1. Überlieferung
Frühdrucke:
Das die Prieſter Ee weyber ∥ nemen moͤgen vn̄ ſollen. ∥ Durch eyn hochberůmbten ∥ trefflichen mā erſt im lateyn ∥ geſtalt / vor beſchutz red des ∥ würdigen herrē Bartolomei ∥ Bernhardi probſt tzů Kem⸗∥berg / ßo von ſeynē Biſchoff ∥ gefordert/ antwurt zů geben/ ∥ das er yn prieſterlichē ſtand/ ∥ eyn iungkfraw zů der Ee ∥ genomē hatt. ∥ Lector eme, lege & probabis, ∥ Expēde ſcripturas & argumēta Fa∥tebere & exclamabis vltro,nihiliis ∥ eſſe ſolidius nihil verius. Vt rum∥pantur ſexcenties impii lenones & ∥ ſcortatores Papiſtæ & Romani-∥ſtæ,quorū inſania et cœcitate fit,vt ∥ vbi cunque nobiles illæ ſacerdotū ∥ ſedes ſunt ſintſimul, ſpurciſsima ∥ & putidiſſima lupanaria Orbis. ∥ TE ∥ [Am Ende:] Gedruck tzu wittemberg ym tzwey ∥ vnd tzwentzigſten Jar. ∥
Wittenberg: [Nickel Schirlentz], 1522.
4°, 8 Bl., A4–B4 – TE.
Editionsvorlage:
HAB Wolfenbüttel, H: H 72a.4° Helmst. (10).Weitere Exemplare: SUB Göttingen, 8 AUT MEL 13. — UB Leipzig, Lib.sep.2319. — ULB Halle, Vg 488,QK.
Bibliographische Nachweise:
- Baurmeister, Verteidigungsschrift, Nr. 7.
- Zorzin, Flugschriftenautor, Nr. 46A.
- Köhler, Bibliographie, Nr. 1869.
- VD 16 B 6108.
DAs die pꝛiſter ehe⸗∥weÿber nemen ∥ moͤgen vnd ∥ ſollen ∥ ¶ Beſchutz rede.des würdigen hern.Bartolomei Bern∥hardi.pꝛobſts zu Camberg. ſo vō biſtchoff von ∥ Meydburg gefoꝛdert.antwurt zugeben. ∥ das er in pꝛiſterlichem ſtand. ∥ ein iunckfraw zur ehe ge⸗∥nomen hatt. ∥ ☙ ∥ [Am Ende:] ¶ Gedꝛuckt zu Arips/vnd durch Melium Joannē Eleutherium ∥ zu eren dem wirdigen hern Pꝛobſt zu Camberg/vnd beſtchirmung ∥ der chꝛiſtenlichen warheit verteutſtcht/Anno.M D.xxij. ∥
[Speyer]: [Johann Eckhart], 1522.
4°, 8 Bl., A4–B4.
Editionsvorlage:
HAB Wolfenbüttel, H: Yv 103.8° Helmst.Weitere Exemplare: BSB München, 4 J.can.p. 125. — BSB München, 4 J.can.p. 124.
Bibliographische Nachweise:
- Baurmeister, Verteidigungsschrift, Nr. 8.
- Zorzin, Flugschriftenautor, Nr. 46B.
- Köhler, Bibliographie, Nr. 1867.
- VD 16 B 6105.
Das die Pꝛieſter Ee⸗∥weyber nemen ∥ moͤgen vnd ∥ ſollen. ∥ ¶ Beſtchutz red/des würdigen herren Bartolomei ∥ Bernhardi/pꝛobſts zů Camberg/ſo von bi⸗∥ſtchoff von Meydburg gefoꝛdert/ ant⸗∥wurt zů geben/das er in pꝛieſter⸗∥lichem ſtandt/ eyn iungk⸗∥frauw zů der Ee ge⸗∥nommen hatt. ∥ [Am Ende:] ¶ Gedꝛuckt zů Arips/vnd durch Melium Joannem Eleu∥therium/zů eren dem würdigē herren Pꝛobſt zů Cam∥berg/vnd beſtchirmung der chꝛiſtenlichen war⸗∥heit verdeütſtcht/Anno.M.D.xxiȷ.∥
[Straßburg]: [Reinhard Beck (Erben)], 1522.
