Nr. 193
Glosse des hochgelehrten Ablasses zu Halle
[[Wittenberg], 1521, 21. September]

Einleitung
Bearbeitet von Harald Bollbuck

1. Überlieferung

Frühdruck:

[A:]Lignacius Stürll (= Pseudonym: Karlstadt, Andreas Bodenstein von)
Gloße/Des Hochgelarten/yrleuchten/ ∥ Andechtigen/vn̄ Barmhertzigen/ ∥ ABLAS ∥ Der tzu Hall in Sachſen/ ∥ mit wunn vn̄ freudē ∥ außgeruffen. ∥
[Wittenberg]: [Nickel Schirlentz], [1521].
4°, 8 Bl., a4–b4, b4v leer.
Editionsvorlage:
HAB Wolfenbüttel, H: H 67.4 Helmst.(10).
Weitere Exemplare: SLUB Dresden, Hist. eccl. E. 356,1m. — ULB Halle, Pon Yb 3354e. — HAB Wolfenbüttel, H: K 151.4 Helmst. (27). — HAB Wolfenbüttel, H: Yv 2399.8 Helmst.
Bibliographische Nachweise:

Es sind vier Exemplare mit hsl. Einträgen überliefert. Das Exemplar aus Dresden mit einem hsl. Eintrag unkannter Hand auf dem Titelblatt ergänzt Druckort und Datum: »Gedruckt zcu Wittenberg auff Mathei ap'osto'li ∣ Anno etc. 21«. Das Exemplar aus Halle besitzt zwei hsl. Einträge von unterschiedlichen Händen auf dem Titelblatt. Direkt unter dem Titel (Zeile 3 und 4 unleserlich verblasst) vermutlich von einer Hand aus dem 17. Jh.: »Des verdambten teufelischen ∣ Ablas Gossa [!] welches der ∣ Babst aus […]∣ […]∣ erklaret durch den ∣ Ignatium Strulln [!]«. Am unteren Blattrand ein Autograph von Karlstadts Hand: »Deu'teronomium'∣ Deu'teronomium' 13 […] [m]anu capienda«.1 Das von uns als Editionsvorlage genutzte Exemplar in Wolfenbüttel trägt einen hsl. Zueignungseintrag unbekannter Hand auf dem Titelblatt: »V'iro' V'enerabili' Theodirico [!] K'och'∣ suo p'roprio' m'anu'«.2 Ein weiteres Exemplar aus Wolfenbüttel3 hat folgenden Eintrag auf dem Titelblatt: »Hern gasparnn schmidt itzund bey der frauwen vonn mergentaln zuubersenden genn hirschfelt.«4

Die Anordnung der in diesem Druck vereinigten unterschiedlichen Textsorten, der Ablasswerbeschrift und ihrer Glosse, ist nicht einheitlich. Zwar beginnt die Darstellung in einer Gegenüberstellung der beiden Textsorten in zwei Spalten, ändert sich aber schon auf der zweiten Seite: Beide sind nun unter Beibehaltung von zwei Spalten fortlaufend im Wechsel abgedruckt. Diese Edition wählt eine Auflösung der originalen Anordnung und stellt den Text der Werbeschrift mit seiner stellenbezogenen Glossierung in zwei Spalten einander gegenüber. Auf diese Weise wird dem Leser die Möglichkeit gegeben, einerseits den Text der Ablasswerbung im Zusammenhang zu erfassen, andererseits die einander zugeordneten Textstücke schnell zu erkennen. Die oftmals seltsamen Wort- und Sinntrennungen innerhalb der Textblöcke konnten auf diese Weise wie im Original beibehalten werden, da die Texteinheit durch den fortlaufenden Abdruck innerhalb der Spalte gewährleistet ist. Seitenumbrüche wurden dem Original entsprechend übernommen, sodass am Anfang (fol. a2v) ein doppelter Umbruch in Text und Glosse aufzufinden ist. Viele der Anmerkungsbuchstaben (hier fett gedruckt), die die jeweilige Glosse auf bestimmte Textstellen der Werbeschrift beziehen, sind im Original ungenau gesetzt. Sie wurden in der Edition korrigiert und mit einer textkritischen Anmerkung versehen. Schließlich sind die Suprascripta im Originaldruck undifferenziert und als solche kaum zu erkennen. Sie wurden in der Edition stillschweigend vereindeutigt.

