1. Überlieferung
Frühdrucke:
Epitome Andree Carolostadij ǁ De impij iustificatione, quam non ǁ male ad inferos deductum ǁ reductūqƺ vocaueris. ǁ [HS] ǁ Noli: Critice: causa nō cognita ϼnūciare. ǁ […] ǁ [Am Ende:] Excusa est haec Epitome Lipsiae apud Melchiorem Lot-ǁtherum Anno domini.M.D.xix. ǁ
Leipzig: Melchior Lotter d. Ä., 1519.
4o, 16 Bl. (mit Zeilendurchschuss), A4-D4 (letzte Seite leer), TH.
Editionsvorlage:
[AK] UB München, 4° Theol. 5464,4.Weitere Exemplare: [AOs] UB Oslo, Lib.rar 722v. — [ASch] BL London, 3906/3.d.76. — [AEck] BSB München, 4° Mor. 88.
Bibliographische Nachweise:
- Freys/Barge, Verzeichnis, Nr. 13.
- Köhler, Bibliographie, Nr. 1880.
- Zorzin, Flugschriftenautor, Nr. 9A.
- VD 16 B 6155.
Epithome […] ǁ […] de Impij iustificatione, quā ǁ non male ad inferos dedu=ǁctū reductūqƺ uocaueris
in:
Karlstadt, Andreas Bodenstein von
DO.·ANǁDREAE CAROLOSTAǁdij & Archidiaconi VVitten=ǁburgeñ. ccclxx & Apologeti=ǁcæ conclusiones pro sacris ǁ literis & VVittenbur=ǁgeñ. compositæ. ǁ Eiusdem defensio aduersus Mo=ǁnomachiam D. Ioannis Eckij ǁ Theologiæ doctoris. ǁ Inuenies deinde Epithome eius=ǁdē de Impij iustificatione, quā ǁ non male ad inferos dedu=ǁctū reductūqƺ uocaueris. ǁ [TE]
[Straßburg oder Schlettstadt]: [Schürer Offizin], 1519.
4o, 58 Bl.; A4-D2, Sign: A4, B8, C4, D4, E8,F4, G8, H4, I8, K6, TE .
Editionsvorlage:
HAB Wolfenbüttel, Yv 143.8° Helmst.Weitere Exemplare: SUB Göttingen, 8° HEE 378,5:1 RARA. — BSB München, 4° Polem. 540. — HAB Wolfenbüttel, A: 459 theol. (8).
Bibliographische Nachweise:
- Freys/Barge, Verzeichnis, Nr. 14.
- Köhler, Bibliographie, Nr. 1920.
- Zorzin, Flugschriftenautor, Nr. 9B.
- VD 16B 6204.
Das als Titelholzschnitt in A abgebildete kursächsische Wappen in Astwerkrahmen wurde ursprünglich für das Wittenberger Heiltumsbuch 1509 geschaffen1; derselbe Holzschnitt schmückt auch die letzte Seite von Karlstadts Verba Dei. Er wurde in der Leipziger Offizin von Lotter d. Ä. verwendet.2
Druck A weist Zeilendurchschuss und breite Seitenränder auf und bot somit Raum für Notizen und kommentierende Ausführungen. Von insgesamt bisher in 26 Bibliotheken3 nachgewiesenen 34 Erstdrucken der Epitome finden sich in drei Exemplaren (AK, ASch und AOs) übereinstimmende handschriftliche Zusätze, die eine Verwendung des Drucks als Kollegvorlage nahe legen. Besonders das Exemplar mit autographen Einträgen Karlstadts (AK) könnte Vorlage für ein Privatkolleg4 gewesen sein, das er Anfang 1519 neben seiner wahrscheinlich weiterlaufenden Augustinvorlesung angeboten haben wird. Der Erstdruck der Epitome erfüllte als Erbauungstraktat für lateinkundige Rezipienten und als Kollegvorlage eine doppelte Absicht. In hoher Auflage gedruckt, ging wohl der überwiegende Teil der Exemplare an das lesende Publikum, ein weit geringerer an die Teilnehmer eines Kollegs für Studierende. Diese Annahme würde auch das Missverhältnis zwischen wenigen »Kollegexemplaren« und der großen Zahl an Exemplaren ohne Spuren von Kollegnachschriften erklären.
