1. Überlieferung
Frühdrucke:
⁌ Doctoꝛ Martinus Luther vnd doctoꝛ ‖ Carlesſtat antwort auff doctoꝛ Johan Eckē ſchrey⸗‖ben an mein gnedigiſten herꝛen Herog Fry⸗‖derichen ʒů Sachſſen Curfürſten ꝛc.
in:
Eck, Johannes; Karlstadt, Andreas Bodenstein von; Luther, Martin; Friedrich III. Kurfürst
Doctor Martin lud⸗‖ders Underrict an Kur‖furſten vo n Sachſſen.diſpu‖tation ʒu Leypſʒig belangent: ‖ vnnd D.Eckius bꝛiue. ‖ von der ſelbigen. ‖ ❦
[Augsburg]: [Johann Miller], [1520], fol. A4v‒C4r.
4°, 26 Bl., A4-E4, F6.
Editionsvorlage:
BSB München, Res/4 Th.u. 103,XXXII,7, Digitalisat.Weitere Exemplare: BSB München, Rar. 1477. — ZB Zürich, 18.216: c,11 RARA.
Bibliographische Nachweise:
- Benzing, Lutherbibliographie, Nr. 816.
- VD 16 L 6831.
⁌ Doctoꝛ Martinus Luther vnd doctoꝛ ‖ Carlſtat antwoꝛt auffdoctoꝛ JohanEckē ſchrey⸗‖ben an mein gnedigiſten herꝛ Herog Fry⸗‖derichen ʒů Sachſen Curfůrſten ꝛc.
in:
Eck, Johannes; Karlstadt, Andreas Bodenstein von; Luther, Martin; Friedrich III. Kurfürst
Doctor Martin lud⸗‖ders Underrict an Kur‖furſten von Sachſſen.diſpu‖tation ʒu Leypſʒig belangent: ‖ vnnd D.Eckius bꝛiue. ‖ von der ſelbigen. ‖ ❦
Augsburg: [Johann Miller], [1520], fol. A4v‒C4r.
4°, 26 Bl., A4-E4, F6.
Editionsvorlage:
BSB München, Res/4 H.ref. 800,12, Digitalisat.Weitere Exemplare: BSB München, 4 H.ref. 528 d.
Bibliographische Nachweise:
- Benzing, Lutherbibliographie, Nr. 817.
- VD 16 L 6832.
Editionen:
Literatur:
- WA.B 1, 230–231.
- Barge, Karlstadt 1, 168.
- Brecht, Luther 1, 311.
2. Inhalt und Entstehung
Am 18. August 1519 sandten die Wittenberger Theologen durch Spalatin ihren – von Karlstadt schon am 31. Juli angekündigten1 – Bericht, zusammen mit einem kurzen Begleitschreiben (hier KGK 135), an Kfst. Friedrich III. Mit dieser Schrift reagierten Luther und Karlstadt nicht nur auf die von Eck am 22. Juli erhobenen Anschuldigungen2, sondern entsprachen außerdem der daraus hervorgegangenen kurfürstlichen Forderung nach einer Stellungnahme.3 Der Text steht damit in engem Zusammenhang mit der polemischen Kampagne, die unmittelbar nach der Leipziger Disputation zwischen Spätsommer 1519 und Winter 1519/1520 zwischen Eck und den Wittenberger Theologen entbrannt war.4 Eine Kopie der Verantwortung wurde Eck am 12. Oktober 1519 gesandt5, wie auch die Wittenberger sich gewünscht hatten.6 Der Ingolstädter verfügte also über alle Dokumente, die sein Vetter Michael von Eck Anfang 1520 im Sammelband Doctor Martin Ludders Underricht an Kurfursten von Sachssen herausgab.7
Der hier edierte Text entstand in den ersten beiden Augustwochen8 und wurde parallel zu den Anfang September erschienenen ResolutionesLuthers verfasst.9 Beide Texte weisen deutliche inhaltliche Parallelen auf, nicht zuletzt, weil beide von Luther verfasst worden sind.10 Obwohl der Bericht von Luther und Karlstadt unterzeichnet worden ist11 und aus diesem Grund in die Edition aufgenommen wurde, ist die Verantwortung tatsächlich nahezu vollständig (bis auf einige Passagen) häufig in erster Person von Luther verfasst worden und bietet an vielen Stellen eine überarbeitete deutsche Fassung, teilweise sogar eine reine Übersetzung einzelner Paragraphen der lateinischen Resolutiones und deren Einleitung.12 Die isolierten Textpassagen, die gemeinsam mit oder direkt von Karlstadt erstellt wurden, erscheinen oft nur als Ergänzungen zu Luthers Schreiben, das von einem kontinuierlichen Sprung des Sprechersubjekts (von »wir«, zu »Ich-Karlstadt« oder »Ich-Luther« und zurück zu »wir«) geprägt ist.
