1. Überlieferung
Frühdrucke:
IHESVS. ‖ ERVDITISSIMO VIRO ET PRESTAN⸗‖tiſſimo .D. Andreę Bodenſtein Carlſtadio syncęrioris ‖ Theologię aſſertori facile primario.Archidiacono ‖ Vuittenbergen̄.pręceptori ac maiori ſuo in Chr̄o ‖ Martinus Luther Auguſt. ‖
in:
Eck, Johannes; Luther, Martin
Diſputatio D.Johannis Eccij ‖ et P. Martini Luther in ‖ Studio Lipſenſi. ‖ futura. ‖ [Am Ende:] Anno di. M. D. XIX.
[Wittenberg]: [Johannes Rhau-Grunenberg], 1519, fol. A3r–v.
4°, 4 Bl., A4.
Editionsvorlage:
HAB Wolfenbüttel, H: Yv 1677.8° Helmst, Digitalisat.Weitere Exemplare: ThULB Jena, 6463. 23 (12), Digitalisat — UB Paderborn, Erzbischöfliche Akademische Bibliothek, Th. 6116, Digitalisat
Bibliographische Nachweise:
- Benzing, Lutherbibliographie, Nr. 347.
- VD 16 E 318.
Eruditiſſimo viro Et pꝛeſtātiſſi⸗‖mo.D.Andree Bodenſtein Carlſtadio ſyncerioꝛis Theo⸗‖logie aſſertoꝛi facile primario . Archidiacono Vuittē=‖bergen̄.p̄ceptoꝛi ac maioꝛi ſuo in chr̄o Mar.Lu. Au. ‖
in:
Eck, Johannes; Luther, Martin
Diſputatio do⸗‖mini Johannis Eccij et ‖ Pa. Martini Luther in ‖ ſtudio Lipſenſi futura. ‖ [H] ‖ [Am Ende:] Anno Domini.M.D.xix. [TE]
[Leipzig]: [Martin Landsberg], 1519, fol. A3r‒A4r.
4°, 4 Bl., A4. — H, TE.
Editionsvorlage:
[B₁] ThULB Jena, Th 685, Digitalisat.Weitere Exemplare: [B₂] Bodleian Library Oxford, Tr. Luth. 86 (21) (mit Druckvarianten)
Bibliographische Nachweise:
- Benzing, Lutherbibliographie, Nr. 348.
- VD 16 E 317.
Vier unterschiedliche Zierleisten mit Pflanzenmotiven, Banderole und Genien.1 Holzschnitt in der Mitte: Johannes der Täufer mit einer Tierfell bekleidet, der ein Lamm mit Kreuzfahne auf einem Buch trägt.2
ERVDITISSIMO ‖ VIRO ET PRAESTANTISSIMO D. ‖ Andreæ Bodēſteyn Careloſtadio,ſyncerioris ‖ Theologiæ aſſertori facile primario, ‖ Archidiacono Vuittenburgen̄. ‖ præceptori ac maiori ſuo ‖ in Christo,Martinus ‖ Lutherius Au‖guſtinen̄. ‖
in:
Eck, Johannes; Luther, Martin
❧ DISPV⸗‖TATIO D. IOANNIS EC‖CII, ET P. MARTI‖NI LVTHER IN ‖ STVDIO LI⸗‖PSENSI ‖ FVTVǁRA. ‖ AN. M. D. XIX. ‖ [TE]
[Basel]: [Andreas Cratander], 1519, fol. A4r‒A5r.
4°, 6 Bl., A6 (A6v leer). — TE.
Editionsvorlage:
UB Basel, FM1 X 1:4, Digitalisat.Weitere Exemplare: BSB München, Res/4 Biogr. 129, Digitalisat — BSB München, 4 Exeg. 190, Digitalisat
Bibliographische Nachweise:
- Benzing, Lutherbibliographie, Nr. 349.
- VD 16 E 315.
Titeleinfassung mit der sogenannten Indianerbordüre.3
Eruditiſſimo viro Et pꝛeſtantiſſimo.D.An⸗‖dree Bodenſtein Carlſtadio ſyncerioꝛis Theologie aſſertoꝛi facile pꝛi‖mario.Archidiacono Vuittenbergen̄.pꝛeceptoꝛi ac maioꝛi ſuo in Chꝛi‖ſto Mar. Lutter. Augu. ‖
in:
Eck, Johannes; Luther, Martin
Diſputatio do⸗‖mini Johannis Eccij et ‖ Pa.Martini Luther in ſtu⸗‖dio Lipſenſi futura. ‖ [H] ‖ [TE] ‖ [Am Ende:] Anno Domini. M.D.xix.