Edition:

Literatur:

2. Entstehung und Inhalt

Von der Glosse des Ablasses ist nur eine Ausgabe bekannt. Ulrich Bubenheimer schrieb als erster Karlstadt die Autorschaft zu.5 Auf dem Titelblatt des Exemplars in Dresden setzte eine unbekannte Hand das Erscheinungsdatum: »Gedruckt zcu Wittenberg auff Mathei apostoli Anno etc. 21«6. Die Drucklegung war also am 21. September 1521 abgeschlossen. Dies war der vorletzte Tag des in Halle gefeierten Reliquienfestes.7 Die Glosse des Ablasses überliefert den Text der Ablasswerbung für das Reliquienfest, den nur eine weitere Leipziger Quelle tradiert,8 und versieht ihn mittels eines Buchstabenverweissystems mit satirischen Glossen.

Auch inhaltlich lässt sich die Glosse des Ablasses an Hand zahlreicher Parallelen mit Schriften aus den Jahren 1521/22 Karlstadt zuordnen.9 So kündigt die Glosse des Ablasses eine Veröffentlichung zum Jubeljahr und zum Brauch der Glockenweihe an, bei der es sich wohl um Karlstadts Loci tres (KGK 194) handelte.10 Am Ende weicht die Schrift von ihrem glossierenden Stil ab und geht in eine an den Propst des Neuen Stifts, Johannes Rider,11 gerichtete Aufforderung über, den auf Grund einer eingegangenen Ehe in erzbischöflicher Haft einsitzenden Priester Balthasar Zeiger aus Vatterode bei Mansfeld12entweder zu entlassen oder aber bis zum 11. November eine Rechtfertigung der Inhaftierung zuzusenden.13

Der Druck erschien unter dem Pseudonym Lignacius Stürll. Der »stürl« war eine mit einem Lederlappen besetzte Stange, die für das Aufscheuchen von Fischen verwendet wurde.14 Lignacius Stürl bedeutet also etwa »hölzerne15 Stange«. Pseudonymik und Stil erinnern an die Dunkelmännerbriefe. Dem Denotat des Namens, dem Aufstöbern und Jagen, entspricht die Drohung am Ende der Schrift: »Werdet ir mein ansynnen vor achten/ so wil ich ein spiel anfahen/ das euch Halle tzu enge wirt«.16 Sie richtet sich an die Stiftsherren und das Kapitel des Neuen Stifts, dem die Vorrede der Schrift gewidmet ist und von denen die Werbung für den Hallenser Ablass von 1520 und 1521 ausging.17 In seiner Schrift Von Anbetung der Zeichen, deren Widmungsvorrede an Albrecht Dürer auf den 1. November 1521 datiert ist,18 nimmt Karlstadt diese in der Glosse des Ablasses aufgestellte Forderung wieder auf und berichtet von der Freilassung des Priesters,19 der am selben Tag nach Leistung einer Urfehde aus der Haft entlassen worden war.20