Hauptzweck des Textes ist es, alle Anschuldigungen Ecks einzeln zurückzuweisen und zu widerlegen. Nicht nur ihre Grundlosigkeit soll demonstriert werden, sondern vor allem die wahre Absicht des Gegners aufgedeckt, der beabsichtige, die Wittenberger (und damit die ganze Universität) zu diskreditieren und die Gunst des Kurfürsten mit Schmeicheleien zu gewinnen. Diese beiden polemischen Argumente, punktuell gleich im ersten Paragraphen gemeinsam von Luther und Karlstadt vorgetragen, werden an mehreren Stellen erneut aufgegriffen, um Friedrich III. von den bösen Ansichten des Ingolstädter Theologen zu überzeugen. Als Antwortschreiben auf Ecks Brief vom 22. Juli konzentriert sich die Verantwortung jedoch zuerst auf die von Luther auf der Leipziger Disputation diskutierten Themen. Karlstadt hingegen kommt nur eine Nebenrolle zu: Er spricht in erster Person nur im zweiten Abschnitt, wo er auf die beiden gegen ihn gerichteten Hauptanklagen Ecks reagiert.
Zunächst verortet Karlstadt die Veröffentlichung der Conclusiones (KGK 117) – die Eck in seinem Bericht vom 22. Juli als primär beleidigend abwies – im breiteren Kontext der langen literarischen Auseinandersetzung mit dem Ingolstädter Theologen. Bereits im Sommer 1518 hatte KarlstadtLuther gegen die in den Obelisci formulierte Attacke verteidigt13, um die Ehre der Wittenberger und ihrer Universität zu wahren (so Karlstadt selbst) und er habe sich dabei weitaus maßvoller verhalten, als Eck es verdient habe. Er habe die Ehre des Gegners schonen wollen, doch angesichts von dessen Undankbarkeit sollten nun nicht nur die Obelisci»an Tag« gebracht14, sondern dem Kurfürsten auch eine Liste der Beleidigungen und infamen Attacken Ecks während der Leipziger Disputation vorgelegt werden. Den Vorwurf, Eck im Currus ausdrücklich diffamiert zu haben15, weist Karlstadt ebenfalls zurück, indem er behauptet, in seinem Einblattdruck lediglich die »gemeine Irrtumb der Theologen« denunziert zu haben.16
In den folgenden Abschnitten spricht Luther wieder in erster Person und bemüht sich, in Reaktion auf Ecks Kritik, um die Rechtfertigung seiner Lehre gegenüber dem Kurfürsten. Hierbei hebt er ein bestimmtes Thema besonders hervor, nämlich die päpstliche Primatsgewalt.17 Bereits vor der Leipziger Disputation fand Karlstadt diese 13. These Luthers bedenklich18, der seinerseits sogar eine zusätzliche Verteidigungsschrift dazu veröffentlicht hatte.19 In der Verantwortung wiederholt Luther nun die markante Passage seiner Argumentation in der Disputation gegen Eck, ähnlich wie in den ebenfalls im August verfassten lateinischen Resolutiones.20 Mithilfe einzelner Bibelstellen (vor allem Gal 2,6 und Mt 16,18) beweist er zunächst, dass Eck die päpstliche Primatsgewalt de iure divino nicht demonstrieren könne. Sämtliche seitens des Ingolstädter Theologen zitierten Belege seien tatsächlich auf kirchliche Bräuche oder menschliche Autoritäten und Traditionen (ius humanum) zurückzuführen; die wenigen von Eck herangezogenen Stellen der heiligen Schrift (die als einzig sichere Quelle der Wahrheit anerkannt wird) werden von Luther zur Untermauerung der eigenen These neu interpretiert. Im Weiteren demonstriert Luther sodann die Widersprüche, die Ecks These enthalten: Wäre die Suprematsstellung der römischen Kirche nach göttlichem Recht zugeteilt, müsste man die griechische sowie alle anderen Kirchen, die dieselbe nicht anerkannt haben, als ketzerisch verdammen. Gegen den römischen Primatsanspruch beruft sich Luther in der Verantwortung darüber hinaus in besonderem Maße auf das Konzil von Nicäa, dessen Dekrete seiner Einschätzung nach beweisen, dass dem Papst keine Alleinherrschaft zugestanden worden sei.21
