Nr. 218
Andreas Karlstadt an Hugold von Einsiedel
Wittenberg, 1522, 4. Februar

Einleitung
Bearbeitet von Harald Bollbuck

1. Überlieferung

Handschrift:

[a:]LATh-HStA Weimar, Reg. O, Nr. 225, fol. 105r–v (Autograph mit Abdruck von Karlstadts Siegel auf fol. 105v)
Editionen:

Literatur:

2. Entstehung und Inhalt

Dieser Brief Karlstadts an den kurfürstlichen Rat Hugold von Einsiedel ist eine Antwort auf dessen Schreiben vom 3. Februar 1522.2 Karlstadt weist die Anwürfe aus Einsiedels Schreiben zurück. Die beklagte Uneinigkeit3 entstehe nur, weil die Ordnung des Gottesdienstes nicht auf biblischem Fundament beruhe und sie stattdessen nach menschlicher Vernunft eingerichtet worden sei. Tatsächlich gebe es innerhalb Wittenbergs eine Auseinandersetzung um die Frage der Beichte.4 Karlstadt richtet über Einsiedel eine Bitte an die Obrigkeit, dass die Prediger den Gottesdienst nur gemäß der Bibel abhalten sollten.5 Das Ärgernis, das Karlstadt erregt haben solle, entstehe nicht durch die Reform, sondern sei im Gegenteil die Praxis einer falschen Lehre.6 Den Vorwurf, dass er nicht rechtmäßig zur Predigt berufen sei,7 weist Karlstadt zurück. Als Archidiakon sei er befugt, in der Schlosskirche zu predigen, dies stehe ihm am Nachmittag nach dem morgendlichen Gottesdienst, den der Propst abhalte, zu.8 Als geweihter Priester könne er zudem grundsätzlich predigen. Er vermutet, dass diese Falschmeldung Einsiedel von Gegnern Karlstadts in Wittenberg zugetragen wurde.9

Ebenso weist Karlstadt die Beschuldigung, er predige Aufruhr, zurück; er sei gegen jede Form von Aufruhr, doch befürchtet er, dass die Gegner der Reformen mit ihrer Haltung eine überschießende Reaktion provozierten.

Hugold von Einsiedel forderte in heute verschollenen Schreiben10 die Mitglieder des Ausschusses von Universität und Stiftskapitel auf, sich in Eilenburg zu weiteren Verhandlungen einzufinden. Diese zogen sich vom 8. bis 12. Februar 1522 hin.11 Vermutlich um dem Kurfürsten das gesamte Ergebnis der Verhandlungen zu präsentieren, leitete Einsiedel Karlstadts und Melanchthons Antwortschreiben erst am 14. Februar 1522 an Friedrich III. weiter.12


