel, 333–339.
85WA 6, 438,13–34; Kaufmann, Adel, 280–285. Diese Frage wurde bereits in der Franziskanerdisputation (1519) angesprochen (KGK II, Nr. 139, S. 511, Z. 9–S. 512, Z. 10).
86WA 6, 4,1–6; 45,20–26; LuStA 2, 146,13–17.
87LuStA 2, 147,10–14.
88WA 6, 3,5–21; 5,19 f.; 6,17–7,14; 36,16–20; LuStA 2, 164,7–11.
89Vgl. WA 6, 39,6–9; WA 6, 467,17–26.
90Vgl. WA 6, 4,11; 52,25 f.
91Vgl. LuStA 2, 146,20–24.
92Vgl. WA 6, 46,3–8. Diese Maßgabe mag in die Artikel der Beutelordnung eingeflossen sein, die den vorsorglichen Kauf von Getreide und Holz forderten. S. o. KGK 219 (Anmerkung).
93WA 56, 494,4: »Sed omnis dies est festus, omnis cibus est licitus, omnis locus est sacer […].« Berns, Macht, 15, sieht hierin eine Liquidierung des Auratischen, die letztlich nur der durch den Buchdruck geschaffenen Realität folge, der mittels typographischer Vervielfältigung eine Ubiquität des Heiligenbildes und des Gotteswortes produziert habe und damit die Voraussetzungen für das allgemeine Priestertum und die Aufhebung der heiligen Aura bildete.
95Brief der Leipziger Dominikaner an Kfst. Friedrich III. vom 27. November 1521; vgl. Platen, Sturm, 44–46; Joestel, Auswirkungen, 133 f.
96Bünger/Wentz, Brandenburg, 382 nach der Zeitung von Anfang 1522; s. Müller, Wittenberger Bewegung, 151–168 Nr. 68, hier 152 f. Herzog Georg von Sachsen berichtet über die Wittenberger Vorgänge (Coburg, 25.12.1521): »[…] als nemlich, das man das heilige sacrament under beider gestalt gebraucht, etliche prister, die das amt der heiligen messe haben halden wollen, mit gewaldiger hant dovon vorstort, St. Franciscus bilde gnomen und enthaubet, des heiligen geists botschaft mit stein geworfen.« (Gess, Akten und Briefe 1, 237,1–5). Vgl. Bubenheimer, Aufruhr, 165 f.; Michalski, Ausbreitung, 46 f.
97Nach dem Bericht des Zwickauer Stadtschreibers Fabian Pfau; s. Böhmer, Aus alten Handschriften, 405–408.
98Vgl. hierzu Müller, Wittenberger Bewegung, 148–150 Nr. 67 und KGK 215 (Textstelle).
99Die Beschlüsse des Generalkapitels der Augustiner-Kongregation in Wittenberg sind auf den 6. Januar 1522 datiert, den Tag der ersten Bilderzerstörung im dortigen Kloster. Sie lauteten zusammengefasst: Den Mönchen sei freigestellt, ob sie das Kloster verlassen oder im Kloster bleiben (unter dem Aspekt der christlichen Freiheit); alle Christen seien in Christus ohne Mönchs- oder Laienstatus; christliche Freiheit heiße, weder Ess- noch Habitusvorschriften zu besitzen; Freiheit bestehe in Zeremonien; Betteln sei verboten; ebenso Messgaben (missis votivis). S. Müller, Wittenberger Bewegung, 147–151 Nr. 67; vgl. auch KGK 219 (Anmerkung) und KGK 219 (Anmerkung).
101Vgl. Cottin, Bild, 243.
102Schnitzler, Wittenberg, 72 meint in der Verbindung von Bilderentfernung und Bettelverbot eine Form von »rhetorischem Gespür« zu erkennen, um die Zustimmung zu den Maßnahmen in der Gemeinde zu erhöhen. Im Rückgriff auf spätmittelalterliche Bilderkritik und metaphorisches Wechselspiel von wahrem und falschem Bild seien die »ikonoklastischen Maßnahmen« sozial gerechtfertigt worden.
