1. Überlieferung
Frühdrucke:
Sendtbꝛieff.D.Andꝛee Boden: ∥ von Carolſtadt meldende ſeiner ∥ Wirtſchafft. ∥ Newe getzeyt vonn pfaffen vnnd moͤnchenn tzu ∥ Wittemberg außgangen. ∥ wittemberg ∥
[Erfurt]: [Matthes Maler], [1522].
4°, 4 Bl. (A4r–v leer).
Editionsvorlage:
HAB Wolfenbüttel, 359 Theol.4°(7).Weitere Exemplare: SLUB Dresden, Hist.eccl.E.243,16. — SUB Göttingen, 8 Th POLEM 246/65 (7).
Bibliographische Nachweise:
- Freys/Barge, Verzeichnis, Nr. 81.
- VD 16 B 6194.
- Zorzin, Flugschriftenautor, Nr. 47A.
- Köhler, Bibliographie, Nr. 1908.
⁌ Sendtbꝛief.D. ∥ AndꝛeeBoden. ∥ von Carolſtadt melden∥de ſeiner wirtſtchafft. ∥ Nüwe geſtchicht vonpfaffen ∥ vnd münchen zů Wittē⸗∥berg außgangen. ∥ Wittemberg. ∥ TE
[Straßburg]: [Johann Prüss d. J.], [1522].
4°, 3 Bl. -- TE.
Editionsvorlage:
SB-PK Berlin, Cu 1253.Weitere Exemplare: UB Würzburg, Th.dp.q. 423.
Bibliographische Nachweise:
- Freys/Barge, Verzeichnis, Nr. 82.
- VD 16 B 6192.
- Zorzin, Flugschriftenautor, Nr. 47B.
Sendtbrif.D.AndreeBoden∥ſtein von Carolſtad meldende ſeiner ∥ Wirtſtchafft. ∥ ¶ Newe getzeyt von pffaffen vnd münchen ∥ zu Wittemberg außgangen. ∥
[Speyer]: [Johann Eckhart], [1522].
4°, 3 Bl.
Editionsvorlage:
BSB München, Res/4 H.ref. 801,46n.Weitere Exemplare: BSB München, Res/4 Asc. 1232,34.
Bibliographische Nachweise:
- Freys/Barge, Verzeichnis, Nr. 83.
- VD 16 B 6189.
- Zorzin, Flugschriftenautor, Nr. 47C.
Sendbríef.D·An. ∥ Boden. von Carolſtat meldende ∥ ſeiner Wirtſtchafft. ∥ Newe gezeyt von Pfaffenvnd München ∥ zů Wittemberg. ∥ außgangen. ∥ Wittemberg. ∥
[Augsburg]: [Melchior Ramminger], [1522].
4°, 3. Bl.
Editionsvorlage:
BSB München, 4 Asc. 185.Weitere Exemplare: ÖNB Wien, 20.Dd.362. — SB-PK Berlin, Th.dp.q.456.
Bibliographische Nachweise:
- Freys/Barge, Verzeichnis, Nr. 84.
- VD 16 B 6190.
- Zorzin, Flugschriftenautor, Nr. 47D.
- Köhler, Bibliographie, Nr. 1906.
Sendtbꝛıf.D.w ∥ Andꝛee Boden. ∥ von Caralſtat meldende ∥ ſeinner wirtſtchaat. ∥ Nůwe gſtchicht von pfaffen ∥ vnd můnchē zů ∥ Wittenberg ∥ wittenberg. ∥ ☙ ∥ TE
[Colmar]: [Amandus Farckall], [1522].
4°, 4 Bl. -- TE.
Editionsvorlage:
SLUB Dresden, Hist.eccl.E.243,12.Bibliographische Nachweise:
- Freys/Barge, Verzeichnis, Nr. 85.
- VD 16 B 6191.
- Zorzin, Flugschriftenautor, Nr. 47E.
Sendtbꝛif.D. ∥ Andꝛee Boden. ∥ von Carſtat meldende ſein∥ner wirtſchafft. ∥ Nuwe geſchicht von pfaffen ∥ vnd můnchē zů Wittenberg ∥ außgangen. ∥ wyttemberg ∥ ☙ ∥ TE
[Colmar]: [Amandus Farckall], [1522].
4°, 4 Bl. -- TE.
Editionsvorlage:
BL London, 3906.e.116.Weitere Exemplare: SUB Göttingen, 8 MULERT 315.
Bibliographische Nachweise:
- Freys/Barge, Verzeichnis, Nr. 86.
- VD 16 B 6193.
- Zorzin, Flugschriftenautor, Nr. 47F.
- Köhler, Bibliographie, Nr. 1907.