AK UB München, 4° Theol. 5464, 4.5:
Das Exemplar (mit Provenienzstempel fol. A1v»Ad Bibliothecam Academiae Landshutensis«) enthält viele handschriftliche Glossen Karlstadts zu allen zwölf Kapiteln des Traktats, während die Widmungsvorrede nicht glossiert ist. Die Notizen sind mit zwei Tintenfarben, schwarz(braun) und rot, geschrieben. Die mit roter Tinte geschriebenen Notizen sind heute teilweise so abgeblasst, dass sie nicht mehr vollständig lesbar sind. Textverluste sind durch Beschneiden aller Außenränder eingetreten; manchmal sind die Texte im inneren Rand nicht vollständig lesbar. Die beschädigten Texte lassen sich teilweise durch Vergleich mit den unten beschriebenen beiden Mitschriften aus Karlstadts Kolleg rekonstruieren. Die Verwendung von zwei Tintenfarben lässt sich nicht durch die Annahme erklären, Karlstadt habe die Notizen in zwei Arbeitsdurchgängen eingetragen. Vielmehr hat er gleichzeitig mit zwei Federn gearbeitet. Vereinzelt setzte er eine mit schwarzer Tinte begonnene Notiz, wenn die Feder trocken war, mit roter Tinte fort.
Karlstadt hat in seinem Exemplar zahlreiche Druckfehler korrigiert. Im Druck sind Bibelstellen, die im Text zitiert oder berührt sind, in Form von gedruckten Randnoten nachgewiesen, in der Regel durch Angabe des betreffenden biblischen Buches und des Kapitels. Teilweise stehen diese Quellenangaben im Druck nicht korrekt neben der zugehörigen Zeile, in der der zugehörige Bibeltext zitiert ist. Karlstadt hat die korrekte Position dieser Randnoten in seinem Exemplar graphisch gekennzeichnet. In einem Teil der Randnoten ist nur das biblische Buch, nicht jedoch das Kapitel genannt. In seinem Exemplar hat Karlstadt die fehlenden Kapitelangaben nachgetragen.
Inhaltlich hat Karlstadt in vielen Notizen Belegstellen – vor allem biblische und patristische – zu seinen Ausführungen nachgetragen. Dass hinsichtlich der Häufigkeit der Verweise auf patristische Quellen Hieronymus vor Augustin steht, liegt daran, dass Karlstadt den hebräischen Psalter sowie die griechische Fassung der Septuaginta nach Hieronymus zitiert.6 Es folgen dann Augustin, Bernhard von Clairvaux und – jeweils mit einzelnen Verweisen – Gregor I., Ambrosius und Cyrill. Einmal verweist Karlstadt auf die Predigten Johannes Taulers7, zweimal für Hebraica auf Johannes Reuchlin, einmal auf die »Naturalis Historia« des Plinius d. Ä. sowie zweimal auf den Hebraisten Johann Böschenstein, bei dem Karlstadt im Wintersemester 1518/19 Privatunterricht genommen hatte, wobei die Psalmen eine zentrale Rolle spielten. Im Kapitel 10, das aus einer Auslegung des Bußpsalms Ps 9 (Domine ne in furore) besteht, sowie im folgenden Kapitel 11 notierte Karlstadt eine Reihe von hebräischen Worten, und zwar in hebräischer Schrift. Diese und weitere Hebraica hat Karlstadt auch in das Kolleg eingebracht, wie eine der beiden Nachschriften (AOs) zeigt, deren Verfasser Hebräisch schreiben konnte.