Es gibt einen in nur einem Exemplar überlieferten Plakatdruck der Werbung für das Reliquienfest aus dem Jahr 1520, dem der in der Glosse des Ablasses abgedruckte Werbetext, wenige Abweichungen ausgenommen, folgt.21 Es handelte sich also um nichts anderes als eine Neuauflage der Publikation aus dem Vorjahr 1520. Aktualisiert wurden einige Daten gegenüber der vorherigen Fassung; das Schlussdatum jedoch fehlt in der Glosse des Ablasses,22 vermutlich weil es für den Kontext der Glossierung keine Bedeutung besaß. Eingerichtet worden war der Ablass per päpstlichem Edikt vom 13. April 1519, gewährt in der Stiftungsbulle des Neuen Stifts.23 Die Dauer des Festes (das »güldene Jahr« oder Jubeljahr) wird mit zehn Tagen angegeben, es ist gegenüber dem Vorjahr um zwei Tage ausgedehnt.24 Beginn ist der Freitag vor dem Sonntag nach dem Fest zur Geburt Mariae, Ende nach Sonnenuntergang am darauffolgenden Sonntag.25 Also währte es in diesem Jahr vom 13. bis 22. September 1521 und integrierte auf diese Weise den Tag des Hl. Mauritius (22. September), des – neben Maria Magdalena und dem Heiligen Erasmus – Hauptheiligen des Neuen Stiftes. Ein weiterer Unterschied ist, dass 1520 die Reliquienweisungen an nur einem Tag stattfanden, am Sonntag nach Mariae Geburt, im folgenden Jahr dagegen auf Sonntag und Montag ausgedehnt worden waren.26 Erwähnt ist der Ort des Reliquienfests und seiner Umzüge, die Kapelle Maria Magdalena, die sich auf der erzbischöflichen Moritzburg befand und zur Stiftskirche erhoben wurde.27 Um die Burg durch die erwarteten Pilgerströme nicht ihres Schutzes zu entblößen, hatte Kd. Albrecht bereits 1520 ein päpstliches Privileg zur Umwidmung der Heilig-Kreuz-Kirche des Dominikanerklosters zur Maria-Magdalenen-Kirche des Neuen Stifts erwirkt.28 Die Kirche erhielt den Namen ad sanctum Mauritium et sanctum Mariam Magdalenam ad velum aureum, wurde aber erst am 23. August 1523 geweiht.29 Um die Heiltumswirkung zu kumulieren, wurden der Bistumsheilige Mauritius und der Hl. Erasmus (als Patron des Hauses Brandenburg) zusätzlich zu Schutzheiligen des Neuen Stifts erhoben und zur Pflege des Kultes die bereits 1516 begründete Erasmusbruderschaft mit päpstlicher Bestätigung eingerichtet.30 Stiftsheilige und Bruderschaft erwähnt der Text mit Selbstverständlichkeit.

Gegenüber der Werbung von 1520 ist im hier abgedruckten Nachfolgetext von 1521 neben der Ausdehnung der Dauer des Festes die große Vermehrung des Reliquien- und Ablasswesens im Neuen Stift in Halle auffällig. Die Anzahl der Reliquienpartikel ist innerhalb eines Jahres von 8255 auf 21441 gestiegen.31 Da jedem Partikel ein genau festgelegter Umfang an Ablass zur Reduzierung der Dauer von Fegefeuerstrafen zugeschrieben wurde, erhöhte sich der Gesamtumfang der mit jedem einzelnen Partikel verbundenen Ablässe von 4000 Jahren und 3040 Tagen32 um jeweils 800 Quadragen, also 800 mal sechs Wochen (bzw. 40 Tagen).33

Die Werbeschrift gewährt Ablass von allen Sünden für jeden bei wahrer, echter Reue; auch eine Ablösung der (Reservat-)Fälle, für die sonst der Papst zuständig sei. Kranke könnten Geld senden und würden absolviert, als seien sie vor Ort; selbst nicht wohlverdientes Geld könne zum Ablass gegeben werden. Abgelöst würden alle Gelübde außer jene des geistlichen Standes und der Keuschheit, ebenso Exkommunikationen, die am Gründonnerstag in Rom in Form der Abendmahlsbullen, einer Sammlung von stets erweiterten Exkommunikationssentenzen, verhängt worden waren.34 Die Beichtväter des Neuen Stifts besitzen dieselben Bußvollmachten und -gewalten wie die Pönitentiare in Rom.