[Breslau]: [Adam Dyon], 1519, fol. A3r–v.
4°, 4 Bl., A4. — H, TE.
Editionsvorlage:
BU Wrocław, 542733.Bibliographische Nachweise:
- Benzing, Lutherbibliographie, Nr. 350.
- VD 16 E 316.
Vier unterschiedliche Zierleisten mit pflanzlichen Ornamenten, menschlichen Figuren, Tieren und biblischen Figuren. Holzschnitt: Krönung Marias.4
ERVDITISSIMO ‖ VIRO ET PRAESTANTISSIMO D. ‖ Andreæ Bodenſteyn Careloſtadio, ſyncerioris ‖ Theologiæ aſſertori facile primario,Archidia⸗‖cono Vuittenbergen.præceptori ac maiori ‖ ſuo in Christo, Martinus Lutherius ‖ Auguſtinen.
in:
Luther, Martin
SECVUNDA PARS ‖ OPERVM R.P.D. MARTINI LVTHERII, ‖ AVGVSTINIANI VVITTEN‖BERGENSIS. ‖ De decem præceptis declamatiunculæ populares. ‖ De triplici iuſticia Sermo. ‖ De uirtute excōmunicationis. ‖ De digna præparatione ad ſacramentū euchariſtiæ. ‖ Quomodo Christi paſſio ſit conſyderanda. ‖ Acta D.Martini Lutherii Auguſtæ apudD.Legatum ‖ apoſtolicum. ‖ Propoſitiones Ioā.Eccii,& D.Martini Lutherii,Lipſiæ ‖ diſputatæ,cum epiſtolis eorundem. ‖ De eadem diſputatione Lipſica Reſolutio Lutheriana. ‖ De poteſtate Papæ Reſolutiones. ‖ Defenſio contra Ioan.Eccium. Qui propoſitiones ‖ quaſdam hæreticas Lutherio affinxit,ædito quodam ‖ libello:quem non temere omittimus, nam inani le=‖ione leoris induſtriam onerare non libet. ‖ Canonicorum indoorum Lutherianorum, ad Ioan. ‖ Eccium Reſponſio. ‖ [Am Ende:] FINIS. ‖ MENSE MARTIO. ANNO M. D. XX.
[Basel]: [Andreas Cratander], 1520, 549‒551.
4°, 191 Bl., Q4‒Z4, Aa4‒Zz4, aa4‒rr4, Pag.: 306 (Q1v) ‒ 687 (rr4r).
Editionsvorlage:
UB Basel, FP II 16, Digitalisat.Weitere Exemplare: ULB Halle, Ib 3293, Digitalisat — SUSB Augsburg, 4 Th Ref 19, Digitalisat
Bibliographische Nachweise:
- Benzing, Lutherbibliographie, Nr. 6.
- VD 16 L 3410.
ERVDITISSIMO VIRO ‖ ET PRAESTANTISSIMO D. ANDREAE BODENSTEIN ‖ Careloſtadio, syncerioris Theologiæ aſſertori facile primario, ‖ Archidiacono Vuittenbergen̄.præceptori ac maiori ſuo in ‖ Christo,Martinus Lutherius Auguſtinen. ‖
in:
Luther, Martin
R‣ P‣ DOCT‣ ‖ MARTINI LV‖THERII AVGVSTINIANI THEO‖LOGI SYNCERI LVCVBRA‖TIONVM PARS VNA, ‖ quas ædidit uſ in annum præ/‖ſentem . Catalogum earū ‖ uerſa tibi pagina indicabit. ‖ ALIO TOMO, DOMINO VO/‖lente,poſt hac meliora trademus,ut ab‖ſoluta fuerint eodē autore,nempe ‖ in Pſalmos & Paulum. ‖ BASILEAE APVD ADAM PE‖TRI, ANNO DOMINI . . ‖ MENSE IVLIO. ‖ [TE] [Am Ende:] [H] ‖ BASILEAE IN AEDIBUS ADAE PETRI, ‖ ANNO DOMINI . . . ‖ MENSE IVLIO. ‖
Basel: Adam Petri, 1520, 288‒290.
