1. Überlieferung
Frühdrucke:
APOLOGIA ∥ PASTORIS, CEMBER-∥GENSIS QVI NV-∥per ſuæ Eccleſiæ conſenſu, ∥ uxorem duxit. ∥ ❦ ∥
[Straßburg]: [Ulrich Morhart], [1521].
8°, 8 Bl.
Editionsvorlage:
HAB Wolfenbüttel, A: 1067 Theol. (3).Weitere Exemplare: SB-PK Berlin, Ft 11368.
Bibliographische Nachweise:
- Baurmeister, Verteidigungsschrift, Nr. 2.
- VD 16 ZV 2153.
- Zorzin, Flugschriftenautor, Nr. 43A.
- Köhler, Bibliographie, Nr. 1850.
Apologia pꝛo.M. Barptolomeo ∥ Pꝛaepoſito qui vxoꝛem ∥ in ſacerdotio duxit. ∥ ⁘ ∥ [Am Ende:] Anno. 1.5.21. ∥
[Erfurt]: [Matthes Maler], 1521.
4°, 6 Bl.
Editionsvorlage:
SB-PK Berlin, Ft 11366b.Bibliographische Nachweise:
- Baurmeister, Verteidigungsschrift, Nr. 1.
- VD 16 B 6101.
- Zorzin, Flugschriftenautor, Nr. 43B.
- Hase, Bibliographie, Nr. 415.
❧ CONTRA ∥ PAPISTICAS LEGES SACERDOTI⸗∥BVS PROHIBENTES MATRI∥MONIVM, APOLOGIA ∥ paſtorıs Cembergenſis, ∥ quı nuper,ſuæ Ec⸗∥cleſıæ conſenſu, ∥ uxorem ∥ duxıt. ∥
[Basel]: [Adam Petri], [1522?].
8°, 8 Bl.
Editionsvorlage:
HAB Wolfenbüttel, A: 462.13.1 Quod. (9).Weitere Exemplare: ÖNB Wien, 79.Ee.206.
Bibliographische Nachweise:
- Baurmeister, Verteidigungsschrift, Nr. 3.
- VD 16 B 6100.
- Zorzin, Flugschriftenautor, 43C.
- Köhler, Bibliographie, Nr. 1865.
⁌ CONTRA PAPISTICAS LEGES ∥ Sacerdotibus prohibētes matrimonium/ Apo⸗∥logia paſtoris CEMBERGENSIS: ∥ qui nuper ſuæ Eccleſiæ conſenſu ∥ ⸫ vxorem duxit. ⸫ ∥ Eſayæ.viij. ∥ Inite conſilium:& diſſipabitur: ∥ loquimini verbum: & non fiet: ∥ quia nobiſcum Deus. ∥ Tandem ſapit Germania. ∥ Excuſum Megaſondri:in ∥ ſuperiori Brabantia. ∥
[Paris]: [Jean de Gourmont?], [1522].
8°, 8 Bl., A8 – erhalten sind nur Bl. 1 u. 8.
Editionsvorlage:
BNF Paris, C 76656 C 77600 C 77601 (photographische Negative der heute verschollenen originalen Fragmente).Bibliographische Nachweise:
- Baurmeister, Verteidigungsschrift, Nr. 4 (Abb. vom Titelblatt).
- Zorzin, Flugschriftenautor, Nr. 43D.
Apologia pꝛo M.Bartho∥lomeo Prepoſito Kember⸗∥genſi: qui Antichꝛiſti iu⸗∥gum abijciēs:pꝛimus ∥ noſtro ſeculo vro∥rem in ſacerdo∥tio duxit. ∥ [Am Ende:] Excuſum typis in Regio⸗∥monte Boruſſioꝛum. ∥ Menſe Junio.Anno ∥ M.ccccc.xxiiij. ∥
Königsberg: [Hans Weinreich], 1524.
4°, 6 Bl.
