Nr. 221
Vertreter der Universität Wittenberg an die kurfürstlichen Räte -- Stellungnahme zur Supplikation des Stiftskapitels
[[Eilenburg], 1522, 13. Februar]

Text
Bearbeitet von Harald Bollbuck

aAntwurt der von der univer-sitet zu Wittenberg uff des Capittels und Feldkirchens1 ubergeben suplicacion.a2

Buchsymbol18r Gestrenge〈,〉 ehrnvheste〈,〉 gunstige〈,〉 libe hern〈,〉 nach dem
dy hern des capittels lauts eyner supplication an m'einen' g'nedig'st'en'
h'errn'〈,〉 iczt vorleßen〈,〉3 unß beclagt4 haben〈,〉 ßo woln wir uffs
kurczte dy selbige supplication stugk weiß vorantworten und
alzo〈:〉

Czu ersten, eß ist war〈,〉 das unser genedigester 〈her〉 eyn
commission und befel gethan〈,〉5 das keyn neurung mit
der messe nach6 czur czeit sult vorgenommen werden〈.〉
dy weil aber doctor Karlstatb eyns yn dem stifft〈,〉 das
ander mal in der pfar dy messe vorendert und uff
eyn ander art angefangen hath
〈,〉7 darauff yn der pfar
ayner sustc〈,〉 der ander ßo〈,〉 dan8 ordenung und meß gewandd meß gehalden haben〈,〉 das der
radt und dy gemeyn sampt den umbligenden nackwerne9 sich
darauß geergert und bestorzt seyn wurden, das sie nit
haben gewust, was sie thun sullen〈.〉10

Derhalben haben sy unß funffen11 nach vorsamlung
und radtschlag der universitet gebethen〈,〉12 yhnen czu raten〈,〉
wy man doch mit der sach furthyn thun sulde〈,〉 uff das
yn der pfar eyn einigef〈,〉 bestendige weiß und form mit der
meß gehalden wurde〈.〉

Darauff haben wir unser gutdungkeng
und radtschlag, ßo vil wir vorstandenh, yhni
angeczeigt13 und haben es der maß〈,〉 wy iczunt dy meß
yn der pfar gehalden wirt〈,〉 vor gut angesehen und sehns
ouch nach do vor an〈.〉

Der bilde halben haben wir beschlussen uff dem radthaußj〈,〉 das sie sullen
durch dy obirgkeit, kwelcher alleyn eß czu stehet, aigent und geburtk〈,〉 abgethan werden und das nimant keyn
hand solle anlegen〈,〉 er wurde dan do czu geordent
.14 Das
aber etliche ungeschigkt15 do mit seyn umgegangen〈,〉
ist an16 unser schuld und czuthun〈,〉 ouch seynt dy
ubertreter eyn teils vom radt gestrafft,17 etlich seynt
entwurden18〈.〉

Buchsymbol18v Dy weil ouch under den christen keyn betler
seyn sollen und nimant betteln sullen lasßen〈,〉 sunder
den armen leuthen〈,〉 der all weg vil under unß
seyn wirt〈,〉19 geben〈,〉 rathen und helffen sullen〈,〉 ehr sie betteln,
Szo haben wir vor gut lund rechtl angesehn〈,〉 wy wir ouch nach
thun, das dy czinß und rendt der bruderschafften〈,〉
dy gar keyn nucz seyn dan czu fresßen und sauffen〈,〉
do czu soln vorordent werden〈.〉20

Deß gleichen〈,〉 dy weil dy messen nüe müssen
und sullen abgehn, ßom wer gut〈,〉 das dy lehn21
ouch do czu geschlagen wurden〈,〉 der halben〈,〉 ßo sich
eyn lehn vorledigt〈,〉 sol es nicht mehr vorligen22
werden〈,〉 das der pfaffen ouch weniger wirt〈,〉 und
kan alzo dem armut woln gehulffen werden〈.〉23

Das sy aber sagen, wir sullen dy gemeyn und
studenten wider sy reiczen und ergrymmen〈,〉 thun sie
warlich unß unrecht〈,〉 wy wir mit dem ganczen hauffen24
czu wittenberg beczeugen konnen. Dan sie machen es
selbst mit yrem argen worten〈,〉 das oetliche under yhno diß ding phinder unßp25 czu
ser und bitter anfechten und do wider reden.


a-afehlt a
bKarstat a
csunst b
d-dam Rand hinzugefügt a
enachparn b
fam Rand hinzugefügt a
gfolgt gestrichen so vil wir recht a
hhsl. korrigiert aus standen a
ifolgt gestrichen yhn mit getult a
jüber der Zeile hinzugefügt a
k-kam Rand hinzugefügt a
l-lüber der Zeile hinzugefügt a
mfolgt unleserliches Zeichen a
nüber der Zeile hinzugefügt a
o-oam Rand hinzugefügt a
p-püber der Zeile hinzugefügt a

