1. Überlieferung
Es handelt sich um eine Abschrift von Kanzleihand.
(Reinschrift von Zweifels Bauernkriegschronik von der Hand Thomas Zweifels)
Edition:
- Baumann, Quellen, 161–163.
Beilage: Supplikation von Rothenburger Bürgern gegen die Messreformen und gegen Karlstadt, [Rothenburg ob der Tauber, 1525, 18. Mai].
Es handelt sich um ein Konzept von unbekannter Hand; am linken, oberen Rand befindet sich von anderer Hand die Ziffer »29«.
Eine Reinschrift von Zweifels Bauernkriegschronik von der Hand Thomas Zweifels.
Edition:
- Baumann, Quellen, 370–373.
Literatur:
- Barge, Karlstadt 2, 345.
2. Entstehung und Inhalt
Nachdem der Rat der Stadt Rothenburg am 27. Januar 1524 ein Edikt erlassen hatte, das analog zu dem in den markgräflichen Landen geltenden Dekret die Beherbergung und Verköstigung Karlstadts sowie den Verkauf seiner Bücher und die Verbreitung seiner Lehre verbot,1 hielt sich Karlstadt mit der Unterstützung seiner Anhänger – unter ihnen der Ratsherr Ehrenfried Kumpf2, der Schulmeister Valentin Ickelsamer3, der Prediger Johannes Teuschlein4 sowie der blinde Franziskanermönch Hans Schmid5 – etwa acht Wochen heimlich in der Stadt auf.6 Während dieser Zeit entstanden wohl die drei Traktate Anzeige etlicher Hauptartikel christlicher Lehre (KGK 288), Erklärung von 1. Kor 10,16 (KGK 289) und Vom dem neuen und alten Testament (KGK 290), mit denen er auf Luthers zweiteilige Schmähschrift Wider die himmlischen Propheten antwortete.7 Insgesamt ist der Aufenthalt Karlstadts in Rothenburg für diesen Zeitraum, aber auch für die folgenden knapp zwei Monate seines öffentlichen Wirkens in der Stadt anhand der bekannten Quellen nur schwer greifbar. Neben den Chroniken des Stadtschreibers Thomas Zweifel und des Franziskanermönchs Michael Eisenhart8 geben lediglich die nach der Niederschlagung des bäuerlichen und städtischen Aufruhrs im Angesicht der drohenden Todesstrafe entstandenen Verhörprotokolle und Bekenntnisse der Beteiligten Aufschluss.9
Demnach fand Karlstadt wohl zunächst bei Ehrenfried Kumpf Unterschlupf10, der ihm zugleich als »Türöffner in die Rothenburger Gesellschaft«11 diente, die meiste Zeit verbrachte er jedoch im Hause des ebenfalls zum engeren Kreis der reformatorischen Bewegung in der Stadt gehörenden Tuchscherers Philipp Schleyt.12 Dieser gab in seiner Rechtfertigungsschrift nach dem Ende des Aufruhrs an, von Kumpf dazu überredet worden zu sein, der auch die Verantwortung dafür übernommen habe.13 Ehrenfried Kumpf war es dann auch, der die Anwesenheit Karlstadts in der Stadt am 26. März, zwei Tage nach der Usurpation der Stadtregierung durch Stephan von Menzingen durch die weitgehende Entmachtung des Rates und die Einsetzung eines Bürgerausschusses,14 vor dem Rat öffentlich machte15 – zu einem Zeitpunkt, an dem für alle Beteiligten aufgrund der geänderten politischen Rahmenbedingungen keine Konsequenzen wegen des Verstoßes gegen das städtische Edikt mehr zu erwarten waren.16 Damit konnte Karlstadt sich fortan nicht nur frei in der Stadt bewegen, ab Anfang April war es ihm auch erlaubt, zu predigen und seine Lehre zu verbreiten. Im Gefolge einer Predigt des blinden Mönchs Hans Schmid am 2. April 1525, die er »uff die karlstattischen opinion und meynung, gleych als uff den ausschuß getan«, war diesem zwar untersagt worden, im Namen des Ausschusses zu predigen, ihm und Karlstadt aber gleichzeitig erlaubt worden, ihre Lehren in der Pfarrkirche und im Barfüßerkloster zu predigen, was sie in der Folge mit großem Zulauf durch das »gemain volck und anderen so derselben materi anhengig« taten.17