Editionsvorlage:
Bibliothek der Evangelische Kirchengemeinde St. Marien in Barth, Quart. Lit. l Nr. 6.Bibliographische Nachweise:
- Baurmeister, Verteidigungsschrift, Nr. 5.
- VD 16 B 6102.
- Zorzin, Flugschriftenautor, Nr. 43.
Handschrift:
Handschrift:
Nachlass Spalatins. Die hier edierte lateinische Schrift ist in fünf Druckausgaben überliefert. Der Straßburger Druck (hier A) bei Ulrich Morhart1 und der Erfurter Druck (hier B) bei Matthes Maler wurden wahrscheinlich parallel gedruckt, sind aber unabhängig voneinander. Während der Erfurter Druck einen Widmungsbrief Johannes Langs vom 13. Dezember 1521 enthält2 und dann nur die Apologia Bernhardi wiedergibt, ist der Straßburger Druck undatiert3 und endet schlicht mit dem Verteidigungsbrief Bernhardis an den Kfst. Friedrich III. aus »Wittenbergae in Saxonibus. Anno domini M. D. XXI«. Welcher zuerst gedruckt wurde, ist unklar. Während A im Titel einen Genitiv verwendet (Apologia des Pfarrers von Kemberg), macht B deutlich, dass die Schrift für (»pro«) Bernhardi geschrieben wurde, der jedoch nicht als Autor angegeben wird.4 Die zwei Ausgaben zeigen Unterschiede im Satzbau, sowohl in einzelnen Wörtern oder Wortgruppen als auch in der Verwendung von Verbformen, die den Text inhaltlich nicht verändern. Diese Abweichungen zwischen A und B sind nur durch die Verwendung von zwei unterschiedlichen Quellen zu erklären.5 Angesichts des wahrscheinlichen Kursierens handschriftlicher Kopien bereits im Spätsommer/Herbst 15216 ist nicht auszuschließen, dass Lang einen Arbeitsentwurf der Apologia Bernhardi verwendete, den ihm die Wittenberger zur Verfügung gestellt hatten. Die Straßburger Druckausgabe könnte dagegen eine verbesserte Fassung der Apologia Bernhardi wiedergeben, die möglicherweise näher an der Albrecht von Brandenburg – dem Ordinarius der Magdeburger Erzdiözese, dem die Propstei Bernhardis unterstand – geschickten Anfertigung lag und zusammen mit den Akten des Falls Bernhardi – einschließlich dessen zwischen Ende August und Anfang September 1521 an Kfst. Friedrich gesandter Verteidigungdschrift – aufbewahrt wurde.7 Drei weitere Nachdrucke hängen von diesen beiden Ausgaben ab.
Die Erfurter Ausgabe wurde 1524 beim Verlag Hans Weinreich (hier E) nachgedruckt.8Langs Widmungsbrief ist durch eine neuere Vorrede an den Leser ersetzt,9 und einige in B vorhandene Satzfehler wurden korrigiert. Die Königsberger Ausgabe folgt im Wesentlichen der Erfurter. Es ist nicht klar, wer diesen Nachdruck veranlasst und herausgegeben hat.10
Die Straßburger Ausgabe enthält die Apologia Bernhardi und den Verteidigungsbrief an Kfst. Friedrich und wurde in Basel und Paris nachgedruckt. Letzere Ausgaben stellen dem Originaltitel eine Ergänzung voran, die den polemischen Charakter der Schrift verdeutlicht: »Contra papisticas leges sacerdotibus prohibentes matrimonium.« Die Basler Ausgabe wurde von Adam Petri gedruckt und höchstwahrscheinlich von Ulrich Hugwald herausgegeben, der auch den kurzen Widmungsbrief an den Leser verfasste.11 Für den Rest reproduziert sie die Ausgabe aus Straßburg.