104S. Von Gelübden Unterrichtung: »Nu weyl der kirchen zuvil ist/ soll das gelt (welches ein Monich oder Nonne/ fur seyne seel gibt) eynem lebendigem/ elenden tempell gegeben werden/ von wilchen Christus in gemein saget. Was yr dem myndsten gethan habt/ das ist mir gethan […] Sie sollen nit den kolwichten und veisten betler unnd andern Monichen und pfaffen gelt geben/ sonder notturfftigen/ armen leuthen/ sie sein weltlich odder geystlich.« (KGK IV, Nr. 203, S. 55, Z. 16–S. 556, Z. 2).
105Vgl. die 11. These der 15 Conclusiones de decimis (KGK IV, Nr. 212, S. 781, Z. 18 f.).
109Karlstadt galt und gilt weiten Teilen der Forschung auf Grund seiner Bilderschrift als Ikonoklast, wenn nicht sogar als ikonophob; als »Bildverfolgte[r]« und »Bilderfürchter«; sein Aufruf zur Bildzerstörung sei eine Form der Bilderliebe gewesen. Vgl. Berns, Macht, 17 f. Michalski, Visual Arts, 43–45 meint, für Karlstadt seien alle Bilder »inherently evil«. Ausgestattet mit einem minderwertigen Bildbegriff, habe er keine Unterschiede zwischen Bildern gekannt und alle Bilder für Götzenbilder gehalten. Vgl. dazu Cottin, Bild, 245. Schuster, Abstraktion, 115 f. läßt die Tradition der Schirlentz'schen Titeleinfassung außer Acht und zeigt Verwunderung über die Verwendung eines figurativen Titelbildes in einer bilderfeindlichen Schrift.
111Luther trennt in der 4. Invocavitpredigt das Zeichen vom Ding. Das Bild an sich sei ohne Substanz, es werde ihm erst Bedeutung zugesprochen. S. WA 10.2, 289.
112Gemäß Intentionalitätstheorie des Thomas von Aquin sind die species als primär erfasste Objekte der Wahrnehmung entweder similitudines (oder reale Repräsentationen) der Gegenstände der Welt bzw. ihre Entitäten im Intellekt. Aussagen zu einem realistischen Bilderverständnis findet man im frühen Werk des (damaligen) Thomisten Karlstadt. Vgl. KGK I.1, Nr. 1, S. 77, Z. 21–24: »Imago autem alicuius rei que eandem naturam habet cum re cuius est imago. est sicut filius regis in quo imago patris apparet et est eiusdem nature cum ipso.«
115Michalski, Ausbreitung, 47 spricht von einer Verwüstung der Pfarrkirche; Schnitzler, Wittenberg, 68 von einem affektgeleiteten Sturm, der »sich der Bilder (Altartafeln, Statuen) bemächtigte und diese vor der Kirche zerschlug und verbrannte.« In den Quellen ist nichts dergleichen verbürgt.
117Vgl. dazu Bünger/Wentz, Brandenburg, 135; Bubenheimer, Scandalum, 270–277; Oehmig, Wittenberger Bewegung, 122 f.; Krentz, Ritualwandel, 200–205; zuletzt Quellen und Literatur zusammenfassend auswertend Kaufmann, Junker Jörg, 54–57 Anm. 13–15.
121Vgl. hierzu die Aussagen der Orlamünder gegenüber Luther vom 24.8. und 12.9.1524 (ediert in KGK VII).
122Vgl. WA 15, 345–347.
123Vgl. WA 18, 67–84.
124Die Bilder in den Kirchen sollten mit der Zeit abgeschafft werden. Vgl. Müller, Wittenberger Bewegung, 174 f. Nr. 75.
126S. KGK 215 (Textstelle). Vgl. auch die auf Gründonnerstag, den 17. April datierten Forderungen an die Franziskaner; s. Müller, Wittenberger Bewegung, 153 Nr. 68.
127Felix Beyer Ulscenius an Wolfgang Capito, 9.2.1522: »Magistratus Wittenbergensis sedulo ac strenue in negocio Evangelii agit.« (Müller, Wittenberger Bewegung, 188 Nr. 90).