Schon das Vorwort der Glosse des Ablasses spricht die Stiftsherren direkt an und wirft ihnen vor, Ablassfest und Reliquienverehrung als Einnahmequelle zu nutzen und Falsches für Wahres auszugeben wie kriminelle Fälscher, deren Taten vor einem weltlichen Gericht unter die Kapitalstrafen fielen.35 Eine Absage des Ablassfestes würde sie jedoch in den Kreis gerühmter Frommer einreihen. Denn Aufgabe der Priester sei die Verkündigung, sonst nichts. Die erste Glosse bestreitet den Anspruch des Ablasswerbungstextes, einen Wissensbestand zu verkündigen, eröffne er doch nur, wie Geld von den Gläubigen eingetrieben werden solle. Weltliche Titel seien für das Heil ohne jeden Wert.36 Der Wiedererweckung des Evangeliums in Sachsen – ein unverhohlener Bezug zur Wittenberger Reformation – stelle der Ablass nur (Weih-)Rauch und Lügen entgegen. Kirchen nach Menschen zu benennen, und seien es auch Heilige wie Maria Magdalena, sei Idolatrie. Glaube, nicht der Ablass mache selig, den rechte Reue auch als Institut ersetze. Das »güldene« Ablassjahr sei demnach nutzlos, zumal es vom Papsttum, dem Endchrist, errichtet worden sei. Selbstverständlich habe der Papst auch keine Macht über die Sakramente, sodass es nicht, wie im Werbetext behauptet, Fälle gebe, die allein der Papst lösen könnte. Den Schlüssel zur Ablösung der Sünden haben alle Christen gleichmäßig empfangen.37 Die am Gründonnerstag in Rom in den Abendmahlsbullen verkündeten Exkommunikationen, deren Ablösung der Hallenser Ablass versprach, verfügten laut Karlstadts eigener Erfahrung über keinerlei Wirkung; im Gegenteil verhelfe eine Bannung durch den Antichrist-Papst zur Seligkeit.

In erneuter Aufnahme des Idiolatrievorwurfs erhebt sich die Glosse gegen das Vertrauen in die Bilder in den Kirchen und den Messgesang, gegen die Begräbnisrituale38 und sogar gegen das hölzerne Kreuz als Symbol, da es das geistige Kreuz als Bußzeichen verdecke und als Zeichen für die Ablassgabe benutzt werde. Tatsächlich wurde ein Holzkreuz für die Ablassprozession in Halle aufgestellt.39 Die für das Ablassfest in Dienst genommene Erasmus-Bruderschaft sei schon aus dem Grund abzulehnen, da es nur eine wirkliche Bruderschaft gebe: die aller Gläubigen Christi.40 Letztlich habe das Ganze nur einen ökonomischen Aspekt, denn das Ziel aller Maßnahmen der Ablasswerbung sei der Opferstock. Neben der grundsätzlich zu verurteilenden Simonie, dem Geschäft Geld gegen Gnade, sei es besonders empörend, dass das Beten mit einem geringeren Ablass als die Gabe von Spenden und Almosen veranschlagt werde. Tatsächlich wurde das Beten von drei Vaterunser und drei Ave-Maria vor dem Allerheiligenaltar der Stiftskirche inklusive Buße mit 100 Tagen Ablass belohnt, die Gabe von Almosen bzw. der Kauf von Ablassbriefen versprach dagegen hunderte oder gar tausende Jahre.41 Die Drohung, ohne Geldgabe unerlöst zu sterben, veranlasse Arme dazu, aus Furcht Geld zu geben. Die Armen seien es, deren Spenden die mit Krokodilstränen aufgeführten Unkosten des Stifts und seiner Errichtung kompensierten. Weder nach weltlichem noch biblischem Recht werde verfahren, wenn der Ablass angibt, auch Geld, das nicht wohlverdient (d. h. aus unrechter Quelle) sei, als Spende anzunehmen. Dieses Geld müsse an die rechtmäßigen Besitzer zurückgegeben werden.

An einer Stelle wendet sich Karlstadt anklagend an den Dekan des Neuen Stifts, der doch das Evangelium gut kenne und dennoch dem ungelehrten Kirchenvolk nicht verkündige, stattdessen den Ablass schweigend hinnehme und zulasse, dass mit dem Ablasskauf nur Geld zusammengebracht werde und die Hilfspriester (die Lokaten) die Botschaft des Evangeliums verleugneten.42 Bei diesem Dekan des Neuen Stifts handelte es sich um Konrad Steyerwald aus Remda.43 Da er im Sommersemester 1509 in Wittenberg immatrikuliert worden war,44 wird er Karlstadt bekannt gewesen sein. Zudem mögen auf Steyerwald größere Hoffnungen hinsichtlich Abschaffung des Ablassfestes gelegen haben, hatte doch der Propst des Stifts Neuwerk (ebenfalls in Halle), Nikolaus Demuth45, einige Tage nach seinem Besuch in Wittenberg bei Karlstadt und Luther am 11. Januar 1521 Erzbischof Albrecht mitgeteilt, dass Steyerwald als Dekan des Neuen Stifts das Evangelium den Wittenberger Reformvorstellungen gemäß verkünden würde.

