1. Überlieferung
Handschrift:
Kanzleihandschrift; ohne eigenhändige Unterschriften, aber mit Luthers größerem Siegel auf fol. 1v, im Falz eingebunden, Initialen »ML« sichtbar
Die Adressseite trägt zusätzlich eine, ebenfalls von demselben Schreiber verfasste, Inhaltsangabe des Briefes: »Rectordoctor Martinus und auch etlichen lection halben zu Witenberg«.
Editionen:
- EA 56, Nr. 832.
- Enders 1, 437 Nr. 157 (Regest).
- UUW 1, 89 Nr. 71 (Regest).
- WA.B 1, 349f. Nr. 155 (nach dem Original).
Literatur:
2. Inhalt und Entstehung
Dieses Immediatgesuch1 in Form eines Briefes an Kfst. Friedrich III. von Sachsen trägt die Unterschriften des Universitätsrektors Bartholomaeus Bernhardi2, zugleich Kaplan am Allerheiligenstift, der Theologieprofessoren Martin Luther und Karlstadt, des Medizinprofessors Petrus Burckhard3 und des Logikprofessors Nikolaus von Amsdorf4. Die Unterschriften sind keine Autographen, sondern von demselben Schreiber angefügt, der den gesamten Brief abfasste. Das Schreiben trägt das Siegel Luthers.
Nach dem obligaten Lob auf den Kurfürsten als Patron der Universität, breiten die Autoren einen Plan zur Reform des Lehrangebots aus, der letztlich – zur Mehrung des Nutzens der Hochschule – die Abschaffung der thomistischen Lektionen anstrebt. Johannes Gunckel5, der bisher die thomistische Physik las, solle nun bei gleichem Sold die aristotelische Physik lesen. Diese Lektion wurde bisher vom Rektor Bernhardi verwaltet.6 Das überschüssige Gehalt aus dem Lehrstuhl möge dem Magister Philipp [Melanchthon] zugeschlagen werden, der dies nicht erbeten habe, aber so sehr zum Lob der Universität beitrage, dass er auf diese Weise vergütet werden solle.7 Magister Jakob Premsel8, der bisher thomistische Logik für eine Vergütung von 20 Gulden las, solle nun die Metamorphosen Ovids vortragen. Es gebe genügend Vorlesungen skotistischer und aristotelischer Logik und Physik.9 Die studentische Jugend solle nicht mit dem gleichen Stoff überladen werden, zumal die Zuhörerschaft in jüngster Zeit stark abnahm. Die Entscheidung wird jedoch dem Kurfürsten anheim gestellt, da es an der Universität selbst Widerstand gegen eine solche Reform gebe: »dan wir auch ethlich der Universitet nit gantz do zu gneigt finden«. Schließlich bitten die Professoren um Hilfe bei der Bestallung eines Universitätsbuchdruckers, der auch griechische Texte wie die des Aristoteles herzustellen vermag.
Der Brief trägt Forderungen vor, wie sie Luther bereits zwei Mal Georg Spalatin referiert hatte. Am 9. 12. 1518 schlug Luther das erste Mal Stellenumbesetzungen vor und teilte Spalatin eine Vereinbarung zwischen ihm und dem Rektor Bernhardi über den Wegfall der thomistischen Physik und Logik mit. Stattdessen solle Gunckel aristotelische Physik lesen und die thomistische Logik, von Premsel vertreten, durch eine Lektur über Ovids Metamorphosen ersetzt werden, obwohl Premsel für die humanistischen Fächer nicht besonders geeignet erscheine.10 Am 7. 2. 1519 trat die Idee, Melanchthons Gehalt bei Abschaffung einer Physiklektion zu vermehren, hinzu.11 Schon am 8. Dezember 1518 hatte sich Karlstadt gegenüber Spalatin in der Hinsicht geäußert, dass Melanchthon ein höheres Salär verdiente.12 Höchstwahrscheinlich war es Spalatin, der dazu riet, die Forderungen dem Kürfürsten direkt in einem Immediatgesuch vorzulegen.13
Ob der Vorstoß zur Gänze erfolgreich war, ist schwer zu beurteilen.14Bernhardi las Anfang 1518 »physicam und metaphysicam Aristotelis nach der neuen translation und dem text.«15 Sein Aufgabenbereich sollte anscheinend aufgesplittet werden. Nachfolger auf dem Lehrstuhl der aristotelischen Metaphysik wurde Jodokus Mörlin.16Johannes Gunckel, der zu den dienstälteren Professoren in Wittenberg gehörte17, hatte 1516 »Zu derselbigen stunde [um sieben morgens] auch in phisicam secundum viam Thome«18 gegen einen Sold von 20 Gulden gelesen; später, vermerkt am 22. 9. 1517, »des morgens eine stunde in majori loyca«19, wieder für dieselbe Summe. Gemäß den Reformbestrebungen Luthers, Bernhardis und Karlstadts sollte er wohl nur die aristotelische Physik übernehmen. Mehr als ein Jahr danach führt eine nach dem 31. 5. 1520 erstellte Liste der besoldeten Professoren auf: »Johans Juncklin von der lection naturalis philosophie.«20 Ob es sich dabei um die Lektion über die aristotelische Physik handelte, ist nicht klar, da die Lektur bei der Neuordnung der Vorlesungen in der philososphischen und medizinischen Fakultät am 6. Juni 1521 als unbesetzt und der obengenannte Mörlin als ihr letzter Inhaber beschrieben wird.21Gunckel las zu dieser Zeit weiterhin die Logica maior.22 Dies ist kein Nachweis für das Fortleben des Thomismus, denn augenscheinlich sollte er die aristotelischen Analytiken (priora et posteriora) und nicht mehr den vorhumanistischen Gesamtkursus der Logik versorgen.23Jakob Premsel, 1516 Lektor der Metaphysik24, wechselte augenscheinlich ins Pädagogium.25 Es ist nicht bekannt, ob er sich dort, wie im vorliegenden Dokument vogeschlagen, den Metamorphosen Ovids widmete. In den Instruktionen Kurfürst Johanns an die Universität zur Besoldungsregelung vom 17. 9. 1525 tauchen beide, Gunckel und Premsel, weiterhin auf, doch ist ihnen kein Lehrbereich mehr zugewiesen.26
Die hier geäußerte Bitte zur Einrichtung einer Druckerei mit griechischen und lateinischen Typen ist in Aufzeichungen Spalatins im Mai 1519 zu finden.27 Am 8. 5. unterrichtete LutherSpalatin, dass Melchior Lotter (wohl der Sohn) mit seiner Werkstatt und bestem Frobenschen Typenmaterial aus Leipzig gekommen sei, um in Wittenberg eine Druckerei einzurichten, wenn es der Kurfürst genehmige; Spalatin möge vermitteln.28Karlstadt berichtete an demselben Tag Spalatin von der Ankunft und den kupfernen Griechischlettern, die Lotter zeigte, und drückte seine Hoffnung aus, dass Luther und Melanchthon schon geschrieben hätten.29 Aber noch am 29. 9. 1519 äußerte Kfst. Friedrich III. zwar, den Wunsch der Universität nach einem eigenen Drucker zu verstehen, doch habe die Lehranstalt auf seine Bitte, dass sie »erkennen geben solten, wie ir sachen gelegen und was sie im vorath haben«, bisher nicht geantwortet.30 Arbeitsfertig eingerichtet war die Druckerei wohl erst im Frühjahr 1520, scheinbar ohne kurfürstliche Genehmigung.31