Nr. 163
De canonicis scripturis libellus
1520, Anfang September

Einleitung
Bearbeitet von Stefania Salvadori

1. Überlieferung

Frühdrucke:

[A:]Karlstadt, Andreas Bodenstein von
DE CANONICIS SCRIPTVRIS LIBEL/‖lus D. ANDREAE Bodenſtein Carol/‖ſtadii Sacrę Thologię Doctoris,& ‖ Archidiaconi VVitten/‖bergenſis. ‖ VVITTENBERGAE APVD IOANNEM VIRI=‖DI MONTANUM. ANNO DOMINI ‖ M. D. X X. ‖
Wittenberg: Johannes Rhau-Grunenberg, 1520.
4°, 50 Bl., A4–M4, N2.
Editionsvorlage:
HAB Wolfenbüttel, H: Yv 2337.8° Helmst. (1)auf dem Titelblatt handgemalte HederaDigitalisatLinksymbol.
Weitere Exemplare: BSB München, 4 Exeg. 156DigitalisatLinksymbol. — SUB Göttingen, 8 TH BIB 262/55.
Bibliographische Nachweise:

[B:]Karlstadt, Andreas Bodenstein von
DE CANONICIS SCRIPTVRIS LIBEL/‖lus D. ANDREAE Bodenſtein Carol/‖ſtadii Sacrę Theologię Doctoris,& ‖ Archidiaconi VVitten/‖bergenſis. ‖ VVITTENBERGAE APVD IOANNEM VIRI=‖DI MONTANVM. ANNO DOMINI ‖ M. D. X X. ‖
Wittenberg: Johannes Rhau-Grunenberg, 1520.
4°, 50 Bl., A4–M4, N2.
Editionsvorlage:
SB Berlin, Bf 3300DigitalisatLinksymbol.
Weitere Exemplare: SB Regensburg, 999/4Theol.syst.540(2). — Bodleian Library Oxford, Vet. D1e. 52 (2)mit autographem Schenkungseintrag Karlstadts für Bernhard Adelmann von Adelmannsfelden. — UB Würzburg, Th. Dp. Q. 441mit autographer Widmung Karlstadts für Karl Roß.
Bibliographische Nachweise:

[C:]Karlstadt, Andreas Bodenstein von
DE CANONICIS ‣ ‖ ſcripturis libellus D.ANDREAE Boden⸗‖ſtein Carolſtadij Sacræ Theologiæ ‖ Dooris,& Archidiaconi ‖ VVittenbergēſis. ‖ VVITTENBERGAE. ‖
[Wien]: [Johann Singriener], [1521].
4°, 46 Bl., A4–K4, L6.
Editionsvorlage:
ÖNB Wien, 20.Dd.1153DigitalisatLinksymbol.
Weitere Exemplare: UB München, 4° Theol. 5464.
Bibliographische Nachweise:

Die Schrift erschien zweimal bei Johannes Rhau-Grunenberg in Wittenberg. In der zweiten Ausgabe werden beinahe alle Druckfehler der ersten übernommen, korrigiert werden nur »Thologiae« in »Theologiae« auf der Titelseite sowie wenige einzelne Buchstaben, vor allem auf den ersten Bögen.1 Beide Grunenberg-Ausgaben bieten am Ende des Textes ein Korrekturverzeichnis. Drei darin gelistete Fehler sind in den von uns berücksichtigten Exemplaren nicht nachweisbar.2 Die nahezu vollständige Übereinstimmung von Text- und Satzgestalt der ersten zwei Ausgaben deutet auf eine schnelle, im Sommer 1520 kurz aufeinanderfolgende Drucklegung hin, sodass B für die Pressvariante von A gehalten werden kann.

Ein Jahr später druckte Johann Singriener3 das Werk in Wien mit angepasstem Titelblatt4 und kleinen Abweichungen nach. Diese dritte Ausgabe setzt die im Korrekturverzeichnis der Grunenberg-Exemplare enthaltenen Verbesserungen um,5 weist aber einige neue Druckfehler auf.6 Die Wittenberger verfügten in jener Zeit über eine direkte Beziehung zu dem Wiener Drucker, der zwischen 1518 und 1522 mehrere Schriften Melanchthons und Luthers herausgab.7 Mit De canonicis scripturis libellus begann Singriener auch eine Reihe von Nachdrucken der Schriften Karlstadts in den Jahren 1520–1521 herauszugeben.8

Edition:

Literatur:

2. Inhalt und Entstehung

In seiner Schrift De canonicis scripturis befasst sich Karlstadt mit Fragen der Schriftautorität und Schrifthermeneutik, die er seit 1517 thematisiert und vermutlich schon 1516 in einer Disputation in Rom behandelt hatte.9 Nach Wiederentdeckung der Gnadentheologie Augustins,10 hatte Karlstadt in den Apologeticae Conclusiones die Überlegenheit der Schriftautorität über Konzil und Papst bereits ausgearbeitet und in These 12 ausdrücklich vertreten: Der Text der Bibel hat nicht nur vor den Aussagen von Doktoren der Theologie Vorrang, sondern auch vor der Autorität der gesamten Kirche.11 So deutlich und prägnant das Prinzip formuliert wurde, blieb jedoch die Frage nach dem Wesen der Heiligen Schrift und deren Autorität weiterhin offen, wie es Karlstadt im Sommer/Herbst 1519 während der Leipziger Disputation und des daraus entstandenen Schriftenkrieges zwischen den Wittenbergern und Eck dramatisch wahrgenommen hatte. Beide Streitparteien beanspruchten den Sieg für sich, der die richtige Auslegung der Schrift voraussetzte. Dabei rekurrierten sie wechselseitig sowohl auf die Bibel als auch auf patristische und – vor allem im Fall Ecks – scholastische Autoritäten.12 Im Gefolge der Leipziger Disputation ging der römische Prozeß gegen Luther in die letzte, entscheidende Phase,13 was wiederum Karlstadts Auseinandersetzung mit Eck über den päpstlichen Primat und dessen Autorität zwischen Ende 1519 und Frühjahr 1520 verschärfte.14

