Nr. 120
Wagen Wittenberg
[1519, Anfang Mai]

Einleitung
Bearbeitet von Alejandro Zorzin

1. Überlieferung

Frühdrucke:

[A:]Karlstadt, Andreas Bodenstein von
d'er' wag zu ‖ Christo
[Wittenberg]: [Johannes Rhau-Grunenberg], 1519.
Holzschnitt von Lucas Cranach d. Ä. Blattgröße (405 x 298 mm), Bildgröße (405 x 280 mm). Die ursprüngliche Blattgröße wurde bis an die untere und die seitlichen Einfassungslinien des Bildes beschnitten. 30 Textfelder mit deutschem Text in der oberen Bildhälfte, 23 Textfelder mit deutschem Text in der unteren Bildhälfte; das Textfeld auf der vorderen Wagenseite des unteren Wagens ist leer.
Editionsvorlage:
DHM Berlin – Graphische Sammlung, Inv. Nr. Gr. 53/1Provenienzhinweis: »[…] 1953 vom Museum für Deutsche Geschichte aus Privatbesitz – Halle – erworben.«
Bibliographische Nachweise:

Dreizeiliges Incipit oberhalb des Bildfeldes: »¶ Will Gott. Sʒo wuͤrt vortewtſchte erklerūg.beder wagen.mit yren anhengigen ſpruchen.kurtʒlich gedruckt außgen .Auß welcher.yeglicher wol ermeen mag.was yedenn Chriſtglaubigen zu wiʒen.not iſt.Dan an ʒweyfel.welche dieße wagen. ‖ mit ſampt eyngeleibtenſchrifften betrachten.werden.erſynnen und bſchliʒen. das reeden.des oberſten wagen.Chriſtlicher tzucht erschießlich. vnd widderumb. wortlin des vnderſten. vndienlich vnd ſchedlich. eynen außgeʒogen.Das ich alles.durch hey-‖lige ſchrifften vñ lerern bekrefftigen magk. Derhalben geluſtet ymants ſchrifften obermelt anʒufechten.der kum fruſchlich.mit Chriſtlichem ſwerd das iſt gottis wort.ſonſt mugte ich auch ſchelden. vnnutʒenwie wol mir der weeg widder vñ nicht helen.«

Auf diesem Exemplar ist der Abdruck der oberen Einfassungslinie vom Holzschnitt deutlicher zu erkennen als auf den beiden B Exemplaren; im Gesicht des Gottvaters sind Stirn und Haaransatz sichtbar.

[B:]Karlstadt, Andreas Bodenstein von
d'er' wag zu ‖ Christo
[Wittenberg]: [Johannes Rhau-Grunenberg], 1519.
Holzschnitt von Lucas Cranach d. Ä. Blattgröße (442 x 364 mm); Bildgröße (Einfassungslinie. unten: 406 mm; Efl. oben 405 mm; Efl. links: 284 mm; Efl. rechts: 282 mm); die drei Überschrifttextzeilen: 405 mm x 15 mm. 30 Textfelder mit deutschem Text in der oberen Bildhälfte, 23 Textfelder in der unteren Bildhälfte, davon eines ohne Text (vordere Wagenseite). Zwei horizontale und zwei vertikalen Knickspuren (oberer Längsrand 1. Textzeile: »[…]anhengige|n«; »[…]yede|nn«). Keine Angaben zur Rückseite. Das ehemals gefaltete, jetzt auf eine Unterlage aufgeklebte Blatt ist an den Faltstellen leicht beschädigt (kleine Löcher). Die Reproduktion von Max Geisberg, die den meisten Wiedergaben in der Literatur zugrunde liegt, wurde retouschiert; die beschädigten Buchstaben der Hamburger Vorlage sind aber stellenweise noch zu erkennen. Mit identischen Faltspuren auch die (verkleinerten) Wiedergaben in: Katalog Folgen (Hamburg), 192 Nr.65; Katalog Luther (Nürnberg), 244 Nr. 308; Piltz, Bildsatiren, Nr.10.
Editionsvorlage:
ZB der Evangelischen Kirche Berlin-Brandenburg-Schlesische Oberlausitz Berlin, M2 2017/386Abbildung in: Schade, Malerfamilie, 75.
Weitere Exemplare: Kunsthalle Hamburg – Kupferstichkabinett, Inv. Nr. 12794Abbildung in Geisberg, Einblattholzschnitt, Mappe, XII, Nr. 13.
Bibliographische Nachweise:

