Nr. 106
Theologische Fakultätsdozenten an Kfst. Friedrich III. von Sachsen
Wittenberg, 1519, 23. Februar

Einleitung
Bearbeitet von Harald Bollbuck und Alejandro Zorzin

1. Überlieferung

Handschrift:

[a:]ThHStA Weimar, EGA, O 313, fol. 1r–v

Kanzleihandschrift; ohne eigenhändige Unterschriften, aber mit Luthers größerem Siegel auf fol. 1v, im Falz eingebunden, Initialen »ML« sichtbar

Die Adressseite trägt zusätzlich eine, ebenfalls von demselben Schreiber verfasste, Inhaltsangabe des Briefes: »Rector doctor Martinus und auch etlichen lection halben zu Witenberg«.

Editionen:
  • EA 56, Nr. 832.
  • Enders 1, 437 Nr. 157 (Regest).
  • UUW 1, 89 Nr. 71 (Regest).
  • WA.B 1, 349f. Nr. 155 (nach dem Original).

Literatur:

2. Inhalt und Entstehung

Dieses Immediatgesuch1 in Form eines Briefes an Kfst. Friedrich III. von Sachsen trägt die Unterschriften des Universitätsrektors Bartholomaeus Bernhardi2, zugleich Kaplan am Allerheiligenstift, der Theologieprofessoren Martin Luther und Karlstadt, des Medizinprofessors Petrus Burckhard3 und des Logikprofessors Nikolaus von Amsdorf4. Die Unterschriften sind keine Autographen, sondern von demselben Schreiber angefügt, der den gesamten Brief abfasste. Das Schreiben trägt das Siegel Luthers.

Nach dem obligaten Lob auf den Kurfürsten als Patron der Universität, breiten die Autoren einen Plan zur Reform des Lehrangebots aus, der letztlich – zur Mehrung des Nutzens der Hochschule – die Abschaffung der thomistischen Lektionen anstrebt. Johannes Gunckel5, der bisher die thomistische Physik las, solle nun bei gleichem Sold die aristotelische Physik lesen. Diese Lektion wurde bisher vom Rektor Bernhardi verwaltet.6 Das überschüssige Gehalt aus dem Lehrstuhl möge dem Magister Philipp [Melanchthon] zugeschlagen werden, der dies nicht erbeten habe, aber so sehr zum Lob der Universität beitrage, dass er auf diese Weise vergütet werden solle.7 Magister Jakob Premsel8, der bisher thomistische Logik für eine Vergütung von 20 Gulden las, solle nun die Metamorphosen Ovids vortragen. Es gebe genügend Vorlesungen skotistischer und aristotelischer Logik und Physik.9 Die studentische Jugend solle nicht mit dem gleichen Stoff überladen werden, zumal die Zuhörerschaft in jüngster Zeit stark abnahm. Die Entscheidung wird jedoch dem Kurfürsten anheim gestellt, da es an der Universität selbst Widerstand gegen eine solche Reform gebe: »dan wir auch ethlich der Universitet nit gantz do zu gneigt finden«. Schließlich bitten die Professoren um Hilfe bei der Bestallung eines Universitätsbuchdruckers, der auch griechische Texte wie die des Aristoteles herzustellen vermag.

Der Brief trägt Forderungen vor, wie sie Luther bereits zwei Mal Georg Spalatin referiert hatte. Am 9. 12. 1518 schlug Luther das erste Mal Stellenumbesetzungen vor und teilte Spalatin eine Vereinbarung zwischen ihm und dem Rektor Bernhardi über den Wegfall der thomistischen Physik und Logik mit. Stattdessen solle Gunckel aristotelische Physik lesen und die thomistische Logik, von Premsel vertreten, durch eine Lektur über Ovids Metamorphosen ersetzt werden, obwohl Premsel für die humanistischen Fächer nicht besonders geeignet erscheine.10 Am 7. 2. 1519 trat die Idee, Melanchthons Gehalt bei Abschaffung einer Physiklektion zu vermehren, hinzu.11 Schon am 8. Dezember 1518 hatte sich Karlstadt gegenüber Spalatin in der Hinsicht geäußert, dass Melanchthon ein höheres Salär verdiente.12 Höchstwahrscheinlich war es Spalatin, der dazu riet, die Forderungen dem Kürfürsten direkt in einem Immediatgesuch vorzulegen.13