4°, 8 Bl., A4–B4.
Editionsvorlage:
HAAB Weimar, Aut.ben.Aut.Bernhardi,B.Bibliographische Nachweise:
- Baurmeister, Verteidigungsschrift, Nr. 9.
- Zorzin, Flugschriftenautor, Nr. 46C.
- VD 16 B 6106.
Das die Pꝛieſter Ee⸗∥weiber nemen ∥ mügen vnd ∥ ſollen. ∥ ⁌ Beſtchütz red/ des würdigen herꝛen Bartholomei ∥ Bernhardi/Probſts zuͤ Camberg/ſo von Bi⸗∥ſtchoff von Meydburg gefoꝛdertt/ ant⸗∥wurt zuͤgeben/das er in prieſter⸗∥lichem ſtandt/ain iunck∥fraw zuͤ der Ee ge⸗∥nōmen hat. ∥ [Am Ende:] Jm M.D.XXij · Jar · ∥
[Augsburg]: [Jörg Nadler], 1522.
4°, 8 Bl., A4–B4.
Editionsvorlage:
SB-PK Berlin, Cu 542 R.Weitere Exemplare: ÖNB Wien, 20.Dd.428.
Bibliographische Nachweise:
- Baurmeister, Verteidigungsschrift, Nr. 10.
- Zorzin, Flugschriftenautor, Nr. 46D.
- Köhler, Bibliographie, Nr. 1866.
- VD 16 B 6103.
An Maidenbergers etrzbiſtchof. ∥ herfoꝛderung/vber Eelichs ſtantzhandel ∥ aines erſamen pꝛiſters Bernhardj ∥ leyppfarꝛes Kemberger ∥ kirchē enſchuldigung ∥ vnd anwurt. ∥ TH ∥ [Am Ende:] Zů nůtz vndfurganck gottlicherleer vnnd ∥ woꝛheyt heyliges Euangeliß.Der ∥ Wittenberger in ſaxen land ∥ JmbM D XXJ jar ∥
[Colmar]: [Amandus Farckall], [1522].
4°, 12 Bl., A4–C4 – TH.
Editionsvorlage:
SLUB Dresden, Hist.eccl.E 237,4.Bibliographische Nachweise:
- Baurmeister, Verteidigungsschrift, Nr. 12.
- Zorzin, Flugschriftenautor, Nr. 46E.
- VD 16 ZV 2155.
An Maidenbergers etrz∥biſchof herfoꝛderung ∥ uber Eelichs ∥ ſtantz handel aines erſamenn Pꝛieſters ∥ Bernhardj leyppfarres Kem∥berger kirchen enſtchuldi⸗∥gung vnd antwurt. ∥ TE ∥ [Am Ende:] Zů nůtz vnd furganck gotlicher leee ∥ vnnd woꝛheyt des heyliges ∥ Euangeliß. Der Wit⸗∥tenberger in ∥ ſaxen land. ∥ In.xv.c. vnd.xxij.ioꝛ. ∥
[Straßburg]: [Johann Knobloch d. Ä.], 1522.
4°, 12 Bl., A4–C4 – TE.
Editionsvorlage:
SB-PK Berlin, Cu 545 R.Bibliographische Nachweise:
- Baurmeister, Verteidigungsschrift, Nr. 11.
- Zorzin, Flugschriftenautor, Nr. 46F.
- VD 16 B 6107.
Schutzrede voꝛ Magiſter Bar⸗∥tholemeo Pꝛobſtzu Kem⸗∥merig der ein eehweib ∥ ſo er pꝛieſter iſt ge⸗∥nūmen hat.∥ ∵ ∥ [Am Ende:] Gedꝛuckt zu Erffurdt im Jar. ∥ M. D. XXij. ∥
Erfurt: [Matthes Maler], 1522.
4°, 8 Bl., A4–B4 (fol. B4v leer).
Editionsvorlage:
SB-PK Berlin, Cu 543.Bibliographische Nachweise:
- Baurmeister, Verteidigungsschrift, Nr. 6.
- Zorzin, Flugschriftenautor, Nr. 46G.
- VD 16 B 6104.