Dreizeiliges Incipit oberhalb des Bildfeldes: »¶ Will Gott. Sʒo wuͤrt vortewtſchte erklerūg.beder wagen. mit yren anhengigen ſpruchen.kurtʒlich gedruckt außgen .Auß welcher.yeglicher wol ermeen mag.was yedenn Christglaubigen zu wiʒen.not ist.Dan an ʒweyfel.welche dieße wagen. ‖ mitſampt eyngeleibten ſchrifften betrachten.werden.erſynnen und bſchliʒen. das reeden.des oberſten wagen.Christlicher tʒucht erſchießlich. vnd widderumb. wortlin des vnderſten. vndienlich vnd ſchedlich. eynen außgeʒogen.Das ich alles.durch hey-‖lige ſchrifften vñ lerern bekrefftigen magk. Derhalben geluſtet ymants ſchrifften obermelt anʒufechten.der kum fruſchlich.mit Christlichem ſwerd das iſt gottis wort.ſonſt mugte ich auch ſchelden.vnnutʒen(wie wol mir der weeg widder) vñ nicht helen.«

Meuche und Neumeister1 identifizierten als Drucker Johannes Rhau-Grunenberg in Wittenberg. Ihre Zuweisung geht auf eine damalige Expertise von Helmut Claus (Gotha) zurück, der eine diesbezügliche Anfrage des Editors freundlicherweise am 6. März 2018 bestätigte.

Anfangs war wohl nur der Druck eines lateinischen Flugblatts geplant. Der vom Holzstock in Abstimmung auf die Papierbogengröße außerhalb der Einfassungslinien freigelassene Raum wurde dabei fixiert. Die spätere volkssprachliche Übertragung benötigte einen Hinweis auf die in Kürze erscheinende Erläuterungsschrift zum Bildblatt.2 Um den deutschen Text unterzubringen, musste der ursprünglich festgelegte Platz über der oberen Einfassungslinie expandiert werden. Sie wurde heruntergesetzt, und so erklären sich die Verluste im direkt darunter angrenzenden obersten Bildstreifen: in der Mitte des oberen Holzschnittrandes die beschnittene Szene des von zwei Putten im Wolkenkranz flankierten Gottvaters, links das obere Ende des Kreuzquerbalkens bzw. rechts die Sternchen über dem Helm des Bodensteinwappens.3

Die beiden Exemplare des Druckes B sind identisch, differieren aber von A in einigen Textdetails.4 Wahrscheinlich handelt es sich dabei um Verbesserungen am stehenden Satz während der Drucklegung zwecks Erhöhung der Auflage. Die für Flugblätter hohe Zahl von bisher drei bekannten, erhaltenen Exemplaren spricht für eine hohe Auflagenhöhe.

Editionen:

Literatur:

2. Inhalt und Entstehung

In einem zwischen 1510 und 1514 entstandenen großformatigen Bildflugblatt mit der Überschrift »Ein kurtz andechtigs himmelisch Leitterlein angegeben von dem heiligen Bonaventura […]«5 hatte Lucas Cranach d. Ä. himmlisches Heil und höllische Pein in vertikalem Kontrast einander entgegengestellt.6 Einige in den Holzschnitt integrierte Textfelder (von Engeln, aber auch von teuflischen Dämonen gehalten) fordern Menschen, die sich in der irdischen Zwischenebene befinden, einerseits zu untadeligem, anderseits zu lüsternem Leben auf. Über den unten im Höllenfeuer von teuflischen Figuren gequälten Personen gibt ein die gesamte Bildbreite einehmendes Spruchband deren zu spät gewonnene Einsicht wieder: »Wir haben an unsern leben nicht woͤllen dy hymlische leitter stigen/ darumb wir gefallen in die Hell mussen bei dem teuffel ewig bleiben.«7 Das Werk belegt die vorreformatorische Herstellung großformatiger volksprachlicher Erbauungsbildblätter in der Cranachwerkstatt. Zeitgenossen waren mit kontrastierenden Bildmotiven8 und darin eingebundenen »sprechenden« Textfeldern vertraut.