Vor diesem Hintergrund lässt sich die Absicht Karlstadts erklären, bereits im Winter 1519 die Frage nach den kanonischen Schriften und demzufolge nach dem göttlichen Recht15 systematisch zu erörtern, wie er es schon in der Epistola (KGK II, Nr. 140) andeutete.16 In jenen Monaten arbeitete er intensiv an den stark polemischen Schriften gegen den Ingolstädter im Nachgang der Leipziger Disputation,17 möglicherweise aber auch an anderen Werken. Am 22. Dezember suchte er Spalatins Beratung, da er unsicher war, ob er eine Schrift »de scripturis Canonicis« dem Lübecker Bischof widmen sollte.18 Es ist nicht klar, ob der hier edierte Druck zu diesem Zeitpunkt bereits als erster Entwurf vorlag oder in Planung war;19 ähnlich fraglich bleibt, ob die Umwidmung vom Lübecker Bischof20 zu Wolfgang Kuch21 eine Folge der Beratung Spalatins war. Es ist jedoch naheliegend, dass sich Karlstadt in jener Zeit gezielt mit dem Kanon beschäftigte. Dies entsprach seinem in demselben Brief ausgedrückten Wunsch, Eck Anlass zur Beschäftigung mit der Heiligen Schrift zu geben.22

Tatsächlich thematisieren Verba Dei und Confutatio23 Anfang 1520 das Wesen und die Autorität der Heiligen Schrift, die allen Menschen – egal ob Theologen oder Laien – gepredigt werden und als einzige Quelle des Wortes Gottes zur Lesung und Erforschung offen stehen müsse.24 Die schriftzentrierte Argumentation Karlstadts zielte in diesen Abhandlungen aber primär darauf, Eck als Gegner der Heiligen Schrift zu demontieren,25 weniger auf eine systematische Behandlung der Fragestellungen. Letztere sollte im Frühling/Sommer 1520 in einem neuen Traktat – dem hier edierten De canonicis scripturis – Gestalt annehmen.

Nach der radikal polemischen Phase gegen Eck und vor dem Hintergrund der Lehrverurteilungen durch die theologischen Fakultäten in Köln (August 1519) und Löwen (November/Dezember 1519)26 sowie der im Juni 1520 in Rom ausgefertigten Bannandrohungsbulle27 konzipierten die Wittenberger als Gegenreaktion eine breitere theologische und kirchenpolitische Alternative. Die Auslegung der Schrift wurde der Prärogative des Papstes und der (altgläubigen) Theologen entzogen, und allgemein dem christlichen Volk eröffnet. Dafür plädierte Luther in der Adelsschrift (Juli 1520) und polemischer in De captivitate Babylonica (Oktober 1520);28 gleichzeitig widmete er sich der pädagogischen, katechetischen Arbeit und erklärte mit der Kurzen Unterweisung (1519) den Laien, wie man sich der Heiligen Schrift nähern und beten sollte.29

Ähnlich legte Karlstadt in jenem Frühling/Sommer 1520 in dem hier edierten Traktat seine Position in Bezug auf die Schriftautorität fest. Er verfolgte jedoch nicht nur eine polemische, sondern auch eine pädagogische Zielsetzung. Wenn die Auslegung der Heiligen Schrift auch dem einfachen christlichen Volk ermöglicht werden soll, wie in Verba Dei deklariert, welche verbindliche Grundlage und exegetische Methoden müssen ihm zur Verfügung gestellt werden? De canonicis scripturis – und noch ausgeprägten die im Herbst erschienene deutsche Fassung Welche Bücher biblisch (KGK 171) – antwortet auf diese Frage und definiert durch den biblischen Kanon das verbindliche Fundament zum Verständnis der göttlichen Wahrheit sowie des göttlichen Rechts. Des Weiteren erläuterte Karlstadt in seinem Traktat die damit verbundenen methodologischen Voraussetzungen, um allen Christen eine sichere Auslegung der Bibel zu ermöglichen.

Auch wenn davon ausgegangen werden kann, dass ein erster Entwurf von De canonicis scripturis schon im Dezember 1519 begonnen worden war,30 arbeitete Karlstadt trotz seiner schwachen Gesundheit31 bis zum Sommer 1520 an diesem Traktat weiter. Die Passagen über die Kanonizität des Jakobusbriefes32, auch mit Verweis auf seine – im Mai noch laufende und von zahlreichen Studenten besuchte – Vorlesung über diese epistola,33 deuten darauf hin, dass sich Karlstadt in jenen Monaten bezüglich des Austauschs und der Spannungen nicht nur außerhalb, sondern auch innerhalb Wittenbergs, vor allem mit Luther, positionieren wollte. Höchstwahrscheinlich im Juli erfolgte außerdem eine Reise nach Annaberg und Joachimsthal,34 wo Karlstadt neue Kontakte knüpfte und bereits bestehende vertiefte. Einer von ihnen war Wolfgang Kuch,35 an den Karlstadt seinen am 18. August datierten Widmungsbrief richtete. In diesem erwähnt er eine bedeutende Anzahl von Joachimsthaler Gastgebern und bedankt sich für ihren freundlichen und großzügigen Empfang während seiner Reise, was gegebenenfalls auf einen schon ausgebildeten engen Kontaktkreis in der Bergbaustadt hindeutet.36 Wahrscheinlich wurde der Traktat in den folgenden Wochen zweimal bei Johannes Rhau-Grunenberg in Wittenberg und ein Jahr später nochmals in Wien gedruckt.37

Nicht nur auf Grund der persönlichen Verbindung hat Karlstadt seine Schrift dem jungen Prediger Kuch statt dem weitaus bedeutenderen Bischof von Lübeck gewidmet,38 sondern auch die sich intensivierenden Beziehungen zwischen Wittenberg und dem Erzgebirge und deren bald wachsende strategische Bedeutung mögen eine Rolle gespielt haben. Studenten aus Joachimsthal und Annaberg ließen sich in Wittenberg zwischen Sommer 1519 und Herbst 1520 immatrikulieren,39 u. a. Graf Christoph Schlick, der im Wintersemester 1520/1521 als Rektor fungierte.40 Die Wittenberger orientierten sich in dieser Zeit mit wachsendem Interesse an dem neu begründeten, jedoch schon zur freien Bergstadt erhobenen Joachimsthal,41 wo ab Frühling 1521 der damals noch von Luther begeisterte Johannes Sylvius Egranus als Prediger tätig wurde.42 Die dort herrschende Familie Schlick führte in den nachfolgenden Jahren die Reformation in der Region ein.43 Ebenso mag Karlstadt dort vielsprechende Perspektiven gesehen haben,44 wie seine Vorreden zwischen Sommer 1520 und 1522 vermuten lassen.45

Obwohl kaum Hinweise auf eine zeitgenössische Rezeption überliefert sind, gilt De Canonicis scripturis als erstes systematisch-reformatorisches Traktat zum biblischen Kanon und bringt Karlstadts verschiedene polemische Fronten ans Licht. Zu Beginn des Buches kündigt der Autor fünf Diskussionspunkte an. Die ersten beiden legen die allgemeinen theologischen und kirchenpolitischen Voraussetzungen für die anschließende Aufteilung des biblischen Kanons und seine unterschiedliche Interpretation bei Augustinus und Hieronymus fest.

