Nr. 215
Sendbrief von seiner Wirtschaft. Neue Zeitungen von Pfaffen und Mönchen.
1522, Januar

Text
Bearbeitet von Stefania Salvadori
BuchsymbolA1r

Sendtbrieff. D'omini'aAndree Boden'stein'von Carolstadta meldende seiner
Wirtschafftb1.
Neue getzeytc vonn pfaffen unnd moͤnchenn tzu


Wittembergd außgangene.

wittembergf

BuchsymbolA2r Edeln ernwirdigen gestrengen Ernvehsten2/ hochgelerteng Er-
bern und vehsten/ mein undertenig unverdrossen dienst/ Seindt
euern gnaden unnd gunsten/ stets vleis zuvor bereyt/ gnedige
gunstige gebitende geliebt hernn〈.〉 Ich han3/ in heyliger schrieffth
vermargk4/ das kein standt/ got behegklicher ist/ dan der Ehlich
standt/ das auch keyn leben Christlicher freyheyt nutzer unnd
dinstlicher sey dann das Ehlich lebenn/ welchs mit vil unnd
grossen benedeiung/ auch begnadt so das selb lebenn wirt goͤt-
lich gelebt/ wie es got eingesetzt.5 Ich hab auch behertzt das
got seyne priester zu Ehlichem Standt erfordert/ unnd ynen
from ehlichs lebens vorgeschrieben hat/ darnach zu lebenn/ so
betracht ich auch in ansehung das vil arme elende und vor-
lorne pfaffen yetzt in des teufels gefencknis und kercker liegen6

denen ane zweyfel durch gut vorbildt unnd Exempel moͤcht
gerathen und geholffen werden/ der halben han7 mich offent-
lich/ in beyweseni8/ etlicher meyner hernn unnd freunde mit der
Erbern junckfrauenn Anna Moschau vorlobt9 unnd bynn
willens/ so got wil/ die hochtzeyt uff sant Sebastians abent/
schirst kommende10/ antzufahen/ unnd volgentagk in beywesenj11
meyner gelibten hern forderer/ gonner unnd freunde also zuvol-
tzyhen dennach.12
E'uer' G'naden' unnd gunsten dinstlichs fleyß bittende
E'uer' G'naden' gunsten wollen uff obgnantenn abent sant Sebastian
sich alhie gnedigklich unnd gunstlich ertzeygen/ solche wirdt-
schafftk/ in froͤlickeyt unnd wolleben/ zubetzeygen/ das wil ich
umb E'uer' G'naden' und gunstenn alletzeyt meynes hochsten vormoͤ-
gens/ zuvordienen gehorsam unnd willig erfunden werdenn.13
Datum Wittembergk Sontag Circumcisionisl. Anno. xxii.14

Euer G'naden' und gunst

gehorsamer, williger

Andreas Bodenstein

Andreas Bodenstein-
vonn Carstadtm.

BuchsymbolA2v

nIn dem namen des hern.n

Wir Vicarien/ Doctores/ unnd Priores des ordens einsideler
Sancti Augustini der vorsamnung in Deutschen landeno/ zu gleich
in dem heyligen geyst zu Wittembergp vorsamlet/15 angesehen das
Evangeliumq unsers hern Jhesu Christi/ unnd die warheyt/ be-
finden/ das vil menschenn ferligkeyt leyden/ rvil schwacherr im
glauben geergert werden/ auch dass vil hinderniß des rechten
Christenlichens lebens und geystligkeyt eingefurett seyn. Wilchen
schaden und gefeeru zu wenden/ haben wir in volgende artikelev
eintrechtlich vorwilligt16/ mit vorgehaltem radtschlag und be-
dencken/ nit alleint unser/ sondern auch anderer frumenw Chri-
sten/ also doch/ das da frey bleybe unnsern veterenx ausprechen
auff das nheste Capitel/17 auch allen andern die gotes gesetzy lieben/
gotesz friede geniessen/ und die gotaa furchten.