In Ausführung eines von Karlstadt konzipierten9 Bildprogramms hat Lukas Cranach d. Ä. bis Ende Januar / Anfang Februar 1519 den Holzschnittentwurf für das großformatige Wagen-Bildblatt hergestellt. Neu – gegenüber der einige Jahre vorher entworfenen Himmelsleiter – ist die aus Karlstadts und Cranachs Zusammenarbeit hervorgegangene Umsetzung der Spannung zwischen himmlischem Heil und höllischer Pein von einer vertikalen Kontrastierung in eine horizontal-gegenläufige Dynamik.10

Im Brief vom 20. März 1519 an Georg Spalatin – dem eine Sendung lateinischer Currus-Exemplare beigegeben war – informierte Karlstadt Spalatin darüber, dass die Drucklegung der volksprachlichen Fassung (vulgaris currus) nocht nicht begonnen werden konnte.11 Als Grund dafür gab er an, dass der im Bildholzstock für die Drucktypeneinpassung ausgespaarte Platz12 geringer war, als für die volkssprachlichen Texte benötigt wurde.13 Einige, die von diesem Problem wüssten, rieten Karlstadt, eine andere Lösung zu suchen statt die Sprüche14 zu kürzen.15 Daraufhin scheint er entschieden zu haben, die Sprüche in einer Flugschrift zu zitieren und zu erläutern und sie für die Bildblattfassung so zu kürzen, dass sie in die vorhandenen Textfelder passten.16 Bei diesem Plan war abzusehen, dass der Bildblattdruck schneller fertig sein würde als die Erläuterungsschrift dazu. Auf diese Verzögerung machte Karlstadt das Publikum in den Überschriftzeilen zum Bildflugblatt aufmerksam.17

Am 6. Mai 1519 schickte Karlstadt drei Exemplare des Wagenbildblatts an Spalatin.18 Der begleitende Brieftext enthält keinen Hinweis dazu, ob es lateinische oder volksprachliche Fassungen waren. Zu diesem Zeitpunkt könnten es aber deutsche Wagen-Fassungen gewesen sein, da der Drucker über einen Monat Zeit gehabt hatte die Mitte März in Angriff genommene Drucklegung des currus vulgaris fertigzustellen. Am 17. Mai19 schickte Karlstadt ein erstes Exemplar der das Bildblatt erläuternden AuslegungWagen an Spalatin. Die Spanne von circa zehn Tagen zwischen Veröffentlichung des volkssprachlichen Bildblatts und der es erläuternden Flugschrift hätte damit der Ankündigung in den Überschriftzeilen des Wagen-Flugblatts entsprochen. Der Beginn einer Verbreitung von Wagen-Flugblättern mit deutschen Textinhalten ließe sich somit frühestens auf Anfang Mai 1519 datieren.

Der im Querformat bedruckte Bogen (442 mm x 364 mm) ist in zwei etwa gleich hohe, horizontal übereinanderliegende Bildhälften unterteilt.20 In der oberen fährt ein von einem Gespann mit acht trabenden Pferden gezogener offener Wagen21 nach links in Richtung auf den seitlich hinter dem Kreuz stehenden Christus zu.22 In der unteren Bildhälfte fährt ein von einem Gespann mit sieben galoppierenden Pferden gezogener offener Wagen23 in entgegengesetzter Richtung auf einen weit geöffneten Höllenschlund zu. Im oberen Wagen sitzt ein hagerer, langbärtiger Laie mit vor der Brust sich berührenden Händen.24 Über der hochgezogenen Rückwand seines Wagens ist in der oberen rechten Bildecke freischwebend ein Wappenschild abgebildet.25 Auf der vorderen, mit einer geschmückten Halbrundung abgeschlossenen Wagenbrüstung ist ein an seinen Rändern verziertes Kreuz aufgesetzt. Im unteren Wagen steht ein Mönch von gedrungener und korpulenter Gestalt mit im Redegestus nach beiden Seiten ausgebreiteten Armen.26 Hinter ihm auf dem Wagen kauert rücklings eine zottig-bärtige Zwittergestalt mit Klauen und einem kleinen Horn auf dem Kopf.27