Diese neue Entwicklung nutze Karlstadt nun, um sich mit der hier edierten Supplikation am 7. April an den Bürgerausschuss zu wenden und darum zu bitten, sich beim Rat für ihn einzusetzen, bei dem er aufgrund ungerechtfertigter Vorwürfe in Missgunst geraten sei. In diesem Zusammenhang verwies er auf das ohne vorherige Anhörung am 27. Januar erlassene Edikt18 und bot an, zu den gegen ihn und seine Lehre vorgebrachten Vorwürfen Stellung zu nehmen und diese aus dem Evangelium heraus zu entkräften. Obgleich das gegen ihn geübte Vorgehen des Rates selbst, wenn es gegenüber Türken bzw. Heiden geübt worden wäre, zu hart gewesen sei, betont er, keinen Groll gegen den Rat zu hegen und hofft, man werde ihm den Aufenthalt in der Stadt erlauben. Karlstadt strebte offenbar eine offizielle Aufhebung des vom Rat erlassenen Edikts an, um sich unabhängig vom Gemeindeausschuss und den politischen Rahmenbedingungen in der Stadt aufhalten und sich dort gegebenenfalls auch niederlassen zu dürfen, zumal seine Frau inzwischen in Rothenburg eingetroffen war.19
Die Supplikation Karlstadts wurde am 10. April auf dem Rathaus durch den Bürgerausschuss verlesen und anschließend dem Rat vorgelegt.20 Dieser ließ daraufhin verlauten, Karlstadt habe der Stadt durch seinen Aufenthalt bei den benachbarten Fürsten und im Reich Schaden zugefügt, da er aufgrund seiner Lehre und der damit verbundenen Tendenz zum Aufruhr dort nicht gelitten gewesen sei. Der Rat habe sich daher genötigt gesehen, das genannte Edikt zu erlassen,21 stelle es aber nun dem Bürgerausschuss als neuem städtischen Regiment anheim, Karlstadt den Aufenthalt und die Predigt seiner Lehren in Rothenburg zu erlauben. Der Bürgerausschuss beschloss daraufhin, »den Karlstatt also hie umbgeen und sein abentewer, dieweyl er sich zu recht but, besteen« zu lassen.22
In den folgenden Wochen widmete sich Karlstadt in erster Linie der Verbreitung seiner Lehre. So predigte er nach Aussage Hans Schmids eine ganze Woche in oder vor der Barfüßerkirche,23 wo ihn auch der Weber Jakob Beckel hörte, der in seinem Verhör angab, mit Karlstadts Ansichten zum Sakrament übereinzustimmen.24 Inhaltlich scheint es also – analog zum Inhalt der seit Herbst 1524 erschienenen Traktate25 – in den Predigten vornehmlich um die Abendmahlsfrage und die Reform der Messe gegangen zu sein. Kern seiner Ausführungen bildete wohl die Auslegung von Joh 6, die auch in den Predigten Schmids und wahrscheinlich auch Teuschleins und Ickelsamers zur Begründung der Ablehnung der Realpräsenz thematisiert wurde.26 Schmid distanzierte sich später von diesen Predigten und behauptete, von den »karlstadtischen materien« nur gepredigt zu haben, weil er von Kumpf, Ickelsamer und anderen Karlstadtanhängern dazu gedrängt und ihm Benefizien versprochen worden seien.27 Ob die Bilderfrage in den Predigten thematisiert wurde, geht aus den bekannten Quellen dagegen nicht hervor, auch wenn nicht ausgeschlossen werden kann, dass Karlstadt seine Ansichten hierzu in seine Predigten einfließen ließ.28 Michael Eisenhart berichtet in seiner Chronik, Karlstadt habe am 17. und 19. April – in der Woche nach Ostern – »wider das hochwirdig sacrament« gepredigt, aber auch die römische Messe und ihre Zeremonien angegriffen. Vor diesem Hintergrund sah sich der Bürgerausschuss bemüßigt, ordnend einzugreifen und Karlstadt per Mandat anzuweisen, sich in seinen Auslegungen auf die vier Kirchenväter29 zu beschränken. Dieser antwortete nach Aussage Eisenharts, keine älteren Kirchenväter als Moses und die Propheten zu kennen,30 stellte also das biblische über das patristische Auslegungsprinzip.31
Parallel zu seiner Predigttätigkeit scheint Karlstadt in Rothenburg auch die bereits aus Orlamünde bekannte Praxis der collationes, der gemeinsamen und gleichberechtigten Bibelauslegung mit Laien,32 fortgesetzt zu haben. Bereits während seiner ersten Aufenthalte in Rothenburg vor dem Erlass des Ediktes hatte er mit seinen Anhängern an verschiedenen Orten in der Stadt, u.a. in den Häusern Kumpfs und Teuschleins, aber auch im Deutschordenshaus theologische Themen diskutiert.33 Darüber hinaus scheinen sich auch noch an anderen Orten und in anderen Zusammensetzungen im Anschluss an Karlstadts Predigten, aber wohl ohne seine Beteiligung, theologische