Der Vergleich von Karlstadts eigenhändigen Notizen mit den beiden erhaltenen Nachschriften aus dem Kolleg zeigt, dass es sich bei Karlstadts Notizen um eine Vorarbeit für das Kolleg handelte, die mit dem Wortlaut der studentischen Texte nur partiell übereinstimmt. Er trug das Notierte teilweise in verändertem Wortlaut vor, bot im Kolleg einerseits mehr, als er sich in seinem Exemplar notiert hatte, und ließ andererseits im Kolleg manches weg, was er aufgeschrieben hatte. Aus diesem Befund lässt sich Folgendes schließen: Entweder hat Karlstadt sein Kolleg auf der Basis seiner Notizen frei gehalten und dabei manches erweitert und verändert, anderes wiederum weggelassen; oder er hatte zwischen seinen erhaltenen Notizen und dem Kolleg noch ein umfangreicheres Skript verfasst, das heute verschollen ist.
ASch BL London, 3906.d.76.(2.):
Dieses Exemplar enthält Nachschriften aus dem Kolleg8, die von zwei Schreibern stammen, deren Namen im Exemplar nicht genannt sind. Der erste der beiden Schreiber, der den überwiegenden Teil der Notizen eingetragen hat9, lässt sich über Handschriftenvergleich als der Augustinereremit Matthäus Schliebener (niederdt. Slevener) aus dem Kloster in Zerbst identifizieren, der ab 1515 in Wittenberg studierte10. Er hatte bereits Karlstadts Vorlesung über AugustinsDe spiritu et littera gehört und seine Nachschriften aus dieser Vorlesung samt seinem Namen in ein Exemplar von Karlstadts Augustinkommentar11 eingetragen. 1517/18 hatte er auch in der Vorlesung des Humanisten Heinrich Stackmann über ausgewählte Hieronymusbriefe mitgeschrieben12. Sein Exemplar der Epitome befand sich einst in einem Sammelband Schliebeners, der zu einem unbekannten Zeitpunkt aufgelöst wurde. Dieser Sammelband enthielt auch den Wittenberger Erstdruck von KarlstadtsApologeticae Conclusiones13 sowie KarlstadtsDefensio gegen Eck14. Die drei Karlstadtdrucke wurden von der British Library vermutlich 185715 als Dubletten einer anderen Bibliothek16 erworben.
Schliebener hat das Kolleg Karlstadts über die Epitome nicht regelmäßig besucht, weshalb seine Nachschrift lückenhaft ist. In einem kurzen Abschnitt hat statt Schliebener eine andere Person einige Interlinearglossen in das Exemplar eingetragen17, die ebenfalls aus dem Kolleg stammen dürften.
Schliebener schrieb sehr klein und schnell und konnte daher viele Glossen ausführlicher mitschreiben als der Schreiber im Exemplar AOs. Erklärungen lateinischer Worte, die in der Regel in Form von Interlinearglossen festgehalten wurden, bietet Schliebener seltener als der Schreiber von AOs. Schliebener besaß Griechischkenntnisse18, jedoch offenbar keine Vertrautheit mit dem Hebräischen, da er die von Karlstadt im Kolleg eingebrachten Hebraica vollständig wegließ.