Czum Ersten

So viel/ als an unns steht/ geben wir allenn unnsern bruedern
Evangelische und Christlich freyheyt/ also das die/ die wollen
den schein unsers ungeschickten lebens bißhyr/ vorlassen/ und
mit uns nach der Evangelischen lere leben/ das thun moͤgen.18

So aber ymant in volkommelicher weyse/ dem hern Christo
dienen will/ dem soll es frey und erlaubt seyn. Wir wollen aber
damitab niemant ursach geben haben/ das er sich in fleyschlicheac
freyheyt geben wolle.19

Czum Andern

Die weyl das kleydt/ widderad forderlich nach hynderlich ist/ und
BuchsymbolA3r keyne andere außerliche gestaldt/ so gefelt unns wol/ das wir
unser kleydt behalden/ biß das uns der geyst unsers hern Jhe-
su Christi anders leren wirt.20

Czum Dritten

Wir werffen hynweg allerleyae dinstbarckeyt des geytzes und der
sunde/ so vil menschliche kranckeyt leydenaf mag21/ unnd sonder-
lich des bettels22 unnd allerley jarmarckts/ als in votiven unnd
seel messen
/ und in allen andern sachen.23

Czum Vierden

Wem got die gnade geben hat/ das er in einer vorsamlung imag
wort der heyligen geschriefftah/ die leuthe unterweysen mag/ der
soll es thun. Dann dasselbai ist das eynig werck/ durch wilchs
mann got dienet im geyst/ unnd in warheyt. Die andern ajaber
sollenaj fleyß ankeren in euserlichen arbeytak unnd ubung/ auff das
sie haben darvon sie leben/ und andern notdurfftigen zu hilff
kummen moͤgen.24

Czum Funfften.

Wer aber nochal dem fleysch lebenn wil (das got vonn eynem
yetzlichen fromenn abwende) den lassen25 wir dem gotlichem
gericht. So yemandt aber die warheyt unnd got suchen will/
dem rathenn wir bruͤderlich unnd getreulich/ unnd vorma-
nenam yn darneben/ das er dem oberisten und vorsteheran so er et-
was gebeut/ nach dem gesets gottes oder nach rechter lieb/ sich
nicht beschwer gehorsam zu seyn.

BuchsymbolA3v

Czum Sechsten.

Nach der weyse des heiligen Pauli/ sollen wir mit den Juden
Juden seyn/ unnd mit Krichen Krichenao/ und des gleychen/26
also das wir die sache rechtap ermessen/ und umb der ceremonien
willen anderer euserlichen dinge als kleyder27 und nit vorliesenaq die
liebe des glaubens/ unndar Christlichenn fried nit bekummerasatnach
zurbrechenat.au28

Invictas Martini29 laudes intonent Christiani
Sparsasav reduxit oves ad Christum aberrantes
reconciliavit peccatores
Fortis viri libellos oppressere tyranni
dux vite Martinus regnat vivus
Dic nobis Martine verax iuste et pie doctrinam
Christi viventis et gloriam passim resurgentis
Angelicos testes/ Paulum Evangelistas surrexit Christus
spes mea Romam aversans ut Gomorream
Credendum est magis soli Martino veraci quam
papistarumaw turbe fallaci
Scimus Christum revixisse per Martinum vere
tu nobis illum deus tuere.
axSequentia in laudem resurgentis Christi per Lutheranosax30