Am oberen Wagen versucht ein Dämon das linke Vorderrad zu bremsen; am unteren Wagen neben dem rechten Vorderrad liegt ein Dämon auf dem Rücken, der in seiner Hand eine Schmierbüchse auf Achsenhöhe hält. Sowohl in der oberen wie in der unteren Bildhälfte ist der Weg, auf dem die Wagen voranrollen, mit kleinen und mittelgroßen Steinen übersäht. Im Hintergrund beider Bildhälften ist eine bergige Landschaft mit Gebäudegruppen angedeutet; am bewegten Himmel sind Wolken erkennbar. Die acht Pferde des oberen Gespanns bewegen sich im Trab voran. Auf dem linken Pferd des zweitvordersten Pferdepaars reitet eine mit Nimbus versehene Bischofsfigur mit episkopaler Mitra. Auf dem linken Pferd des direkt vor den oberen Wagen gespannten Pferdepaars sitzt eine ebenso mit Nimbus gekrönte bärtige, barfüßige männliche Figur.28 Beide schwingen in ihrer Rechten eine Peitsche. Mittig am oberen Rand der oberen Bildhälfte ist Gott-Vater, flankiert von zwei Putten, im Wolkenkranz abgebildet; genau unter ihm hat im Gespann ein Pferd die Zügel losgerissen und seinen Kopf nach oben gerichtet.29 Die sieben Pferde des unteren Gespanns preschen im Galopp voran; auf dem linken Pferd des direkt vor den unteren Wagen eingespannten Pferdepaars reitet ein männliche Figur im Gelehrtenhabit30; der Sattel auf dem Pferd neben ihr ist leer.31 Auf dem vordersten Pferd des unteren Wagengespanns sitzt ein barfüßiger Reiter mit Messer im Gürtel, der beidhändig seine lange Treiberstange in den vor ihm aufgerissenen Höllenrachen stößt. Darin sitzen vorne zwischen Flammen drei menschliche Figuren32, hinter ihnen kauernd und stehend drei kräftige dämonische Gestalten. Am unteren Bildrand der unteren Bildhälfte sind zwei weitere Dämonen zu sehen und direkt vor dem Unterkiefer des Höllenrachens eine vierbeinige dämonische Tierfigur mit langem Schwanz.33

Sowohl die obere wie die untere Bildhälfte sind mit einer Fülle von Textfeldern versehen.34 Zwei von der Karlstadt verwendete zeitgenössische Reimsprüche fremden Ursprungs35 legen nahe, dass auch er bemüht war, seine Botschaft einer damals gebräuchlichen Form volkstümlicher Formulierung religiöser Inhalte anzugleichen.36

In Karlstadts Wagen-Parabel37 nimmt das in der oberen Bildhälfte zweimal dargestellte Kreuz als Bildmotiv und entsprechend auch theologisch eine zentrale Stellung ein. In komprimierter Form gibt er hier visuell eine erstmals in seiner Defensio ausgeführte Kreuzessymbolik und -theologie wieder.38 In Gottes himmlischer Gegenwart fährt das obere, straff gezügelte Pferdegespann einen bußbereiten, sich dem Kreuz anvertrauenden Menschen hin zum Heil in Christus. Neben dem Kreuz stehend, lädt der Auferstandene die Sünder zu sich ein und verheißt ihnen Frieden. Eng damit verbunden ist die Erkenntnis eigener Sündhaftigkeit im Licht der als Gesetz Gottes verstandenen Heiligen Schrift sowie die Absage an heilswirksame Leistungen menschlicher Willenskraft. In antithetischer Weise stellt Karlstadt gnadentheologische Akzente biblischer und altkirchlicher Theologie einer von ihm in der unteren Bildhälfte satirisch vereinfacht dargebotenen scholastischen Heilslehre entgegen. Im oberen Bildteil verwendet er neben paulinischer und augustinischer Gnadentheologie explizit auch den von der deutschen Mystik geprägten Begriff der »Gelassenheit«.39 In seiner Rechten hält Christus die Aufforderung »Gelass Willen und dich«. Diese Verbindung von Gelassenheit und Christuskreuz steht in einer mystischen Tradition, die sich ikonographisch schon in Werken Heinrich Seuses abgebildet findet.40