Mit Bezug auf Augustinus definiert Karlstadt zunächst das göttliche Wesen der Schrift: Sie ist ein von Gott gegebenes Orakel und ihre bewusste Verzerrung stellt eine Gotteslästerung dar, wie sie – Karlstadt zufolge – bei Eck in der Leipziger Disputation und dem ihr nachfolgenden Schriftenkrieg zu beobachten war. Die göttliche Natur der Schrift drückt sich aber auch in ihrer unbestreitbaren Autorität und Majestät aus. Diese Königin, Herrin und Richterin46 ist jedem – auch der einfachsten Bevölkerung – zugänglich; ihr kann nicht widersprochen werden. Auf der Grundlage dieser ewigen, göttlichen Norm – die durch den Schriftkanon überliefert ist – kann jeder sogar über die päpstlichen Dekrete richten, die für menschliche, also vergängliche und fehlbare Meinungen gehalten sind. Damit erstellt Karlstadt die Voraussetzung des in jenen Monaten von Luther formulierten Priestertums aller Getauften:47 Jeder Christ kann die Heilige Schrift lesen, deren Wahrheit begreifen und auf dieser Grundlage über alle bischöflichen und sogar päpstlichen Bestimmungen urteilen.48

Nachdem dieses allgemeine Prinzip der vollkommenen Überlegenheit der Bibel ausgearbeitet wurde, geht Karlstadt konkret auf die Folgen seiner Aussagen in der Kirche ein. De canonicis scripturis besitzt in der Tat eine klare pädagogische, programmatische Zielsetzung. Als erstes müssten menschliche Gewohnheiten und Traditionen wie in den Weizen hineingemischtes Stroh weggefegt und verbrannt werden. Natürlich versuchen »Theologistae« immer wieder, menschliche Dekrete und Lehren zu verteidigen, indem sie sagen, dass die von Gott gegebene Schrift nicht genüge, um jeden Aspekt des christlichen Lebens zu regeln und sämtliche Zweifel auszuräumen; sie bedürfe weiterer Interpretationen und Ergänzungen. Karlstadt aber vertritt die Vollkommenheit und Klarheit der Schrift und antwortet auf diese Argumente mit der Metapher der Biene und der Spinne, die Honig und Gift aus derselben Blume extrahieren. Die Biene repräsentiert die einfachen Gläubigen, die allein auf Gott vertrauen und die Schrift mit einem reinen Herzen lesen und verstehen. Die Spinne steht für Gebildete und Theologen, welche die Schrift interpretieren und sie ihrem menschlichen Verstand und ihrer Klugheit unterwerfen.49 Den Gegensatz zwischen wahrem Glauben und menschlicher sapientia et prudentia radikalisiert Karlstadt, um das Grundprinzip seines Traktats zu bekräftigen: Göttliche Wahrheit ist allein durch kanonische Schriften definiert, nicht durch menschliche Interpretationen, so heilig und gebildet ihre Autoren sein mögen. Menschliche Exegesen sind folglich nur dann wahr, wenn sie durch die kanonischen Schriften bestätigt werden und nicht umgekehrt. Diese Schlußfolgerung bietet Karlstadt die Möglichkeit, nicht nur Theologen wie Eck, sondern auch die Bettelorden und vor allem die »infelicissimi fraterculi« anzugreifen,50 die sich mehr mit menschlichen Autoren und deren Dekreten und Interpretationen als mit der Heiligen Schrift befassten. Sogar Augustin, der Fürst der Theologen, unterwirft seine eigenen Werke den kanonischen Schriften und in Karlstadts Sicht verdammt aus diesem Grund den Aberglauben mönchischer »fraterculi«.51

Karlstadt meint, einige unterscheiden jedoch die Wahrheit der Schrift von der Autorität diese zu interpretieren, welche nur Bischöfe und Päpste innehätten. Er argumentiert auch mit Bezug auf die kirchenjuristische Lehre dagegen, die Auslegung ist untrennbar von der ausgelegten Materie: Christus selbst wohnt in den heiligen Schriften, spricht durch sie zu allen Gläubigen, damit jeder die biblischen Texte interpretieren kann. Gott erlaubt also allen Christen – Laien und Klerikern, Weltlichen und Geistlichen – das Amt der Propheten, d. h. die Auslegung und Erklärung der Schrift, deren Autorität mit der Christi übereinstimmt und somit Bischof, Papst und Konzil übersteigt.52 Karlstadt widmet diesem letzten Punkt einen breiten, zentralen Absatz, indem er eine Abstufung der Autorität innerhalb der Kirche festlegt.53 Es handelt sich um eine Problematik, die er vermutlich bereits 1516 in einer römischen Disputation mit Prierias berührt hatte, danach in den Thesen zur Autoritätsfrage und Schrifthermeneutik in den Apologeticae conclusiones (1518) weiter ausarbeitete54 und nun schließlich in De Canonicis scripturis systematisch erörterte.

Den Beweis für die Superiorität der Schriftautorität über Konzile und Päpste liefert ihm eine Augustinstelle, die sowohl im Decretum Gratiani als auch in der 12. These der Apologeticae conclusiones angeführt wurde.55 Die Heilige Schrift allein ist immer wahr und hat deshalb Vorrang vor allen menschlichen Interpretationen und Dekreten, die manchmal fehlerhaft sind und deshalb durch eine klare Abstufung der Autoritäten korrigiert werden könnten. Mit Augustin unterscheidet Karlstadt drei Verbesserungsmöglichkeiten der bischöflichen (und päpstlichen) Dekrete: durch ein thematisch besser fundiertes und deshalb scharfsinnigeres Urteil; durch höhere Autorität und Weisheit anderer Bischöfe; durch die Konzile. Letztere sind wiederum auf abgestufte Weise zu prüfen: lokale können durch allgemeine und jüngere durch ältere Konzile verbessert werden.56

Diese Abstufung der Autorität innerhalb der Kirche und die daraus hervorgehenden Verbesserungsdispositive untermauert Karlstadt fast ausschließlich mit Zitaten Augustins, die ebenso entscheidenden Stellen des Decretum Gratiani zugrunde liegen und deshalb in der kanonischen Literatur wohlbekannt waren. Theologische Argumentation und juristische Beweisführungen sind daher so eng verbunden, dass die darauffolgenden Paragraphen von De canonicis scripturis eine Art Kommentar vor allem zu den Distinktionen 8 und 9 des ersten Teils des Decretum Gratiani bilden, obwohl Karlstadt direkt aus Augustin zitiert.57 Ein solcher theologisch-juristischer Argumentationsstil ist nicht überraschend, wenn man den strukturellen, ebenso kirchenpolitischen Umbruch bedenkt, den Karlstadt vorschlägt, indem er die Heilige Schrift als einzige normative Instanz anerkennt und ihre Interpretation für alle Christen öffnet.