BuchsymbolA4rayItem der probst zů Wyttemburg hat ein volckyn zů der
Ee genomen31 ⁌ Ein barfusser můnchaz ist ein schusterba
worden und eins burgers dochter genomen〈.〉
Ein ander barfusser ist ein beck worden und ein frau gnomen
⁌ Ein augustiner ist ein schriner worden und ein frauu
genomen32 ⁌ docter veltkyrch hat syn koͤchin gnomen33
der Rott34Wittemburg hat den barfussern und au-
gustinern35 gsagt/ Sy sollen die closter vor mitfasten36 ru-
men/ und haben alle clinodt in klostern uff gzeychnet
〈.〉37
Allgemein frauuen sin vertriben/ sitz einer in der uner38
der muß sy elichen oder farenlossen39 ⁌ der ratt hat viiii
menner gesetzt oder gordnet die sollen alle arme leut/ de
in der weyssen40 den gidt41 der ratt von den geischlichen42 ei-
nem yegklichen noch siner notdorfft〈/〉 einem alten prister
vi. gulden/ ein junger sol ein hanwurt43 leren〈.〉44 ⁌ Eyner
ist ein saltzfurer45 Worden noch by46 der stat. Item her
Cunrat meyns gnedigen heren senger hat all sin lehen
verlossen.47 ⁌ Her paulus důmherr zů Wyttemburg sen-
ger gewest hat alle sin lehen verlossen.48 ⁌ der pfarher in der
stat hot alle syn lehen verlossen49 ⁌ die pfarhern und an-
der trefflich herren die mir unbekant syn. ⁌ die pfar kilch50
stet alle tag zů/ on51 am sontag helt man ein tutsche meß
dar in und prediget/ und das volck godtser zum hoch-
wirdigen sacrament und nements selbs uff dem altar und
nement den kelch selbs in die handt/ und trincken das blůt
christi〈.〉52 Zů der lach53 helt unser bischoff jn der pfarhen tu-
tsche meß und das volck Conmuniciert auch sub utraque
specie Nements auch beider gstalt vom altar54 ⁌ des gli-
chen hat man zů gessen55stundtberg56Eclenberg57/ zů her-
tzberg am sontag noch valentini58 angefangen59〈.〉
BuchsymbolA4v Am sontag nach valentini ist ein fremder prister bbzů denbb bar-
fůsernbc in der predichbd gewesenbe hat mit lutter stim gesagtt
her domine sagt uns von dem Evangelio/ ist zum anderren
mall geschechen/ dar noch ist der můnch von predigstul gangen.
⁌ Zů schleben60 hat der pfarrer61 gpredigetbf do sagtbg ein student
von Wirtenburg/ liebes volck her lucht62 und legt die heylg
geschrifft falsch uß〈/〉 dobh ist erbi in gefengnis gesetzt worden〈.〉
undbj hat sich herbotten mit den pfarrer zu disputieren/ d〈o〉bk
hat der student recht behalten und den pfarrerbl uber wunde〈n.〉

Mynchbm und pfaffen lassen blatten verwassen63bnund nehmen ewib〈er〉bn〈.〉

ay


a-aAndree Bodenstein von Carolstad C; An. Boden. von Carolstat D; w Andree Boden. von Caralstat E; Andree Boden. von Carstat F
bwirtschaat E
cgeschicht B, E, F
dWittenberg E, F
efehlt E
ffehlt C; wittenberg. E; wyttemberg F
ghochgelerlerten E, F
hgeschrifft D; gschrifft E, F
ibeweysen D
jbeweysen D
kwurdtschafft E, F
lCircumsionis A, B, C; Circumcsionis D; Circensionis E
mCarolstadt C; Carlstatt D
n-nfehlt E, F
osanden E
pWittenburg E, F
qEvangelinm E
r-rvilschawacher E, F
sfehlt E, F
teingefuert C
ugefert B; gefertt E; gesert F
varlickel C; artickel D, E
wfrummer B, D; frummerr E, F
xvetter C; vettren E; vettern F
ygesatz E
zgott E, F
aagotes E, F
abdo mit E
acfleyschlicher D
adweder D, E
aealle C
aferliden E
agm E
ahschrifft D
aidasselbig D
aj-ajsollen aber E
akarbeitenn E
alnach E, F
amermanen B, E, F
anverstecher E, F
aofolgt sein C
apfehlt E, F
aqverlieren D
arfehlt E
asbekummren E
at-atnoch zerbrechen B, D, E, F
aufolgt Sequentia in laudem resurgentis Christi per Lutheranos. C, D
avSparsis A, B, C, D
awpapistarnm A
ax-axfehlt C, D
ay-ayfehlt A, B, C, D
azvom Editor verbessert für můuch
bavom Editor verbessert für schustre
bb-bbzun
bcbar∥fůssen F
bdpredig F
begewefen F
bfgeprediget F
bghat F
bhfehlt F
bifehlt F
bjfehlt F
bkfehlt F
blpfarherren F
bmMůoch F
bn-bnfehlt F〈er〉