Der Pariser Nachdruck ist nur fragmentarisch in drei fotografischen Aufnahmen der inzwischen verschollenen Originale auf fol. A1r–v und A8r überliefert.12 Diese Ausgabe, die die Basler einschließlich des Widmungsbriefes von Hugwald wiedergibt, stammt aller Wahrscheinlichkeit nach aus der Werkstatt von Jean de Gourmont, auf Initiative seines Bruders Gilles.13 Dem Titel ist ein Bibelvers aus Jes 8,1014 und die Phrase »Tandem sapit Germania« hinzugefügt. Schließlich folgt ein fingierter Druckort, »Excusum Megasondri: in superiori Brabantia«, von dem Baurmeister annimmt, dass es sich um den niederländischen Ort Groot-Zundert handelt.15
Ebenfalls überliefert ist eine Abschrift der Apologia Bernhardi, vollständig von der Hand Georg Spalatins,16 und heute in seinem Nachlass im Weimar aufbewahrt. Spalatin hat mit roter Tinte auch Randnoten angebracht, die den Inhalt der Textpassage jeweils angeben. Dieses handschriftliche Exemplar der Apologia Bernhardi weist Abweichungen zu den Frühdrucken auf: Manchmal folgt es der Erfurter Ausgabe, manchmal der Strassburger, in einzelnen Fällen zeigt es sich noch durch kleine Auslassungen17 und eigene Lesarten18 unabhängig von beiden. Die Vorlage dieses handschriftlichen Exemplars ist heute verschollen, könnte aber die im Juli in Wittenberg kursierende und von Melanchthon in seinem Brief an Spalatin erwähnte lateinische Fassung der Apologia Bernhardi gewesen sein.19 Höchstwahrscheinlich kursierten jedoch im Sommer/Herbst 1521 mehrere handschriftliche Abschriften der Apologia Bernhardi (von denen einige als Vorlage für die Erfurter und Straßburger Ausgaben gedient haben müssen), so dass Spalatin eine davon zu einem späteren Zeitpunkt abgeschrieben haben könnte.
Edition:
- McEwan, Bernhardi, 59–65 u. 95–102.
Literatur:
- Baurmeister, Verteidigungsschrift, 127–133.
- Bubenheimer, Consonantia, 240–242.
- Bubenheimer, Bischofsamt, 170–190.
- McEwan, Bernhardi.
- Buckwalter, Priesterehe, 94–97.
2. Entstehung und Inhalt
Der Fall Bartholomäus Bernhardi ist bekannt und stellt sich im Wesentlichen wie folgt dar.20Bernhardi, der in der Nähe von Feldkirch in Vorarlberg geboren wurde, hatte sich 1504 an der Universität Wittenberg immatrikuliert,21 wo er sein Studium – mit Ausnahme kurzer Abwesenheiten – fortsetzte, bis er im Wintersemester 1518/19 zum Rektor ernannt wurde.22 Sein Bruder Johannes war ebenfalls ab 1520 Professor für Rhetorik und Physik an der Leucorea.23 Ende 1518 wurde Batholomäus zum Propst der dem Wittenberger Allerheiligenstift inkorporierten Kemberger Propstei ernannt.24 Als einer der ersten berichtet Luther von seiner Heirat in einem Brief an Melanchthon vom 26. Mai 1521.25 Wann genau die Hochzeit stattfand, ist nicht bekannt.26 Anders als Jakob Seidler (vgl. KGK 185) lebte Bernhardi jedoch nicht im Konkubinat,27 sondern hatte eine »puellam virginem« geheiratet.28 Wie Bubenheimer betont, geschah die Heirat Bernhardis zudem öffentlich und mit Zustimmung der Gemeinde.29 Schließlich betraf seine Entscheidung auch direkt die Universität Wittenberg, da ja die Kemberger Propstei dem Allerheiligenstift inkorporiert war.30
Vor diesem Hintergrund ist es nicht verwunderlich, dass Bernhardis Ehe ein breites Echo fand und Gegenstand eines Verfahrens wurde, bei dem allerdings, anders als bei Seidler (KGK 185) und Zeiger (KGK 193), die weltliche Behörde dem für solche Prozesse zuständigen geistlichen Gericht nicht die übliche Kooperationsbereitschaft leistete. Es gelang Friedrich III. nämlich, sich einer von Albrecht von Brandenburg – dem die Propstei Bernhardis unterstand – geforderten Mitwirkung zu entziehen.31 Damit hatte der Kfst. das Verfahren ohne Verhaftung des Pfarrers von Kemberg faktisch umgehen können.32
