1. Überlieferung
Frühdrucke:
Von voꝛmugen des ‖ Ablas. ꝛvider bruder ‖ Franciscus Seyler ‖ parfuser oꝛdens ‖ Andꝛes Caꝛol‖stat Doct.‖ ‖ [Am Ende] ¶ Gedruckt zu Wittenbergk durch Johan. ‖ Grunenberg. 1520. ‖
Wittenberg: Johann Rhau-Grunenberg, 1520.
4° 8 Bl., A4 – B4. TE.
Editionsvorlage:
SUB Göttingen, 8° HEE 378/5:1(6) RARA.Weitere Exemplare: ULB Halle, AB 5/k, 11(4). — ÖNB Wien, 20.Dd.957.
Bibliographische Nachweise:
- Freys/Barge, Verzeichnis, Nr. 28.
- Köhler, Bibliographie, Nr. 1964.
- Zorzin, Flugschriftenautor, Nr. 20 A.
- VD 16 B 6255.
Der Titeleinfassungsholzschnitt aus der Cranachwerkstatt1 wurde von Rhau-Grunenberg erstmals Mitte Juli 1520 für die zweite Streitschrift Johannes Lonicers gegen den Leipziger Franziskaner Augustin von Alveldt verwendet.2
Uon vermügẽ des Ab=‖las: wider Brůder ‖ Franciscus Seyler Bar‖fusser ordẽs Anders ‖ Carolstatt Do‖ctor. c. ‖
[Straßburg]: [Martin Flach], [1521].
4° 10 Bl. A4 – B6, B6v leer, TE.
Editionsvorlage:
SUB München, 4° Polem. 557m.Weitere Exemplare: HAB Wolfenbüttel, A: 148.21 Theol. (2). — HAB Wolfenbüttel, A: 359 Theol. (5). — Kantonsbibliothek Graubünden/Chur, Ha 62(1) (mit Glossen von Erasmus Schmid)
Bibliographische Nachweise:
- Freys/Barge, Verzeichnis, Nr. 29.
- Pegg, Swiss Libraries, Nr. 461.
- Köhler, Bibliographie, Nr. 1963.
- Zorzin, Flugschriftenautor, Nr. 20 B.
- VD 16 B 6254.
Literatur:
- Jäger, Carlstadt, 70–92.
- Barge, Karlstadt 1, 203–209.
- Peters, Eberlin, 173–175.
- Todt, Bild, 120–124.
- Kruse, Universitätstheologie, 163f.
- Schlageter, Franziskaner, 68–74.
- Kühne, Tetzel, 195–209.
2. Inhalt und Entstehung
Wahrscheinlich im Sommer 1520 besuchte Karlstadt die Bergbaustädte Joachimsthal und Annaberg im Erzgebirge.3 Bleibende Verbindungen zu Joachimsthaler Bürgern legen nahe, dass er bei dieser Gelegenheit bereits nach dort bestehende Kontakte festigen4 bzw. neue zu knüpfen plante.5 Im nahegelegenen Annaberg wurde Karlstadt Zeuge eines Angriffs der dortigen Franziskaner – von der Kanzel aus – gegen die Wittenberger, weil letztere den Ablass in Frage stellten.6 Die Attacke könnte im Zusammenhang mit Predigten stattgefunden haben, in denen die Franziskaner für den Jubelablass am Annentag (26. Juli) warben. Dessen Einnahmen kamen größtenteils dem Bau der Stadtkirche zu gute.7 Der Angriff gab Karlstadt Anlass, eine Streitschrift in der Volksprache zum Thema Ablass zu verfassen. Aus ihr geht hervor, dass er dem Guardian des Annaberger Franziskanerklosters Franziskus Seyler nach dessen Predigt hatte mitteilen lassen, ihm aus Wittenberg Antwort schicken zu wollen, wenn ihn dieser (bzgl. Ablass) noch etwas wissen ließe, das Karlstadt nicht schon bekannt wäre.8 Daraufhin schickte Seyler ihm ein provokantes Schreiben (vgl. KGK 160), auf das Karlstadt mit zwei Flugschriften reagierte (KGK 161 und KGK 162). Zusammen mit der etwas später, zur Jahreswende 1520/1521, veröffentlichten Entgegnung Karlstadts (KGK IV) auf eine Verteidigungsschrift für Franziskus Seyler, die aus der Feder von dessen Ordensbruder Johann Fritzhans stammte, gehören diese drei Publikationen sowohl durch ihren Entstehungskontext als auch thematisch zusammen.
