1. Überlieferung
Handschriften:
Stempel, nach alter handschriftlicher Foliierung fol. 20r–21v
Faszikel in den Pirckheimer-Papieren; zeitgenössischer anonymer Bericht über die Leipziger Disputation mit Abschrift der Vereinbarung zwischen Eck und Karlstadt
Während a vermutlich eine offiziell angefertigte Kopie der vollständigen Vereinbarung zwischen Eck und den Wittenbergern ist, enthält b eine private Abschrift nur der Abmachung zwischen Karlstadt und Eck, die am 26. Juni unterzeichnet worden war. Die am 4. Juli unterzeichnete Vereinbarung zwischen Eck und Luther und die Einigung über die Richterwahl am 14. Juli wurden in dem zeitgenössischen anonymen Bericht über die Leipziger Disputation, der heute unter den Pirckheimer-Papieren aufbewahrt ist, nur zusammengefasst.1
Editionen:
- WA.B 1, 428‒430 Beilage zu Nr. 187.
- Gess, Akten und Briefe 1, 91f. Nr. 123.
- Seidemann, Leipziger Disputation, 137f.
- Clemen, Bericht.
Literatur:
- Barge, Karlstadt 1, 151f.
- Brecht, Luther 1, 295‒307.
- Clemen, Bericht.
2. Inhalt und Entstehung
Die ersten drei Wochen im Juni 1519 wurden sowohl von den Bemühungen um die Organisation der Disputation seitens der Universität Leipzig und Herzog Georgs dominiert2, als auch von den immer wieder scheiternden Versuchen Bischof Adolfs von Merseburg, dieselbe zu verhindern.3 Am 22. Juni4 traf zunächst Eck in Leipzig ein,5 wo er vom ebenfalls soeben eingetroffenen Herzog empfangen wurde.6 Zwei Tage später, am 24. Juni,7 erreichten dann Karlstadt und seine Begleiter, zu denen auch Luther gehörte, die Stadt. Laut Sebastian Fröschels Bericht8 reisten die Wittenberger durch das Grimmaische Tor zum Hof der Paulinerkirche, wo plötzlich ein Rad des ersten Wagens brach und Karlstadt, der in diesem saß, herausfiel, während Luther und Melanchthon in einem anderen Wagen vorüber fuhren.9 Anscheinend interpretierten schon die Zeitgenossen diesen Unfall als ein böses Omen für Karlstadt10 oder zumindest als eine der Ursachen seines angeschlagenen Zustandes während der Disputation.11 Die Wittenberger bezogen in der Hainstraße bei Melchior Lotter12 ihr Quartier, Eck hingegen »im Hause des Bürgermeisters Benedikt Beringershain oder Belgershain an der Ecke der Peterstraße und des Thomasgäßchens«.13 Die Disputanten waren zudem von ihren Studenten und Anhängern begleitet worden, die nun in die Stadt strömten und nicht selten aneinander gerieten.14
Am Sonntag, den 26. Juni,15 trafen sich Eck und Karlstadt zunächst zum vertraulichen Gespräch mit den von Herzog Georg eingesetzten Vorstehern der Disputation: unter dem Vorsitz des Kanzlers Dr. Johann Kochel und Georg von Wiedebachs, Amtmann und Rentmeister zu Leipzig, hatten sich der Rektor Arnold Wöstefeldes und die Magister und Doktoren der Universität versammelt.16 Die Vereinbarung zwischen Eck und den Wittenbergern erfolgte in Stufen mit zeitlichem Abstand. Eck und Karlstadt verhandelten gleich am 26. Juni. Es wurde zunächst der Ablauf der Disputation festgelegt: Eck sollte als erster am Montag gegen die ihm von Karlstadt am Abend zuvor übermittelten Thesen sprechen, der Wittenberger dann darauf antworten.17 Am folgenden Tag war in umgekehrter Weise zu verfahren, und danach diesem Schema folgend alternierend bis zum Ende der Disputation.18
Ein bestimmter Punkt der Vereinbarung allerdings sollte immer wieder Anlass zu unzähligen Spannungen und gegenseitigen Vorwürfen werden: Eck und Karlstadt hatten sich darauf geeinigt, vier Notare die Disputation aufschreiben zu lassen. Die Protokolle sollten am Ende miteinander verglichen werden – vermutlich, um eine vollständige und getreue Übertragung der von den Streitparteien formulierten argumenta und solutiones zu garantieren. Eine Kopie des – vermutlich verglichenen und endgültigen – Protokolls sollte sodann jeder Streitpartei übermittelt werden. Zudem wurde eine weitere Bedingung festgelegt: Veröffentlicht werden dürften die Protokolle nur, wenn die Wittenberger und Eck sich auf einen Richter einigen könnten, dessen Richtspruch sodann ebenfalls veröffentlicht werden sollte.19 Vor ihrer Abreise mussten sich beide Parteien also über den Richter einig werden, zudem sollten die Protokolle20 beim Rentmeister hinterlegt werden.21
Auch wenn dies das Ergebnis der Verhandlungen gewesen zu sein scheint, weichen die Berichte darüber, auf welche Weise dasselbe erreicht wurde, voneinander ab.22 Schon Melanchthon, in seinem Brief an Oekolampad,23 und Luther, in seinem Brief an Spalatin,24 schreiben, Eck habe alles dafür getan, zügig – d. h. nur mündlich, ohne Protokollierung – disputieren zu können.25Karlstadt jedoch habe diesen Wunsch Ecks entschieden abgelehnt und auf die bereits in dem Briefwechsel der vorherigen Monate getroffenen Abmachungen bezüglich einer Protokollierung der Gespräche verwiesen.26 Am Ende habe Eck nachgeben müssen, allerdings erfolgreich von Karlstadt das Zugeständnis eingefordert, jede Veröffentlichung des Protokolls solange zu verbieten, bis nicht die dazu ausgewählten Schiedsrichter ihre Stellungnahmen abgegeben hätten.27Eck lehnte diesen Bericht der Wittenberger stets ab und behauptete, er habe sich vor den herzoglichen Räten keineswegs geweigert, die Disputation notariell protokollieren zu lassen, sondern habe sich nur privat darüber beschwert, dass eine solche Vorgehensweise die Disputation erheblich verlangsamen würde.28
