Nr. 217
Hugold von Einsiedel an Andreas Karlstadt
Eilenburg, 1522, 3. Februar

Text
Bearbeitet von Harald Bollbuck

Buchsymbol117r Mein willig dinst zuvor〈.〉 Hochgelarter, unnd wir-
diger, lieber her doctor〈,〉 besonnder guter freundt〈.〉

Es lanngt mich an, wie ir unnd andere, So zu Witten-
berg dem christlichen Volckh predigenn,1 zu weyllen der
laer unnd underweyssung
uneynig2 unnd uber das
sachen furnemen solt, dadurch der gemein〈,〉 unversten-
dig mann
geergert3 unnd nicht gebessert, und das der-
wegenn auffrur, unnd entberung4 zubesorgenn.

Wie ich auß mancherley ansagen gehort, das sich albe-
reyt an solchem vill leut geergert habenn,5 Dieweil
dann euch unnd andern, dye das Ewangelische worth
fhurenn, gantz gneigt unnd je nicht gern erfarn
wolt, das durch predigen ichtes6, undinstlich7 und erger-
licher Neuerung solt furgewandt werden,8 So ist
an euch mein freuntlich bitt, wellet euch in eurem
Ambt der geschickligeit9〈,〉 als ich mich zu euch gentz-
lich vorsyhe〈,〉 haltenn und ertzeigenn, domit das
gemein volckh nicht geergert, sonnder gebessert.

Wue ir auch zuverkundung des worths nicht
sunderlich werdt geruffenn,10 So wolt euch dazu nicht
einlassenn
, domit es von etzlichen nicht dafur geacht,
als hettet ir zu fordrung eurs Rhumbs mehr
begir, dan der menschen heill, und frucht, durch
das worth gots zusuchenn〈.〉 Dafur ich euch und andere
auß christlicher liebe, will gewarnnet haben〈.〉

Buchsymbol117v Wollet solche erynnerung vonn mir in gutem
vormerckenn. Das wil ich freuntlich verdinen〈.〉
Datum Eylenberg Monntag nach unser lieben fr'auen'
tag. purificationis Anno etc. xxii.

An doctor Carolstat.

Hugolt von einsidl


1Zu den angesprochenen Predigern, die den Gottesdienst gemäß neuer Messordnung abhielten, gehörten neben Karlstadt Gabriel Zwilling, Simon Heins von Brück (zu diesem siehe KGK 220 (Anmerkung)) und auch Justus Jonas, dessen Ablehnung der alten Messordnung schon im Herbst 1521 dokumentiert ist; s. den Brief von Felix Ulscenius an Wolfgang Capito, 30.11.1521 (Müller, Wittenberger Bewegung, 72 Nr. 31.
2Die Uneinigkeit unter den Mitgliedern von Universität und Stiftskapitel wurde seit Herbst 1521 beklagt. Vgl. zuletzt die kfstl. Instruktion vom 19. Dezember 1521 (Müller, Wittenberger Bewegung, 123–125 Nr. 56). Dementsprechend mag das Ziel des Kurfürsten eine Integration der verschiedenen Strömungen unter den Wittenberger Theologen gewesen sein; vgl. Krentz, Ritualwandel, 209 f.
3Der Vorwurf, ein Ärgernis erregt zu haben, taucht ebenso im Brief Einsiedels an Christian Beyer vom 8. Februar 1522 auf, siehe KGK 217 (Anmerkung). Vgl. auch Müller, Wittenberger Bewegung, 186 Nr. 89.
4Empörung. Einsiedel bezieht sich auf die verschiedenen ihm überlieferten Berichte von ungeordneten Bilderentfernungen und Altarzerstörungen sowie damit verbundenen Tumulten. Am 4. Dezember 1521 waren Studenten in das Franziskanerkloster eingedrungen und hatten einen Altar beschädigt; am 6. und 10. Januar 1522 hatten Augustinermönche Altargegenstände, Bilder und andere Liturgica des eigenen Klosters im Klosterhof zerstört; schließlich war es am 6. Februar zu einer – vermutlich sehr begrenzten – Bilderentfernung in der Pfarrkirche gekommen. Vgl. Bünger/Wentz, Brandenburg, 135; 382; Müller, Wittenberger Bewegung, 152 f. Nr. 68; Böhmer, Aus alten Handschriften, 405–408. S. auch KGK 219 (Anmerkung); KGK 219 (Anmerkung); KGK 219 (Anmerkung); KGK 219 (Anmerkung); KGK 219 (Anmerkung); KGK 219 (Anmerkung); KGK 219 (Anmerkung); KGK 219 (Anmerkung).
5Die Beschwerde über die Messneuerungen innerhalb Wittenbergs fand Ausdruck in den Supplikationen von Johannes Dölsch und vom Stiftskapitel an Kfst. Friedrich III., die beide verschollen sind; vgl. Müller, Wittenberger Bewegung, 176 Nr. 78; Krentz, Ritualwandel, 199. Eine plastische Schilderung des Entsetzens, welches die Ergebnisse der Messreformen auslösten, zeigt der Brief von Dölsch an Petrus Burkart vom 3. Februar 1522 (Schottenloher, Berichte, 89–91); vgl. hierzu KGK 217 (Textstelle).
6etwas.
7nicht dienlich, nicht nützlich. Vgl. DWb 2, 1129 Nr. 3.
8Vgl. die ähnlichen Formulierungen im erwähnten Dokument über die Verhandlungen zwischen Einsiedel und Beyer vom 8. Februar 1522: »[…] auß einem mitleyden unnd liebe ichtes furzunemen, Unnd uber das etzlich neuerunge predigenn […].« Siehe KGK 217 (Anmerkung); Müller, Wittenberger Bewegung, 186 Nr. 89.
9Ordnung, im Sinne von Geschicknis. Vgl. DWb 5, 3880. Auch Eignung zum Amt. Vgl. DRW 4, 441.
10Die von Einsiedel vorgeworfene fehlende Berufung zum Predigtamt suchte Karlstadt in seinem Antwortschreiben vom 4. Februar mit Verweis auf sein Archidiakonat, das ihm das Recht der Predigt in der Schlosskirche zugestand, zu widerlegen (KGK 218 (Textstelle)).

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