Wie schon eingangs erwähnt, endet die Schrift mit einer an den Stiftspropst Johannes Rider46 gerichteten Fehdeankündigung für den Fall, dass der inhaftierte Priester Balthasar Zeiger47 nicht freigelassen bzw. bis 11. November des Jahres keine Nachricht über sein Schicksal erteilt würde. Die theologische Demontage des Ablasses, der kein Heilsangebot darstelle, sondern nur ökonomische Zwecke verfolge, ist eingebunden in einen Absage- und Fehdebrief, der nicht nur das Ende des Ablassfestes fordert, sondern auch die Freilassung und pflegliche Behandlung des wegen Eheschließung inhaftierten Priesters.48 Die Schlussformulierungen schlagen einen Bogen zur Ansprache an die Kanoniker in der Widmung am Anfang, die mit der Beschuldigung verbunden war, dass sich diese mit dem Ablass wie Fälscher verhielten, die vor Gericht zu ziehen seien.49 Mit der Ankündigung einer Fehde, die in Form einer Drohung, in Halle einzufallen oder gar in Mainz zu erscheinen,50 daherkommt, stellt sich die Schrift in einen Kommunikationszusammenhang, wie ihn zeitgleich Ulrich von Hutten literarisch und Franz von Sickingen militärisch und kulturell herstellten. Der auf der Ebernburg versammelte Kreis von Humanisten und Reformatoren übte große Strahlkraft aus.51 Indem in der Widmung die Niederschrift der Glosse des Ablasses fiktiv auf eine Gesellen- bzw. Ganerbenburg verlegt wird, schreibt sich die Schrift in diesen Kontext ein. Möglicherweise ist auch die Nennung der »herberig«52 als der Ort, an den das Kapitel die Entscheidung über den inhaftierten Priester schicken solle, eine Reminiszenz an Huttens »Herberge der Gerechtigkeit«.53 Dazu passt der an die Dunkelmännerbriefe erinnernde, ironisch-polemische Stil der Glosse des Ablasses: Von den verbalen Ausfällen gegen die Stiftsherren (»veiste[n] Schweine[n]«)54 über die Persiflage der Ablassimperative (»kum her und gib gelt«)55 bis zur Ironisierung der Logik der Ablasslehre (da die Exkommunikation durch den Antichrist-Papst und damit durch den Teufel erfolge, könne auch ein Ablass diese nicht lösen)56.

Am 30. September und 1. Oktober 1521 besuchten die Räte Ebf. Albrechts, Wolfgang Capito und Heinrich Stromer, Wittenberg.57 Ziel war es, publizistische Angriffe gegen den Erzbischof und das Stift zu verhindern. In einem Brief an Spalatin (um den 20. Oktober verfasst) berichtete Melanchthon von seiner Unterredung mit den beiden Räten am 30. September.58 Dabei kam das Gespräch auf die Glosse des Ablasses. Melanchthon behauptete, den Autor nicht zu kennen, gleichzeitig aber den Text zu missbilligen, namentlich wegen der gegen das Stift ausgesprochenen Drohungen.59 Wenn der Erzbischof keine Maßnahmen gegen Wittenberg anordnet, werde Melanchthon dafür eintreten, dass in den hiesigen Schriften nicht gegen ihn gewirkt werde.60 Augenscheinlich wurde die Androhung der Fehde ernst genommen.

Sowohl der Hallenser Ablass als auch die Sache der wegen Heirat inhaftierten Priester blieben auf der Agenda. Am 1. Dezember 1521 richtete Luther selbst einen Brief an Ebf. Albrecht, in dem er einerseits forderte, dass Priester, die geheiratet haben, nicht verfolgt werden dürften. Zugleich rief er dazu auf, den Hallenser Ablass zu beenden, andernfalls würde er eine Schrift Wider den Abgott zu Halle in Druck gehen lassen.61 Der kfstl. Hof veranlasste jedoch, vermutlich basierend auf der Unterredung zwischen Capito, Stromer und Melanchthon, dass Luthers Schrift nicht erschien. Dennoch antwortete der Kardinal am 21. Dezember, dass die Ursache abgestellt sei,62 und Capito schrieb am selben Tag an Luther, dass Kd. Albrecht durch seinen Einfluss von den Ablässen abstehen werde63 – eine Aussage, die sich nicht als wahr herausstellen sollte.