Zunächst einmal die historischen Sachverhalte in ihrer Grundchronologie. Das erste Schriftstück, das sich auf ein Gerichtsverfahren gegen Bernhardi bezieht – wahrscheinlich von Kardinal Albrecht von Brandenburg, zwischen dem späten Frühjahr und dem Frühsommer 1521 eingeleitet – ist die hier edierte Apologia Bernhardi. Melanchthon erwähnt sie zum ersten Mal in einem nach dem 18. Juli verfassten Brief, in dem er Spalatin mitteilt, er habe die Apologia Bernhardi, sowohl in lateinischer als auch in deutscher Fassung (Beschützrede für Bernhardi in KGK V), den Wittenberger Juristen zugestellt.33 Der Grund dieses Ablaufs wird im Brief nicht ausdrücklich genannt,34 aber es ist anzunehmen, dass die Juristen den Verteidigungstext überprüfen sollten, bevor er nach Halle weitergeleitet wurde. In seinem Brief geht Melanchthon darüber hinaus auch davon aus, Spalatin würde die lateinische Fassung der Apologia Bernhardi lesen.35 Es ist daher nicht auszuschließen, dass es sich auch im Fall Bernhardis um eine koordinierte und gemeinsame Aktion handelte. So wie Spalatin und Schwertfeger den Brief zur Verteidigung Seidlers (KGK 185) gelesen, verbessert und vielleicht abgesegnet hatten, bevor das Schreiben offiziell dem Bischof Johann von Meißen gesendet wurde, so wurde auch die Apologia Bernhardi zuerst den Juristen und dem kurfürstlichen Sekretär bereitgestellt. Nach einem erneuten Interventionsgesuch des magdeburgischen Kanzlers Lorenz Zoch antwortete Kfst. Friedrich am 9. August schriftlich Kardinal Albrecht, dass Bernhardi bereit sei, sich auf der Grundlage der Heiligen Schrift richten zu lassen. Diese Prämisse wurde auch in der dem Brief beigefügten Apologia Bernhardi ausführlich diskutiert. Friedrich fügte hinzu, dass der Angeklagte um seinen Schutz gebeten habe und versicherte, dass es keine Fluchtgefahr gebe.36 Weitere Maßnahmen wurden nicht thematisiert, das Verfahren eingestellt. An dieser Haltung des Kurfürsten änderte sich auch in den folgenden Monaten nichts, obwohl Albrecht immer wieder um Intervention bat. Der Kardinal versuchte z. B. in seinem Brief vom 23. August, Druck auf Friedrich auszuüben: Nachdem er die ihm zugesandte Apologia Bernhardi als unzureichend bezeichnete,37 forderte Albrecht den Kurfürsten auf, die Verantwortung für deren Billigung zu übernehmen, angesichts der Tatsache, dass Bernhardis Verhalten Ungehorsam bedeute – nicht nur dem Papst, sondern auch dem Kaiser gegenüber.38 Die bischöflichen Vorwürfe veranlassten den Kurfürsten dazu, den Fall nochmals intern in Wittenberg zu klären, weswegen er wahrscheinlich eine Kopie des Briefes von Albrecht an Bernhardi schickte. Letzterer verfasste zwischen dem 23. August und dem folgenden 11. September persönlich eine weitere kurze, an den Kurfürsten gerichtete Verteidigungsschrift, die zusammen mit der Apologia Bernhardi in der Straßburger Ausgabe und den darauffolgenden Nachdrucken herausgegeben wurde. In dieser Selbstverteidigung stellte Bernhardi fest, dass die in der Apologia Bernhardi formulierten Argumente vom Kardinal nicht widerlegt worden waren, und erklärte sie damit erneut für gültig, um sich anschließend wieder unter den Schutz des Kurfürsten zu stellen.