In seiner Auslegung zur volkssprachlichen Fassung des Bildblatts erläutert Karlstadt überwiegend Sprüche der oberen, als Visualisierung wahrhafter Bußfrömmigkeit konzipierten Bildhälfte. Dabei geht er in drei Schritten vor: Zuerst erläutert er zum Umfeld des Kreuzes gehörige Textfelder, dann die dem oberen Wagen beigegebenen und zuletzt Textfelder zwischen Wagen und Kreuz. Mit dieser Bündelung ebnet er den Rezipienten einen Verständniszugang zur Fülle der über das gesamte Bild verstreuten Texte.41

Die Edition der Texte wird deshalb wie folgt gebündelt: I. Obere Bildhälfte: A) Texte zum Kreuz, B) Texte zum Wagen, C) Texte zum Pferdegespann zwischen Wagen und Kreuz. II. Untere Bildhälfte: D) Bei Erläuterung der oberen Bildhälfte tangierte Texte, E) Am Ende der Auslegung Wagen besprochene Texte, F) In der Auslegung Wagen nicht kommentierte Texte.


2Die später in den Druck gegangene Auslegung Wagen (KGK 124), auf die in der Bildblattüberschrift mit dem fast eine ganze Zeile füllenden Satz hingewiesen wird: »Will Gott. Szo wuͤrt vortewtschte erklerūg. beder wagen. mit yren anhengigen spruchen. kurtzlich gedruckt außgen. Auß welcher. yeglicher wol ermessen mag. was yedenn Christglaubigen zu wisszen. not ist.«
3Vgl. hierzu Rabenau, Typoskript, [12]: »Die Stirn Gottvaters und die umgebenden Wolken sind – etwa in der Breite einer Schriftzeile – von dem oberen Bildrand abgeschnitten, ebenso die rechte Ecke des Querbalkens an dem Kreuz vor Christus. Die Schriftblätter des oberen Bildfeldes schließen im Unterschied zu denen des unteren unmittelbar mit der oberen Begrenzungslinie ab. Es (sollte) auf diese Weise offenbar Platz für die dreizeilige Überschrift des Flugblattes gewonnen werden. Die erhaltenen Fragmente der lateinischen Fassung lassen nicht erkennen, ob auch hier das Bild verkürzt worden ist.«
4Vgl. den textkritischen Apparat der Edition.
5Vgl. Geisberg/Schmidt, Bilder-Katalog, Nr. 610 u. 611; Katalog Luther (Nürnberg), Nr. 128; Katalog Cranach (Basel), Nr. 310–323; Katalog Cranach (Basel), Nr. 25 u. 26 (Abb. auf S. 140f.); grundlegend Seebaß, Himmelsleiter, 42–50. Siehe auch Ritschel, Friedrich der Weise, 332f.
6Cranach hat den Wagen-Holzschnitt nicht signiert. In Cranachs Himmelsleiter-Holzschnitt ist er im linken Leiterholm unten mit seinem Signet der geflügelten Schlange als Künstler identifizierbar. Ulrich Bubenheimer (Reutlingen) vermutet, dass der Künstler im losgerissenen, auffallend unrealistisch flatternden Zügel des Pferdes im oberen Gespann die Initialen »L. C.« eingebracht haben könnte; vgl. die briefliche Mitteilung an Konrad von Rabenau (23. 8. 1983), Rabenau, Typoskript (Briefanhang).
7Unterhalb der Höllendarstellung wird in einem die ganze Bogenbreite ausfüllenden 8-zeiligen Textszusatz Sinn und Dynamik der Bildmotive erläutert.
8Vgl. Münch, Gemelde, 75: »[…] auch bekannt aus dem Bereich der Portalskulptur (Ecclesia – Synagoge; kluge und törichte Junfrauen; Tugend- und Lasterzyklen […]) […] im kulturellen Archiv lange verankert«.