AOs UB Oslo, Lib. Rar. 722:
Ab fol. A3r Kollegmitschrift, Rand- und Interlinearglossen in roter u. schwarzer Tinte. Das Exemplar ist einem ehemaligen Sammelband entnommen. Der Schreiber der handschriftlichen Notizen hat das Wort Epilogus, das Karlstadt in der Überschrift des letzten Kapitels (c. 12) verwendete, mit dem Wort beslutelse in seine Muttersprache übersetzt. Diese Wortform, die nicht aus dem Niederdeutschen19 stammt, ist im Altdänischen belegt20 und mit dem norwegischen »beslutning« verwandt. Der Schreiber dürfte daher aus Skandinavien zum Studium nach Wittenberg gekommen sein, wofür auch der heutige Verbleib des Exemplars in der Universitätsbibliothek Oslo spricht. Auf dem Titelblatt hat er mit den zwei hebräischen Buchstaben ב ף (B P oder B F)21 seine Namensinitialen angegeben22 und stellt sich damit auch als Hebräischkenner vor. Für seine handschriftlichen Eintragungen hat er zwei Tintenfarben verwendet, nämlich schwarz und rot23. Beide Farben hat der Schreiber offenbar in dem Kolleg verwendet, die rote Farbe auch für die Nacharbeit. Mit der schwarzen Tinte hat er meistens mitgeschrieben und einige Unterstreichungen vorgenommen. Mit der roten Farbe hat er den Titelholzschnitt teilweise koloriert, Unterstreichungen sowohl im Drucktext als auch in einigen handschriftlichen Glossen sowie andere Arten von Markierungen vorgenommen. Mit dieser roten Farbe hat er ferner einzelne Randglossen geschrieben, deren Herkunft aus dem Kolleg die partielle Übereinstimmung mit dem Exemplar ASch zeigt. Textstellen, die dem Schreiber besonders wichtig waren, hat er mit beiden Tintenfarben sorgfältig eingerahmt24. Zusätzlich drückte er seine Identifikation mit für ihn relevanten Aussagen Karlstadts mit Hilfe bildlicher Mittel aus. Karlstadts Aussage, »quod coeleste regnum absque doloribus et tribulationibus acquiri non potest«, hat der Schreiber nicht nur mit beiden Tintenfarben eingerahmt, sondern er hat am Rand zusätzlich einen auf diesen Satz blickenden Kopf gemalt25. Auf diese Weise zeigte er seine Zustimmung zu dem die ganze Schrift durchziehenden Aufruf Karlstadts, das mit wahrer Buße unausweichlich verbundene Leiden in der Nachfolge Christi anzunehmen. Der Schreiber dieses Exemplars bietet Karlstadts Glossen häufig in einer gekürzten Form, da er keine Schnellschrift benützte wie Schliebener. Andererseits konnte er die Hebraica Karlstadts mitschreiben, wobei ihm sogar zwei hebräische Schriftweisen zur Verfügung standen, eine säuberlich gemalte Blockschrift, wie sie ähnlich in hebräischen Drucken verwendet wurde, sowie eine vereinfachte hebräische Schrift für flüssigeres Schreiben, wie sie Hebräischlehrer jener Zeit auch vermittelten.
AEck BSB München, 4o Mor.88a:
Das mit »Nr. 10« beschriftete Exemplar stammt aus einem einstigen Sammelband des Johannes Eck, mit hsl. Seitenzählung oben rechts »321« – »336«. Dedizierung von Johannes Oekolampad an Eck unten auf dem Titelblatt: »OecolampadiusEccio Suo | dono dedit«; mit durchgehenden Lesespuren von Eck in schwarzer Tinte; oben auf dem Titelblatt Ecks Vermerk: »Vtinam nullibi peius scripsisses: non haberes | Eckium aduersarium«.26
Nachdruck B enthält keine Marginalien, somit fehlen darin sämtliche Verweise auf Bibelstellen.
Literatur:
- Barge, Karlstadt 1, 137–140.
- Sider, Karlstadt, 62–65.
- Bubenheimer, Consonantia, 178.
- Bubenheimer, Karlstadt, 650.
- Hasse, Tauler, 130–134.