Im September 1521 beauftragte Friedrich III. seinen Rat Hans von Planitz, die Sache in Halle noch einmal in Audienz beim Kardinal zu klären. Die kurfürstliche Instruktion für Planitz solle deutlich machen, dass Friedrich III. über den Fall Bernhardis kein Urteil gefällt und damit den angeblichen Ungehorsam des Kemberger Priesters gegenüber Papst und Kaiser nicht gebilligt, sondern lediglich die Apologia Bernhardi weitergeleitet habe. Die Verantwortung für den Fall könne ihm nicht zugewiesen werden; der Kfst. wollte sich auch nicht auf eine weitere Diskussion mit dem Kardinal zum Thema Bernhardi einlassen.39Hans von Planitz berichtete dem Kardinal am 12. September 1521 den Willen des Kurfürsten.40 Die Reaktion in Halle wies, wie zu erwarten war, keine Änderung auf.41 Es kam nicht einmal zu einer Verschärfung der Auseinandersetzung, die offenbar mit dem resignierten Eingeständnis Albrechts von Brandenburg endete, er habe das ihm Mögliche getan.42
Die hier edierte Schrift wurde in der älteren Forschung aufgrund des erwähnten Briefes an Spalatin gelegentlich Melanchthon zugeschrieben.43 Wie bereits von Barge bemerkt, weist die Apologia Bernhardi eine eindeutige und grundlegende Übereinstimmung mit Themen und Argumenten auf, die Karlstadt bereits in den Schriften zur Klerikerehe und zum Zölibat jenes Sommers/Herbsts 1521 entwickelt hatte (KGK 181, KGK 189, KGK 190 und KGK 203).44 Bubenheimer interpretierte darüber hinaus eine Passage aus einem Brief von Justus Jonas an Wolfgang Capito vom 1. Januar 1522 als ausdrückliche Zuschreibung der hier veröffentlichten Apologia Bernhardi und ihrer deutschen Fassung (Beschützrede für Bernhardi in KGK V) an Karlstadt.45 Statt mit Barge eine direkte Bittsuche von Bernhardi an Karlstadt unterstellen zu müssen,46 scheint die These Bubenheimers wahrscheinlicher, dass Karlstadt sich zu den Ereignissen des Kemberger Propstes äußerte, denn »auf der unteren kirchlichen Instanz unterstand Bernhardi zunächst der Aufsicht des Wittenberger Allerheiligenstifts. Während die Stelle des Stiftpropsts bis [Anfang] Juni 1521 vakant war, wurde der Archidiakon Karlstadt aktiv. Jedoch statt gegen Bernhardi vorzugehen oder ihn bei seinem Bischof anzuzeigen, verteidigte er ihn […]«.47 Der Fall Bernhardi gliederte sich nämlich in die von Karlstadt in jenen Monaten geführte theologische Überlegung ein und bot dann, wie im Fall Seidlers, eine konkrete Möglichkeit, nicht nur die biblische Begründung der Klerikerehe zu vertreten, sondern auch die damit verbundenen Macht- und Rechtsverhältnisse mit den zuständigen Bischöfen neu zu formulieren.