1Zum – hier schwer erkennbaren – Bodensteinwappen vgl. Bubenheimer, Andreas Rudolff Bodenstein, 6 f. u. Abb. 2.
2S. Einleitung zu KGK 217.
4Die Uneinigkeit zwischen reformorientierten und reformfeindlichen Mitgliedern von Universität und Stiftskapitel betraf die gesamte Ordnung der Messe (die Erteilung des Abendmahls in einer oder beiderlei Gestalt, Abschaffung der Beichte vor der Kommunion und der Elevation, Reduzierung des Gesangs, lateinische oder deutsche Messsprache) und ist in den Gutachten des Ausschusses von Universität und Kapitel wie in einzelnen Sondergutachten (von Johannes Dölsch und Otto Beckmann) im Oktober und Dezember 1521 dokumentiert; s. KGK IV, Nr. 200 und 207. Hinzu trat die jüngste Supplikation des Stiftskapitels, die sich gegen die Messreformen wandte. Einen persönlichen Lagebericht eines Reformgegners über die Zerstrittenheit liefert der Brief von Johannes Dölsch an Peter Burckard vom 3. Februar 1522; s. hierzu die Einleitung zu KGK 217.
5Diese Forderung folgt Artikel 14 der Wittenberger Stadt- und Kirchenordnung: »Item die messen soͤllen nit anderst gehalten werden/ dann wie sy Christus am abentessen hat eingesetzt […].« (KGK 219 (Textstelle)). Der Universitätsausschuss wiederholte diese Forderung noch kurz vor Abschluss der Eilenburger Verhandlungen am 13. Februar, s. KGK 221 (Textstelle).
6Bezug auf KGK 217 (Textstelle). Umgekehrt behaupteten Karlstadt und das Reformlager, dass das Ärgernis in der Behinderung der Ausbreitung des wahren Gotteswortes durch die Reformgegner bestehe; vgl. die 13 Conclusiones de scandalo et missa (KGK IV, Nr. 195, S. 387, Z. 3 f.) und den zweiten Bericht des Universitätsausschusses zur Messe vom 7./12. Dezember 1521 (KGK IV, Nr. 207, S. 693, Z. 4–8).
8Laut Ordnung der Stiftskirche Wittenberg von 1508 waren Propst, Dekan, Archidiakon, Kantor, Kustos und Scholaster Prälaten, die mindestens innerhalb eines Jahres nach Eintritt in das Stift zum Priester geweiht wurden. Zu ihren Aufgaben gehörte es, eine Messe am Sonntag und zwei in der Woche abzuhalten. Auf Grund ihrer gleichzeitigen Lehrverpflichtungen konnten sie gegen die Zahlung von 17 Gulden den Messdienst an einen Kaplan abtreten. Als Archidiakon waren Karlstadt die Messdienste für folgende Feste in der Stiftskirche zugeteilt: »Santi Johann des teuffers. Des neuen iarstagk. Wenzceslai. Presentationis Marie virginis gloriosissimae. Sancta Anne, virginis Marie mater.« Das heißt am 24.6.; 25.12.; 28.9.; 21.11. und 26.7. Zugleich war dem Archidiakon die Prädikatur in der Stiftskirche übertragen. Vgl. Barge, Karlstadt 2, 527 f.; Bünger/Wentz, Brandenburg, 96. Die Abfolge, dass vormittags der Propst, nachmittags der Archidiakon die Messe in der Stiftskirche hält, ist in der Ordnung der Stiftskirche nicht festgehalten. Allerdings könnte folgender Passus gegen Karlstadts Praxis sprechen: »Item so sollen die predigen dermasse geordent werden, dass alle feste yn der Stieftkirchen umb achte fur mittage die Predige gewisselich geendt und darnach in der pfarren angefangen, aber in den Clostern umb xii nach mittage, wievor mit den predigenn gehalten werdenn.« (Barge, Karlstadt, 2, 528).
9Zu den prominenten Gegnern der Reform (und damit Karlstadts) zählten der Prior des Augustinerklosters Konrad Helt (vgl. KGK IV, Nr. 207, S. 679 Anm. 5; zu ihm vgl. Brecht, Luther 1, 124), der mit Luther und ihm exkommunizierte Universitätskollege Johannes Dölsch, der sich im Dezember 1521 gegen die Neuerungen der Messe wandte (vgl. KGK IV, Nr. 207 und die Einleitung zu KGK 217), Mitglieder des Stiftskapitels wie der Dekan Lorenz Schlamau und der alte Universitätskollege Otto Beckmann, der ein Gutachten gegen die Reformen erstellte (vgl. KGK IV, Nr. 207, S. 684).
10Vgl. Müller, Wittenberger Bewegung, 188 f. Nr. 91.
11Vgl. Müller, Wittenberger Bewegung, 190–203 Nr. 92–96.
12Vgl. Müller, Wittenberger Bewegung, 204 Nr. 97: »Ich habe auch negst auß gutter wolmeynung Doctor karolstat unnd Philippus Melanchton geschriebenn […] Als ist mir uff solch mein schreyben, dovon Eurn Churfurstlichen gnadenn ich Copie uberschicke, von ynenn beiden beyliegennde antwort wordenn.«

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