Ob der Vorstoß zur Gänze erfolgreich war, ist schwer zu beurteilen.14 Bernhardi las Anfang 1518 »physicam und metaphysicam Aristotelis nach der neuen translation und dem text.«15 Sein Aufgabenbereich sollte anscheinend aufgesplittet werden. Nachfolger auf dem Lehrstuhl der aristotelischen Metaphysik wurde Jodokus Mörlin.16 Johannes Gunckel, der zu den dienstälteren Professoren in Wittenberg gehörte17, hatte 1516 »Zu derselbigen stunde [um sieben morgens] auch in phisicam secundum viam Thome«18 gegen einen Sold von 20 Gulden gelesen; später, vermerkt am 22. 9. 1517, »des morgens eine stunde in majori loyca«19, wieder für dieselbe Summe. Gemäß den Reformbestrebungen Luthers, Bernhardis und Karlstadts sollte er wohl nur die aristotelische Physik übernehmen. Mehr als ein Jahr danach führt eine nach dem 31. 5. 1520 erstellte Liste der besoldeten Professoren auf: »Johans Juncklin von der lection naturalis philosophie.«20 Ob es sich dabei um die Lektion über die aristotelische Physik handelte, ist nicht klar, da die Lektur bei der Neuordnung der Vorlesungen in der philososphischen und medizinischen Fakultät am 6. Juni 1521 als unbesetzt und der obengenannte Mörlin als ihr letzter Inhaber beschrieben wird.21 Gunckel las zu dieser Zeit weiterhin die Logica maior.22 Dies ist kein Nachweis für das Fortleben des Thomismus, denn augenscheinlich sollte er die aristotelischen Analytiken (priora et posteriora) und nicht mehr den vorhumanistischen Gesamtkursus der Logik versorgen.23 Jakob Premsel, 1516 Lektor der Metaphysik24, wechselte augenscheinlich ins Pädagogium.25 Es ist nicht bekannt, ob er sich dort, wie im vorliegenden Dokument vogeschlagen, den Metamorphosen Ovids widmete. In den Instruktionen Kurfürst Johanns an die Universität zur Besoldungsregelung vom 17. 9. 1525 tauchen beide, Gunckel und Premsel, weiterhin auf, doch ist ihnen kein Lehrbereich mehr zugewiesen.26

Die hier geäußerte Bitte zur Einrichtung einer Druckerei mit griechischen und lateinischen Typen ist in Aufzeichungen Spalatins im Mai 1519 zu finden.27 Am 8. 5. unterrichtete Luther Spalatin, dass Melchior Lotter (wohl der Sohn) mit seiner Werkstatt und bestem Frobenschen Typenmaterial aus Leipzig gekommen sei, um in Wittenberg eine Druckerei einzurichten, wenn es der Kurfürst genehmige; Spalatin möge vermitteln.28 Karlstadt berichtete an demselben Tag Spalatin von der Ankunft und den kupfernen Griechischlettern, die Lotter zeigte, und drückte seine Hoffnung aus, dass Luther und Melanchthon schon geschrieben hätten.29 Aber noch am 29. 9. 1519 äußerte Kfst. Friedrich III. zwar, den Wunsch der Universität nach einem eigenen Drucker zu verstehen, doch habe die Lehranstalt auf seine Bitte, dass sie »erkennen geben solten, wie ir sachen gelegen und was sie im vorath haben«, bisher nicht geantwortet.30 Arbeitsfertig eingerichtet war die Druckerei wohl erst im Frühjahr 1520, scheinbar ohne kurfürstliche Genehmigung.31