Zunächst erörtert Karlstadt die erste von Augustin erwähnte Möglichkeit, päpstliche und bischöfliche Dekrete durch jedermann, der sich in der Schriftauslegung als weiser erwiesen hat, korrigieren zu lassen. Er belegt die Kontinuität seiner Überlegungen, indem er direkten Bezug auf zwei ekklesiologische Sätze von Johannes Gerson58 nimmt, die durch einen »spurcum, sordidum et propudiosum animal Romae«59 – wahrscheinlich Prierias während Karlstadts römischer Disputation vom 151660 – verurteilt und danach bereits in den Thesen 14 und 17 seiner Apologeticae conclusiones angeführt wurden.61 In dem hier edierten Text argumentiert er jedoch ausführlicher und vertritt entschlossen die Superiorität der Konzile über den Papst, obwohl er annimmt, dass beide irren könnten.62 Damit berührt Karlstadt einen der heftigsten Streitpunkte zwischen Luther und Eck und bekräftigt – ohne direkten Bezug auf die Leipziger Disputation – kirchenjuristisch die Argumente des Wittenberger Kollegen.63 Die Heilige Schrift dient ebenso als normative Instanz im ethischen und sittlichen Bereich: Kirchliche Gewohnheiten und Gebete sind nur unter Verweis auf die Bibel verbindlich, ansonsten gilt mit Rücksicht auf die Schwachen Freiheit; wenn aber Gewohnheiten und Gebete der Heiligen Schrift widersprechen, sind sie abzulehnen. Auch in diesem Fall argumentiert Karlstadt mit Augustinstellen, die gleichzeitig im Decretum Gratiani angeführt sind.64

Diese ersten beiden Teile, welche die allgemeinen theologischen und kirchenpolitischen Voraussetzungen des Traktats erklären, richten sich offensichtlich gegen externe Gegner: Die papsttreuen Theologen wie Eck, die in Karlstadts Sicht die römische Kirchenoberhoheit verteidigen, die Bettelorden, aber auch die Universitäten zu Löwen und Köln, welche die Wittenberger Theologen zwischen Sommer 1519 und Frühjahr 1520 offiziell verurteilt hatten.65 In den folgenden drei Teilen des Traktats widmet Karlstadt sich anderen Gesprächspartnern – katechetisch den christlichen Gläubigen, polemisch den Wittenberger Kollegen, vor allem Luther – und beschreibt, welche Schriften nach Augustinus und nach Hieronymus kanonisch sind, worin sich die beiden Kirchenväter einig waren und in welchen Aspekten sie unterschiedliche Meinungen vertraten.

Nach Vorstellung der Liste kanonischer Bücher gemäß Augustin, spricht Karlstadt noch einmal Wolfgang Kuch an und gibt konkrete Hinweise, wie sich ein jeder Christ der Heiligen Schrift nähern sollte, nämlich mit pietas – um der Schrift niemals zu widersprechen und die Lehre derer anzunehmen, die gelehrter sind und höhere Autorität besitzen – und fides, aus der der Gerechte lebt. Karlstadt ist sich der Komplexität des Themas – d. h. der unterschiedlichen Auffassungen des Glaubens66 – bewusst, beschränkt sich aber vorerst darauf, den wesentlichen Zusammenhang zwischen Schrift und Rechtfertigung in Glauben zu bekräftigen. Mit Augustinus beschreibt er die kanonischen Schriften als Glaubens- und Wahrheitsregel.67 Der Kanon darf darüber hinaus nicht auf die als »katholisch« bezeichneten Bücher reduziert werden und umfasst auch Apokryphen aufgrund ihres kirchlichen Gebrauchs und Alters.

In den folgenden Abschnitten analysiert Karlstadt ausführlich die Gliederung der kanonischen Bücher, zuerst nach Augustinus, dann nach Hieronymus; daraufhin hebt er Ähnlichkeiten und Unterschiede bei beiden Kirchenvätern hervor. Es geht nicht nur um die Abstufung kanonischer Bücher in geordnete Klassen, sondern auch um die Definition der Apokryphen und ihre Beziehung zu den kanonischen Büchern.68 Karlstadt betont, dass sich Hieronymus in letzter Hinsicht selbst widerspricht: Einmal bezeichnet der Kirchenvater Apokryphen als Bücher, deren Verfasser unsicher sind, ein anderes Mal subsumiert er unter dieser Kategorie Bücher wie die Makkabäerbücher,69 deren Autorschaft nicht bezweifelt werden kann.

Gerade in dieser Hinsicht führt Karlstadt einen langen Exkurs ein, der beschreibt, wie der Leser dank der klassischen rhetorischen Lehre sowohl den äußeren (die verba, d. h. die cutem) als auch den inneren Stil (den habitus oder ductus orationis) eines biblischen Autors unterscheiden kann, unabhängig davon, in welchem emotionalen Zustand oder Lebensalter derselbe schreibt. Ähnlich wie man eine vertraute Person an ihren Gesichtszügen identifizieren kann, egal ob sie wütend oder traurig, gealtert oder maskiert ist, könne jeder, der sich dem Studium der biblischen Schriften und ihres Stils intensiv widmet, die Ausdruckweise und den Geist der Autoren dieser Schriften erkennen. Vom Leib fließen tatsächlich simulacra, d. h. Bilder, aus, die mit den Augen ergriffen werden können, ähnlich fließt von der Seele durch die Rede ein simulacrum mentis, d. h. ein Bild des Autorverstands, aus. Dieses Bild besteht über die äußerlichen Wörter hinaus und offenbart dem Leser die Seele, den Geist des biblischen Autors selbst.70 Karlstadt untermauert seine Lehre deshalb nicht nur mit Bezug auf den Kanon oder die Autorität der Kirchenväter, sondern auch durch die Lehre der klassischen Rhetoriker wie Quintilian und der humanistischen erasmischen Philologie.