2°, 298 Bl., a6‒b6, c8, d6, A6‒Z6, Aa6‒Xx6, Yy8, Pag.: 1 (A1r)‒542 (Yy7v). — RS — TE.
Editionsvorlage:
UB Basel, Aleph G II 7:1, Digitalisat.Weitere Exemplare: HAB Wolfenbüttel, Li 4°. 274.
Bibliographische Nachweise:
- Benzing, Lutherbibliographie, Nr. 9.
- VD 16 L 3411.
Editionen:
Literatur:
- WA 2, 156f.
- Barge, Karlstadt 1, 140‒142.
Die Editionsvorlage des hier edierten Briefes ist die erste in Wittenberg bei Rhau-Grunenberg erschienene Ausgabe A der Disputatio in Studio Lipsensi futura, die aus vier Schriften besteht: dem Nachdruck eines Einblattdruckes Ecks, der sowohl den Widmungsbrief an Matthäus Lang als auch seine 12 Thesen gegen Karlstadt bzw. Luther enthält, und der vorliegenden Begleitschrift Luthers mit seinen 12 Gegenthesen. Eine daraus hervorgegangene erste Überlieferungslinie umfasst die Ausgaben B aus Leipzig und D aus Breslau.5 Beide weisen im Vergleich mit A ähnliche, oftmals die Vorlage verschlechternde Abweichungen6 und Auslassungen der griechischen Zitate7 auf. Die Leipziger Ausgabe ist in zwei Druckvarianten überliefert, wobei B₁ gegenüber B₂ die spätere und verbesserte Ausgabe bietet.8 Letztere diente als Vorlage für die Breslauer Ausgabe D, welche fast alle fehlerhaften Stellen des ersten Leipziger Druckes übernimmt9 und darüber hinaus weitere Druckfehler aufweist.10 Die Nachlässigkeit bei der Drucklegung dieser Ausgabe ist vermutlich auf die Tatsache zurückzuführen, dass D die erste lateinische Schrift überhaupt gewesen ist, die der aus Nürnberg stammende und um die Jahreswende 1518/19 nach Breslau übergesiedelte Buchdrucker Adam Dyon11 herausgegeben hatte. Fünf weitere lateinische Traktate, sämtlich über die Leipziger Disputation, folgten im Sommer 1519.12 Damit endete jedoch bereits die kurze Periode der lateinischen Ausgaben seitens der Breslauer Druckerei, und Adam Dyon spezialisierte sich anschließend, wie bereits in seiner frühen Druckerwerkstatt in Nürnberg, wieder überwiegend auf die Publikation deutscher Texte.13
Hinzu kommt eine zweite, schweizerische Überlieferungslinie. Der ersten, 1519 von Cratander herausgegebenen Ausgabe C folgten im darauffolgenden Jahr zwei Sammelausgaben lateinischer Lutherschriften E und F14, welche sowohl die Gegenthesen Luthers als auch Ecks Widmungsbrief und dessen Thesen beinhalten.15 Die jeweils in der Basler Offizin von Cratander (E) und Petri (F) angefertigten Ausgaben weisen darüber hinaus Marginalien auf.16
2. Inhalt und Entstehung
Die Vorgeschichte dieses fiktiven Briefes Luthers knüpft an den langen Streit zwischen Eck und Karlstadt im Sommer/Herbst 1518 an. Auf die Obelisci des Ingolstädter Theologen gegen Luther17 reagierte Karlstadt zunächst mit seinen Thesen Contra Eckium (KGK I.2, Nr. 88)18. Eck antwortete im August 1518 mit einer Defensio und äußerte in der Schlussrede nochmals seinen schon im Mai formulierten Wunsch (KGK I.2, Nr. 84), sich mit dem Wittenberger in einer öffentlichen Diskussion an den Universitäten Rom, Paris oder Köln auseinanderzusetzen.19 Nachdem Karlstadt sich wiederum in seiner Defensio (KGK I.2, Nr. 90) im September/Oktober 1518 