1Dank für alle Hinweise an Prof. Dr. Ulrich Bubenheimer. Im Wintersemester 1521/22 las Karlstadt über 5. Mose (Deuteronomium). Mitteilung liefert der Brief Sebastian Helmanns an Johannes Heß, Wittenberg, 8. Oktober 1521: »Audio et 32. capud [!] Genesis ab Andrea Carolstadio. Brevi incipiet Deuteronomium.« (Müller, Wittenberger Bewegung, 19 Nr. 4). Die auf Deutsch gehaltene Vorlesung lief bis zum Februar 1522. S. den Hinweis in der auf den 18. Februar 1522 datierten Widmungsvorrede der Schrift Maleachi-Predigt, fol. A1v (KGK V, Nr. 224).
2Der Sammelband, dem unser Text zugehört, entstammt dem Kloster St. Ägidien in Braunschweig. Daher handelt es sich bei dem Bewidmteten höchstwahrscheinlich um Theodericus Coci (Koch), der 1514 als (letzter) Abt des Ägidienklosters berufen wurde (Rethmeyer, Antiquitates, 82), sich allerdings erst 1533 in Wittenberg inskribierte, vgl. AAV 1, 147. Der Kontakt zu Koch wird daher über den am 22. April 1520 in Wittenberg immatrikulierten Gottschalk Cruse, Mönch und Lektor desselben Klosters, vermittelt worden sein (vgl. AAV 1, 89); möglicherweise hat dieser selbst den Widmungseintrag verfasst. Cruse disputierte unter dem Vorsitz von Karlstadt am 17. Oktober 1521 für die Promotion zum Baccalaureus biblicus, vgl. KGK 199 (Anmerkung).
3HAB Wolfenbüttel, H: K 151.4 Helmst. (27).
4Vgl. hierzu Bubenheimer, Müntzer, 278 f. Bei dem Ort handelt es sich um das Zisterzienserinnenkloster Marienthal bei Hirschfelde (Lausitz). Schrift 40 des Sammelbandes H: K 151.4 Helmst. ist die Epistola Divi Hieronymi ad Paulinum presbyterum (Wittenberg 1517). Sie besitzt zahlreiche Interlinear- und Marginalglossen von Caspar Schmidt, die er in der Hieronymusvorlesung von Johannes Rhagius in Wittenberg angelegt hatte. Am 9. Oktober 1517 wurde Caspar Schmidt/Fabri aus Schlieben in Wittenberg immatrikuliert; AAV 1, 68.
5Bubenheimer, Bischofsamt, 192 Anm. 177, dort der Eintrag (s. Anm. KGK 193 (Anmerkung)) als Autograph. Später aufgenommen in Bubenheimer, Karlstadt, 656,6–9.
6Exemplar der SLUB Dresden, Hist. eccl. E 356, 1m. Wir gehen daher von der Autorschaft Karlstadts und einem Druck in Wittenberg aus. Dagegen verneinte Melanchthon gegenüber Spalatin (Brief um den 20. Oktober 1521) nicht nur, den Autor zu kennen, sondern auch, dass das Büchlein den Wittenbergern zugeschrieben werden könne: »Esse libellum quendam de indulgentiis Halensibus editum, quem imputare nobis non possent. Nam ut fatear tibi, quod res est, ignoro auctorem […].« (MBW 1, 372,36–38 Nr. 175; CR 1, 464 Nr. 142).
7Zur Datierung s. u. KGK 193 (Textstelle).
8Zu dem einzigen Quellenbeleg für diese Ablasswerbung s. Bubenheimer, Reliquienfest, 80 f. Anm. 66 f.
9Vgl. hierzu Bubenheimer, Scandalum, 334 f.
10Vgl. KGK 193 (Textstelle). Der Druck der Loci tres begann am selben Tag, doch wurde der Druckprozess abgebrochen. Vgl. KGK 194.
11Zu diesem vgl. KGK 193 (Anmerkung).
14Vgl. DWb 20, 601. Eine andere Worterklärung bei Scholz, Residenz, 220, Anm. 280.