Die in Wittenberg bei Nickel Schirlentz1 erschienene Ausgabe – hier Vorlage A – hat eine Titeleinfassung2 und steht in engem Zusammenhang mit einer Gruppe von drei hier als Vorlage B, C und D bezeichneten Editionen. Sie bieten alle im Wesentlichen dieselbe deutsche Fassung der Apologia Bernhardi (KGK IV, Nr. 211). Dabei wird die mit dem fiktiven Druckort »Arips« und dem Pseudonym des Übersetzers »Melius Johannes Eleutherius« versehene Ausgabe B dem Drucker Johann Eckhart von Speyer zugeschrieben, der 1521/22 zahlreiche reformatorische Schriften – auch von Karlstadt – veröffentlichte (s. KGK 215).3 Diese deutsche Fassung der Apologie wurde in Straßburg bei Reinhard Beck mit gleichem Titelblatt und Kolophon – inklusive der fiktiven Orts- und Übersetzerangaben – nachgedruckt.4 Dasselbe Titelblatt, wenn auch mit einem auf die Jahresangabe – ebenfalls 1522 – reduzierten Kolophon, trägt der dritte Druck dieser Gruppe, der in Augsburg bei Jörg Nadler erschienen ist.5
Zwei weitere Ausgaben (hier E und F) bilden eine eigene voneinander abhängige Gruppe: Die in Colmar bei Amandus Farckall herausgegebene Ausgabe trägt einen Titelholzschnitt und eine Reihe von Bordüren.6 Sie wurde in Straßburg bei Johann Knobloch nachgedruckt und weist eine Titeleinfassung auf.7 Ein letzter von den vorgenannten unabhängiger Druck (G) erschien in Erfurt bei Matthes Maler8 und gibt die ebenfalls bei ihm erschienene lateinische Ausgabe (KGK IV, Nr. 211) wieder.
Editionen:
- McEwan, Bernhardi, 65–94.
- (digitale Edition; Abrufdatum: 18.03.2022)
Literatur:
- Barge, Nicht Melanchthon, 310–318.
- Supplementa Melanchthoniana 6, 146–149 Nr. 120.
- Bubenheimer, Bischofsamt, 170–190.
- McEwan, Bernhardi.
- Buckwalter, Priesterehe, 79–96.
2. Entstehung und Inhalt
Der hier edierte Text ist eine volkssprachliche Übertragung, teilweise auch Paraphrase und Umformulierung der lateinischen Apologia Bernhardi (KGK IV, Nr. 211).9 Während diese bereits gegen Ende 1521/Anfang 1522, als Druckausgabe kursierte, wurde die deutsche Fassung in sieben Ausgaben etwas später, vermutlich ab Anfang 1522 veröffentlicht. Ihre komplexe Überlieferungsgeschichte ist eng mit der der lateinischen Apologie und mit dem Kursieren von Abschriften verbunden.
Die fünf lateinischen Druckausgaben der Apologia Bernhardi (KGK IV, Nr. 211) lassen sich in zwei Überlieferungslinien einordnen. Ein Druck erschien in Straßburg bei Ulrich Morhart; er enthielt neben der Apologie für den Kemberger Propst Bernhardi, der wegen seiner Heirat im Frühjahr/Sommer 1521 bei seinem Bischof Johann von Meißen angezeigt wurde,10 auch einen Brief Bernhardis an Kfst. Friedrich und wurde in Basel und Paris nachgedruckt. Parallel zum Straßburger Druck erschien ein Druck in Erfurt bei Matthes Maler: Neben dem auf den 13. Dezember 1521 datierten Vorwort von Johannes Lang enthielt diese Druckausgabe nur die Apologie für Bernhardi und wurde 1524 in Königsberg nachgedruckt. Die Verteidigungsschrift kursierte höchstwahrscheinlich bereits im Sommer 152111 auch handschriftlich, wie Melanchthon in seinem Brief vom 18. Juli 1521 bestätigte, als er Spalatin mitteilte, er habe den Wittenberger Juristen sowohl eine lateinische als auch eine deutsche Fassung geschickt.12Spalatin hatte eine Abschrift der lateinischen Apologie selbst erstellt.13
Die sieben Ausgaben der hier edierten volkssprachlichen Beschützrede für Bernhardi lassen sich in Untergruppen einteilen, die teilweise voneinander abhängig sind. Ihr Verhältnis zur lateinischen Fassung und zu den damals vermutlich kursierenden Abschriften muss jeweils untersucht werden. Der Schirlentzdruck – hier A – steht in Bezug zur Gruppe der Speyerer, Straßburger und Augsburger Drucke – hier B, C, D –; die Colmarer und zweite Straßburger Ausgabe – hier E, F – bilden dagegen eine weitere Gruppe; der Erfurter Druck – hier G – stellt eine unabhängige Überlieferungslinie dar.