Unter diesen hermeneutischen Prämissen vertieft Karlstadt die entscheidende Frage nach den Apokryphen. Durch die Analyse von Stil und Inhalt kann die Verfasserschaft von bisher als kanonisch geltenden Schriften angezweifelt werden, wie im Fall der Bücher Esras, Samuels und insbesondere des Pentateuchs, der von mehreren Autoren, nicht nur Mose komponiert wurde.71 Wenn man diese Bücher als Apokryphen bezeichnet, sind sie dennoch nicht aus dem Kanon ausgeschlossen. Karlstadt wendet dieselbe Argumentation auf den Jakobusbrief an, den er in einer stark besuchten Vorlesung im Frühling/Sommer 1520 ausgelegt hatte,72 was wohl eine heftige Diskussion in Wittenberg entzündete. Auch wenn der Name nie erwähnt wurde, hatten sich möglicherweise Spannungen mit Luther ergeben, der die Kanonizität dieser epistola – mit Verweis auf Jak 2 – schon in seinen Resolutiones zur Leipziger Disputation (August 1519) in Frage gestellt hatte.73 Wie radikal die Meinungsspaltung zwischen Luther und Karlstadt war und ob andere Wittenberger an der Diskussion beteiligt waren, lässt sich nicht näher belegen.74 In De canonicis scripturis wird lediglich berichtet, dass sich Studenten als Schüler eines »guten Priesters« bekannten, den Jakobusbrief Hieronymus zuschrieben und die Vorlesung Karlstadts verließen. Bodenstein habe die Freundschaft, die ihn damals mit dem »guten Priester« verband, nicht verletzen wollen, jedoch »frivola illius praesbiteri argumenta«, die vielleicht von Hass gegen ihn entbrannt waren, auflösen müssen. Jener milde Mann, »clemens ille dominus«, habe tatsächlich behauptet – so liest man in De canonicis scripturis –, Karlstadt solle sich zerreißen, wenn das, was den Aufbau der Rede anbetrifft, der Stil des Apostel Jakobus sei.75

Auch in diesem Fall behauptet Karlstadt, die unsichere Autorschaft einer Schrift impliziert nicht die Ablehnung ihrer Autorität, da sonst müsste man nicht nur den Jakobusbrief, sondern auch den Hebräerbrief oder das letzte Kapitel des Markusevangeliums aus dem Kanon ausschließen.76 Karlstadt war sich mit hoher Wahrscheinlichkeit bewusst, dass der Streitpunkt mit seinem Gegner Luther noch tiefer, in den unterschiedlichen Auffassungen des Glaubens bei Jakobus und Paulus, lag, hielt jedoch eine (angebliche) Widersprüchlichkeit für kein passendes Kriterium, Texte abzulehnen. Würde man z. B. nur zur Verteidigung der paulinischen Rechtfertigungslehre den Kanon beliebig umgestalten, gäbe es keine sichere normative Instanz für die menschlichen Interpretationen mehr. Darüber hinaus hebt Karlstadt hervor, wie nicht nur im Jakobusbrief sondern auch in Röm 2,13 gute Werke und Glaube als untrennbar dargestellt sind.77 Mehr als die theologische Begriffsbestimmung der Rechtfertigungs- und Glaubenslehre ist die Integrität des Kanons entscheidend, die Karlstadt durch rechtlich verbindliche Traditionsargumente (die Väter haben den Jakobusbrief als kirchlich rezipiert) sowie inhaltliche und formale Zusammenhänge (der Jakobusbrief ist kohärent mit anderen kanonischen Büchern) untermauert.78

De canonicis scripturis will im Allgemeinen beweisen, wie die Frage nach der Schriftautorität unter Berücksichtigung einer nuancierten (dreifachen) Abstufung zu betrachten ist, sowohl im Alten als auch im Neuen Testament. Einige Bücher gehören offensichtlich zum Kanon und besitzen die höchste Autorität, dienen deshalb als primäre Glaubens- und Wahrheitsregel, wie z. B. der Pentateuch oder die Evangelien, in denen sich Jesus am Deutlichsten offenbarte. Die biblischen Schriften, deren Autorschaft unsicher oder deren Inhalt problematisch ist, gliedert Karlstadt dagegen in den dritten, niedrigsten Rang. Sie sind den anderen kanonischen Büchern immer untergeordnet, besitzen darüber hinaus innerhalb des eigenen Ranges eine ungleiche Autorität. Im Neuen Testament schreibt Karlstadt dem Jakobusbrief kanonische Bedeutung zu, obwohl er ihn mit den anderen nicht apostolischen Briefen und den Schriften, deren Autorschaft in der alten Kirche bestritten wurde, im dritten Rang einordnet.79 Die aus dem hebräischen Kanon ausgeschlossenen und deshalb als Apokryphen bezeichneten Schriften sind teilweise Hagiographen – unter denen Karlstadt im Anschluß an Hieronymus die Bücher Judith, Tobias, Jesus Sirach, die Makkabäer und Weisheit Salomons einführt –, teilweise vollkommen apokryph, wie z. B. das 3. und 4. Buch Esra, Baruch und das Gebet Manasses.80

Die Abstufung der kanonischen Schriften nach ihrer unterschiedlichen Autorität entspricht ihrer heterogenen Zweckdienlichkeit. Die in den niedrigsten Rang eingegliederten Schriften – sogar die nicht hagiografischen, völlig apokryphen Schriften des Alten Testaments – dürfen nicht einfach abgelehnt werden. Eher müssen sie genau geprüft und nur solche Aussagen akzeptiert werden, die in den Schriften des hebräischen Kanons ebenfalls auftauchen.81 Diese untergeordneten biblischen Schriften sollen allerdings nur begrenzt zum theologischen Kampf oder zur Belehrung verwendet werden, da Häretiker nur mit stärkeren und sichereren Waffen (etwa den Evangelien oder dem Pentateuch) zu bekämpfen seien und einfache Christen sich leicht verwirren lassen.82

De canonicis scripturis analysiert nicht nur den Kanon systematisch, sondern bietet auch konkrete Hinweise, damit alle Christen – seien sie gebildet oder nicht, Geistliche oder Laien – die Heilige Schrift selbst lesen und sicher interpretieren können. Ein willkürlicher Umgang mit der Schrift sei dagegen unter allen Umständen zu vermeiden, da dieser entweder zur offenen Gotteslästerung – wie im Fall der altgläubigen Theologen und Franziskaner, die den Papst und die Menschen mehr ehrten als Gott – oder zur parteiischen Gestaltung des Kanons – wie im Fall des Jakobusbriefes – und damit zur gefährlichen Infragestellung der festen und unbestreitbaren Glaubens- und Wahrheitsregel führt, was die Christen wiederum ins Chaos der menschlichen Meinungen fallen lassen würde. Unter diesem Gesichtspunkt bietet der hier edierte Traktat eine facettenreiche Darstellung methodischer und theoretischer Grundlagen, anhand derer nicht nur Karlstadt selbst zukünftige theologische Diskussionen angehen, sondern sich auch eine neue, für das christliche Volk geeignete Hermeneutik und Einführung zur Bibel entwickeln sollte.