9Vgl. Auslegung Wagen: »[…] hab ich […] darumb ein wagen lassen machen […]«; »[…] wil den gern sehen/ der mich ubertzeugen kan/ das ich ein Prediger [= Dominikaner] bildt auff tzureissen bevolhen.« (KGK 124 (Textstelle); KGK 124 (Textstelle)).
10Vgl. hierzu den Titelblattholzschnitt zu Staupitz, Nutzbarliches büchlein (1517). Vgl. Katalog Folgen (Hamburg) Nr. 63, 190). Auf der Weltgerichtsszene des Titelholzschnittes werden in horizontaler Gegenüberstellung die Erlösten zur Himmelspforte geführt und die Verdammten in den Höllenrachen getrieben.
12Vgl. hierzu die Abbildung eines Holzstocks im Triumphzug Kaiser Maximilians, auf dem ein solches zur späteren Typeneinpassung ausgespartes Textfeld zu sehen ist (Katalog Reformationszeit (Berlin), 162 Nr. C 2. 13).
13Gleiches galt auch – wie oben angemerkt – für die oberhalb des Holzstocks platzierte Überschrift.
14In der Auslegung Wagen spricht Karlstadt von: »anhenghige[n] spruchen« (KGK 124 (Textstelle)), »eingeleibte schrifften/ so den wagen und pferden anhengig sind« (KGK 124 (Textstelle)), »tzetel« (KGK 124 (Textstelle)) und »reyme« (KGK 124 (Textstelle)).
16Rhau-Grunenberg hat neben der deutschen größeren Schwabacher Type teilweise auch die »platzsparendere« kleine lateinische Antiqua-Type verwendet (vgl. Nr. 3, 7, 9, 33, 37, 51), um so Kürzungen auf ein Mindestmaß zu reduzieren. In einem Spruchfeld (Nr. 34) wurde die größere Schwabacher Type mit der kleineren, lateinischen Antiqua verbunden, um die trotz vorgenommener Kürzungen weiterhin schwierige Einpassung des Spruchs zu ermöglichen.
19Vgl. KGK 125. Im Brief erwähnt Karlstadt die volkssprachliche Fassung des Wagenbildblatts nicht; ein Hinweis darauf wäre relevant gewesen, wenn Spalatin den currus vulgaris nicht schon vorher (z. B. mit der Sendung vom 6. Mai 1519) erhalten hätte.
20Höhe des oberen Bildfeldes: 142 mm; Höhe des unteren Bildfeldes: 138 mm.
21Er wirkt wie ein massiv aus Holz gebauter Kastenwagen.
22Neu in der ikonographischen Tradition ist, dass Christus nicht am Kreuz hängt, sondern bei (bzw. hinter) ihm steht. Vgl. die Erstverwendung Anfang 1518 auf dem Titelblattholzschnitt des Leipziger Nachdrucks von Staupitz, Lieb gottes (1518) mit dem horizontalen Spruchband »ECCE | HOMO« hinter der Martersäule; seitlich vor derselben steht der nimbierte Christus mit ausgebreiteten Armen, seine Stigmata zeigend (vgl. Hasse, Tauler, 104 Anm. 19, Nr. 2.; 227, Abb. 4). Diese Darstellung könnte vorbildhaft für den seitlich hinter dem Kreuz stehenden Auferstandenen und für die Kreuzbalken als »Textfelder« auf dem Wagen-Bildblatt gewesen sein.
23Es ist ein leichter Kastenwagen, mit aus Korbgeflecht hergestellten Seitenwänden.
24Vgl. Auslegung Wagen: »[…] das […] bild/ des obersten wagen […] bedeud ein gerechten sunder/ eyn buszwircker/ unnd creutzträger/ […]« (KGK 124 (Textstelle)).
25Bubenheimer, Andreas Rudolff Bodenstein, 6f. u. Abb. 2belegte erstmals, dass es sich um das Bodensteinsche Familienwappen handelt, das auch Leonhard Bodenstein, ein naher Verwandter von Andreas, führte (bei dem von Bubenheimer in Abb. 10 wiedergegebenen Wappen liegt eine Verwechslung mit dem Wappenmotiv des Johannes Drach aus Karlstadt/M vor). Die Position des Bodensteinschen Wappen über dem oberen zu Christus fahrenden Wagen zeigt, wo im Bild sich Karlstadt sehen will: »[…] an der Stelle des Büßers auf dem Wagen, der von einem Dämon gebremst wird.« (vgl. Bubenheimer, Heimat, 35).