Dem hier edierten Text liegt die Wittenberger Ausgabe (A) zugrunde: Sie erschien bei Nickel Schirlentz,14 dem damaligen Hausdrucker Karlstadts, der deswegen in der Literatur auch oft als Verfasser dieser deutschen Fassung der Beschützrede für Bernhardi identifiziert wurde.15 Sie bietet eine freie Übertragung der lateinischen Verteidigungsschrift für Bartholomäus Bernhardi ins Deutsche.16 Durch die Kollation der lateinischen und der Wittenberger volkstümlichen Fassung wird die Formulierungsfreiheit des Übersetzers deutlich. Er hebt die für sein potenzielles Publikum passenden Töne und Themen hervor. Bereits der Titel weist eine klare Anpassung auf, indem der erste Teil in deutscher Sprache den Inhalt des Traktats beschreibt und die lateinische Urfassung einem »hochberůmbten trefflichen man« zuschreibt, der zweite Teil in lateinischer Sprache den polemischen Ton gegen die römisch-katholische Kirche radikalisiert. Der Schirlentzdruck der Beschützrede für Bernhardi enthält zunächst eine volkstümliche Version der fiktiven, dem Kemberger Propst in den Mund gelegten Verteidigungsschrift, in der er seine Heirat verteidigt. In einigen Passagen ist der lateinische Urtext durch weitere Bibelzitate17, kurze Erläuterungen und Umformulierungen18 oder, um die Struktur des Textes und seinen Inhalt zu verdeutlichen, durch Untertitel19 erweitert. Abgesehen von diesen geringfügigen Änderungen wurde der Inhalt der lateinischen Apologie in seinem Argumentationsgang übernommen: Bernhardi verteidigt seine Heirat, indem er aufzeigt, wie die Heilige Schrift selbst und insbesondere der Apostel Paulus allen zur Ehe raten würden, die nicht die besondere göttliche Gabe der Keuschheit empfangen haben. Das göttliche Wort und die Gewohnheiten der Urkirche beweisen, dass die Priesterehe erlaubt sei, sodass das kanonische Recht als menschliche Erfindung verworfen und ihm keine zwingende Kraft zuerkannt sei.
Aufgrund des freien Übersetzungsverfahrens ist es schwierig festzustellen, welche lateinische Vorlage dem Schirlentzdruck zugrunde liegt. Geht man von einer Abhängigkeit von den lateinischen Druckausgaben aus, so sind die Unterschiede zwischen den beiden Überlieferungslinien der Apologia Bernhardi, die aus dem Straßburger und dem Erfurter Druck stammen, inhaltlich so geringfügig, dass nicht ermittelt werden kann, welche der beiden die Grundlage für die in Wittenberg gedruckte deutsche Fassung gebildet haben könnte.20 Obwohl ein paar Passagen eine größere Nähe zu der von Johannes Lang in Erfurt herausgegebenen lateinischen Ausgabe vermuten lassen,21 gibt es letztendlich keine vollständige Übereinstimmung mit einer der Druckfassungen der Apologia Bernhardi.22 Auch eine direkte Abhängigkeit von der Abschrift der Apologie von der Hand Spalatins ist aller Wahrscheinlichkeit nach auszuschließen.23 Vielmehr ist es naheliegend, dass A auf einer der zahlreichen Abschriften der Apologia Bernhardi oder deren Übersetzung beruht, die höchstwahrscheinlich seit Juli 1521 in Wittenberg kursierten.24
Die Wittenberger Ausgabe (A) fügt der Verteidigungsschrift für Bernhardi eine Reihe historischer Quellen bei,25 die laut Herausgeber eilig gesammelt wurden, um das in dem Band vorgestellte christliche Anliegen, nämlich die Klerikerehe, zu untermauern.