2Bartholomaeus Bernhardi (1487–1551) aus Feldkirch (Vorarlberg), bereits im Sommersemester 1504 in Wittenberg immatrikuliert (AAV 1, 13), war ein Schüler Luthers und Respondent der 151 Thesen, vgl. KGK I.1, Nr. 58, S. 494f.; KGK I.2, Nr. 64, S. 548–550. 1518 übernahm er die Lektur der aristotelischen Physik und Metaphysik nach der neuen Übersetzung (UUW 1, 85f. Nr. 64; Friedensburg, Geschichte, 112, zu den neu eingerichteten Lektionen vgl. auch AAV 1, 69 sowie die vorliegende Editionseinheit KGK 106 (Textstelle); zu den Neuübersetzungen des Aristoteles und ihren Edition durch Aldo Manuzio vgl. Aristoteles-Handbuch, 437f.); im Wintersemester 1518/19 wurde er zum Rektor erwählt (AAV 1, 77). Am 24. 6. 1521 wurde Magister Johannes Volmar als Nachfolger für Bernhardis nun ledige Präbende nominiert, vgl. UUW 1, 113 Nr. 104; UUW 1, 114 Nr. 105 UUW 1, 117 Nr. 108; zu Volmar vgl. Friedensburg, Geschichte, 134f. S. auch KGK I.2, Nr. 98, S. 1015–1020. Später Propst in Kemberg (AAV 1, 182).
3Petrus Burckhard (ca. 1465–1526), stammte aus Ingolstadt und hatte in Ferrara das Doktorat der Medizin erlangt; nach Tätigkeit als Leibarzt des Eichstätter Bischofs Gabriel von Eyb, später als Stadtarzt in Nürnberg, Ulm und Regensburg (vgl. MBW 11, 243), wurde er im Sommersemester 1518 auf eine Medizinprofessur in Wittenberg berufen (AAV 1, 73; UUW 1, 87 Nr. 67; Friedensburg, Geschichte, 136); laut Liste der besoldeten Professoren (kurz nach dem 31. 5. 1520) mit 25 Gulden besoldet (UUW 1, 100 Nr. 82). Als Rektor der Universität meldete er Herzog Johann am 11. 10. 1520, dass sich die Universität weigere, die von Johannes Eck zugestellte päpstliche Bannandrohungsbulle gegen Luther und Karlstadt zu veröffentlichen (UUW 1, 107 Nr. 95; s. auch AAV 1, 91). Er verließ die Stadt zwischen dem 3. und 12. 6. 1521 in Richtung Ingolstadt, wo er eine Medizinprofessur übernahm, vgl. Müller, Wittenberger Bewegung, 323; MBW 11, 243. Der Rektor Graf Wolfgang von Stolberg-Wernigerode teilte Kfst. Friedrich III. am 17. 6. 1521 die Erledigung seiner Professur mit (UUW 1, 111 Nr. 103).
4Nikolaus von Amsdorf (1483–1565), skotistischer Logiker, bereits 1502 in Wittenberg inskribiert (AAV 1, 5; UUW 1, 15f.; vgl. KGK I.1, Nr. 1, S. 4), 1513 als Lizentiat der Theologie erstmals Rektor (AAV 1, 46; UUW 1, 71f.), las 1516/17 Gabriel Biel (UUW 1, 77 Nr. 57; vgl. KGK I.1, Nr. 24, S. 356; KGK I.1, Nr. 27, S. 375), wandte sich schon in dieser Zeit Luthers Lesart des Augustinus zu (vgl. KGK I.2, Nr. 64, S. 550), auch wenn er im September 1517 weiter skotistische Logiklektionen abhielt (UUW 1, 85 Nr. 63; er ist auch noch im Juni 1521 mit einer Logikpräbende ausgestattet, UUW 1, 117 Nr. 108). Im Sommersemester 1522 erneut Rektor und weiterhin Lizentiat der Theologie (AAV 1, 111). Zu seiner Frühzeit in Wittenberg vgl. auch TRE 2, 488f.; MBW 11, 67–69.
6S. o. KGK 106 (Textstelle). Melanchthon war mit dem Wechsel Gunckels auf die Lektur der aristotelischen Physik nicht glücklich, vgl. seinen Brief an Georg Spalatin vom 13. März 1519, MBW.T 1, Nr. 40.
7Laut Brief an Spalatin vom 21. Mai 1519 las Melanchthon in dieser Zeit, nach dem Fortgang Böschensteins, über den hebräischen Psalter und die Proverbien. Vgl. MBW.T 1, 116,13f; 19f. Nr. 58; WA.B 1, 311,17–20 Nr. 139.
9Den Lehrstuhl für die Logica minor gemäß der Summulae logicae des Petrus Hispanus nach skotistischer Lesart hatte seit 1505 Sebastian Küchenmeister inne. Vgl. Bünger/Wentz, Brandenburg, 118f.; WA 59, 655.
10WA.B 1, 262 Nr. 117.
11WA.B 1, 325,5–9 Nr. 144.
12KGK I.2, Nr. 99 S. 1020, Z. 10f.
13WA.B 1, 325 Nr. 144.