26In seiner Auslegung Wagen erwähnt Karlstadt, dass es sich um einen Mönch handelt: »[…] das monichsbild ym nydersten wagen […]« (s. KGK 124 (Textstelle)). Seine Kopfbedeckung ist uncharakteristisch und überdimensioniert, lässt somit keine Rückschlüsse auf einen bestimmten Orden zu. Der führende scholastische Theologe Johannes Capreolus (um 1380 – 1444), den Karlstadt ironisierend Capricornus nannte, gehörte dem Dominikanerorden an. Auch die Leipziger Johannes Tetzel und Hermann Rab waren Predigermönche (Dominikaner). Obwohl Karlstadt in der Auslegung Wagen bestreitet, mit dem Mönchsbild einen bestimmten Orden und schon gar nicht einen Dominikaner dargestellt haben zu wollen (»Es wurt auch keyn Prediger Monich/ […] / beweysen/ das obbedacht bildt eins pretiger Cappen hab […]«; s. KGK 124 (Textstelle)), reagiert er mit der Klarstellung auf einen entsprechenden Verdacht. Wenn Spalatin – vor dem 24. Februar 1519 – angemahnt hatte, die Kapuze des Mönchs im unteren Wagen auf dem Holzschnitt abzuändern (vgl. KGK 108), wird sie in ihrer ursprünglichen, eindeutigeren Form dem kursächsischen Hof unerwünscht gewesen sein, da ja auch römische Dominikaner-Kontrahenten der Wittenberger (wie Thomas Cajetan oder Silvester Prierias) damit hätten identifiziert werden können.
27Im Entekrist (1482) ist der Teufel mit weiblichen Brüsten als Zwitter dargestellt. Auf einer Holzschnittabbildung in Leonrod, Hymelwag (1517), fol. D1r ist eine dämonisch-teuflische Zwitterfigur mit Brüsten abgebildet (vgl. Roper/Spinks, Visual Propaganda, 271 Abb.11). In der zottigen Figur (mit Langbart, Brüsten und Fußklauen), die rücklings hinter dem Mönch auf dem unteren Wagen kauert, ist ein solcher Dämon-Teufel intendiert. Er befindet sich in diagonaler Antithetik zu dem vorne am oberen Wagen platzierten Kreuz. Das Wagen-Kreuz fährt auf das Christuskreuz zu, der im unteren Wagen sitzende Dämon-Teufel bildet mit den drei Teufeln im Höllenrachen die Einfassung der verhängnisvollen, unteren Wagenfahrt.
28Es liegt nahe, beide Figuren mit den im großen Textfeld Nr. [12] an der Wagenwand genannten »Paul'us' et Aug'ustinus'« zu identifizieren.
29Vgl. dazu Bubenheimer, Heimat, 31: »[…] Pferde haben von Natur aus ihren eigenen ungebändigten Willen und suchen auszubrechen. Im dritten Pferdepaar, von links gezählt, bäumt sich ein Pferd auf und hat sich vom Zügel losgerissen; es ist zügellos geworden. Das vordere Pferdepaar versucht noch kurz vor dem Ziel nach rechts auszubrechen, […] Jeweils hinter den ungehorsamen Pferden heben die Reiter ihre Peitschen, um die Pferde zu zähmen.«
30Es könnte der von Karlstadt in den Textfeldern Nr. [34] und Nr. [47] erwähnte Aristoteles sein.