Der erste historische Beleg bietet eine volkstümliche Übertragung26 einer Textpassage aus der Weltchronik von Johannes Vergenhans, genannt Nauclerus (um 1425–1510), die posthum 1516 mit einleitenden Texten von Erasmus und Reuchlin veröffentlicht wurde. Er bezieht sich auf die Spaltungen, die im Erzbistum Mainz einsetzten, nachdem Siegfried I. (gest. 1084) versucht hatte, die von Papst Gregor VII. im Jahr 1075 auferlegte Verpflichtung zum Zölibat einzuführen. Der Protest des Klerus, der das Verbot der Priesterehe nicht akzeptieren wollte, war so heftig, dass Siegfried I. jeden Zwang zum Zölibat aufhob und an den Papst schrieb, er wolle sich nie wieder in solche Angelegenheiten einmischen. Die Uneinigkeit unter den Klerikern hatte jedoch die Autorität der Kirche so sehr geschwächt, dass die Laien begannen, sich die Sakramente gegenseitig auszuteilen. Mit dieser Episode wollte der Verfasser der volkssprachlichen Wittenberger Version auf die schädlichen Folgen päpstlicher Dekrete innerhalb und außerhalb der Kirche hinweisen, welche – wie im Fall des Zölibats – etwas vorschreiben, das der Heiligen Schrift und damit der göttlichen Wahrheit widerspricht.
Ein zweites historisches Argument stammt aus einer mittelalterlichen Quelle von Vinzenz von Beauvais. Es wurde teilweise umformuliert und zusammengefasst. Den allgemeinen Hinweis auf die Reformprogramme Gregors VII. und auf die Ausbreitung der Konkupiszenz und der Sünde als negative Folge des Zölibatsgelübdes hält der Übersetzer für ausreichend, um zu zeigen, dass das Verbot der Priesterehe nicht das Werk des Heiligen Geistes sei.
Der darauffolgende Text stammt aus Konrad PeutingersSermones conviviales, die als Abschrift eines 1504 in Augsburg stattgefundenen Gesprächs präsentiert sind. Diese Sermones befassen sich mit einer Reihe von einleitenden Themen, darunter die Priesterehe, bevor sie sich ihrem Hauptthema, nämlich der Verteidigung der »Sache der deutschen Nation«, zuwenden. Peutinger zitiert eine Passage aus einem Brief von Ignatius von Antiochien, in dem der Patriarch behauptete, dass viele Patriarchen, Propheten und sogar Paulus, Petrus und andere Apostel geheiratet hätten. Auch hier geht es darum, die Rechtmäßigkeit der kirchlichen Eheschließung zu untermauern und – noch allgemeiner in PeutingersSermones conviviales – den Widerstand eines großen Teils des deutschen Klerus gegen die römisch-katholische Kirche und gegen das Zölibatsgelübde hervorzuheben. Die Zusammenstellung historischer Quellen, basierend auf Interpretationen und Exegesen von historischen und zeitgenössischen Autoren, schließt mit einem Hinweis auf das Werk »eyns hochgelerten lerers in unßern tagen«. Es handelt sich höchstwahrscheinlich um Erasmus und insbesondere um seine Annotationes, deren Kommentar zu Phil 4,3, gefolgt von einem lateinischen Zitat aus Hebr 13,4, fast wörtlich übersetzt wird.