Doch lassen die Ähnlichkeiten vermuten, die sich zwischen dem Ablauf der Verteidigung von Seidler und Bernhardi in Wittenberg offenbaren, dass Karlstadt auch im hier beschriebenen Fall nicht allein agierte. So wie der Brief an Bischof Johann von Meißen vom 18. Juli von Schwertfeger abgeschrieben, vielleicht sogar korrigiert und dann von Spalatin nochmals überprüft worden war, schickte Melanchthon in jenen Tagen auch die Apologia Bernhardi an die Juristen der Universität und ging davon aus, dass auch Spalatin sie las, bevor sie an Kardinal Albrecht geschickt wurde. Es ist nicht auszuschließen, dass Karlstadt den Text mit der Unterstützung von anderen Kollegen der Leucorea verfasst hatte, insbesondere eben jener, die mit ihm den Brief an den Bischof von Meißen unterzeichnet hatten, aus dem eine Passage in der hier veröffentlichten Apologia Bernhardi fast wörtlich übernommen wurde.48 Mehr als mit Justus Jonas – der erst in Wittenberg angekommen war, als er am 6. Juni 1521 zum Propst des Allerheiligenstifts ernannt wurde – wird in der Literatur49 ein Gedankenaustausch, wenn nicht gar eine direkte Zusammenarbeit mit Melanchthon vermutet, der sich in jenen Monaten theologisch und philologisch mit dem Thema Mönchsgelübde beschäftigte.50 Einige Passagen der Apologia Bernhardi lassen sich auch auf diese Weise deuten.
Die Apologia Bernhardi ist als eine von Bernhardi selbst abgegebene Verteidigungsrede dargestellt, um auf die an ihn gerichtete Aufforderung zu antworten und sein Verhalten zu rechtfertigen. In den ersten Absätzen bestärkt er entschieden die Gültigkeit seiner Ehe, vor allem, um seinen Nächsten nicht zu empören und damit die Aufforderung des Paulus51 zu befolgen, jeder Bischof solle makellos sein. Ausgehend von der zentralen Voraussetzung, man müsse Christus und damit der Heiligen Schrift folgen und nicht den Menschen und ihren Gesetzen und Traditionen, wird konstatiert, die Ehe sei nirgendwo in der Bibel verboten und Christus habe den Zölibat nicht vorgeschrieben, sondern nur für diejenigen freigegeben, die eine Sondergabe erhalten hätten.52Paulus selbst erklärt, dass es besser sei, zu heiraten als zu »brennen« (1. Kor 7,9).53 Wenn dies das klare Zeugnis der Schrift sei, müsse die päpstliche Auferlegung des Zölibats abgelehnt werden. Die päpstlichen Gesetze veranlassen die Menschen, die die notwendige göttliche Sondergabe nicht erhalten haben, nur dazu, Keuschheit vorzutäuschen und somit schwer zu sündigen. Dass dieser Grundsatz für alle und nicht nur für Laien gilt, behauptet die Apologia Bernhardi durch den Hinweis auf 1. Tim 3,2–5 u. Tit 1,7–9, wo ausdrücklich belegt ist, dass auch die Bischöfe zur Zeit des Paulus legitim verheiratet waren.54 Auf diese Bibelstellen folgen Kurzreferenzen zu historischen Quellen über den Ehestand eines in der Apostelgeschichte erwähnten Philippus, des Apostels Petrus, des Bischofs von ZypernSpiridon und des Hilarius. Auch die bereits in KGK 185 angeführte Geschichte des deutschen – vor allem in den Diözesen Köln und Konstanz – geleisteten Widerstands gegen die Auferlegung des Zölibats durch Gregor VII. wird nochmals thematisiert. Die Apologia Bernhardi setzt sich damit in Einklang mit einer Traditionslinie, die sich von der apostolischen und patristischen Epoche durch den mittelalterlichen Widerstand gegen die Missbräuche der römisch-katholischen Kirche bis zur Reformation zog. Es ist nicht immer klar, welche Quellen herangezogen wurden, aber neben den patristischen Texten war es mit großer Wahrscheinlichkeit die von Luther 1520 herausgegebene Epistola Hulderichi,55 die eine Reihe von Argumenten für die gemeinsame Wittenberger Diskussion um die Priesterehe in jenen Monaten lieferte. Sicherlich war sie auch Karlstadt bekannt, aber gerade die historischen Ausführungen – später in der deutschen Fassung der Apologia Bernhardi (Beschützrede für Bernhardi in KGK V) aufgegriffen und weiter ausgearbeitet – legen eine enge Zusammenarbeit mit anderen Wittenberger Kollegen nahe.