1Hauswirtschaft, aus dem griech. oikonomia, aber auch Hochzeit, connubium. Vgl. DWb 30, 666–670.
2ehrenhaft.
3habe.
4vermerkt, bemerkt.
5Karlstadt hatte das eheliche Leben in Gegensatz zum Klosterleben auch in den Schriften zum Zölibat (KGK IV, Nr. 190 und KGK IV, Nr. 203) des vorherigen Jahres gelobt. Siehe vor allem die Abschlussrede an Georg Reich in Von Gelübden Unterrichtung, KGK IV, Nr. 203, S. 588, Z. 19–S. 592, Z. 11.
6Als Gefängnis des Teufels ist hier das Klosterleben, insbesondere die Mönchsgelübde und das Keuschheitsgelübde gemeint. Siehe nochmals KGK IV, Nr. 190 u. KGK IV, Nr. 203.
7habe.
8im Beisein, in Anwesenheit.
9Die Verlobung Karlstadts mit Anna von Mochau fand am 26. Dezember 1521 statt, anwesend waren unter anderem Melanchthon und Jonas. Siehe dazu die Einleitung zur vorliegenden Edition.
10schier kommend, bald kommend, nächst kommend. Vgl. DWb 15,19–27.
12Der Gedenktag des Hl. Sebastian ist am 20. Januar. Die Hochzeitsgäste versammelten sich zum Feiern vermutlich am 19. Januar, also am Abend unmittelbar davor; die Hochzeit wurde am 20. Januar vollzogen. Die ungenauen Mitteilungen, die Felix Ulscenius am 1. Januar 1522 an Wolfgang Capito übermittelte, stützten sich offenbar auf Gerüchte: »D. Karolstadium in xiiii. diem nupcias celebraturum aiunt« (Müller, Wittenberger Bewegung, 136 Nr. 63).
13Siehe auch die ähnlich formulierte Einladung im Brief an Kurfürst Friedrich in KGK 216.
145. Januar 1522.
15Zu diesem Generalkapitel des Ordens der Augustinereremiten, das um 6. Januar in Wittenberg stattfand, und dessen Beschlüssen, die im Folgenden in einer deutschen Übersetzung wiedergegeben sind, siehe KGK 215 (Textstelle).
16einwilligen.
17D. h. zum Generalkapitel an Pfingsten 1522 in Grimma. Vgl. die Beschlüsse in Kapp, Nachlese 2, 535–542.
18Gemeint sind hier wohl die Mönchsgelübde, die nicht mehr als gültig anerkannt und deshalb mit Verweis auf die evangelische Freiheit aufgehoben wurden. Karlstadt selbst hatte sich in seinen früheren Schriften ausführlich mit dem Thema beschäftigt – siehe vor allem KGK IV, Nr. 179, Nr. 180, Nr. 181, Nr. 190 und Nr. 203 – und insbesondere das Keuschheitsgelübde zugunsten des in seinen Augen gottgefälligeren Ehelebens auch in der vorliegenden Schrift verworfen.
19Die evangelische Freiheit – die einer vollkommenen Unterwerfung unter den göttlichen Willen entspricht – ist also nicht mit der weltlichen, fleischlichen Freiheit zu verwechseln.
20Obwohl (Priester- und Laien-)Kleidung zu den im Evangelium freigestellten Dingen gehören – vgl. z. B. die AdelsschriftLuthers (WA 6, 456,21; Kaufmann, Adel, 418 f.) – war die symbolische Bedeutung und die soziale Funktion der Kleidungsstücke in den darauffolgenden Jahren auch innerhalb der Wittenberger Reformation vor allem nach Luthers Rückkehr im März 1522 zunehmend umstritten; vgl. Krentz, Ritualwandel, 231–234; 254 f. Zum späteren Streit zwischen Karlstadt und Luther über ebendieses Thema, nachdem Karlstadt entschieden hatte, sich in den grauen Rock eines gemeinen Landmanns zu kleiden und sich als neuer Laie zu präsentieren siehe Kaufmann, Anfang der Reformation, 472–486.
21In der lateinischen Fassung: »quantum humana permittit fragilitas«; vgl. Müller, Wittenberger Bewegung, 148,23 Nr. 67. Zu dieser Vorbehaltsklausel beim Keuschheitsgelübde und Karlstadts Kritik daran siehe KGK IV, Nr. 181, vor allem Th. 6.
22Zum Verbot des Bettelns vor dem Hintergrund der Wittenberger Neuregelung des Armenwesens im Februar 1522 siehe KGK 219.
