Nr. 218
Andreas Karlstadt an Hugold v. Einsiedel
Wittenberg, 1522, 4. Februar

Text
Bearbeitet von Harald Bollbuck
Buchsymbol fehlt〈De〉m gestrengenn und Erenvesten
〈her〉nn, Hauboldenn von eynsidl,
〈Kur〉f'urstlichen' rath, meynem gonstigen
Lieben herrenn.

Buchsymbol105r Meine ganczwillige und unvertroßne dienste, mit wun
schung gotis gnaden, frid und gesuntheit alleczeit czuvor〈.〉
Gestrenger und erenvhester hera. e'uer' g'naden' schreiben, daß wir alhie
ßo predigen1, zu weilen der laher2 und untherweisung uneynig
sein,3 und, wa ich czu verkundung des wort gotis nicht
sünderlich wer beruffen, alß dann solt ich mich nicht daczu
einlassen,4bhab ich gern verlesenb etc. Gestrenger her, daß wir czeyten
uneynig seind, geschieht der halben, daß wir nit
auff das wort gotis fuessen, und daß wir achten,
alß mochten wir durch unser vernunfftc auch waß
erdencken〈,〉 daß got beheglich5 ist. Alßo ist uneynickeit
in dem artikel〈,〉 die Beicht belangent, endstanden.6 Fur
mein person sag ich, daß ich der schrifft nachgevolgt,
Beruff mich deß auff meyne unverdechtige czuhorern
〈.〉
Ich hab auch gebetten, daß unser obirkeit den predigern
bey eyner sweren peen welt gebieten, nichts czu pre-
digen, dan daß die schrifft inhelt und leret.7 Mich
soll auch〈,〉 gotwil〈,〉 kein tod vom grund der schriffte abfhuren〈.〉
So weiß ich〈,〉 daß got nichts gefeelt, daß nit nach form
heiliger laher endspreiissetd.
Daß auch propheten Men-
schliche sunde, lugen und dreum nennen und lugenhaff-
tige predigern und ire anhorern vermaledeihen. Drum
bleib ich stracks in grunden gotlichs worts. Und laß
mich nicht irren, waß andere leren. Ich weiß auch〈,〉
daß ich niemand ergern kan, dan unchristen.8

Daß ich aber mich selber einlassen solt on beruffung〈,〉
ist auch ßo hin an E'uer' g'naden' gelangt.9 Dan mir geburt
zu Sloße czepredigen.
10 Weil nuhn der probst11 fruh
prediget, hab ich nach der vesper auch czupredigen
Buchsymbol105v furgenomen,12 verstehe mich, ich sey alßo gnugsam daczu beruffen, wie
wolh ich mich an13 daß auch sonste schuldig erkandt, gotis wort czu
predigen. Bin ich doch unwirdige doctor, war umb solt ich nit pre-
digen? Gestrenger her〈,〉 mir ist daß wort vast14 in grosser
swindikeit eingefallen: We mir, wen ich nit predigen
!15 Derwegen
bit ich eur g'naden' wellen mich nit verdencken. Ich weiß auch
wol, wan her solig angebung16 kumen ist. Man ist mir
veind, deß danck ich got.17 Aber ich wil sie nit scheuhen18,
ich waiß mich gerecht19. Daß wil ich mich auch berumen,
daß ich auffrur hasß und flih. Got geb, daß meine
angeber20 nit mit der czeit eynen auffrur werden er-
wecken, der nit gut wirt. Ich verbit auffrur,
So uber trengen21 etliche den armen mann alßo, daß ich
gern welt, sie handelten christlicher. E'uer' g'naden' dancke
ich in hochem fleiß gunstiger erinnerung, wil auch
gern weider antworten, wu von noten. Und hab gar
keynen czweifel, ßo e'uer' g'naden' meine laher nach vermogen
h'eiliger' schrifften werden richten oder urteilen, daß ich wol vor E'uer'
g'naden' und allen verstendigen Christen wil bestehn〈.〉 Der lebendig
got spar22 E'uer' g'naden' gesunt. Datum wittenberg eilig dinstags nach S'ankt'
Blasii23 im xxii.

E'uer' g'naden'
diener Endres, gnant
Carolstat

anachträglich eingefügt
b-bam Rand hinzugefügt
cvom Editor verbessert für venunfft
ddas doppelte i über dem Wort hinzugefügt

1dass wir, die wir allhier predigen.
2Lehre.
5wohlgefällig, angenehm. Vgl. DWb 1,1319; DRW 1, 1438.
6Zu den Auseinandersetzungen über die Messreform und die Beichte vor der Kommunion siehe KGK 218 (Anmerkung).
9Welche Meldung an Einsiedel gelangte, nach der Karlstadt nicht in der Schlosskirche predigen dürfe, ist unklar; auch kann sich die Meldung auf die Christtagspredigt Karlstadts bezogen haben, die außer der Reihe erfolgte; vgl. Barge, Karlstadt 1, 357–362.
10Zum Recht des Archidiakons, an der Schlosskirche zu predigen, siehe KGK 218 (Anmerkung).
12Zur Aufteilung der Predigtzeiten siehe KGK 218 (Anmerkung).
13ohne.
14recht wohl. Vgl. DWb 3, 1349 Nr. 4b.
15Vgl. 1. Kor 9,16 Vg »[…] vae enim mihi est si non evangelizavero.«
16Anzeige.
17Zu den Reformgegnern, die sich zunehmend auch zu Gegnern Karlstadts entwickelten, siehe KGK 218 (Anmerkung), die Einleitung zu KGK 217 sowie KGK IV, Nr. 207, S. 680–686. Im Brief an Einsiedel vom 5. Februar distanzierte sich auch Melanchthon deutlich von Karlstadt (und Zwilling); s. Müller, Wittenberger Bewegung, 181 f. Nr. 84; KGK 217 (Textstelle).
18Im Sinne von: Ich will keine Scheu vor den Verleumdern zeigen.
19im Recht, mit dem Ritus übereinstimmend. Vgl. DWb 5, 3599 Nr. 5d; 3601 Nr. 7a.
20Ankläger, Denunziant. Vgl. DWb 1, 338.
21bedrängen. Vgl. DWb 23, 160.
22bewahre, schütze. Vgl. DWb 16, 1921 f.
23Der Blasiustag war der 3. Februar (Montag), der Dienstag danach ist also der 4. Februar.

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