Die hier edierte Schrift ist in sechs Druckausgaben überliefert, die alle ohne Angabe von Drucker, Druckort und Druckdatum erschienen sind. Sie sind jedoch wahrscheinlich in den ersten Monaten des Jahres 1522 veröffentlicht worden. Neben der Hochzeitseinladung Karlstadts zum 20. Januar 1521 enthalten alle Drucke auch die Beschlüsse des am 6. Januar 1521 abgehaltenen Generalkapitels der deutschen Augustinerkongregation und ein Loblied auf Luther. Terminus post quem der Ausgaben aus Erfurt bei Matthes Maler, Straßburg bei Johann Prüss d. J.,1Speyer bei Johann Eckhart und Augsburg bei Melchior Ramminger ist daher der Epiphaniastag 1521. Als terminus post quem der Veröffentlichung der beiden Colmarer Ausgaben bei Amandus Farckall,2 denen ein anonymer Bericht der Wittenberger Ereignisse zwischen Ende 1521 und März 1522 beiliegt, ist dagegen Ende März/Anfang April anzusetzen.
Editionen:
- Furcha, Essential Carlstadt, 129 f. Nr. 5.
- Müller, Wittenberger Bewegung, 145 f. Nr. 65; 209–211 Nr. 101 (anonymer Bericht in E, F).
- Kastner, Quellen zur Reformation, 131 f. (anonymer Bericht in E, F).
Literatur:
- Barge, Karlstadt 1, 163 f.
- Bubenheimer, Bischofsamt, 199–203.
- Buckwalter, Priesterehe, 97 f.
2. Entstehung und Inhalt
Mit den Themen Klerikerehe und Zölibat hatte sich Karlstadt bereits ausführlich sowohl in theologischen und akademischen Schriften (KGK IV, Nr. 181, Nr. 189, Nr. 190 und Nr. 203) als auch durch öffentliche Stellungnahmen zu den gegen die ersten Priesterehen eingeleiteten bischöflichen Verfahren (KGK IV, Nr. 185 und Nr. 211) auseinandergesetzt. Nun stellt Karlstadt aber auch seine Hochzeit als Element der Propagandaaktionen des vorherigen Jahres dar. Mit der hier edierten Schrift geht es daher nicht nur um seine persönliche und private Entscheidung zur Ehe, sondern auch und vor allem darum, die Funktion eines öffentlichen Vorbilds zu übernehmen, um Mönche und Priester zu ermutigen, die Keuschheitsgelübde zu brechen und zu heiraten.3
Nach der Veröffentlichung von LuthersThemata de votis und KarlstadtsVon Gelübden Unterrichtung (KGK IV, Nr. 203) im Herbst 1521 war das Thema Zölibat in Wittenberg noch virulenter geworden. Vor allem im Augustinereremitenkloster beschäftigte sich in erster Linie Gabriel Zwilling neben der Messfrage auch mit der Notwendigkeit, die Mönchsgelübde zu brechen.4 Die Diskussion zeigte bald Wirkungen. Der Prior Konrad Helt informierte Kurfürst Friedrich III. bereits am 12. November, dass »Auß solchen milden predigen seint mir vast alle bruder uber reth und verfurt worden, also das auß in xiii wider den eidt, den si got und dem orden geschworenn, unnd an ersuchung unnd erlaubung irer obersten auß dem closte[r] gangen unnd das kleidt des ordens von sich geworffen Unnd itzundt uns und dem heiligen orden zu spot und schmoch in der stadt wittenberg, eczlich under den burgern, eczlich unter den studenten, sich enthalten […].«5
Wir wissen nicht, ob Karlstadt auf diese Ereignisse reagierte.6 Seine Heirat und ihre öffentliche Bekanntmachung sollten aber die Zustimmung publik machen und können als Aufforderung zum Klosteraustritt verstanden werden, durch den »demonstrativ mit dem Mönchsstand als Institution sowie den theologischen und rechtlichen Privilegien gebrochen« wurde, »die seine Exklusivität legitimiert hatte[n]«.7
Am 26. Dezember 1521 fuhr er nach Seegrehna und verlobte sich dort mit Anna von Mochau.8 Den zeitgenössischen Berichten zufolge reiste er in Begleitung zweier mit Universitätskollegen voll besetzter Wagen,9 unter denen sich auch Melanchthon und Jonas befanden.10 Am 5. Januar 1522 verfasste er eine öffentliche Einladung zu seiner Hochzeit, die in dem hier edierten Sendbrief von seiner Wirtschaft – wobei »Wirtschaft« dem griechischen Begriff oikonomia entspricht und dabei Hauswirtschaft bedeutet11 – veröffentlicht wurde. Darin erklärt Karlstadt nachdrücklich die Überlegenheit des ehelichen Lebens und seinen Wunsch, jenen »arme[n] elende[n] und