2. Inhalt und Entstehung
Am 5. Februar 1518 schrieb Karlstadt an Spalatin, er plane bald ein Büchlein über die Buße herauszugeben, die in Jesu Aufforderung, das Kreuz auf sich zu nehmen und ihm zu folgen, zusammengefasst sei.27 Anfang September 1518 war dieses Vorhaben noch im Werden28, da Karlstadt in seiner Defensio gegen Eck an zwei Stellen erneut auf ein in Kürze erscheinendes Büchlein zur Buße verweist.29 Ein Brief an Spalatin vom 20. Oktober 151830 lässt vermuten, dass Karlstadts Vorarbeiten zum Thema Buße nun konkretere Formen annahmen. In den letzten Monaten des Jahres 1518 begann Karlstadt die Darstellung zweier gegenläufiger, von Pferdegespannen gezogener Wagen zu entwerfen31 und verfasste parallel dazu einen Abriss (epitome) von der Rechtfertigung des Gottlosen.32 Der Traktat sollte als Erbauungsschrift ein breites lateinkundiges Publikum ansprechen und gleichsam als Textvorlage für ein Kolleg mit Studierenden dienen. In den ersten Januartagen 1519 wird Karlstadt die Epitome abgeschlossen haben.33 Am 14. Januar schreibt er an Spalatin, dass er das Büchlein von der Rechtfertigung des Gottlosen noch nicht aus (der Druckoffizin in) Leipzig bekommen habe.34 Am 2. Februar 1519 lag der Druck vor, weil Luther an diesem Datum ein Exemplar der Epitome an Johannes Egran in Zwickau verschickte.35
Die Epitome widmet Karlstadt drei Leipziger Laien: dem Arzt Simon Pistorius d. Ä. und dessen beiden Söhnen Simon d. J. (Dr. iuris utriusque) und Christoph (Arzt).36 In der Widmungsvorrede (A2v) setzt er iustificatio impii mit poenitudo (= poenitentia, Buße) gleich.37 Diesem Sprachgebrauch entsprechend ist der Titel der Epitome eine Umschreibung des Themas Buße. Zur Vermeidung scholastischer Methodik möchte Karlstadt nicht Thesen (conclusiones) debattieren, sondern eine mit Belegen (autoritatibus) begründete, fortlaufende Darstellung (perpetua oratio) bieten (A2v).38 Er bittet die drei Laienakademiker Pistorius »mit ihrem scharfsinnigen Urteil« alles, was er ihnen im Abriss vorlegt genau zu sichten, und die Folgerichtigkeit seiner Ausführungen bzw. Konsistenz der von ihm angeführten (biblischen und patristischen) Belegstellen an der Zielsetzung seiner Darlegungen zu messen.
Im Text sind neben einigen Verweisen auf Theologen der alten Kirche39 über 180 Marginalverweise auf Bibelstellen angegeben (teilweise aus den Kirchenväter bezogen); ein Indiz dafür, dass Karlstadt die Heilige Schrift als Quelle seiner Ausführungen zu Buße und Rechtfertigung verstanden wissen wollte. Darin und auch in der Einteilung seines Traktats in zwölf mit Überschriften versehene Kapitel besteht eine Ähnlichkeit mit Johannes von StaupitzLibellus de exsecutione aeternae praedestinationis (1517).40
In seiner Epitome übergeht Karlstadt die von den Scholastikern gelehrte contritio cordis als nicht der Rede wert (A2v). Christus führe die unter der Macht der Finsternis stehenden Sünder in das Reich des Lichtes hinüber, damit bestehe für sie eine gewisse Ähnlichkeit mit Christi Tod und Auferstehung. Das Leben des Christen werde den Handlungen Christi nachgebildet; alles was Christus am Kreuz, im Tod, im Grab, in der Auferstehung und Himmelfahrt getan hat, finde im Leben eines gerechtfertigten Sünders eine Analogie. Der alte Mensch müsse mit seinen Begierden ans Kreuz geschlagen werden. So wie wir Christus in der Ähnlichkeit des Todes eingepfropft seien, würden wir Christus auch durch die Auferstehung eingepfropft. Deshalb gehöre zur Rechtfertigung sowohl der Tod wie die Auferstehung des Sünders, jedoch an erster Stelle der Tod und erst an zweiter das Aufleben (A3v). Unter Rückgriff