Dem Konflikt Karlstadts mit den Annaberger Franziskanern waren mehrere Auseinandersetzungen der Wittenberger mit Franziskanern vorausgegangen. Im Frühjahr 1519 war es in Jüterbog zu einem Konflikt zwischen Franz Günther und seinem Vertreter Thomas Müntzer mit den dortigen Franziskanern gekommen.9 Hierzu bezogen nach der Leipziger Disputation sowohl Eck wie Luther in Publikationen Stellung.10 Bei einer Disputation Anfang Oktober 1519 zwischen Wittenberger Dozenten und Franziskanern im Rahmen eines in Wittenberg stattfindenden Provinzialkapitels wurde ebenfalls Kritik an den Barfüßermönchen geübt.11 Kurz bevor Karlstadt in Annaberg Zeuge offener Kritik der dortigen Franziskaner an den Wittenberger Theologen wurde, war es im Mai/Juni 1520 zu einer Auseinandersetzung zwischen Thomas Müntzer und den Franziskanern in Zwickau gekommen.12 Harte Polemik gegen den päpstlichen Primat brach auch zwischen dem Leipziger Franziskaner Augustin von Alveldt und Martin Luther aus. Sie verlagerte sich rasch von lateinischen auf in der Volkssprache verfasste Schriften.13 Mit seinen beiden deutschen Streitschriften gegen Seyler reihte Karlstadt sich also in eine breitere Wittenberger Publikationsfront gegen die Barfüßermönche ein.
In Karlstadts erster Veröffentlichung gegen Seyler zur Kraft kirchlicher Ablässe lassen sich zwei Teile ausmachen. Im ersten, bis fol. B1v reichenden Teil14, geht Karlstadt auf den Anlass zum Konflikt, die Position der gegnerischen Seite und die Notwendigkeit einer Ehrenverteidigung der Wittenberger Universität ein. Wegen der Wittenberger Ablasskritik hätten die Annaberger Franziskaner Franziskus Seyler und Johann Forchem in Predigten deren Dozenten öffentlich als Verführer des Volks und als falsche Propheten15 verunglimpft. Ablass – so die Behauptung der Franziskaner – entbinde von Strafe, zu der ein Priester die Gläubigen nach ihrer Beichte und vor der Absolution verpflichte. Auf diesen Bereich – so Karlstadt – bezögen die von Eigennutz motivierten Franziskaner den Ablass und behaupteten, dass er in der Heiligen Schrift »gegründet und begriffen« sei (A3r). Mit Nachdruck fordert Karlstadt deshalb vom Guardian Seyler, er solle belegen, dass »ablas de iure divino sey«16 – also gemäß göttlich-biblischem Wort etwas bewirke, bzw. als Mittel oder Zeichen von Sündenvergebung zu suchen sei.17 Emphatisch durchzieht Karlstadts Prinzip der alleinigen Autorität der Heiligen Schrift zur Klärung theologischer und kirchlicher Streitpunkte seine erste Stellungnahme gegen Seyler.18
Seylers Aussage, dass er sich einer Sache sicherer sei, wenn er darin den altkirchlichen Theologen folge, lässt Karlstadt unter Berufung auf Augustin nicht gelten; genausowenig die Argumente scholastischer Theologen (A4r)19. Seylers Forderung, Karlstadt solle ihm zeigen, wo im Evangelium oder bei Paulus der Ablass verboten werde, kontert der Wittenberger unter Verweis auf Gal 1,9, wo die Verkündigung einer anderen Botschaft als die des Evangeliums verdammt wird (B1r). Seylers Einwand, in der Kirche werde vieles praktizierte, das nicht in der Heiligen Schrift angezeigt sei (B1v)20 – gibt Karlstadt der Lächerlichkeit preis. Wenn Seyler Ablass als Zusage von Vergebung der Strafe oder Schuld loben wolle, dann habe er klar zu belegen, wo in der Schrift diese von ihm gepredigte Verheißung stehe (B1r)21. Im zweiten Teil der Darlegung führt Karlstadt seine biblisch begründete Verheißung göttlicher Sündenvergebung aus. Dazu greift er auf Bibelstellen zurück (Hes 18,20f.; Jes 43,25f.), die belegen, dass Gott begangener Missetaten nicht mehr gedenkt, wenn der Sünder sie vor sein eigenes strenges (inneres) Gericht und Urteil bringe und aufrichtig bereue. Danach (ab B3r) erläutert Karlstadt, wie sich der Sünder zu Gott kehrt »in got klebet/ und ym anhengig bleyb.«22 Zentral in Karlstadts Argumentation ist, dass jemand das Kreuz Christi täglich auf sich nimmt. Denn im Kreuz seien alle zum Leben dienenden Gebote und Weisheit enthalten. Aus diesem »edelen baume/ auß dem creutz Christi« wüchsen Werke der Nächstenliebe (Mt 25); deshalb solle niemand das Kreuz um Geld oder Ablass ablegen (B3v)23. Karlstadt bittet Seyler, ihm bald Antwort zu geben, damit er von ihm lernen könne. Denn wenn ihm in der Schrift Ablass nachgewiesen werde, wolle auch er ihn groß machen. Solange das nicht geschehe, bleibe Karlstadt bei seiner Meinung, dass der Ablass erfunden wurde, um Leuten Geld abzunehmen und sie von guten Werken fort in eine falsche Auffassung zu leiten (B4v)24. In der Streitschrift gegen Seyler häufen sich polemisch abwertende Invektiven gegen den Franziskaner und seine Annaberger Mitgenossen. Karlstadts Kritik und Polemik gegen den Ablass beschränkte er auf zwei Druckbögen. Zu geweihtem Wasser und Salz – die Franziskus Seyler im Schreiben an Karlstadt als Argument für kirchlich anerkannte, jedoch biblisch nicht belegbare Praktiken anführte25 – kündigt der Wittenberger die baldige Veröffentlichung einer weiteren Gegenschrift an.26