1Johannes Dölsch, gen. Feldkirch.
2Die beiden Supplikationen des Stiftskapitels und des Dekans Johannes Dölsch (gen. Feldkirch) an Kfst. Friedrich III. sind verloren gegangen; vgl. Müller, Wittenberger Bewegung, 184 Nr. 86.
3Bezug auf den Vortrag der Supplikation des Stiftskapitels (s. o. KGK 221 (Anmerkung)) und die daraus folgende Instruktion an die kfstl. Räte Hugold von Einsiedel und Christian Beyer für die Verhandlungen mit den Universitätsvertretern, gegeben vor dem 13. Februar 1522. Vgl. Müller, Wittenberger Bewegung, 190 Nr. 92: »Nach Verleßner Suplicacion ist inen zusagen […].«
4angeklagt. Vgl. DWb 1, 1417 f. Nr. 1.
5Kfst. Friedrichs III. Instruktion für Christian Beyer, Lochau, 19. Dezember 1521; vgl. Müller, Wittenberger Bewegung, 123–127 Nr. 56, bes. 124.
6noch.
7Karlstadt hatte Gottesdienste in der Pfarr- und in der Stiftskirche in evangelisch-reformierter Form gehalten: mit der Austeilung des Abendmahls unter beiderlei Gestalt, ohne Beichte vor der Kommunion, ohne Opfer und Elevation, mit deutschen Einsetzungsworten und reduziertem Gesang. Das erste Mal hielt er diesen Gottesdienst am 25. Dezember 1521 in der Stiftskirche; bald darauf kündigte er an, er wolle täglich nur ein Kapitel aus der Bibel verlesen; vgl. KGK IV, Nr. 210; Barge, Karlstadt 1, 358–362; Kaufmann, Abendmahl. Zudem hielt er mit Erlaubnis des Stadtpfarrers Simon Heins Gottesdienste in der Pfarrkirche ab; vgl. Müller, Wittenberger Bewegung, 136 Nr. 63; Bünger/Wentz, Brandenburg, 136; s. auch KGK 220 (Textstelle) mit KGK 220 (Anmerkung). Gegenüber dem kfstl. Rat Hugold von Einsiedel verteidigte Karlstadt seine Gottesdienste, die er dem biblischen Bericht gemäß abgehalten habe; s. KGK 218 (Textstelle); KGK 218 (Textstelle).
8ohne.
9Nachbarn.
10Dies bedeutet eine Distanzierung des Anfang Februar 1522 sein Amt antretenden neuen Rates unter dem Bürgermeister Christian Beyer, der zugleich als kfstl. Rat agierte, von der Uneinheitlichkeit, mit der der Gottesdienst seit Ende des Jahres 1521 in Wittenberg abgehalten wurde. Zum neuen Rat vgl. Müller, Wittenberger Bewegung, 172 Nr. 74 Anm. 4 u. Bubenheimer, Aufruhr, 176–179; zu den distanzierten Berichten Beyers über die »ungestumen predigen karlstat und gabriels« vgl. Müller, Wittenberger Bewegung, 175 Nr. 76; 177 Nr. 80. S. auch Oehmig, Wittenberger Bewegung, 110 f. und Krentz, Ritualwandel, 208 f.; hier wird allerdings die Bedeutung des Ratswechsels geringer angesetzt.
11Der für die Verhandlungen einberufene Fünferausschuss der Universität; siehe KGK 221 (Textstelle).
13Vermutlich ein heute verschollenes, weiteres Verhandlungsdokument.
14Die Wittenberger Stadt- und Kirchenordnung wurde auf dem Rathaus beschlossen; vgl. Müller, Wittenberger Bewegung, 174 f. Nr. 75. Artikel 13 befasst sich mit der Abschaffung der Altarbilder; vgl. KGK 219 (Textstelle).
15unrecht, ungehörig. Vgl. DWb 24, 842 Nr. 3b. Hier in Bezug auf die geplante Bilderentfernung in den Kirchen gemäß Stadtordnung.
16ohne.
17Zur Bestrafung der für die Tumulte Verantwortlichen vgl. KGK 221 (Anmerkung).
18herabgesetzt. Vgl. DWb 3, 663.
19Bezug auf Mt 26,11; Joh 12,8.
20Laut Stadtordnung sollten die Zinseinnahmen der Bruderschaften und auch der Zünfte in einen Gemeinen Kasten eingehen; aus diesem sollte die Armenfürsorge Gelder erhalten (KGK 219 (Textstelle)). Im Brief an Peter Burckard vom 3. Februar 1522 berichtete Johannes Dölsch über das Ende der Bruderschaften in Wittenberg; vgl. KGK 217 (Textstelle). Doch ist dessen Aussagen mit Vorsicht zu begegnen. Das Inventar der Bruderschaft »Unser Lieben Frauen« an der Pfarrkirche Wittenberg vom 29. April 1522 verzeichnet weiterhin Zinsgulden, Kauf- und Schuldbriefe, ein Lot Silber, Wachs und Kerzen sowie viele weitere Gegenstände; vgl. Gornig, Rechnungen, 268.
21Hier die Pfründe eines Altars.
22verliehen.
23Erledigte Pfründen sollten gemäß Artikel 2 der Wittenberger Stadt- und Kirchenordnung nicht wieder besetzt und stattdessen der Armenversorgung zugeschlagen werden (KGK 219 (Textstelle)). Da die bestifteten Opfermessen und das Messoffertorium abgeschafft wurden, verringerten sich die Einnahmen. Der Brief von Dölsch an Burckard liefert die Perspektive des Reformgegners auf diesen Zusammenhang; vgl. KGK 217 (Textstelle).
24Zum Begriff des kleinen Haufens und seiner polemischen Verwendung in der Debatte um die Messreform zwischen reformorientierten und reformfeindlichen Mitgliedern von Universität und Stiftskapitel vgl. KGK IV, Nr. 207, S. 684 u. 688, Z. 19–21 mit Anm. 11.
25hinterrücks, hinter dem Rücken.

Downloads: XML · PDF (Druckausgabe)
image CC BY-SA licence
»