Nachdem dargelegt wurde, wie die Heilige Schrift und die urchristliche Überlieferung die Gültigkeit der Klerikerehe bestätigen, geht es im nächsten Abschnitt um die menschlichen Gesetze. Sobald das ius humanum der evangelischen Wahrheit entgegenstehe, müsse es abgelehnt werden, da Gott mehr als den Menschen zu gehorchen sei. In diesem Zusammenhang nimmt die Apologia Bernhardi auf zahlreiche Bibelstellen Bezug, die nicht direkt in Karlstadts zeitgenössischen Schriften, sondern mehr und in einer ähnlichen Argumentationskette in MelanchthonsLoci angeführt sind.56 Konfrontiert mit dem Dilemma, ob er gegen die Heilige Schrift – die offen jede »scortationem« verbietet oder gegen die päpstlichen Gesetze, die das Zölibat vorschreiben – verstoßen sollte, habe Bernhardi nur Ersterem folgen müssen und aus diesem Grund die Ehe gewählt. Paulus selbst zählte den Zölibat zu den dämonischen Lehren (1. Tim 4,1–3).57 Es sei daher laut der Apologia Bernhardi notwendig, die Seelen der Christen vor den menschlichen Gelübden zu schützen, in dem Bewusstsein, dass sie von Satan kommen. Noch einmal folgen historische Belege, wie das angebliche Auftreten des Paphnutius während des Konzils von Nicäa gegen die Auferlegung des Zölibats; oder die auf der Trullanischen Synode diskutierten Kanones. Die Apologia Bernhardi greift damit auf Quellen und Ereignisse zurück, die bereits in der Epistola Hulderichi und in der zwischen Juli und August 1521 erfolgten Wittenberger Edition der sogenannten apostolischen Kanones zitiert wurden.58 Auch in diesem Zusammenhang ist eine Mitwirkung Melanchthons, möglicherweise in Form eines privaten Austausches mit Karlstadt, nicht ausgeschlossen.
Der letzte Abschnitt versucht, den Bruch eines zuvor abgelegten Gelübdes zu begründen. Zunächst wird darauf hingewiesen, dass kaum jemand Gelübde immer und vollständig erfüllen könne; das gelte auch für jene Geistliche, die Bernhardi den Bruch des Zölibatsgelübdes vorwerfen und zugleich ihre (wie er seine) Gelübde gelegentlich brechen. Ohnehin könne man niemanden zwingen, gegen die Schrift oder unter Gefährdung der eigenen Seele zu schwören.59 Schließlich sei die Vorbehalts-Klausel »Quantum fragilitas humana permittit« heranzuziehen, die wie in KGK 181, KGK 190 und KGK 203 als Zugeständnis der unmöglichen Einhaltung des Keuschheitsgelübdes durch die postlapsarische Natur des Menschen interpretiert wird. Da der Zölibat für diejenigen, die keine Sondergabe von Gott erhalten haben, zur Sünde und Verdammnis führe, müssen Christen ein solch törichtes Gelübde zwingend brechen. Der Papst selbst sehe einen Dispens für diejenigen vor, die als Minderjährige geschworen haben; dieser Dispens solle laut der Apologia Bernhardi – wie auch in KGK 190 und KGK 203 – stattdessen für alle gelten. Mit alttestamentlichen Stellen, die Karlstadt in KGK 203 ausführlich kommentiert hatte, wird schließlich argumentiert, die Bibel selbst erlaube, Gelübde zu brechen, die gegen die göttliche Wahrheit verstoßen oder das Seelenheil gefährden.60
Nach der Wiederholung der Gründe, die Bernhardi zur Heirat veranlasst haben, und der Bekräftigung der völligen Übereinstimmung dieser Wahl mit der Heiligen Schrift schließt die Apologia Bernhardi mit der Hoffnung, dass die vorgebrachten Argumente als Rechtfertigung ausreichend seien; andernfalls müsse man auf das göttliche Gericht verweisen, bei dem Bernhardi keinen Zweifel habe, erlöst zu werden.