31Der leere Sattel (unter dem eine Zierdecke hervorragt, deren Muster dem der bischöflichen Capa-Borte auf dem Pferd in der oberen Bildhälfte genau darüber ähnelt) könnte andeuten, dass hier ein Reiter seine angestammte Position im unteren Pferdegespann zugunsten Augustins verlassen hat (vgl. KGK I.2, Nr. 64, S. 562f.). Der leere Sattel wäre dann ein Hinweis Karlstadts auf seine Abwendung von der vorher durch ihn in Wittenberg gelehrten scholastisch-aristotelischen Theologie (vgl. Bubenheimer, Heimat, 35f.).
32Einer von ihnen, mit erhobener Hand und offenem Mund, könnte »Sprecher« der in Nr. [52] geäußerten Einsicht sein.
33Bei dem ausgemergelten Vierbeiner mit »Hufpfoten«, langem Schwanz und »Hörner-Ohren« scheint es sich um einen »Kater-Dämon« zu handeln.
34Beim Christusbild und der Kreuzesdarstellung zeigt die »Dominanz des Textes gegenüber dem Bild […], daß der Künstler sehr weitgehend den Wünschen des Theologen in bezug auf die Komposition des Textes entgegengekommen ist.« (Hasse, Tauler, 104).
35Vgl. Auslegung Wagen: »Unsere lerer. gut bekerer, hab uber Propheten ergrundt. underscheyt todlicher und untodlicher sund[.] was ist imputat [:] furwurfft zornig. non imputat [:] vergibt gnedig.« (KGK 124 (Textstelle)); bzw. Wagen Nr. [31] »Unser seligkeit[/]ist im ansehen und gotheit. [/] Also rast der geist spiritaliter [/] in gschaffenheit minus principaliter« (KGK 120 (Textstelle)).
36Während die von Karlstadt vorgenommenen Kürzungen zur Einpassung in das Bildblatt den Reimen abträglich waren, wirken die Sprüche in ihrer ungekürzten Wiedergabe in der Auslegung Wagen weder besser noch unbeholfener als die beiden aus anderer Quelle stammenden Reime (vgl. auch Himmelsleiter Flugblatt: »So got kein gefallen hat in euern verterben/ was arbeit ir so hart in tugenden biß auff euer sterben«, bzw. »Hüth dich mensch vor hartem dingen der du asch bist und schwacher natur/ Brauch in wollust [die-]weil du lebst gots creatur«).
37Vgl. Auslegung Wagen: »Darumb ich ein clare parabel/ nemlich tzwen wagen erdacht/ […].« (KGK 124 (Textstelle)).
38Vgl. KGK I. 2, Nr. 90, S. 927–935; dazu auch grundlegend Hasse, Tauler, 96–106. Die Wichtigkeit des Kreuzes bestätigt die Tatsache, dass etwa die Hälfte von Karlstadts Auslegung Wagen dem Kreuz und mit ihm in Verbindung stehenden Textfeldern gewidmet ist. Vgl. auch Bubenheimer, Tauler, 9: »Daher kann die Auslegung auch als ein Traktat zur Kreuzestheologie Karlstadts charakterisiert werden.«
39Vgl. Spalatins hsl. Notiz »Difficile est homini relinquere sua: Difficillium autem relinquere seipsum« in einem der Exemplare von Karlstadts Augustinkommentar (KGK I.2, Nr. 64, S. 544).
40Vgl. Seuse, Buch (1512), fol. N1r mit Abb. Zur Linken des Gekreuzigten steht auf einem Textband: »Gelassenheit mich berauben wil. dan mein ist gewesen zefil«. Vgl. Bubenheimer, Andreas Rudolff Bodenstein, 27 und Hasse, Tauler, 104 Anm. 19 Nr. 1.; 226, Abb. 3.
41Hasse, Tauler, 106 Anm. 32 ist der Meinung, dass die »Reihenfolge, nach der Karlstadt die einzelnen Sprüche des ›Wagens‹ kommentiert hat«, Aufschluss darüber gibt »welche Texte nach dem Urteil Karlstadts die wichtigsten sind.«

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