zu einer solchen Disputation bereit erklärt hatte,20 übernahm Luther selbst die Vermittlung zwischen Eck und Karlstadt. Im Oktober traf er Eck im Augsburger Karmeliterkloster21 am Rande des Reichstages und besprach mit ihm den Ort der geplanten Disputation.22Eck schreibt in seinem späteren Bericht an Friedrich III., dass Luther schon während dieses Gesprächs für die Städte Erfurt oder Leipzig plädierte, wohingegen Eck zunächst auf einer der Entscheidung vorangehenden Absprache mit Karlstadt bestand.23Luther kehrte am 20. Oktober nach Wittenberg zurück und informierte Eck einige Wochen später brieflich, dass Karlstadt mit der in Augsburg abgesprochenen Vereinbarung einverstanden sei und die Entscheidung zwischen Erfurt und Leipzig sowie die Bestimmung des Zeitpunktes gerne dem Ingolstädter Theologen überlasse.24
Warum Eck sich letztendlich für Leipzig entschied – ob er auf die scholastisch orientierte theologische Fakultät zählte25, ob er sich einfach von seiner Universität beraten ließ26 oder ob er befürchtete, Karlstadt sei in Erfurt mit Hilfe Henning Gödes bereits eine breite Unterstützung sicher27 –, ist unklar. Sicher ist jedoch, dass Eck am 4. Dezember 1518 Herzog Georg von Sachsen28 und die Universität zu Leipzig um eine Genehmigung der Disputation bat.29
Eine erste offizielle Antwort gab die theologischen Fakultät am 26. Dezember, worin sie dem Herzog ausführlich darlegte, warum sie keine »obirkeyt« über die Streitenden habe: Wie schon im Fall des Konfliktes zwischen Luther und Tetzel, sei auch der Streit zwischen Eck und Karlstadt bereits so weit fortgeschritten, dass die Jurisdiktion mittlerweile nur noch bei den Bischöfen und beim Papst liege.30Georg von Sachsen reagierte wenige Tage später und entschied sich stattdessen für die Zulassung der Disputation, »damit der universitet lob und ruf gefurdert werde«, wie er der theologischen Fakultät mitteilte.31 Am 31. Dezember setzte der Herzog schließlich auch den Ingolstädter Theologen über seinen Beschluss in Kenntnis.32
Ob Eck dieses Schreiben noch vor der Veröffentlichung seines Einblattdruckes33 erhielt, ist zu bezweifeln. Der Widmungsbrief an den Salzburger Koadjutor Matthäus Lang von Wellenburg34 auf der oberen Hälfte der unter dem Titel In studio Lipsensi disputabit […] propositiones infra notatas contra D. Bodenstein Carelostadium erschienenen schedula ist datiert auf den 29. Dezember 151835 und der Autor selbst berichtet in seiner späteren Disputatio et excusatio vom März 1519, sie sei noch vor Januar in Augsburg erschienen.36 Offensichtlich war sich Eck einer Zusage seitens der Fakultät und des Herzogs so sicher, dass er noch vor deren Erhalt zwölf Thesen zur Vorbereitung auf die Disputation veröffentlichte, die er in Leipzig gegen die »neue Lehre« verteidigen wollte. Auch wenn die Thesen sich primär gegen Karlstadt richten sollten, griff Eck in ihnen inhaltlich auch Luther und dessen Auffassung von Buße und Ablass (Th. 1–10) an und verteidigte vor allem die – von Karlstadt in jener Zeit nie in Frage gestellte37 – Autorität des Papstes und der Kirche (Th. 11–12).