Auch wenn eine Verfasserschaft dieser Materialiensammlung außerhalb Wittenbergs nicht endgültig ausgeschlossen werden kann, liegt aufgrund seiner Nähe zur vorangehenden deutschen Fassung der Apologie hinsichtlich Stil und Mundart die Vermutung nahe, dass auch diese Ausgabe im Wittenberger Umfeld zusammengestellt wurde – dort war das Interesse an historischen Quellen sehr groß. Angesichts der Art der ausgewählten Texte könnte vor allem Melanchthon wesentlich beteiligt gewesen sein.27 Wie beim lateinischen Urtext28 ist also auch im Fall der Wittenberger Ausgabe der Beschützrede für Bernhardi eine kollektive Leistung wahrscheinlicher als ein exklusives Werk Karlstadts.29
Eine zweite, von der Wittenberger Fassung nur teilweise unabhängige deutsche Übersetzung der Beschützrede für Bernhardi, die hier als Beilage 1 mitediert wird, ist in drei Ausgaben überliefert, die in Speyer(B), Straßburg(C) und Augsburg(D) erschienen sind. Alle drei übernehmen nur den ersten Teil des Titels der Wittenberger Ausgabe und fügen vor der Verteidigungsschrift für Bernhardi eine Überschrift ein, die dem Titel der lateinischen Apologia Bernhardi sehr nahekommt. Die Speyerer und die Straßburger Ausgabe (B, C) geben im Kolophon fiktive Angaben zu Druckort und Übersetzer – »Arips« bzw. »durch Melium Joannem Eleutherium« – und das Druckjahr an; die Augsburger Ausgabe (D) beschränkt sich dagegen auf das Druckjahr 1522. Die vollständige Übereinstimmung der Texte, abgesehen von leichten Unterschieden in der Mundart, bestätigt die gegenseitige Abhängigkeit dieser drei Druckausgaben voneinander.30 Die Speyerer Ausgabe (B) weist außerdem viele Druckfehler auf, die in der Straßburger und Augsburger Ausgabe (C, D) korrigiert wurden; sie bildet deswegen höchstwahrscheinlich deren Vorlage.31 Wie im Fall des Wittenberger Drucks (A) liegen weder die gedruckte lateinische Apologia Bernhardi noch die Handschrift Spalatins dieser deutschen Fassung der Beschützrede für Bernhardi zugrunde.32
Obwohl ein paar Passagen auch in diesen drei Ausgaben wie in A eine größere Nähe zu der Erfurter lateinischen Version der Apologia Bernhardi vermuten lassen,33 bieten B, C, D eine freie, an Umschreibung grenzende deutsche Übertragung mit originellen Umformulierungen und Erweiterungen.34 Die Unterschiede zwischen dem Wittenberger Druck (A) und den Ausgaben aus Speyer, Straßburg und Augsburg (B, C, D) schließen eine gemeinsame handschriftliche Grundlage nicht aus.35 Dies könnte auch die markanten Abweichungen in den vier deutschen Fassungen (A, B, C, D) erklären, welche sich nur im ersten Teil der Beschützrede für Bernhardi finden: Ab fol. B1v nähert sich A den Vorlagen B, C und D immer mehr an,36 bis der Anhang mit historischen Argumenten eine fast identische Textversion bietet.37 Im Vergleich zu den Ausgaben aus Speyer, Straßburg und Augsburg (B, C, D) weist der Schirlentzdruck (A) dennoch einige Auslassungen auf.38 Dies deutet darauf hin, dass die Vorlagen B, C und D die dem – vermutlich handschriftlich kursierenden – Urtext des Anhangs mit historischen Argumenten am nächsten stehende Version bieten.
Zusammenfassend lassen sich die Verhältnisse zwischen der Wittenberger (A) und der Speyerer (B), Straßburger (C) und Augsburger (D) Ausgabe auf Grundlage der heute vorhandenen Quellen nicht endgültig bestimmen. Dennoch ist ihre enge Abhängigkeit durch fast buchstabengetreue Übereinstimmung in der Historiensammlung sowie in den letzten Absätzen der Apologie belegt. Eine – auch partielle – Abhängigkeit der Speyerer Druckausgabe und ihrer Nachdrucke (B, C, D) von der Wittenberger Druckausgabe (A) oder umgekehrt ist unwahrscheinlich.39 Vielmehr hatten diese vier Ausgaben möglicherweise eine oder mehrere gemeinsame handschriftliche Quelle(n). Zumindest für die historischen Textauszüge ist eine gemeinsame Vorlage in deutscher Sprache anzunehmen.40 Ein separates Kursieren der handschriftlichen Versionen der Apologie für Bernhardi, an die A und B, C, D eine gemeinsame Quelle für die Historiensammlung anfügten, scheint auch plausibel.41 Das in den Speyerer und Straßburger Ausgaben (B, C) angegebene Pseudonym »Johannes Melius Eleutherius« bietet nach gegenwärtiger Quellenlage keine sicheren Anhaltspunkte zur Identifikation des Autors dieser Versionen der Beschützrede für Bernhardi.42 Angesichts dessen, dass die Namensform »Eleutherius« – nicht zuletzt aufgrund der eigenen Namenswahl Luthers43 – symbolisch aufgeladen war, könnte der Speyerer Herausgeber durch die Wahl dieses Pseudonyms auf lediglich indirekte und allgemeine Weise auf einen Wittenberger Ursprung des Textes verwiesen haben wollen.
