Nr. 162
Von geweihtem Wasser und Salz
[1520, August/September]

Einleitung
Bearbeitet von Alejandro Zorzin

1. Überlieferung

Frühdrucke:

[A:]Karlstadt, Andreas Bodenstein von
Von geweychtem Wasser vnd ‖ salcz Doct. Andreas Carl=‖stat. wider den vnuordiẽ=‖ten Gardian Fran=‖ciscus Seyler.‖ [Am Ende] Gedruckt zu Wittenbergk durch Johan.‖ Grunenberg. 1520.‖
Wittenberg: Johann Rhau-Grunenberg, 1520.
4° 12 Bl., A4, B4, C4. DrM.
Editionsvorlage:
HAB Wolfenbüttel, H: QuH 95 (12).
Weitere Exemplare: HAB Wolfenbüttel, H: Yv 2369.8° Helmst.; SUB Göttingen , 8° HEE 378/5:1 RARA.
Bibliographische Nachweise:

[B:]Karlstadt, Andreas Bodenstein von
Uon geweychtem ‖ Wasser und Saltz:‖ Do.Andreas Carl‖stat Wider den ‖ vnuerdienten ‖ Gardian ‖ Franciscus Seyler.‖
[Straßburg]: [Martin Flach], 1520.
4° 15 Bl., A4, B4, C4, D3; TE.
Editionsvorlage:
SUB Göttingen, 8 Mulert 391.
Weitere Exemplare: Kantonsbibliothek Chur, HA 62 (2)von Erasmus Schmid glossiert.
Bibliographische Nachweise:

[C:]Karlstadt, Andreas Bodenstein von
Von geweychtem Wasser vnd ‖ saltz Doct. Andreas Carl=‖stat. wider den vnuordien=‖ten Gardian Fran=‖ciscum Seyler.‖ ¶ Getruck tzu Leipßgk durch Wolffgang ‖ Stoͤckel. 1520.‖
Leipzig: Wolfgang Stöckel, 1520.
4°, 12 Bl., A4–C4.
Editionsvorlage:
SuStB Augsburg, 4° Th. H 536.
Weitere Exemplare: ULB Halle, Il 289 (33).
Bibliographische Nachweise:

[D:]Karlstadt, Andreas Bodenstein von
Von geweychtem ‖ wasser vñ saltz Doct. Andre=‖as Carlstadt. wider denn ‖ vnuordienten Gardi=‖an Franciscus ‖ Seyler ⁂‖
[Leipzig]: [Valentin Schumann], [1520].
4°, 11 Bl., A4–B4, C3 (C3v leer).
Editionsvorlage:
BSB München, 4 Liturg 133.
Bibliographische Nachweise:

Alle drei Nachdrucke, sowohl der Straßburger B wie die beiden Leipziger Drucke C und D, haben unabhängig voneinander den Wittenberger Erstdruck A als Vorlage verwendet. C kopiert die Grußformel auf fol. A2r in identischer Zeilenlänge und -umbruch wie sie in A steht, aber mit dem Majuskelfehler »Ronritz«, anstelle von »Konritz«, wie in den anderen Ausgaben. Beide Merkmale zusammen sprechen für A als direkte Vorlage für C. Zwischen C und D finden sich keine Merkmale, die auf einen als Vorlage des anderen schließen lassen. Der Straßburger Druck weist sprachliche Abweichungen und v. a. gegen Ende kleinere Zusätze auf. Die beiden Leipziger Drucke halten sich enger in Vokalisation und Syntax an die Wittenberger Vorlage A.


    Literatur:

    2. Inhalt und Entstehung

    Mit der Abfassung dieser Schrift war Karlstadt wahrscheinlich parallel zu der seines Ablass-Traktats (KGK 161) beschäftigt. Zu dieser zweiten Schrift gegen den Annaberger Franziskaner-Guardian Seyler hatte ihn dessen Frage provoziert, warum Karlstadt Weihwasser und gesegnetes Salz achte, wenn er doch nur glaube, was in der Heiligen Schrift stehe. Das forderte ihn heraus, den biblischen Zusammenhang von Leid, Verfolgung und Wasser in seiner Bußtheologie deutlich herauszuarbeiten.1 Die Fertigstellung von Wasser zog sich jedoch hin. An dem drei Quart-Bögen füllenden Wittenberger Erstdruck lässt sich ein Entstehungsprozess in verschiedenen Abfolgen erkennen. Auf fol. B4r enden Karlstadts Ausführungen zum Thema Weihwasser mit dem Hinweis: »Hie nach folget von dem Saltz.« Die zweite Hälfte dieser vorletzten B-Bogenseite blieb unbedruckt. Mit der Titelzeile »Von dem Salcz« beginnen dann auf der nächsten, letzten Bogenseite (fol. B4v) Klarstellungen und Kritik an der altkirchlichen Praxis der Salzsegnung. Mit einer Verteidigung der Wittenberger Universität2 und einem Schlussgruß ist der Salz-Teil der Schrift (fol. B4v–C2v) zu Ende3 und auf »Assumptionis Marie« (Montag den 15. August) 1520 datiert (fol. C2v).

    Die Veröffentlichung eines »tzetel(s)/ von dem nutz und crafft des weychwassers«, der in vielen Kirchen angeschlagen worden sei und von dem Karlstadt erst nach dem 15. August 1520 erfuhr, veranlasste ihn, dem abgeschlossenen Teil der Schrift noch einen Zusatz gegen diesen Plakatdruck anzufügen (fol. C2v/C3r). Auf dem C-Bogen blieben aber noch drei Seiten frei (fol. C3v–C4v), die Karlstadt mit einem weiteren, nunmehr letzten Zusatz gnadentheologischen Inhalts füllte. Darin geht er auf den Einwand eines »guten Freundes« ein, der meinte, die von Karlstadt vertretene Bereitschaft Christi, allen ihn aufsuchenden bußbereiten Sünder Vergebung zu gewähren (vgl. fol. B3r–v), gebe Anlass, »dester freyher sundigen[/] vorderbet auch gute reuh/ und vorbeschickung zu der gnad gottis« (fol. C3r). Karlstadts letzter, diesen Einwand entkräftender, predigtähnlicher Zusatz endet mit einem abschließenden »Amen«4.

    Der erste gegen die Annaberger Franziskaner verfasste Ablass-Traktat ist am Ende »eylig« auf »Laurentii« (Freitag, 10. August) 1520 datiert. Die beiden ersten Teile der Streitschrift zum »Vermögen« von Weihwasser und Salz waren fünf Tage später, zu »Assumptionis Mariae« (Mittwoch 15. August) 1520 fertig. Dennoch machen die zwei nacheinander und erst nach Mitte August 1520 dazu verfassten Zusätze eine Veröffentlichung frühestens Anfang September 1520 wahrscheinlich.

    Widmungsempfänger ist der Joachimsthaler Berghauptmann Heinrich von Könneritz5, von dem drei Söhne (Andreas, Johannes und Woltmarus), in Wittenberg studierten (C2v); dort waren sie seit dem 15. Mai 1520 immatrikuliert.6

    Nach der Widmung, Grußwort und Dank an Heinrich von Könneritz fasst Karlstadt knapp den Anlass (Seylers Provokation) der Schrift zusammen. In einem darauffolgenden ersten Teil geht er Stellen in der Heiligen Schrift nach, die von Wasser handeln, zuerst mit ironischen Spitzen gegen Seyler, ab A3r dann indem er bei Wasser und Salz im Kirchengebrauch die Notwendigkeit einer Differenzierung zwischen res und signa (Sache und Zeichen) unterstreicht. Nicht geweihtes Wasser oder gesegnetes Salz als solche seien schädlich, sondern die Form ihrer Verwendung, die Gläubige am Zeichen haften und sie nicht zu Gott gelangen lässt (»sie steent im wasser stil/ und solten doch das hertz auf in Gott tragen«). Karlstadt unterstreicht, dass in der Heiligen Schrift Wasser als Zeichen für Geduld, Verfolgung und Abwaschung bzw. Vergebung der Sünden stehe. Zentrale Schriftstellen seien Tob 3,13; Hes 36,25; Ps 90(91),15; 2. Kor 4,10, Jak 1 und Mt 14 (der im Meer versinkende Petrus). Am Beispiel des Elias und Elisas (2. Kön 2) und der Teilung des Jordanwassers macht Karlstadt deutlich, dass nicht die Heiligkeit des Objekts (Mantel des Elias) sondern die Anrufung Gottes die Wirkung entfaltet. Als weiteren Schrifttext zum Wasser hebt Karlstadt die Fußwaschung der Jünger (Joh 14) hervor. Allegorisierend interpretiert er Willen und Gedanken der Sünder als »Füße« und fokusiert das Heilshandeln Christi auf den Arzt, der sich aller Sünder annimmt (Beispiel ist Maria Magdalena). Eine weitere biblische Bedeutung von Wasser sei das scharfe Urteil über unsere täglichen Sünden, Erkenntnis der eigenen Gebrechen (Ps 50(51)). Es gelte deswegen, das nasse, »elementische«, äußerliche von dem geistlichen, inneren Wasser zu unterscheiden.