129Von Abtuung der Bilder erregte Gegenschriften Hieronymus Emsers und Johannes Ecks. Zu Emsers Apologie des Bildgebrauchs in der Kirche und Karlstadts geplanter Reaktion s. KGK 228; weiterhin s. o. KGK 219 (Anmerkung) und KGK 219 (Anmerkung). Eck, De non tollendis imaginibus (1522) gibt nicht nur die Geschichte des Bilderstreits seit der Frühzeit des Christentums in humanistischer Weise wieder, wobei die falsche, jedoch zeitgenössisch nicht unübliche Identifizierung des Adoptianismus des Felix von Urgel (gest. 818) mit damaligen Formen der Bilderfeindlichkeit auffällt. Eck geht mehr oder weniger direkt auf Karlstadts Argumente ein; besonders das 15. Kapitel setzt sich mit dem Bilderverbot gemäß 2. Mose 20,4, der Zerstörung der ehernen Schlange (2. Kön 18,4), der Gefahr des Götzendienstes und dem fehlenden biblischen Nachweis der Bilderverehrung auseinander. Letztlich bleibt Ecks Argument eine Unterscheidung des Zeichens von dem mit diesem Gemeinten, welches in Wirklichkeit (statt des Zeichens) vom Kirchenvolk verehrt werde. Vgl. Iserloh, Verteidigung, bes. 353–361. Bereits 20 Jahre zuvor verteidigte der Heidelberger Theologieprofessor Daniel Zangenried (Sermo de imaginibus et picturis ecclisiarum vulgaris, Heidelberg: Jakob Stadelberger, 1502; VD 16 Z 107) die Bilderverehrung, vorgeblich gegen jüdische Einwände gerichtet, indem er in ähnlicher Argumentation wie Eck ihren Sinn, die historische Entwicklung und ihre Formen darlegte.
130In seiner Jeremia-Vorlesung dreht Karlstadt dieses Argument in Bezug auf Jer 1,16 um: »Sic imagines sunt abolendae propter infirmos qui se illis incurvant.« Die Bilder müssen gerade in Hinsicht auf die Schwachen aus den Kirchen entfernt werden, da diese andernfalls falsche Götter anbeten würden (KGK 231 (Textstelle)).
131WA 10.3, 26,3–5.
132WA 10.3, 26,5–7. S. auch WA 10.3, 31,3 f.: »Wiewol ich wollte, die Bilder weren in der gantzen welt abgethan umb des leidigen misbauchs willen […].« Vgl. zuletzt dazu Kaufmann, Junker Jörg, 8 f. In der Adventspostille vom 2. Adventssonntag 1522 warnt Luther die Gemeinde vor der Heiligenverehrung in einer Weise, die Karlstadts Argumentation in Von Abtuung der Bilder nahekommt: »Ich habe sorge, das greulich abgotterey hie mit einreysse, das man die zuversicht und trauen auff die heyligen stellet, die alleyn got gepurt, und von den heyligen gewarttet, das alleyn von gott tzu gewartten ist.« (WA 10.1 II, 83,6–9). In vergleichbarer Weise urteilte Melanchthon. In den Thesen 13 und 14 der Propositiones de missa spricht er Bildern bzw. der Kreuzesdarstellung (picta crux) als von Menschen gemachtem Zeichen jegliche Gnadenkraft ab; es rechtfertigt nicht und wäscht keine Sünden ab (Thesen 25 und 28). Vgl. Melanchthon, Propositiones (1521), fol. A1v–A2r. Anfang Februar 1522 äußerte er sich gegenüber dem kfstl. Rat Hugold von Einsiedel ausgewogener, jedoch weiterhin im Sinne der Stadtordnung. Er bezeichnet Abbildungen (hier als statua) zwar als idola und simulachra, die aber nicht zwingend aus den Kirchen entfernt werden müssten, da sie nach paulinischer Auffassung bedeutungslos, mithin also adiaphor seien. Er verdamme die Abbildungen, wolle jedoch moderat agieren. Allerdings zwinge der casus scandali dazu, die Bilder zu vernichten (aboleantur), da sie vom Volk verehrt würden. (LATh-HStA Weimar, EGA, Reg. O, Nr. 225, fol. 101r–v [alt: 102r–v]; ediert in: Müller, Wittenberger Bewegung, 183 Nr. 85; vgl. auch KGK 217 (Anmerkung)).

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