Von dieser schedula wusste Luther noch nichts, als er am 7. Januar 1519 Eck schrieb38, er habe erfahren, dass die Leipziger sich geweigert hätten, die Schiedsrolle für die vorgesehene Disputation zu übernehmen, und er deshalb befürchte, dass dieselbe unterbleiben müsse.39 Doch tatsächlich war der gesamte Januar geprägt von einem lebhaften Briefwechsel zwischen der Universität Leipzig, die sich unter dem Druck von Bischof Adolf von Merseburg40 weiterhin gegen die Disputation aussprach, und Herzog Georg, der sich wiederum ausdrücklich für die Zulassung einsetzte.41 Auch Luther und Eck waren höchstwahrscheinlich an diesem Briefwechsel beteiligt. Am 1. Februar berichtete schließlich die Leipziger Universität dem Herzog, sie habe dem Ingolstädter Theologen eine positive Antwort zukommen lassen.42
Die Lage hatte sich jedoch inzwischen maßgeblich verkompliziert, da Luther bereits am 2. Februar von dem in Augsburg erschienenen Plakatdruck Ecks erfahren hatte: Nachdem Luther in Augsburg eine Vereinbarung zur Beilegung der literarischen Auseinandersetzung zwischen Eck und Karlstadt verhandelt hatte, musste er feststellen, wie er in einem Brief Johannes Sylvius Egranus in Zwickau mitteilte, dass der Ingolstädter Theologe in der Konsequenz ihn, Luther, und seine Äußerungen zum Hauptgegenstand der Disputation gemacht hatte, sodass er nun gezwungen sei, seine Ablassthesen gegen Eck zu verteidigen.43 Wann genau Luther das Exemplar des Einblattdruckes Ecks von Pirckheimer aus Nürnberg erhielt, ist unsicher,44 jedoch sandte er es noch am selben Tag an Egranus weiter. Bereits am 3. Februar machte Luther außerdem gegenüber Johann Lang deutlich, dass er zwar bis jetzt in der römischen Sache nur gespielt und gescherzt habe, nun jedoch dazu bereit sei, Eck mit einer ernsthaften Schrift anzugreifen.45 In den darauffolgenden Tagen und noch bevor er von der Zulassung der Disputation seitens der Universität Leipzig erfuhr46, verfasste er seine Antwort an Eck, welche bereits am 7. Februar unter dem Titel Disputatio D. Iohannis Eccii et P. Martini Luther in studio Lipsensi futura47 vorlag.48
Die Schrift, die höchstwahrscheinlich zwischen dem 3. und dem 6. Februar verfasst wurde und »die erste öffentliche Streitschrift Luthers gegen Eck« war49, druckte zunächst den Einblattdruck Ecks – sowohl den Widmungsbrief an Matthäus Lang als auch seine 12 Thesen – ab; diesen folgten der hier edierte offene Brief an Karlstadt und Luthers 12 Gegenthesen. Wie der Titel schon deutlich signalisiert50, sah Luther sich von Ecks Angriff derart herausgefordert, dass nun nicht mehr Karlstadt, sondern er selbst in Leipzig zur Disputation zugelassen werden wollte, damit er seine Thesen dort persönlich verteidigen konnte.51 Am 18. Februar forderte er Eck ebenfalls brieflich dazu auf, einen Termin für ihre Disputation festzulegen52 – was der Ingolstädter Theologe in einem auf den darauffolgenden Tag datierten Brief an Luther unverzüglich tat. Eck hatte vermutlich am 19. Februar das Büchlein Luthers noch nicht wahrgenommen, aber doch endlich die Zulassung von der Universität Leipzig erhalten und deshalb sofort den 27. Juni als Termin für die Disputation vorgeschlagen.53 Darüber hinaus gestand Eck in seinem Brief deutlich ein, dass Karlstadt nur der Vorkämpfer Luthers, letzterer aber der Hauptprotagonist der Disputation sei, da letztlich seine Lehre zur Debatte stünde; aus diesem Grund hatte Eck in seiner schedula54 Thesen »non tam contra Bodenstein, quam contra tuas [Luthers] doctrinas« formuliert und hielt es sogar für erstrebenswert, dass auch Luther in Leipzig seine Lehre verteidigte.55
Auch wenn Luther und Eck sich hinsichtlich ihrer Anwesenheit in Leipzig einig waren, ließen die offiziellen Reaktionen auf Luthers öffentliche Ankündigung, an der Disputation teilnehmen zu wollen, nicht lange auf sich warten. Bereits am 15. Februar benachrichtigte die Leipziger Universität den Herzog, Luther habe »ein buchlein« als Antwort auf Ecksschedula»an tag« gegeben, in dem er nicht nur einen falschen Sachverhalt schildere – nämlich dass die Zulassung der Disputation nicht gestattet worden sei56 – sondern auch ohne Zustimmung der Universität und des Herzogs behauptet, dass er als Hauptgegner gegen Eck in Leipzig disputieren werde. Auch angesichts der ungeklärten Rechtslage bezüglich des römischen Prozesses57 bat die Universität deshalb darum, die Schiedsrolle für eine solche Disputation nicht übernehmen zu müssen.58 In ähnlicher Weise beklagten sich auch die Leipziger Professoren unmittelbar nach der Ankündigung brieflich bei Luther59, der jedoch bereits am 19. Februar gegen die Vorwürfe der Universität Herzog Georg seine Beweggründe darlegte und ihn um Erlaubnis bat, an der Disputation teilnehmen zu dürfen.60 Dass Luther die offizielle Zulassung vorerst nicht gegeben wurde, sondern erst zu Beginn der Disputation in Leipzig,61 lässt sich auch dadurch erklären, dass der Wittenberger Augustinereremit in seinem Büchlein Disputatio D. Iohannis Eccii et P. Martini Luther in studio Lipsensi futura und vor allem in seinem fiktiven Brief an Karlstadt nicht nur über den Ingolstädter Theologen spottete – er »abkonterfeite [ihn, Eck] besser als ein Maler vermocht hätte«, wie Beatus RhenanusZwingli in Mai 1519 mitteilte62 – sondern ebenso die Bedingungen und den Streitpunkt der Konfrontation neu artikulierte und präzisierte.