15Statt »lignarius« für »hölzern« ist das Kunstwort »Lignacius« gebildet, worin zugleich ein Wortspiel mit dem Namen »Ignatius« steckt.
19KGK 204 (Textstelle). Der Bericht Karlstadts legt offen, dass Capito ihn – vermutlich sogar absichtlich – falsch über die Ereignisse um Zeiger informiert hatte.
21Der Plakatdruck in FB Gotha, Theol. 2° 00015/03 R. Er ist zudem im Hallenser Heiltumsbuch abgedruckt. Ediert in: Bubenheimer, Reliquienfest, 92–97.
22Dass der in der Glosse zitierte Text aus dem Jahr 1521 stammt, ergibt sich eindeutig aus der Benennung der mit Albrechts Kardinalat verbundenen Titelkirche: »Tituli sancti Petri ad vincula«, die ihm am 5. Januar 1521 verliehen wurde. Vgl. Bubenheimer, Reliquienfest, 95.
23Diese Plenarindulgenz scheint im September desselben Jahres in Anspruch genommen worden zu sein, ob aber Reliquien gezeigt wurden, ist nicht belegt. Vgl. Dreyhaupt, Pagus Neletici 1, 846; Kühne, Ostensio, 431 f.; Bubenheimer, Reliquienfest, 75.
24Vom Freitag nach Mariae Geburt bis zum darauf folgenden Freitag. S. Bubenheimer, Reliquienfest, 95.
27Die Maria-Magdalenen-Kapelle wurde bereits von Ebf. Ernst von Sachsen um 1509 mit dem Plan errichtet, sie in eine Stiftskirche umzuwandeln. Kd. Albrecht weihte sie am 22. Juli 1514 und baute sie zum Heiltum für seinen Reliquienschatz mit 20 Altären aus. Vgl. Dreyhaupt, Pagus Neletici 1, 854; 868; Kühne, Ostensio, 426–433; s. auch Heldmann, Kapelle; Nickel, Kapelle.
28Vgl. Dreyhaupt, Pagus Neletici 1, 260 f. §13.
29Vgl. Dreyhaupt, Pagus Neletici 1, 791 Nr. 218 u. 219; 847 f.; 881–883 Nr. 264 (ebfl. Fundationsbrief 1520); Wolters, Beitrag, 8; Bubenheimer, Reliquienfest, 75. Dem Stift wurden im August 1519 das Konvent des Klosters St. Moritz mit seinen Gütern inkorporiert, dann die Güter des (bald) aufgelösten Neuen Werks bei Halle, zudem wurde es mit Salzgütern bestiftet. S. auch Dreyhaupt, Pagus Neletici 1, 766 f. Nr. 166; 845 f. §2; 849 §5.
30Ebf. Albrecht hatte zur Überführung der Gebeine des Hausheiligen Erasmus von Magdeburg nach Halle am Ostermontag 1516 die Erasmus-Bruderschaft mit vielen Privilegien gestiftet, vgl. Hertzberg, Geschichte, 32. Zur Ausstattung des Heiltums mit Erasmus-Reliquien s. Halm/Berliner, Heiltum 46 f.
31KGK 193 (Textstelle); vgl. Bubenheimer, Reliquienfest, 82; 96. Lt. Halleschem Heiltumsbuch befanden sich noch 1520 8133 Reliquienpartikel und 42 Knochenstücke von Heiligen in den Schreinen, die insgesamt 39 Millionen Jahre Ablass boten. Vgl. Dreyhaupt, Pagus Neletici 1, 854–868; Kühne, Ostensio, 431.
32Der Weisungsordo von 1532 erhöhte diese Summe weiter auf »Vierthausent Jahr, Dreythausent eyn huntert und viertzick tage Ablas Und Achthunter Quadragen«. Vgl. Kühne, Ostensio, 441.
34Vgl. Pfaff, Beiträge; DHEE 1, 289 f.
35Später erklingt der Vorwurf falscher Prophetie, auf die nach 5. Mose 13,6; 10 f. u. 18,20 der Tode stehe. Das Titelblatt des Hallenser Exemplars trägt einen hsl. Hinweis auf 5. Mose 13, s. o. Anm. KGK 193 (Anmerkung).
37Verweis auf Mt 18,18.
