1. Überlieferung
Handschrift:
Stempel, nach alter handschriftlicher Foliierung fol. 33r–v
Editionen:
- Gess, Akten und Briefe 1, 86‒87, Nr. 113 (Fragment).
- Seidemann, Leipziger Disputation, 134‒135.
Literatur:
- Barge, Karlstadt 1, 144 Anm. 31.
- Barge, Karlstadt 2, 615.
2. Inhalt und Entstehung
Auf die – heute verschollene – Bitte Karlstadts um einen Geleitbrief1 antwortete Herzog Georg am 10. Juni mit einem Schreiben, in dem er indirekt auch Luther, der noch keine Genehmigung zur Teilnahme an der Disputation erhalten hatte, eine gefahrlose Reise nach Leipzig zusicherte. Der Text ist vor dem Hintergrund der komplizierten Situation zu lesen, in der sich der Herzog in diesen Tagen befand.
Es hatte sich schon als mühselig erwiesen, die Universität Leipzig zu Anfang des Jahres 1519 zu überreden, die Disputation zwischen Eck und Karlstadt zuzulassen. Äußerst umsichtig war der Herzog dann dem Widerstand und den Drohungen von Bischof Adolf von Merseburg2, der sich vehement gegen die Disputation aussprach, begegnet und hatte damit seine führende Rolle gegenüber den Bischöfen in der Kirchenpolitik seines Landes bekräftigt.3 Von der bevorstehenden Disputation versprach sich der Herzog vor allem »lob und ruf«4 für seine Universität, für deren humanistisch orientierte Reform5 er sich seit einiger Zeit einsetzte. Doch die Lage verkomplizierte sich zusehends, sobald Luther Anfang Februar – während Eck endlich von der Universität Leipzig zur Disputation zugelassen wurde – in seiner Disputatio in studio lipsensi ankündigte, er fühle sich von Ecks Angriff derart herausgefordert, dass nun nicht mehr Karlstadt, sondern er selbst in Leipzig zur Disputation antreten wolle.6 Auf Luthers Schrift reagierten die Universität, vor allem aber die Leipziger Theologen erneut ablehnend: Angesichts der ungeklärten Rechtslage bezüglich des römischen Prozesses, in den sie sich nicht einmischen wollten, sowie aufgrund des – aus ihrer Sicht – unkorrekten Verhaltens Luthers, der u. a. seine Teilnahme an der Disputation ohne vorausgehende Erlaubnis des Herzogs in seiner schedula einfach angekündigt hatte, könne die Zulassung in keinem Fall gestattet werden.7 Auch der Herzog reagierte distanziert und vorsichtig auf Luthers Anliegen.
Die Lage Luthers blieb in den folgenden Monaten weiterhin unklar.8 Der Wittenberger Theologe bat den Herzog erst am 19. Februar um die Zulassung zur Disputation.9 Die Antwort kam in Form einer Aufforderung, sich zunächst mit Eck zu einigen und erst dann wieder sein Gesuch vorzubringen.10 Allerdings gelang die Einigung nicht, da der Ingolstädter mutmaßlich auf Luthers Schreiben nicht reagierte. Zweimal noch schrieb Luther, bekam aber nur zurückhaltende Reaktionen, sodass er fürchten musste, Georgs Ungnade auf sich gezogen zu haben.11 Obwohl der Herzog in einem Brief vom 23. Mai Luther seines Wohlwollens versicherte, gewährte er ihm noch immer keine Genehmigung.12 Offensichtlich war der Wille Luthers zur Teilnahme an der Leipziger Disputation eine Belastung und konnte zu einem Problem für die Universität und Herzog Georg werden – die Entscheidung gestaltete sich schwierig. Das Hin und Her von Anfragen, Bitten, Erklärungen, Anweisungen und Verweigerungen zwischen den Akteuren der Disputation – Luther, Eck, Herzog Georg und der Universität – in den Monaten Februar bis Mai 1519 musste jedoch zu einem Ende kommen, weil die Disputation näher rückte.13 Auf jedem Fall war Luther entschlossen, nach Leipzig zu reisen, um dort seine Thesen zu verteidigen, wie er es Lang am 6. Juni mitteilte.14
Inzwischen war das heute verschollene Schreiben Karlstadts mit Bitte um Geleit für die Disputation am 3. Juni in Dresden angekommen.15 Entscheidend für den weiteren Fortgang der Ereignisse war, dass der Herzog dem Wunsch Karlstadts entgegenkam und nicht nur ihm, sondern allen, die ihn begleiten würden, ein sicheres Geleit auf dem Weg nach Leipzig zusicherte, um an dem geplanten Streit mit Eck teilzunehmen. Da die Zeit für neue Verhandlungen zwischen Eck, Luther und dem Herzog knapp wurde,16 war diese Geleitzusage für Luther eine letzte Chance, seine Anwesenheit in Leipzig als indirekt genehmigt zu betrachten. Es war in der Tat vorhersehbar, dass auch Luther, der bereits im April um ein sicheres Geleit gebeten hatte17, als Begleiter Karlstadts nach Leipzig reisen würde, wie es wenige Wochen später geschah.