1S. u. KGK 163 (Anmerkung); KGK 163 (Anmerkung); KGK 163 (Anmerkung). Auf fol. E2v und E4v ändert B (wie C) die römischen in arabische Ziffern; vgl. z. B. KGK 163 (Anmerkung). Ich verdanke Prof. Ulrich Bubenheimer die Beschreibung der eigenhändigen Widmungen Karlstadts in den Exemplaren in Oxford und Würzburg. Das Würzburger Exemplar enthält am unteren Rand des Titelblatts folgende handschriftliche Widmung: »V.[enerabli] p.[atri] karolo Roß, dem Boten«. Es handelt sich um den Nürnberger Augustineremit Karl Roß, der im Wintersemester 1502/03 an der Universität Wittenberg immatrikuliert wurde (AAV 1, 2a). Am 13. Dezember 1503 wurde er Baccalaureus artium (Köstlin, Baccalaurei, 1). Zu ihm siehe auch Bünger/Wentz, Brandenburg, 462.
3Zu ihm siehe Reske², Buchdrucker, 1049f.
5Aus diesem Grund fällt das Korrekturverzeichnis in der dritten Wiener Ausgabe weg. S. u. KGK 163 (Anmerkung).
8Vgl. Zorzin, Flugschriftenautor, Nr. 22, 24, 32, 32a, 33, 37, 44. Siehe Lang, Karlstadt-Drucke.
10Vgl. die Einleitung zum Augustinkommentar, KGK I.2, Nr. 64, S. 537–559.
11Vgl. KGK I.2, Nr. 85, S. 797, Z. 3–S. 798, Z. 2. Siehe auch die Einleitung zu den Apologeticae Conclusiones, KGK I.2, Nr. 85, hier S. 791–794.
12Siehe zur Vor– und Nachgeschichte der Leipziger Disputation KGK II, Nr. 105, S. 87–102; Nr. 117, S. 155–174; Nr. 131, S. 285–428; Nr. 132, S. 431–456; Nr. 140, S. 515–578; siehe auch im vorliegenden Band KGK 146 und KGK 150.
13Ein Prozess gegen Luther wurde erstmals im Sommer 1518 eröffnet – was zum Verhör des Reformators in Augsburg durch Cajetan im darauffolgenden Oktober führte – und unmittelbar nach der Leipziger Disputation im Sommer 1519 weiter betrieben. Neben den Lehrverurteilungen durch die theologischen Fakultäten der Universitäten Köln und Löwen zwischen Sommer und Winter 1519 (s. u. KGK 163 (Anmerkung)) wurde eine Kommission in Rom gegen Ende Januar 1520 zur Konzeption einer Bulle gegen Luther einberufen. Johannes Eck fuhr in der zweiten Märzhälfte nach Rom, wo er über die Auswirkungen der Lehre Luthers im alten Reich berichtete, und wurde Ende April zum Mitglied einer weiteren kurialen Kommission ernannt, die den Auftrag hatte, die Bulle endgültig zu verfassen. Am 15. Juni 1520 unterzeichnete Papst Leo X. schließlich die Bannandrohungsbulle Exsurge Domine, in welcher 41 Sätze aus Luthers Schriften als häretisch verurteilt wurden. Luther war damit aufgefordert, binnen 60 Tagen seine Irrtümer zu widerrufen. Schon im August 1520 dürfte es erste Nachrichten über Luthers Verurteilung gegeben haben; vgl. Bubenheimer, Consonantia, 164f. Die Bulle wurde jedoch erst am 3. Oktober offiziell der Universität Wittenberg übersandt. Vgl. u. a. Brecht, Luther 1, 232–237 und Bäumer, Lutherprozess, hier vor allem 18–48. Zur Haltung Karlstadts gegenüber der Bannandrohungsbulle Exsurge Domine, zu seinem definitiven Bruch mit Rom im Sommer/Herbst 1520 s. nochmals Bubenheimer, Consonantia, 161–200. S. auch die im vorliegenden Band edierten KGK 165, KGK 166, KGK 167 und KGK 168.
15De canonicis scripturis beschreibt das ius divinum im Gegensatz zum ius humanum; s. z. B. KGK 163 (Textstelle). S. auch die Thematik im Verhältnis zur Leipziger Disputation in der Verantwortung vom August 1519 mit Verweis auf die Diskussion zwischen Luther und Eck am 6. Juli sowie am Vormittag des 7. Juli, in KGK II, Nr. 134, S. 434 und S. 442, Z. 3-Z. 16.
16KGK II, Nr. 140, S. 577, Z. 1–4.
17Nach der Veröffentlichung der Epistola (KGK II, Nr. 140) zwischen Ende Oktober und Anfang November 1519, verfasste Karlstadt auch die Verba Dei (KGK 146) und Confutatio (KGK 150), erschienen im Februar und März 1520.
18KGK II, Nr. 143, S. 585 Z. 15–17.
19Neben dem Büchlein von den kanonischen Schriften erwähnt Karlstadt auch seine Absicht, den – vermutlich zweiten – Teil der Schrift De spiritu et litera dem Kurfürsten zu widmen. Vgl. KGK II, Nr. 143, S. 585, Z. 13–15. Auch diese Publikation ist anscheinend nicht zustande gekommen. Vgl. KGK I.2, Nr. 42, S. 556 mit Anm. 147; siehe auch die Briefe Karlstadts an Spalatin vom 17. Mai und 22. Dezember 1519, in KGK II, Nr. 125 u. 143.
20Vgl. KGK II, Nr. 143, S. 585, Z. 16 mit Anm. 6.
22KGK II, Nr. 143, S. 585, Z. 5f. Jäger, Carlstadt, 59f. interpretierte diese Passage des Briefes als Verweis auf die Verba Dei, die im darauffolgenden Monat erscheinen sollte; vgl. KGK 146.
25Vgl. z. B. KGK 150.
26Beide Universitäten verurteilten eine Reihe von Sätzen aus der von Capito im Oktober 1518 herausgegebenen Basler Sammelausgabe lateinischer Schriften Luthers – u. a. Luther, Resolutiones de virturte indulegentiarum (1518) – als irrig und forderten, dass das Buch unterdrückt werden müsse. Die Sammlung enthielt auch Karlstadts Thesen Contra Eckium, vgl. KGK I.2, Nr. 88. Luther ließ beide Lehrverurteilungen in März 1520 zusammen mit seiner Zurückweisung drucken; vgl. WA 6, 170–195. Gegen die Löwener Theologen richtet sich Karlstadt polemisch in der hier edierten Schrift; vgl. unten KGK 163 (Textstelle). Siehe auch KGK 151.