40Die Ablehnung aller Bruderschaften formulierte Luther in Artikel 23 der Adelsschrift: »Die bruderschafften, item ablas, ablas brieff, butter brieff, meszbrieff, dispensation unnd was des dings gleich ist, nur allis erseufft unnd umbbracht, da ist nichts guttis […]. Ich rede auch von den bruderschafften, darynnen man ablasz, Mesz unnd gutte werck auszteyllet.« (WA 6, 452,27–33).
44Vgl. AAV 1, 29b,6.
45Demuth war Karlstadts Onkel, vgl. KGK III, Nr. 166, S. 388, Anm. 10. Vermutlich, um auf die Vorgänge um die Inhaftierungen der Pfarrer Zeiger (s. o. Anm. KGK 193 (Anmerkung)) und Seidler in Halle wegen Eheschließung Einfluss nehmen zu können, hatte Karlstadt seine Schrift Reich Gottes im August 1521 Demuth gewidmet (KGK 191 (Textstelle)).
47S. o. Anm. KGK .
48Vgl. Seidemann, Glosse, 270 f., der auf Grund der Ansprache des Inhaftierten als Bruder gar eine Geschwisterschaft des Verfassers unterstellt. Zum Umgang mit sich verheiratenden Priestern vgl. KGK 211.
49Diese Drohung samt Anrede der Stiftsherren im polemischen Stil als »veiste[n] Schweine[n]« wird nicht zu einer kommunikativen Annäherung geführt haben.
51Vgl. Kaufmann, Sickingen, 51–55.
53Zu Huttens Bezeichnung der Ebernburg als »Herberge der Gerechtigkeit« (Silvester 1520) s. Hutten, Opera (Böcking) 1, 448. Dazu vgl. Kaufmann, Sickingen, 51–55.
58MBW 1, 371–373,3–64 Nr. 175.
59MBW 1, 372,36–38 Nr. 175: »Esse libellum quendam de indulgentiis Halensibus editum, quem imputare nobis non possent. Name ut fatear tibi, quod res est, ignoro auctorem, et displicet libellus, propter adiectas minas.«
60MBW 1, 372,38–42 Nr. 175. Laut Mitteilung von Sebastian Helmann an Johannes Hess aus Wittenberg vom 8. Oktober 1521 hatte Melanchthon schon einen Brief an Ebf. Albrecht verfasst und gesandt, vgl. Müller, Wittenberger Bewegung, 18. Ein Antwortbrief Capitos offenbart, dass Melanchthon auch an diesen einen Brief gerichtet hatte, vgl. MBW 1, 382,24–27 Nr. 179; 384,22–24 Nr. 180. Beide Briefe Melanchthons sind verloren.
61»Darumb sei E. K. F. G. endlich und schriftlich angesaget: wo nicht der Abgott wird abgetan, muß ich göttlicher Lehre und christlicher Seligkeit zu gut mir das lassen eine nötige, dringende und unvermeidliche Ursach sein, E. K. F. G., wie den Papst, offentlich anzutasten, solchem Fürnehmen fröhlich einzureden, allen vorigen Greuel des Tetzels auf den Bischoff zu Mainz treiben, und aller Welt anzeigen Unterscheid zwischen einem Bischoff und Wolf. […] Hierauf bitte und warte ich E. K. F. G. richtige schleunige Antwort, inwendig 14 Tagen, denn nach bestimpten 14 Tagen wird mein Büchlin wider den Abgott zu Halle ausgehen, wo nicht kommet ein gemeine Antwort […].« (WA.B 2, 407,66–72; 104–107 Nr. 442). Zu dem Thema insgesamt vgl. Kühne, Ostensio, 436 f. mit Anm. 46; Bubenheimer, Reliquienfest, 85 f.
62Vgl. WA.B 2, 421,3 f. Nr. 448.
63WA.B 2, 417,46 f. Nr. 447. Luther ging in einem Brief an Capito am 17. Januar 1522 noch einmal auf die Ehefrage ein und meinte, Priester dürften nicht von der eingegangenen Ehe abschwören.

Downloads: XML · PDF (Druckausgabe)
image CC BY-SA licence
»