Ein weiterer Abschnitt der Verantwortung diskutiert die Validität der Beschlüsse des Konstanzer Konzils und insbesondere Ecks Interpretation desselben. Ähnlich wie in der Leipziger Disputation beabsichtigt Luther auch in der Verantwortung nachzuweisen, dass dieses Konzil keineswegs alle Artikel Jan Hus – von denen Eck selbst indirekt einige in der Disputation gegen Karlstadt über den freien Willen bestätigte22 – als ketzerisch verurteilt hatte. Mehr noch: Auch unter den in Konstanz verurteilten Artikeln von Hus gebe es durchaus einige – so Luther – die sehr wohl christlich und evangelisch seien. Diese Aussage begründet er zunächst mit einer Relativierung des Konstanzer Urteils: Manche Artikel seien vielleicht als ketzerisch verdammt, andere aber auch einfach als irrig, lästerlich, vermessen oder aufrührerisch beurteilt worden. Vor allem aber führt Luther die Irrtumsfähigkeit von Konzilen als solche vor Augen, was auch durch einige widersprüchliche Beschlüsse und Dekrete innerhalb der Kirchengeschichte offenkundig sei. Daraus ergibt sich, dass ein Konzil irren könne, da es keineswegs dem iure divino (das nur die heilige Schrift verkündet) entspricht.23
Im zweiten Teil seiner ausführlichen Verantwortung legt Luther sodann beim Kurfürsten Beschwerde über einige während der Disputation geschehene Zwischenfälle ein, die klar beweisen würden, dass die Leipziger bereits auf der Seite Ecks gestanden hätten,24 dem sogar das unangemessenste und beleidigendste Verhalten erlaubt worden sei. Diese Anklage, die hier besonders klar und wiederholt zum Ausdruck kommt, wurde von Luther bereits Ende Juli formuliert. Das endgültige Urteil über die Leipziger Disputation lautet, dass sie nicht nur nutzlos und schlecht begonnen, sondern in ihrem Verlauf zu neuen Ärgernissen geführt habe, weil die Gegner der Wittenberger (und damit sind sowohl Eck als auch die Leipziger gemeint) nur die eigene Ehre und nicht die Wahrheit zu verteidigen suchten.25
Von dieser Beobachtung ausgehend, wird im vorletzten Abschnitt die Position der Wittenberger zusammengefasst. Auch hier aber spricht nur Luther: Denn obgleich sich das »Ich« und das »Wir« vermischen, wird ähnlich wie in den Resolutiones die Disputation zwischen Karlstadt und Eck und der Sieg des ersten über den zweiten in der dritten Person dargelegt.26 Gegenüber dem Kurfürsten betont Luther vor allem, dass er und Karlstadt zur Reaktion auf die hinterlistigen Anschuldigungen Ecks gezwungen seien, notfalls mittels zukünftiger Publikationen,27 auch wenn der Hauptzweck ihrer Arbeit stets die Erforschung der Wahrheit bliebe, die den Theologen aber nicht unbedingt klarer sei als den Laien.28 In diesem Zusammenhang werden dann die kontroversen Punkte der Vereinbarung nochmals erörtert und als Manöver Ecks beschrieben: Erstens die langwierige Auswahl der Universitäten, die als ausgewählte Schiedsrichter ihre Stellungnahmen abgeben mussten, zweitens die Ablehnung der Forderung Luthers, alle Fakultäten der beiden ausgewählten Universitäten zur Beurteilung aufzufordern und vor allem drittens das Publikationsverbot der notariellen Protokolle der Leipziger Disputation, das Luthers geplantem Appel an die Urteilsfähigkeit der ganzen christlichen Öffentlichkeit im Wege stand.29 Diesbezüglich bekräftigt Luther, dass man sich nur auf die einvernehmliche Veröffentlichung der notariellen Protokolle geeinigt habe; nie und nirgends sei aber vereinbart worden, zu schweigen. Genau diese Textpassage wird aus den Resolutiones – beziehungsweise aus deren Widmungsvorrede – fast wörtlich übernommen30, um alle (nachfolgenden) Verteidigungsschriften gegen den Vorwurf, gegen das Publikationsverbot zu verstoßen, argumentativ abzusichern.
Diese Strategie dient schließlich der Argumentation im letzten kurzen Absatz, wo Luther und Karlstadt gemeinsam ihr Vertrauen auf die Barmherzigkeit von Friedrich III. unterstreichen. Sie bestätigen, nur die Wahrheit gesagt zu haben und kündigen außerdem ihre nächste Veröffentlichung – die der lateinischen Resolutiones – an, in denen ihre Position noch detaillierter verteidigt werden sollte.