Eine weitere deutsche Übertragung der lateinischen Apologia Bernhardi, hier als Beilage 2 mitediert, ist in den Druckausgaben aus Colmar (E) und Straßburg (F) überliefert. Letztere ist ein Nachdruck der ersten.44 Abgesehen von geringfügigen Abweichungen stimmen diese beiden Ausgaben überein. Vorangestellt ist eine kleine Einleitung, die den Inhalt des Textes ankündigt und den Verfasser der lateinischen Urfassung als »christlichen Priester«, den deutschen Übersetzer als »gotlichen lerer« bezeichnet. Diese Gruppe gibt die in Straßburg erschienene lateinische Apologia Bernhardi in ihrer Textkonstitution – Verteidigungsschrift und Bernhardis Brief an Kfst. Friedrich III. vom 23. August 152145 – wieder.46 Sie enthält aber einige Umformulierungen,47 viele umfangreiche Erweiterungen48 sowie vom lateinischen Urtext völlig unabhängige Ergänzungen,49 selten Kürzungen und Auslassungen50 und Details, die nur in der Erfurter Version der lateinischen Apologia Bernhardi zu finden sind.51 Es kann somit vermutet werden, dass auch in diesem Fall eine von den Druckausgaben der Apologia Bernhardi unabhängige handschriftliche Quelle verwendet wurde, die der Übersetzer dann frei bearbeitet oder herausgegeben hat.52 Der anonyme Autor dieser Ausgaben »gestaltet den Text volkstümlicher durch Hinzufügung von derben Ausdrücken, Sprichwörtern und bildhaften Vergleichen. Er erklärt dem Laien eine Reihe von Bibelzitaten und vermehrt sie um weitere geläufige Schriftworte. Vor allem aber verschärft er durch umfangreiche Texterweiterungen die antiklerikale Polemik.«53 Unmittelbar nach der deutschen Fassung der Apologie und vor dem Brief Bernhardis an Kfst. Friedrich III.,54 erklärt der anonyme Autor auf fol. C2v in einem kurzen Abschnitt, er wolle diese deutsche Schrift sowohl an die Kleriker als auch an die Laien richten – an die einen, um ihnen zu zeigen, wie gefährlich das Keuschheitsgelübde sei, und an die anderen, damit sie die Wahrheit nicht missachten. Beide, Laien und Kleriker, sollen unbedingt daran denken, dass wahre Christen zur gegenseitigen Unterstützung verpflichtet seien und sich besonders um die Kinder kümmern müssen, indem sie davor warnen, sich den päpstlichen Gesetzen zu unterwerfen. Auch hier lässt sich nicht feststellen, wer der Übersetzer oder Herausgeber dieser deutschen Fassung der Beschützrede für Bernhardi war. Dennoch ist sein Ziel klar: Er gestaltet »die Verteidigungsrede eines angeklagten Priesters in eine nun vorwiegend an Laien gerichtete Flugschrift« um.55
Eine vierte deutsche Version der Beschützrede für Bernhardi entstand in Erfurt56 (G) und entspricht weitgehend der in derselben Stadt gedruckten lateinischen Fassung, mit der sie auch den Drucker Matthes Maler gemeinsam hat.57 Ob diese in Beilage 3 mitedierte Fassung unmittelbar auf dem Erfurter Druck der Apologia Bernhardi oder dessen handschriftlicher Vorlage beruht, bleibt offen. Sie entstand jedoch höchstwahrscheinlich innerhalb jener Gruppe von Reformationsgesinnten um Johannes Lang, dessen in der Erfurter Version der lateinischen Apologie enthaltene Vorrede ebenso ins Deutsche übertragen und veröffentlicht wurde.58
Zusammenfassend lässt sich feststellen: Mit Ausnahme des deutschen Drucks G, dessen direkte Abhängigkeit vom entsprechenden lateinischen Erfurter Druck nicht ausgeschlossen werden kann, lassen sich die Vorlagen aller anderen Ausgaben der Beschützrede für Bernhardis (A–F) nicht identifizieren. Auch wenn es schwierig zu eruieren ist, inwieweit ein oder mehrere Übersetzer ihren jeweiligen deutschen Text frei gestaltet und/oder umformuliert haben, liegt die Vermutung nahe, dass A, B, C, D, E und F auf handschriftlichen – lateinischen und/oder deutschen – Kopien beruhen. Die Textkonstruktion dieser volkstümlichen Ausgaben unterscheidet sich nur unwesentlich von denen der lateinischen Apologia Bernhardi. Sie weisen jedoch einige Anpassungen und Erweiterungen auf, die auf ihre spezifisch angestrebte publizistische Wirkung hindeuten.