auf eine von Ambrosius gemachte Unterscheidung dreier Weisen des Todes (Tod der Seele; Tod als Absage an die Sünden; Tod bei Trennung der Seele vom Körper) verbindet Karlstadt die zweite – von Ambrosius als »mystischer Tod« bezeichnete – mit einer von Gott im Sünder generierten Erfahrung (A4r). In ihr durchlebt der Sünder zuerst eine Herabführung in Todestiefen (deductio ad inferos) und erst danach die Heraufführung (reductio) von dort. Als biblischer Anknüpfungspunkt bot sich Karlstadt dafür 1. Sam 2,6 (Dominus mortificat et vivificat, deducit ad infernum et reducit; D1r) an und die von Gegensatzpaaren wie mortificatio41/vivificatio, perditio/salvatio bzw. destructio/instauratio durchsetzte Sprache der alttestamentlichen Psalmen und paulinischer Rechtfertigungstheologie. Im weiteren Verlauf der Schrift beschreibt Karlstadt diese Erfahrung unter Einbeziehung biblischer Vorbilder, vor allem unter Referenz auf Hiob. Dabei hebt er hervor, dass Züchtigung und Schmerz des Büßenden Teil der Gnade seien (A4v/B1r) und dessen Zerknirschung und Urteil über sich selbst nicht von seiner Willenskraft, sondern von Gott erzeugt würden (B2r). Im neunten Kapitel beschreibt Karlstadt in einer fiktiven Gerichtsszene sein Verständnis des Urteils des Sünders, bei dessen Offenlegen seiner Verfehlungen vor Gott. Der sündige Mensch tritt als sein eigener Gegner vor den Richterstuhl seines Geistes; das Nachdenken über sich führt Anklage; als Zeuge gegen ihn wird sein Gewissen aufgerufen; als Henker bedrängt ihn seine Furcht. Der Schuldspruch verurteilt ihn zum Tod, ein Entscheid, an dem die menschliche Natur zu Grunde gehen würde, wenn nicht Gottes Liebe es abmilderte (B4v). Im zehnten, dem längsten Kapitel, bündelt Karlstadt seine Darlegungen in einer langen Auslegung des ersten Bußpsalms (Ps 6). Intensiv reinige Betrübnis den Menschen und tauche ihn in das glückliche Nichts. Wo sein Ich nicht agiere, da sei Gottes Gnade im Menschen in glücklicher Weise tätig (C1r). Im elften Kapitel geht Karlstadt kurz auf Psalmverse ein (Ps 33(34)), die dankende Freude, Jubel und Begeisterung über Gottes aufrichtende und wiederbelebende Wohltaten ausdrücken. Am Ende fordert Karlstadt dazu auf, der Einladung des Psalmbeters »Preiset mit mir den Herrn« (Ps 33(34),4) Folge zu leisten, aus Liebe zu Gott und zu den Nächsten. Karlstadt selber wolle nicht alleine lieben, alleine umarmen, sondern tue das nach Kräften, damit er die Widmungsempfänger bzw. Leser mit sich in der Liebe Gottes fortreiße (rapiam) (D3v). In einem kurzen Epilog fasst er die zwei im Menschen aufeinanderfolgenden, kontrastierenden Phasen der Rechtfertigungserfahrung zusammen. Karlstadt ist klar, dass der Epitome die Darstellung der Sündenvergebung und die Befreiung des Gerechten in einer weiteren Psalmauslegung fehle, weshalb er seinen Leipziger Schirmherren Pistorius in Aussicht stellt, bei anderer Gelegenheit ausführlicher von der Buße zu schreiben (D4r).
In der Epitome vertieft Karlstadt die Kreuzes- und Heilserfahrung des bußwilligen Sünders, dessen Fahrt auch im oberen Teil des Currus-Bildblattes (KGK 110) dargestellt ist.42 Beide Werke sind das Ergebnis eines zeitlich parallel verlaufenden Entstehungsprozesses.43 Dabei ist es Karlstadt gelungen, in der Epitome seine Buß- und Rechtfertigungstheologie in kompakter, biblisch fundierter und zugleich unpolemischer Weise darzulegen.44 In Verbindung mit den beiden Wagen-Bildblättern (KGK 110 und KGK 120) und der volkssprachlichen Auslegung Wagen (KGK 124) bilden diese vier Veröffentlichungen Anfang 1519 einen Schwerpunkt in Karlstadts publizistischem Vorstoß.