23Ganz allgemein werden alle Gewinnmöglichkeiten (hier »Jahrmarckt«, im lateinischen Text »quaesus«, vgl. Müller, Wittenberger Bewegung, 148,24) verurteilt, durch welche einfache Gläubige zu Spenden oder Zahlungen von Geld oder Gütern für Messarten ermutigt wurden. Sie hatten wie Votiv- oder Totenmessen im reformatorischen Sinn keine Grundlage in der Schrift und waren deshalb abzulehnen. Der Reform bzw. Abschaffung der Seelenmessen hatte Luther den 16. Artikel seiner Adelsschrift (1520) gewidmet; vgl. WA 6, 444,22–445,6; Kaufmann, Adel, 333–339. Die Kritik an diesen Messformen – die in Luthers Augen nur Erfindungen des römischen Papsttums seien, um aus dem christlichen Volk noch mehr Geld herauszupressen – wird 1521 in De abroganda missa privata und Vom Missbrauch der Messe ausgeführt; vgl. WA 8, 398–563. Die Frage nach der von Christus eingesetzten Form der Messe wurde im Herbst und Winter 1521/1522, mit Meinungsspaltungen auch innerhalb des Lagers der Reformer, zentral; vgl. KGK IV, Nr. 207 und Müller, Wittenberger Bewegung, 100–106 Nr. 48 f. Eine allgemeine Kritik an der Stiftung von Geld und Gütern findet sich auch in KGK IV, Nr. 179 und KGK IV, Nr. 180.
24Das Bettelverbot gilt insbesondere für die Bettelorden: Mit Ausnahme derjenigen, die durch die Heilige Schrift ihre (Ordens-)Brüder unterweisen sollten, mussten alle anderen Mönche arbeiten, um sich und die Hilfsbedürftigen zu versorgen. Auch diese Kritik an den Bettelorden war in Wittenberg nicht neu. Luther hatte sie zum Beispiel in der Adelsschrift formuliert (vgl. z. B. WA 6, 438,13–34; Kaufmann, Adel, 280–285), ebenso Karlstadt in der Franziskanerdisputation (1519), vgl. KGK II, Nr. 139 S. 511 Z. 9–S. 512 Z. 10. Siehe den 15. Artikel der Wittenberger Stadt- und Kirchenordnung, KGK 219 (Textstelle).
25überlassen.
28Es gehörte zur christlichen Freiheit, dass die Gläubigen nicht durch kirchliche Gesetze gezwungen werden sollten, sondern frei waren, selbst über Dinge, die von Gott weder geboten noch verboten waren, zu entscheiden. Dieses Prinzip wird auch von Luther in der zweiten der Invocavitpredigten am 11. März 1522 bestätigt; vgl. WA 10.3, 21,26–33.
30Es handelt sich hier um eine bekannte Parodie der Ostersequenz »Victimae paschali laudes« des Wipo von Burgund (vor 1000–um 1048): »Victimae paschali laudes immolent Christiani. ∣ Agnus redemit oves: Christus innocens Patri reconciliavit peccatores. ∣ Mors et Vita duello conflixere mirando: dux vitae mortuus, regnat vivus. ∣ Dic nobis, Maria, quid vidisti in via? Sepulcrum Christi viventis, et gloriam vidi resurgentis, ∣ Angelicos testes, sudarium et vestes. Surrexit Christus spes mea: praecedet suos in Galilaeam. ∣ Credendum est magis soli Mariae veraci quam Judaeorum turbae fallaci. ∣ Scimus Christum surrexisse a mortuis vere: Tu nobis, victor Rex, miserere. ∣ Amen. Alleluia.« Zu dieser bald nach dem Wormser Reichstag entstandenen Sequenz siehe Clemen, Martini laudes; Schilling, Passio, 149–151.