14Scheible, Aristoteles, 138, sieht ein Fortwirken der thomistischen Lektionen, anders Friedensburg, Geschichte, 132 und Hammer, Luther. Operationes in Psalmos, 88.
15ThHSTA Weimar, EGA, Reg. O 204, fol. 5r; vgl. UUW 1, 86 Nr. 64 Anm. 1.
16UUW 1, 100 Nr. 82. Jodokus Mörlin (um 1490–1550), 1514–21 Presbyter am Ebt. Magdeburg und Professor in Wittenberg, seit 1521 Pfarrer im thüringischen Westhausen; Vater von Joachim Mörlin. Vgl. Kathe, Fakultät, 58; Kaufmann, Konfession, 78 Anm. 42; WA.B 1, 562; WA.B 2, 256,7 Nr. 372.
17Immatrikuliert wurde er als »Joannes günkeulin de Wangen« im Sommersemester 1504 (AAV 1, 14). Der Rotulus von 1507 führt Gunckel als Magister »in philosophia extraordinarie«, UUW 1, 16 Nr. 17; 1512 ist er einer der »magistri collegiati«, UUW 1, 63 Nr. 36.
18UUW 1, 77 Nr. 57.
19UUW 1, 84 Nr. 63. Im Sommersemester 1518 war er unter dem Namen »Johannes Stöb alias Gingelin de Wangen« Rektor der Universität (AAV 1, 72).
20UUW 1, 100 Nr. 82. Im Wintersememester 1520/21 wirkte Gunckel Dekan der philosophischen Fakultät, vgl. MBW 12, 201.
21UUW 1, 117 Nr. 108: »[…] dann licentiaten Heinrich Stackmann, der bisher Priscinianum gelesen hat, ist lection physica befoln worden, die vor magister Morlin gelesen hat. […] Also verblib die lectio phisica noch ungestift, der man in kein weg mangeln kan.«
22UUW 1, 118 Nr. 109: »Gunckelyn legat majorem logicam cum judicio et delectu, ita et optima et utilissima queque doceantur. prestiterit enim haec in posterum et priora legere.«
23Schon 1518 hatte Spalatin festgehalten: »Mag. Augustinus Schurff […] liseth logicam Aristotelis nach der neuen translation und dem text.« (ThHStA Weimar, EGA, Reg. O 204, fol. 5r; vgl. UUW 1, 86 Nr. 64 Anm. 1).
24UUW 1, 78 Nr. 57. Premsel wurde im Wintersemester 1506/1507 in Wittenberg immatrikuliert (AAV 1, 19).
25UUW 1, 100 Nr. 82 (nach 31. 5. 1520).
26UUW 1, 134 Nr. 139: »Item wo Magister Gungkel die probstei zu Schlieben nit behalten noch in andere wege vorsehen wurde, so sol man im jherlich zwanzig gulden von den zweien geringen lehen er Johann Ragals volgen lassen, und wes er sich dagegen halten sol, ime auch angezeigt werden. […] Item Magister Premsel seint zwanzig gulden jherlich zu folgen lassen, bis er in ander wege versehen wirt.« Scheible, Aristoteles, 139 meint, beide würden in der Instruktion wie »Sozialfälle« aufgeführt; 1528 ist Gunckel noch einmal als Rektor nachgewiesen (AAV 1, 132).
27UUW 1, 89f. Nr. 72 (ThHStA Weimar, EGA Reg. O 315, fol. 5r): »Zum andern bitt man mit unterneigem vleis, m. gst. herr welle gnedigen vleis haben, ein statliche druckerei, greckisch, lateinisch, judisch und teutsch wol zu drucken, gin Wittenberg zu bringen von wegen des manchfeltigen nutzs und unverweislichen rums und lobs, so daraus vermittels gotlicher hulf erwachsen würd.« Vgl. Friedensburg, Geschichte, 155f.
28WA.B 1, 381,4–11 Nr. 171; vgl. Luther, Buchdruck, 273.
29S. Karlstadts an Spalatin am 8. 5. 1519: »Venit ad nos Melchior Lotter, amantissime Patrone, cui sugessi, si fieri posset, ut hic excuderet nostra. […] Graeca elementa in cupro.« (KGK 123 (Textstelle)).
30UUW 1, 90 Nr. 73.
31Die ersten Drucke aus der Werkstatt Melchior Lotters d. J. in Wittenberg erschienen im Frühjahr 1520, u. a. Melanchthons »Declamatiuncula in divi Pauli doctrinam« (VD 16 M 2913, Claus, Melanchthon-Bibliographie, 1520.15) vom April 1520. Gegenüber Spalatin hatte Melanchthon bereits im Vorjahr, nach dem 11. 8. 1519, um Anstellung eines Universitätsdruckers gebeten (MBW.T 1, 146f. Nr. 63). Zum Fortgang von Lotters Wittenberger Drucktätigkeit vgl. Luther, Buchdruck, 272–275.

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