Luther wendet sich im vorliegenden Brief zunächst Karlstadt zu und erklärt dann, nach einer knappen Rekapitulation des Sachverhaltes, seine Empörung über Ecksschedula, welche die relevanten Themen bei Karlstadt entgegen der erklärten Absicht vernachlässige und stattdessen Luthers Fragen über den Ablass wieder aufleben lasse. Dass die Leipziger Professoren sich weigerten, in einer so lächerlichen Disputation, ja sogar Spielerei, die Schiedsrolle zu übernehmen, sei kein Wunder – eher sei ihre Entscheidung vielleicht durch den vorausschauenden Willen des heiligen Geistes motiviert gewesen. Er selbst, Luther, wolle diese hinterlistige Konfrontation dem hochwürdigen Karlstadt ersparen und sei, wenn auch nur äußerst ungern, bereit in die Disputation einzutreten, nicht zuletzt weil seine Auffassung über Buße und Ablass zum Streitthema erhoben worden war.
Luther kritisiert hier ausdrücklich eine bestimmte Ausrichtung der Theologie, deren Vertreter Eck ist: Er denunziert sie als scholastisch; in seinen Augen bemühe sie sich hauptsächlich um weltlichen Ruhm und Gewinn und vernachlässige die rechte Aufgabe der Theologie. Ihr stellt sich Luther mit rhetorischem Schwung entgegen: Er bekennt mit Bescheidenheit die Niedrigkeit seiner Fragen, welche diese berühmten und verführerischen Theologen als große Gefahr für das Volk aufbauschen würden, gleichzeitig aber beruft er sich auf – sogar scholastische – Theologen und bekräftigt seine These, dass Ablässe für Christen nicht notwendig seien.
Im zweiten Teil seines Briefes konfrontiert LutherEck direkt und tadelt ihn dafür, dass er seinen Einblattdruck veröffentlichte, noch bevor er eine Antwort aus Leipzig erhalten und sogar nachdem Luther ihm die Ablehnung der Universität bereits mitgeteilt hatte. Der Ingolstädter Theologe habe damit versucht – so Luther –, durch eine nicht stattfindende Disputation Ruhm zu erwerben; er habe darüber hinaus statt Karlstadts Themen Luthers Fragen in seiner schedula thematisiert, damit Karlstadt diese – ihm fremden – Streitpunkte nicht anerkannte und Eck so ein weiteres Mal aus einer manipulierten Konfrontation einen Triumph erringen könnte. Eck wird in Luthers Schrift nicht nur als feiger Unruhestifter, der durch hinterlistige Angriffe Streit entfache und mehr nach billiger Ehre als nach klarer Konfrontation strebe, sondern auch als Papst-Schmeichler und Betrüger dargestellt. Seine Sophisterei, mit deren Hilfe er in Wien, Bologna und Bayern – Ecks selbstlobendem Bericht zufolge – triumphiert habe, solle nun in Leipzig endlich ein Ende finden.
Der fiktive Brief endet mit einer Bitte Luthers an Karlstadt. Das schwierige Richteramt sei von der Universität doch fernzuhalten, stattdessen solle KarlstadtHerzog Georg von Sachsen sowie den Leipziger Stadtrat darum bitten, irgendeinen anderen Ort für die Disputation zur Verfügung zu stellen. Zu diesem Anlass sollten außerdem zwei Notare eingestellt werden, damit Eck und Luther ihre jeweiligen Antworten und Argumente diktieren könnten (und Ecks selbstlobende – ja manipulierte – Darstellung als Sieger wie im Fall der Wiener Disputation vermieden werde). Über die protokollierte Disputation werden damit der apostolische Stuhl, die Bischöfe und das ganze Christentum urteilen können.