vorlorne[n] pfaffen [die] yetzt in des teufels gefencknis und kercker liegen«12 durch seine Heirat ein Beispiel zu geben. Anscheinend bereitete Karlstadt ein großes Fest vor und verkündete, er wolle die ganze Stadt und auch »Bischoff und Fuͤrsten«13 zu seiner Hochzeit einladen. Inwieweit dies tatsächlich geschah, lässt sich nicht näher belegen. Sicherlich wurde die Einladung am folgenden Tag in leicht abgewandelter Form auch an Kurfürst Friedrich III. verschickt (KGK 216). Die Hochzeitsgäste versammelten sich am 19. und die Hochzeit fand am 20. Januar 1522 statt.14 Ob und wem Karlstadt die hier edierte Einladung tatsächlich zusandte, ob und wie sie in Wittenberg öffentlich bekannt gegeben wurde oder ob sie nur zur allgemeinen Veröffentlichung gedacht war, bleibt unklar. Es gibt keine Hinweise auf Karlstadts direkte Beteiligung an der Publikation; in Wittenberg wurde sie nie veröffentlicht.15 Die Tatsache, dass die Druckausgabe stattdessen zunächst in Erfurt bei Maler erschien, lässt auf eine Initiative Johannes Langs schließen, der auch die Drucklegung der Apologia Bernhardi (KGK IV, Nr. 211) verantwortet hatte.16Lang könnte darüber hinaus die Publikation der Beschlüsse des Generalkapitels der deutschen Augustinerkongregation17 vom 6. Januar 1522 in Wittenberg – deren deutsche Übersetzung in allen Druckausgaben auf die kurze Hochzeitseinladung Karlstadts folgt – veranlasst haben, da er als Augustinereremit höchstwahrscheinlich an der Versammlung teilgenommen hatte.18
Dass auf dem Generalkapitel am 6. Januar 1522 über die in jenen Monaten häufigen und oft mit Tumulten verbundenen Klosteraustritte von Augustinermönchen gesprochen und nach Regeln gesucht werden sollte, war schon am 18. Dezember 1521 die Hoffnung Martin Luthers, als er Johannes Lang in einem Brief beauftragte, dort die Sache des Evangeliums zu verteidigen.19 In ähnlichem Sinn schrieb der Reformator am selben Tag auch an Wenzeslaus Linck.20Luther bedauert den ungeordneten Klosteraustritt der Mönche; dies hätten sie in Frieden und einvernehmlich tun können. Er rät Linck dennoch, sie nicht zurückzurufen, sondern ihnen Freiheit zuzugestehen und ihre Mönchsgelübde aufzugeben,21 da niemand zum Klosterleben gezwungen werden könne; schließlich fordert er Linck dazu auf, in diesem Sinne beim bevorstehenden Generalkapitel der deutschen Augustinerkongregation zu handeln.22 So geschah es höchstwahrscheinlich, wie auch die Beschlüsse des um Epiphanias 1522 in Wittenberg versammelten Kapitels belegen.23 Einer kurzen Einleitung, in der die Heilige Schrift über jede menschliche Tradition und jedes Gesetz gestellt wird, folgen sechs Beschlüsse. Zunächst hießt es, dass jeder frei entscheiden dürfe, ob er das Kloster verlassen wolle oder nicht. Ein Christ lasse sich nicht anhand seines Laien- oder Klerikerstandes unterscheiden; ein gegen das Evangelium abgelegtes Gelübde sei ein unchristliches Gelübde. Mönche dürften im Kloster bleiben, aber nur soweit der Glaube und die Nächstenliebe dadurch nicht gefährdet würden. Die Votivmessen und auch der Bettel werden als schriftwidrig abgelehnt. Aus diesem Grund müsse nur eine ausgewählte Minderheit von Mönchen im Kloster die Schrift lesen und verkündigen, alle anderen sollten ihren Lebensunterhalt durch eigene Arbeit verdienen. Schließlich wird jeder Zwang verworfen; Gelübde seien nur einzuhalten, wenn sie auf der Liebe zum Nächsten und zu Gott beruhten.24 Der vermutlich offizielle lateinische Text der Beschlüsse kursierte in Wittenberg. Eine Kopie erhielt auch Spalatin über Kaspar Güttel.25 Die deutsche Übertragung der Beschlüsse wurde anonym in dem hier edierten heterogenen Druckwerk veröffentlicht und folgt dem Einladungsbrief Karlstadts zu seiner Hochzeit, die dadurch nicht als Teil jenes »egressus […] tumultuosum« der Mönche, den Luther bedauerte, dargestellt wurde, sondern als ein sich im vollkommenen Einklang mit der Bibel und den Beschlüssen der Kongregation der Augustinereremiten befindendes Ereignis.