28Das päpstliche Auslegungsprimat über die Heilige Schrift lehnt Luther durch das Einreißen der zweiten Mauer infolge des ekklesiologischen Konzepts des Priestertums aller Gläubigen (das dem Einreißen der ersten Mauer entspricht) in der Adelsschrift deutlich ab; vgl. WA 6, 407–412; siehe auch Kaufmann, Adel. Den Frontalangriff auf die römische Sakramentskirche radikalisierte Luther bekanntlich unmittelbar nach der Veröffentlichung der Bannandrohungsbulle in seinem Traktat über die babylonische Gefangenschaft der Kirche; vgl. WA 6, 484–573.
29Die Schrift Eine kurze Unterweisung, wie man beichten soll (1519), ediert in WA 2, 57–65, wurde im März 1520 ins Lateinische übertragen; siehe Luthers Confitendi ratio (1520), WA 6, 154–169, wo auch die von Karlstadt für apokryph gehaltene Oratio Manasse nachgedruckt ist; s. u. KGK 163 (Anmerkung) und KGK 163 (Anmerkung). Im Jahr 1519 erschien ebenso Luthers Auslegung deutsch des Vaterunsers für die einfältigen Laien, WA 2, 74–130, und 1520 Eine kurze Form der zehn Gebote, eine kurze Form des Glaubens, eine kurze Form des Vaterunsers, WA 7, 204–229. Eine bearbeitete Fassung dieser und anderer deutscher Schriften wurde unter dem Titel Betbüchlein im Jahr 1522 (WA 10.2, 331–501) veröffentlicht. Diese katechetische Sammlung wurde in den darauffolgenden Jahren mehrmals erweitert und nachgedruckt. Spezifischer zur Frage der Bibelübersetzung Luthers, auch im Zusammenhang mit der vorreformatorischen Laienbibel, siehe Kaufmann, Anfang der Reformation, 68–101.
31Vgl. den Brief Karlstadts an Spalatin vom 8. Mai 1520, KGK 158 (Textstelle).
33Vgl. nochmals den Brief Karlstadts an Spalatin vom 8. Mai 1520, KGK 158 (Textstelle).
34Zur Datierung dieser Reise siehe die Einleitung zu KGK 161. In Annaberg war Karlstadt bei der Predigt der dortigen Franziskaner gegen die Wittenberger anwesend, was Anlass zur Auseinandersetzung mit Franziskus Seyler wurde; vgl. KGK 161 und KGK 162. Beide Schriften wurden höchstwahrscheinlich parallel zur Drucklegung von De canonicis scripturis verfasst.
39Vgl. hier auch KGK 161.
40Immatrikuliert am 21. August 1519 (AAV 1, 84), war Graf Christoph Schlick ein Verwandter von Stephan Schlick (1487–1526), der 1516 Joachimsthal begründet hatte. Zu Christophs Rektorat, vgl. AAV 1, 99.
41Im Jahr 1516 begründet, wurde Joachimsthal schon 1520 zur Stadt erhoben. Siehe u. a. Mathesius, Chronica (1562), fol. Ll2v.
42Zu Egranus, siehe Kirchner, Egranus. Zwischen Ende April und Anfang Mai war Egranus kurz in Wittenberg gewesen und hatte dort Luther getroffen und von ihm einen Brief an Capito erhalten; vgl. WA.B 2, 95,34f. Nr. 282. Ende Juli war Egranus schon in Basel (WA.B 2, 128f. Nr. 304), kurz danach besuchte er Erasmus, der Luther schrieb und Melanchthon wie Karlstadt grüßen ließ (WA.B 2, 155–158 Nr. 321). Egranus übernahm in Joachimsthal 1521 seine Predigerstelle, vielleicht war er aber schon im Jahr 1520 dazu ernannt worden; vgl. den Eintrag für das Jahr 1520 in Mathesius, Chronica (1562), fol. Ll2v; DigitalisatLinksymbol.
43Dem Grafen Wolfgang von Schlick, d. h. Christophs Bruder (vgl. KGK 163 (Anmerkung)), widmete Luther 1538 sein Wider die Sabbather (WA 50, 309–337, hier vor allem 309f.); schon 1522 hatte er Sebastian Schlick (?–1528) aus der Elbogener Linie sein Contra Henricum Regem Angliae (WA 10.2, 175–222) gewidmet. Die Grafen Schlick gehörten zu den frühesten adligen Vorkämpfern der Wittenberger Reformation in Böhmen. 1522 hatte z. B. Sebastian Schlick eine evangelische Kirchenordnung für die Stadt Elbogen erlassen und die ersten lutherischen Prediger berufen; er setzte die Reformation unter seiner Herrschaft kurz danach durch. Vgl. Hrdlička, Evangelische Kirchenordnungen, 24–26 und Wolkan, Anfänge der Reformation. Zu den Schlick siehe auch Kaufmann, Luthers Judenschriften, 170–172.
44Vgl. Barge, Karlstadt 1, 201–203.
45Mehrere zwischen Sommer 1520 und Sommer 1521 verfasste Schriften widmete Karlstadt Bürgern aus Joachimsthal: Wasser (KGK 162) dem Berghauptmann Heinrich von Könneritz, wo sich Karlstadt im Widmungsbrief auch auf Heinrichs drei Söhne beruft, die damals Studenten in Wittenberg waren: Sie könnten bestätigen, dass die Wittenberger keine falschen Propheten seien, sondern allein das Wort Gottes predigen; De canonicis scripturis Wolfgang Kuch (s. u. KGK 163 (Anmerkung)); Welche Bücher biblisch (KGK 171) dem Bergmeister Wolfgang Stürtz; Antwort Wasser (KGK IV) Wolf Gürtler; Super Coelibatu (KGK IV) dem Stadtschreiber Bartholomäus Bach. Diesem letzten widmete Karlstadt auch seine Predigt Malachiam (KGK IV) im Frühjahr 1522 und Gemach faren (KGK V) in Herbst 1524. Diese einflussreichen Bürger aus Joachimsthal sind auch im Widmungsbrief zu De canonicis scripturis erwähnt: Sie bildeten vermutlich den Kern der Kontakte Karlstadts in der Bergstadt. 1522 widmete Karlstadt darüber hinaus Bilder (KGK IV) dem Grafen Wolfgang von Schlick (vgl. KGK 163 (Anmerkung)).