Luthers Wunsch, an die Urteilsfähigkeit der ganzen christlichen Öffentlichkeit zu appellieren, zerbrach nun zwangsläufig an der Entscheidung, die Publikation der Disputation zu verbieten und sich auf das Expertenurteil zu verlassen, durch das wiederum Eck sich nun den Sieg erhoffte. Da die Leipziger Universität die Schiedsrolle nicht übernahm, wurde eine weitere Verhandlung angesetzt, um sich vor dem Ende der Disputation über die Richter einig zu werden – was gegen den Widerstand der Wittenberger als conditio sine qua non für die Genehmigung der Disputation gefordert wurde.29Luther und Karlstadt befanden sich damit in einer Sackgasse: Sie konnten den Streit nicht mehr ablehnen, waren sich aber zugleich bewusst, dass das Urteil der Theologen ihnen nur schaden würde.30
Während Karlstadt diese Vereinbarung schon am 26. Juni unterzeichnete, dauerten die Einigungsgespräche mit Luther noch an. Die Details und die genaue Chronologie dieser Verhandlungen lassen sich nicht belegen;31 der von Luther für Spalatin verfasste Bericht liefert jedoch einige Einsichten: Luther erschien am darauffolgenden Tag – d. h. am Tag des Beginns der ersten Disputation zwischen Karlstadt und Eck – vor den fürstlichen Räten, die ihm vorschlugen, den Papst und bestimmte Universitäten als Richter anzuerkennen. Luther lehnte dies auf den Rat seiner Freunde hin ab, aber auch weil ihm bewusst war, das die römische Kurie ein negatives Urteil über ihn fällen würde. Der Verzicht auf den Papst wurde akzeptiert und andere Universitäten vorgeschlagen; Luther verlangte jedoch abermals, ihm die vereinbarte Freiheit zu gewähren; hier wurden ihm keine weiteren Zugeständnisse gemacht, sodass Luther die Disputation letztlich sogar ganz ablehnen wollte.32 Allerdings änderte der Wittenberger bald darauf seinen Sinn, da sich das Gerücht verbreitete, er habe die Disputation gescheut und sämtliche Richter ausgeschlagen.33 Viele Anhänger Luthers waren daraufhin besorgt, dass dem Ruf der Wittenberger Universität damit unheilbarer Schaden entstehen könnte. Auf den Rat seiner Freunde hin akzeptierte Luther darum – wenn auch unwillig34 – erst am 4. Juli die von Karlstadt bereits unterzeichneten Bedingungen und einigte sich mit Eck darauf, ihre am selben Tag beginnende Disputation ohne Schmähungen fortzuführen.35Luther gelang es lediglich, dass die Aufrechterhaltung seiner Protestation und der Ausschluss der römischen Kurie bewilligt wurden.36
Der heikelste Punkt blieb jedoch weiterhin offen und wurde erst am 14. Juli endgültig in der Vereinbarung geregelt. Unmittelbar nach der Disputation mit Luther und am Tag des Beginns der zweiten Disputation mit Karlstadt drängte Eck darauf, die geplante Richterwahl noch in Anwesenheit Herzog Georgs vorzunehmen.37 Bekanntlich wurde Luthers erster Vorschlag teils abgelehnt (Basel), teils nur beschränkt akzeptiert (Freiburg); in Bezug auf den zweiten Vorschlag – Erfurt und Paris – wurde ein Konsens erreicht. Eck und Karlstadt hingegen konnten sich nur auf Erfurt einigen, wo die Wittenberger noch Bezugspersonen aus ihrer Studienzeit hatten.38 Dieser allgemeinen Einigung folgten darum Spezifikationen sowie Einschränkungen. Der Ingolstädter beharrte darauf, dass die (Erfurter) Augustiner nicht an der Urteilsfindung beteiligt sein dürften; die Wittenberger wiederum forderten ein ähnliches Verbot für die Dominikaner.39
Zwischen Eck und Luther entstand unmittelbar nach der Abreise des Herzoges40 ein zusätzlicher Konflikt, an dem Karlstadt wohl nicht beteiligt war. Während es ein großes Interesse Luthers gab, dass alle Fakultäten der beiden ausgewählten Universitäten zur Beurteilung aufgefordert würden,41 hielt es Eck für angebracht, die Aufgabe nur Experten auf diesem Gebiet, also Theologen, zu übertragen.42Eck hätte die Entscheidung über diesen Streitpunkt gerne der Universität Leipzig überlassen. Luther lehnte dies ab, musste aber den Vorschlag des herzoglichen Rats Cäsar Pflug akzeptieren, die jeweiligen Gründe beider Streitparteien dem Herzog zu übermitteln43 und diesem dann die endgültige Entscheidung zu überlassen.44 In der Vereinbarung wird daher auch auf die zukünftige endgültige Entscheidung des Herzogs verwiesen,45 der am nächsten Tag von Pflug informiert wurde46 und schon am 16. Juli seine Entscheidung – nämlich nur Theologen und Kanonisten als Schiedsrichter zu genehmigen – seinem Rat weiterleitete.47