31Justus Jonas aus Nordhausen (1493–1555) war Humanist und Rechtsprofessor in Erfurt, stand in freundschaftlichem Verhältnis zu Erasmus und wurde – u. a. auf Spalatins Vorschlag und mit der Zustimmung Luthers und Melanchthons – im Juni nach Wittenberg als Propst des Allerheiligenstiftes und Professor des kanonischen Rechts auf die Stelle des am 21. Januar 1521 verstorbenen Henning Göde (vgl. KGK IV, Nr. 174) berufen. Am 24. September 1521 wurde er unter Karlstadts Vorsitz zum Lizentiaten der Theologie promoviert (siehe KGK IV, Nr. 195, S. 384 f.); am darauffolgenden 14. Oktober zum Doktor der Theologie; vgl. Liber Decanorum, 25 f. Er nahm aktiv an der Diskussion um die Mönchsgelübde und die Priesterehe teil, indem er sowohl – zusammen mit Karlstadt und Melanchthon – im Sommer 1521 zur Verteidigung von Jakob Seidler auftrat (siehe KGK IV, Nr. 185) als auch LuthersDe votis monasticis (WA 8, 564–670) ins Deutsche übersetzte; vgl. Von denn geystlichen und kloster gelubden Martini Luthers urteyll (1522) = VD 16 L 7327. Am 9. Februar 1522 heiratete JonasKatharina von Falck (um 1507–1542). Zu Jonas – auch hinsichtlich weiterer bibliographischer Angaben – siehe Leder, Art. Jonas und Dingel, Jonas.
32Laut Müller, Wittenberger Bewegung, 209 Anm. 3 handelt es sich vermutlich um Johann Gerlender. Der ehemalige Augustinermönch hatte das Kloster Ende 1521 verlassen und das Wittenberger Bürgerrecht erworben. Vgl. Wentz, Augustinereremitenkloster, 496; Kruse, Universitätstheologie, 331. Schon im Herbst 1521 waren mehrere Augustinermönche ausgetreten, wie der Prior Konrad Helt am 12. November an Kfst. Friedrich berichtete: Sie haben nicht nur »das kleidt des ordens von sich geworffen« sondern auch »uns und dem heiligen orden zu spot und schmoch in der stadt wittenberg, eczlich under den burgern, eczlich unter den studenten sich enthalten und lose pursch wider mich und di andern, di wir noch verhanden, reizen und erpittern, also das wir uns alle stundt verlikeit unser unnd des closters zubesorgen haben.« (Müller, Wittenberger Bewegung, 68 Nr. 28). Siehe auch den Bericht des Felix Ulscenius an Wolfgang Capito vom 30. November (Müller, Wittenberger Bewegung, 71 Nr. 31).
33Zu Johannes Dölsch aus Feldkirch (1485–1523) siehe KGK I.2, Nr. 82, S. 775 Anm. 3. Er hatte zwischen Mitte Februar und Anfang März seine Haushälterin geheiratet. Vgl. Müller, Wittenberger Bewegung, 210 Anm. 1.
34(Stadt-)Rat.
35Zu wachsenden antiklerikalen Angriffen (von Studenten, ehemaligen Mönchen oder Bürgern) gegen das Augustiner- und das Franziskanerkloster in Wittenberg zwischen November 1521 und Januar 1522 siehe Müller, Wittenberger Bewegung, insbesondere 67 f. Nr. 28 und 31; 71 f. Nr. 36; 151–164 Nr. 68. Siehe dazu auch Kruse, Universitätstheologie, 317–343; Doelle, Franziskanerkloster.
36Mitte der Fastenzeit; im einzelnen Bezug auf den 3. Mittwoch nach Aschermittwoch sowie auf den Sonntag Lätare, d. h. am 30. März 1522. Siehe auch den Bericht vom 6. Januar 1522 in Müller, Wittenberger Bewegung, 151–164. Nr. 68.
37Diese Aufforderung lässt sich vor dem Hintergrund der damaligen Zentralisierung des Fürsorge- und Armensystems seitens des Stadtrates Wittenbergs verstehen, der mit der Unterstützung der Vertreter der Universität – u. a. auch Karlstadt – am 24. Januar 1522 eine neue Stadtordnung verabschiedete; siehe die 5. und 6. Artikel der Wittenberger Stadt- und Kirchenordnung, KGK 219 (Textstelle). Vgl. auch dazu Kruse, Universitätstheologie, 362–369.
38Unehre.
39Der erste Beschluss des am 6. Januar gehaltenen Generalkapitels der sächsischen Kongregation der Augustinereremiten (s. o. KGK 215 (Textstelle)) bedingt die Ablehnung des Konkubinats. Mönche müssen entweder ein wahres monastisches Leben im Zölibat führen oder ihre Frauen heiraten und das Kloster verlassen. Siehe aber hier allgemein das Verbot der Prostitution in dem 15. Artikel der Wittenberger Stadt- und Kirchenordnung, KGK 219 (Textstelle).