46S. u. KGK 163 (Textstelle). Vgl. auch KGK II, Nr. 139, S. 507 mit Anm. 52.
49Zu dieser in der frühen Neuzeit verbreiteten Gelehrtenkritik siehe Gilly, Sprichwort.
50Vermutlich bezieht sich Karlstadt hier vor allem auf die Franziskaner, mit denen er zwischen Herbst 1519 und Sommer 1520 heftige Auseinandersetzungen führte. Vgl. KGK II, Nr. 139 und hier KGK 161 und KGK 162.
54Es sei hier nochmals verwiesen auf Bubenheimer, Consonantia, 67–96.
55Vgl. die 12. These aus den Apologeticae Conclusiones Karlstadts vom Mai 1518, KGK I.2, Nr. 85, S. 797, Z. 3–7.
56Es handelt sich um ein langes Zitat aus Aug. bapt. 2,3,4. S. o. KGK 163 (Anmerkung).
57Bubenheimer, Consonantia, 77 hatte schon darauf hingewiesen, wie Karlstadt »in These 12 [aus den Apologeticae Conclusiones] die erste, grundlegende Augustinstelle aus De bapt. c. Don. II 3 unter Bezug auf das Dekret Gratians [D. 9 c. 5] anführt, während er dieselbe Stelle 1520 in De canonicis scripturis libellus ohne Nennung Gratians direkt aus Augustin zitiert«. Ähnliche Beobachtungen gelten für alle anderen in dem hier edierten Text angeführten Augustinstellen, die auch im Dekret Gratians zitiert sind. S. u. KGK 163 (Anmerkung) bis KGK 163 (Anmerkung). Ob während der römischen Disputation Karlstadts von 1516 auch über diese Augustinstellen, bzw. über D. 8f. diskutiert wurde, bleibt unklar. Auffallend ist jedoch die thematische und inhaltliche Übereinstimmung zwischen den Texten.
61Diese zwei Sätze Gersons zur Superiorität der Schriftautorität über Konzil und Papst sind auch in den Thesen 14. und 17. der Apologeticae Conclusiones angeführt. Vgl. KGK I.2, Nr. 85, S. 798, Z. 4–13.
66Die Betonung von Werken und Gesetz im Jakobusbrief schien vielen im Widerspruch zur paulinischen Glaubens- bzw. Rechtfertigungslehre zu stehen. KGK 163 (Textstelle).
68Vgl. hier auch Lohse, Umfang des alttestamentlichen Kanons, vor allem 176–183.
72Vgl. KGK 163 (Anmerkung). Auch Melanchthon hielt zwischen Winter 1518 und Frühjahr 1519 eine Vorlesung über den Jakobusbrief; vgl. MWA 4, 10.
73Vgl. WA 2, 425,10–16: »Quod autem Iacobi Apostoli epistola inducitur ›Fides sine operibus mortua est‹, primum stilus epistolae illius longe est infra Apostolicam maiestatem nec cum Paulino ullo modo comparandus, deinde de fide viva loquitur Paulus. Nam fides mortua non est fides, sed opinio. At vide theologos, hanc unam autoritatem mordicus tenent, nihil prorsus curantes, quod tota alia scripturam fidem sine operibus commendet: hic enim mos eorum est, una abrepta oratiuncula textus contra totam scripturam cornua erigere«. Aber im Juni 1520 zitierte Luther Jak 2,10 als biblische Autorität gegen Alveldt in Von dem Papstthum zu Rom wider der hochberühmten Romanisten zu Leipzig, WA 6, 288,6–9. Zur Auseinandersetzung zwischen Karlstadt und Luther in Bezug auf den Jakobusbrief s. auch Keßler, Andreas Bodenstein, 303f. und 307f.; Lohse, Umfang des alttestamentlichen Kanons, 180f.; Brecht, Kanon, 140–145.
78S. u. KGK 163 (Anmerkung). Vgl. auch die Interpretation dieser Auseinandersetzung um den Jakobusbrief und ihre Bedeutung als Markierung der »Scheidelinie zwischen dem [vom ›wohl empathischsten Erasmusanhänger unter Wittenbergs Theologen, Karlstadt‹ vertretenen] bibelhumanistischen sola-scriptura-Prinzip und der Lutherschen Ausformung dieses Grundsatzes« in Kaufmann, Anfang der Reformation, 94f.
79Die Schriften dieses dritten Ranges des Neuen Testaments sind nicht nur den Evangelien, sondern auch den in dem zweiten Rang gegliederten apostolischen Briefen – deren Autorschaft unumstritten ist – untergeordnet. S. u. KGK 163 (Textstelle).
80S. u. KGK 163 (Textstelle). Luther hatte die Oratio Manasse noch in seiner im März 1520 erschienenen Confitendi Ratio (vgl. KGK 163 (Anmerkung)) als Beispiel eines Beichtgebets herausgegeben. Karlstadt nutzt auch diese Gelegenheit, um nochmals die Diskussion mit seinem Wittenberger Kollegen zu erweitern und fragt ironisch, wie man diese Oratio – die teilweise mit Moses, den Evangelien und den Propheten nicht übereinstimmt – problemlos akzeptieren, den Jakobusbrief aber ablehnen könne, der überall, seit langem und von den meisten für kanonisch gehalten wird.
81Alle Stellen, die anderen Aussagen des hebräischen Kanons widersprechen, sollen dagegen nicht für verbindlich gehalten werden, wie im Fall eines Belegs aus dem 2. Makkabäerbuch, der in der Leipziger Diskussion um die Fegefeuer-Lehre von Eck verwendet wurde (WA 59, 529,2975–2989 und 547,3569–3579) und den Karlstadt, wie damals auch Luther, nicht akzeptierte. S. u. KGK 163 (Anmerkung).

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