Dem Text der Apologia Bernhardi folgt in der Straßburger Ausgabe und deren Nachdrucken der von Bernhardi verfasste Brief an Kfst. Friedrich. Der Kemberger Propst gibt an, er habe den Brief Albrechts von Brandenburg an den Kurfürsten vom 23. August 1521 gelesen und könne nur die in der vorherigen Verteidigungsschrift bereits aufgestellten Argumente wiederholen, da diese nie widerlegt worden seien. Bernhardi fasst daher den Inhalt der Apologia Bernhardi zusammen und bekräftigt seinen Wunsch, dem göttlichen mehr als dem menschlichen Gesetz zu gehorchen und fordert Friedrich III. auf, der Lehre des Paulus nicht zu widersprechen, die es verbietet, die Gewissensfreiheit anderer zu verletzen.
Während die Straßburger Ausgabe keine Einleitung besitzt, enthält der Basler Nachdruck eine kurze Vorrede, die später in der Pariser Ausgabe übernommen und höchstwahrscheinlich von Ulrich Hugwald verfasst wurde.61 Diese Vorrede macht aus Bernhardi ein Vorbild des tapferen Kämpfers für die evangelische Freiheit. Außerdem liefert sie einige weitere Informationen über dessen Ehe: Bernhardi soll im Alter von 31 Jahren vor vielen Zeugen ein Mädchen geheiratet haben, das arm an Gütern, aber reich an Schönheit und Tugend war. Auch in der Erfurter Ausgabe stellt Johannes Lang Bernhardi in seinem Widmungsbrief an Christoph von der Heiden als Vorbild dar und warnt den jungen Adligen davor, Gelübde abzulegen. Der 1524 in Königsberg erschienene Nachdruck der Erfurter Ausgabe ersetzt Langs Widmungsbrief durch eine kurze Einleitung eines anonymen Autors, der die Kritik an der römisch-katholischen Kirche und dem Papsttum weiter radikalisiert.
Die Apologia Bernhardi erfuhr eine breite Rezeption, wovon zahlreiche Ausgaben zeugen. Man muss jedoch auch ein frühes handschriftliches Kursieren der Apologia Bernhardi vermuten, worauf möglicherweise die Entstehung der Erfurter und Straßburger Ausgaben, so wie der Abschrift Spalatins beruhrte. Im ersten Fall ist es naheliegend, dass Johannes Lang ein Manuskriptexemplar im Winter 1521 aus Wittenberg erhielt, wo er viele enge Kontakte hatte – darunter Justus Jonas, der mit Lang in jenen Monaten ebenfalls über seine Pläne einer eigenen Heirat korrespondierte.62 Unklarer bleibt die Entstehung der Straßburger Ausgabe. Es sei jedoch darauf hingewiesen, dass Ulrich Morhart in denselben Monaten auch die deutsche Fassung von LuthersThemata de votis herausgab.63 Der Text zirkulierte sicherlich unter den Anhängern der Reformation, unter denen sich auch Nikolaus Gerbel befand, der in jenen Monaten auf Luthers Veranlassung über Spalatin Bücher aus Wittenberg bekam.64Sicher ist, dass die Straßburger Ausgabe gegen Ende 1521 oder Anfang 1522 gedruckt wurde, da bereits am 22. März 1522 sowohl in Paris als auch in der Kirchenprovinz Sens der Verkauf nicht nur von »De coelibatu et viduitate auctore Andrea Carlostadio« (KGK 190), sondern auch von »Contra Papisticas leges sacerdotibus prohibentes matrimonium Apologia Pastoris Combergensis [!], qui nuper sine [!] Ecclesiae consensu uxorem duxit« verboten wurde.65 Auch wenn anhand dieses Titelzitats nicht zu unterscheiden ist, ob es sich um die Basler oder die spätere Pariser Ausgabe handelte, muss der Straßburger Druck wenigstens einige Monate vorher erschienen sein, um nachgedruckt und schon im März 1522 in Frankreich verbreitet worden zu sein.