40Die Textpassage »de in der weyssen« ist unklar.
41Vermutlich: gibt.
42Geistlichen.
43Handwerk.
44Siehe den 12. Artikel der Wittenberger Stadt- und Kirchenordnung, KGK 219 (Textstelle). Diese teilweise unklare Stelle, die sich vermutlich auf die Durchführung der Beutelordnung bezieht, interpretiert Barge, Armenordnung, 214 f.: »Die Beutelordnung ist in Kraft getreten. […] Dies beweist der Umstand, daß in einem in die Zeit zwischen 16. Februar und 6. März fallenden Bericht über Vorgänge in Wittenberg die Durchführung der Beutelordnung vorausgesetzt wird. Daselbst heißt es: ›Der ratt hat xiiii menner gesetzt oder geordnet, die solle alle arme leut‹ usw. Die folgende Worte sind verderbt, doch geht aus ihnen hervor, daß an die Bestimmung der Stadt-Ordnung gedacht ist, den Geistlichen solle für den Ausfall ihrer Einnahmen 6 Gulden Entschädigung gewährt werden.«
45Einer, der Salz transportiert. Vgl. DWb 14, 1714.
46nahe bei.
47Vermutlich der Kapellmeister Konrad Ruppsch; vgl. Müller, Wittenberger Bewegung, 210 Anm. 4; 395–404.
48Vermutlich Paul Knod, Mitglied der von Konrad Ruppsch geleiteten Hofkapelle; vgl. Müller, Wittenberger Bewegung, 210 Anm. 5; 288–295.
49Vermutlich der Stadtpfarrer Simon Heins; vgl. Müller, Wittenberger Bewegung, 210 Anm. 6; 279–284. Zu Heins siehe auch KGK IV, Nr. 210, S. 727 Anm. 19 und KGK 220 (Anmerkung).
50Pfarrkirche. Hauptkirche eines Pfarrbezirks, einer Pfarrei.
51nur.
52Zur von Karlstadt gehaltenen ersten Messe unter beiderlei Gestalt am 25. Dezember 1521 siehe KGK IV, Nr. 210.
54D. h. Franz Günther, der durch Luthers Vermittlung im August 1520 Pfarrer in Lochau wurde. Er nahm in Anlehnung an die Bibel den Bischofstitel in Anspruch und feierte Anfang 1522 Abendmahl in beiderlei Gestalt. Zu Günther siehe Müller, Wittenberger Bewegung, 210 Anm. 9; 376–381 und Barge, Karlstadt 1, 376; 404 f. Zu seiner Rolle in der Franziskanerdisputation vom Jahr 1519 siehe KGK II, Nr. 139, S. 502 mit Anm. 7.
55Vermutlich der damalige Pfarrer zu Jessen, Urban Sprecher; vgl. Müller, Wittenberger Bewegung, 210 Anm. 10; 405–407.
56Der Pfarrer in SchmiedebergNikasius Claji (um 1493–1552). Zu Claji siehe KGK I, Nr. 72, S. 747 mit Anm. 1. Er wurde August 1519 von Karlstadt promoviert, siehe KGK II, Nr. 137. Siehe auch Müller, Wittenberger Bewegung, 210 Anm. 11; 358–364 und Spalatins Bericht in Mencke, Scriptores 2, 609.
57Gabriel Zwilling (um 1487–1558) feierte in Eilenburg am Neujahrstag 1522 Abendmahl unter beiderlei Gestalt; vgl. Müller, Wittenberger Bewegung, 170,31–172,2. Siehe dazu auch Spalatins Bericht in Mencke, Scriptores 2, 609. Zu den Eilenburger Ereignissen siehe Joestel, Auswirkungen.
58Herzberg an der Schwarzen Elster. Im dortigen Augustinerkloster wurde – angeblich am 16. Februar 1522 – das Abendmahl unter beiderlei Gestalt ausgeteilt; vgl. Kolde, Augustiner-Congregation, 383. Zu den Anfängen der Reformation in Herzberg siehe Pallas, Herzberg, 293–303 und Kunzelmann, Augustiner-Eremiten 5, 272–276, hier vor allem 274 f.
59Siehe auch den Brief Justus Jonas' an Johann Lang am 8. Januar 1522 in Müller, Wittenberger Bewegung, 165,14–18.
60Schlieben. Siehe folgende Anm.
61Vermutlich Moritz Mette, Probst zu Schlieben; vgl. Müller, Wittenberger Bewegung, 211 mit Anm. 1 f.; 390–394.
62er lügt.
63Tonsur verwachsen lassen.

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