    Im zweiten, dem Salz gewidmeten Teil der Schrift hebt Karlstadt – wieder unter Rückgriff auf 2. Kön 2 –, die Anrufung Gottes als den auschlaggebend wirksamen Aspekt hervor, nicht das Element an sich. In Verbindung mit Kol 4,6 unterstreicht Karlstadt eine weitere Bedeutung von Salz in der Bibel: tägliches Erlernen des Wortes Gottes beim Lesen der Heiligen Schrift. Das gebe »Salz der Weisheit«, was wiederum göttliches Gesetz abbilde. Deshalb sollten auch die Laien Bibeltexte auslegen, was die Franziskaner jedoch verhindern wollten. Im ersten Zusatz, der sich gegen das Plakat zum kirchlichen Nutzen von geweihtem Wassers wendet, kritisiert Karlstadt den Brauch als »zäuberische« Handlung. Im zweiten Zusatz, mit dem er sich gegen die Behauptung wendet, ein großes Gnadenangebot steigere die Bereitschaft zu sündigen, kontert er mit Bibelversen, an die sich Christen in Sterbensängsten zuversichtlich halten sollten.

    Geweiht Wasser ist ein gewichtiger Text Karlstadts; an ihm ist zu erkennen, wie er die Heilige Schrift argumentativ verwendet, um mittels allegorisierender Auslegung biblischer Texte und Schlüsselbegriffe seine theologisch reformatorischen Einsichten zu begründen. Auf diese Weise kann Karlstadt zeigen, wo in der Schrift Wasser und auch Salz u. a. als Zeichen rechter Buße und Sündenvergebung zu finden sind. Insbesondere an diesem Text führt er seinem Gegner Franziskus Seyler vor, was dieser nicht zu bieten vermochte: eine Fundierung kirchlicher Bräuche und Riten in dem als ius divinum verstandenen biblischen Wort.


    1Vgl. Hasse, Tauler, 148: »Die allegorische Deutung des Wassers als ›aqua tribulationis‹ hat ihre Vorgeschichte in Karlstadts Auseinandersetzung mit den Franziskanern […] über das Verständnis des geweihten Wassers.« Karlstadts Überlegungen flossen auch ein in die ersten 8 Thesen seiner 33 Conclusiones De tribulationis et praedestinationis materia (KGK 164).
    2Es lag Karlstadt daran, mittels Adressierung »an die Amtleute und Bürger der Stadt in St. Joachimstal, besonders jene, die ihm Ehre und Gut erzeigt [haben]«, eine Verteidigung vorzulegen gegen »des grauen Holzschuhers [= Franziskus Seyler] arglistig Urteil«, das »uns Wittenberger für falsche Propheten und Verführer des Volkes Gottes hält« (C2v). Dabei ist es Karlstadt wichtig hervorzuheben, »dass diese Universität [Wittenberg] im Fleiß, Gottes Wort zu lernen und [zu] betrachten, ihres gleichen, weder in Welschen [= italienischen], weder Deutschen Landen, weder Frankreich hat« (ebd.).
    3Auf C2r deutet Karlstadt an, noch einen weiteren Aspekt bezüglich des Salzes (als Schrift, bzw. Gesetzes Gottes) bieten zu wollen »[…] ßo mirs gott eyngiebet/ ein buchlein schreyben […]«. Ihm lag also daran, die vorliegende Schrift kurz zu halten – wohl im Hinblick auf eine zügige Fertigstellung des Drucks.
    4Im Straßburger Nachdruck B wurde es ausgelassen.
    5Vgl. zu ihm ADB 12, 363.
    6AAV 1, 93a.

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