Während die Erfurter, Straßburger, Speyerer und Augsburger Ausgaben mit einem Loblied auf Luther in Parodie der Ostersequenz »Victimae paschali laudes« enden,26 fügen die beiden Colmarer Ausgaben auf dem letzten Blatt eine Chronik der Ereignisse hinzu, die auch die in Wittenberg in den Monaten zwischen Ende 1521 und März 1522 geschlossenen Priesterehen aufführt.27
Die Hochzeit Karlstadts hat durch diese Publikation über Wittenberg hinaus große Aufmerksamkeit erlangt und Reaktionen ausgelöst. Vor diesem Hintergrund ist auch die Missa de nuptiis Andreae Carolostadii zu verstehen. Die anonyme Flugschrift ahmt ein Messformular nach und verwendet daher alternierend umfangreiche Bibelzitate und frei formulierte Gebetsparodien. Es sind drei Drucke bekannt, zwei auf Latein28 und einer auf Deutsch.29 Drucker, Druckort und Druckdatum sind nicht genannt und bleiben ungewiss.30 Die wenigen Abweichungen der beiden lateinischen Texte voneinander erlauben es nicht, die Abhängigkeit des einen vom anderen mit Sicherheit festzustellen.31 Die volkssprachliche Übersetzung folgt dem lateinischen Text mit Ausnahme kleinerer Anpassungen und Verdeutlichungen.32 Neben diesen drei Drucken gibt es noch ein handschriftliches Exemplar von anonymer Hand aus dem 16. Jahrhundert, das sich heute im Privatbesitz eines ungarischen Sammlers befindet.33 Diese Handschrift unterscheidet sich von den Drucken durch kleinere Auslassungen, vor allem bei den Bibelzitaten: Während die lateinischen Ausgaben der Vulgata folgen, verwendet die Handschrift für die Textpassagen aus dem Neuen Testament Erasmus' Novum Instrumentum. Darüber hinaus ist der Name Karlstadts in der Manuskriptversion nur in der Überschrift angegeben, im darauffolgenden Text aber durch »N.N.« ersetzt. Dieses Detail deutet darauf hin, dass der als Messformular aufgebaute Text auch auf andere in die Ehe tretende Kleriker übertragen werden konnte. Anhand dieser Informationen lässt sich jedoch nicht feststellen, ob es sich bei dem Manuskript um die Abschrift eines Drucks – in der der Schreiber die Bibelzitate nach Erasmus frei umformuliert hat – oder um eine unabhängige und inzwischen verschollene Quelle handelt. Es kann jedoch davon ausgegangen werden, dass die Missa de nuptiis auch handschriftlich kursierte.
Die Gattung der Druckschrift folgt keiner üblichen Konvention. In der Literatur wird oft deren ironischer Charakter hervorgehoben,34 insbesondere mit Hinweis auf die Bezeichnungen von Karlstadt als »beatus« oder »piscator uxorum«,35 was Karlstadt als Verfasser dieser Schrift ausschließt.36 Es gibt auch keine eindeutigen Elemente, die auf einen antireformatorischen Entstehungskontext oder eine polemische Absicht gegenüber den reformatorischen Neuerungen hinweisen.37 Die Schrift könnte eher als Scherz anlässlich von Karlstadts Hochzeit, womöglich von Studenten, entstanden sein. Inhaltlich greift die Missa de nuptiis viele der Bibelstellen auf, die auch – aber nicht nur – Karlstadt in seinen Schriften zur Priesterehe angeführt hatte und trägt, neben der leichten Ironie gegen den Wittenberger Theologen, die zwischen Ende 1521 und Anfang 1522 in Wittenberg entwickelten Argumente gegen das Zölibatsgelübde erneut vor.
Die Liturgie dieser Messparodie beginnt in der üblichen Reihenfolge mit dem Introitus,38 dem Versus, d. h. der Antwort der Gläubigen,39 und der Oratio, einem frei formulierten Gebet, in dem fälschlicherweise behauptet wird, Karlstadt habe als Erster geheiratet40 und damit das Beispiel gegeben, Konkubinat und Sünde abzulehnen und den legitimen Ehestand zu wählen. Es folgen die erste Lesung,41 das Graduale,42 die Sequentia43 und die Lesung des Evangeliums.44 Die Vorbereitung der Eucharistiefeier ist gekennzeichnet durch ein Offertorium mit Umformulierung von 1. Kor 7,2 f.45 und die Secreta, d. h. das Gebet, hier frei als Opfergabe »in Andre Carolstad erst fruchtlichen hochzeyten« formuliert, das unmittelbar auf die Konsekration des eucharistischen Opfers folgt und vom Priester stumm gesprochen wird, als ob es sich um ein Geheimnis handelte, an dem die Gemeinschaft der Gläubigen nicht teilhaben dürfe. Die Missa de nuptiis schließen die Communio46 und die Complenda, ein frei formuliertes Gebet nach der Kommunion, in dem das Beispiel Karlstadts noch einmal gelobt wird.