Vier Varianten (entsprechend den Vorlagen A, B, C, D) fügen der Verteidigungsschrift für den Kemberger Propst Bartholomäus Bernhardi einige historische Materialien als Anhang hinzu und bereichern damit die in Wittenberg begonnene Diskussion über die Priesterehe auch durch politische und nationale Themen. Die Kritik am Priesterzölibat wurde radikalisiert und durch die historischen Argumente in den langen Kampf des deutschen Klerus eingebettet, der der Heiligen Schrift treu geblieben sei und sich schon in früheren Jahrhunderten gegen die durch päpstliche Gesetze eingeführten Missbräuche der Keuschheitsgelübde gewandt habe. Diese Verbindung zwischen theologischer Diskussion und der deutschen »nationalen Sache« ist möglicherweise Ausdruck der damals noch bestehenden gemeinsamen Interessen und Ziele von Wittenberger Theologen mit ihrem Programm einer religiösen, aber auch sozialen Reformation und von Humanisten, die theologische und philologische Erneuerungen als Instrumente ihres politischen Kampfes für die Wiederherstellung einer deutschen nationalen Identität gegen Rom einsetzten.59
Die Colmarer und Straßburger Ausgaben (E u. F) belegen außerdem den Ansatz ihres anonymen deutschen Autors, die Kritik am Zölibat zu radikalisieren, indem er den Text der Apologie – nicht so sehr den Brief Bernhardis an Friedrich III. – an ein breiteres Publikum anpasste, das nicht nur Kleriker, sondern auch Laien umfassen sollte. Auf diese Weise reiht sich diese Version der Beschützrede für Bernhardi in die Debatte über die Klerikerehe ein, die u. a. von den Straßburger Druckern seit 1520 auch durch die Veröffentlichung von deutschen Übertragungen der Schriften Luthers und anderer Wittenberger angeregt worden war.60
Ähnliche enge Kontakte bestanden jedoch auch zwischen Wittenberg und Speyer, Colmar oder Augsburg und ermöglichten in jenen Monaten einen lebhaften Austausch von Büchern und Abschriften: Reformationsgesinnte, unter denen auch viele Humanisten waren, und Drucker wurden dort zu wichtigen Akteuren bei der Ausweitung der Wittenberger publizistischen Offensive, in die Karlstadts Werke ebenfalls miteinbezogen wurden.61 Dies beweisen die zahlreichen zeitgenössischen Nachdrucke nicht nur der Apologia Bernhardi (KGK IV, Nr. 211), sondern auch von Karlstadts – vermutlich erstmals in Erfurt bei Maler erschienenem – Sendbrief von seiner Wirtschaft (KGK 215), der ebenfalls in Straßburg bei Johann Prüss d. J., in Speyer bei Eckhart, in Augsburg bei Melchior Ramminger und in Colmar bei Farckall nachgedruckt wurde.62 Die fast vollständige Überschneidung des Netzwerks und der Druckereien, die an der Veröffentlichung dieser drei Werke beteiligt waren, dokumentiert, wie die lateinischen und deutschen Fassungen der Verteidigungsschrift für Bernhardi sowie auch Karlstadts Ankündigung seiner Heirat (KGK 215) Teil einer erfolgreichen, breiten und strukturierten Kampagne über die Priesterehe und Gelübde war, die die Wittenberger Theologen und ihre außerhalb der Reformationsstadt aktiven Parteigänger in jenen Monaten gemeinsam durchführten.