Diskussionen ergeben zu haben: So berichtet Jakob Beckel, mit dem Leinenweber Engelhart Goppolt Gottes Wort diskutiert zu haben, ebenso mit Valentin Ickelsamer34, und auch im Haus des Kürschners Claus Frey sei von »gemelten dingen« geredet worden.35 Auch wenn diese Treffen nicht allein auf Karlstadts Einfluss zurückzuführen sein dürften – bereits vor der Ankunft Karlstadts in Rothenburg waren in den reformatorischen Kreisen der Reichsstadt politische und religiöse Themen diskutiert worden – dürfte Karlstadts Anwesenheit den theologischen Austausch unter den Laien dennoch befördert haben. Insgesamt scheinen Karlstadts Lehren gerade bei den einfachen Leuten verfangen zu haben – auch wenn diese den zu milden Umgang mit der Obrigkeit kritisierten.36 Insgesamt scheint Karlstadt sich gegenüber der bäuerlichen, aber auch der städtischen Rebellion zurückhaltend verhalten zu haben.37 Dies entspricht auch seiner grundsätzlichen Haltung gegen die Anwendung von Gewalt und für die Erhaltung der Ordnung, die lediglich Reformen auf biblischer Grundlage, aber keinen Umsturz vorsah.38
Wie groß Karlstadts Einfluss auf die städtischen und religiösen Entwicklungen während seines Aufenthalts in Rothenburg tatsächlich war, lässt sich anhand der Quellen nicht eindeutig beantworten. Bereits im September / Oktober 1524 – also vor Karlstadts erstem Aufenthalt in der Stadt39 – hatte die der Reformation zugewandte Partei in der Reichsstadt als Reaktion auf die im Auftrag Markgraf Kasimir im Sommer 1524 erarbeiteten 23 Artikel zur Reform der Kirche eine »Protstation und Schutzrede auf die 23 Artikel« verfasst, die zwar durchaus von Karlstadts Lehren beeinflusst zu sein scheint, seine direkte Beteiligung an der Abfassung ist jedoch auszuschließen.40 In insgesamt 20 Artikeln forderten sie hier u.a. eine stärkere Beteiligung der Laien in religiösen Fragen, die Reichung des Abendmahls in beiderlei Gestalt (Art. 5), die Abhaltung der Messe in deutscher Sprache (Art. 8 und 9) sowie das Recht der Laien zu predigen (Art. 13). Vor diesem Hintergrund dürfte es nicht allein dem Einfluss Karlstadts zuzuschreiben sein, dass nach der Entmachtung des Rates das althergebrachte religiöse Leben nahezu zum Erliegen kam.41 Obgleich Karlstadt sich nunmehr offen bewegen und seine Lehren verbreiten konnte und sicherlich auch über einen gewissen Einfluss verfügte, war und blieb er gleichzeitig doch abhängig von der Unterstützung einflussreicher Anhänger wie Kumpf oder Ickelsamer, die die Stadtregierung in seinem Sinne beeinflussen konnten, aber auch von der politischen Entwicklungen. Wie schnell die Situation sich auch wieder wenden konnte, zeigte sich bereits Mitte Mai bei der Rückkehr Karlstadts vom Bauernlager in Heidingsfeld, wo man ihn – obgleich Mitglied der städtischen Delegation unter Führung Ehrenfried Kumpfs – nicht hatte empfangen wollen:42 Bei seiner Rückkehr nach Rothenburg wurde ihm am Stadttor zunächst der Zutritt verweigert und es bedurfte der Fürsprache Menzingens, um ihm Einlass zu verschaffen.43 In seiner apologetischen Schrift Entschuldigung des falschen Namens des Aufruhrs (KGK 297) weist Karlstadt die Schuld für diese Wendung dem Bauernhauptmann Florian Geyer zu, der während seiner Abwesenheit Stimmung gegen ihn gemacht habe.44
Am 18. Mai, also wenige Tage nach seiner Rückkehr, reichten etliche Bürger45 eine gegen Karlstadt und seine Abendmahlslehre gerichtete Supplikation bei Rat und Bürgerausschuss ein, in der sie die Ausweisung Karlstadts und der ihm verbundenen Prediger sowie die Wiedereinführung der Messe forderten.46 Der rechte Gebrauch des Abendmahls sei in Rothenburg durch das Wirken Karlstadts und seiner Anhänger abhandengekommen. Diese hätten gegen den alten Brauch gepredigt und damit Schwierigkeiten verursacht.47 In diesem Zusammenhang kritisierten die Unterzeichner Karlstadt mit Verweis auf seine Predigten und jüngsten Schriften auch für seine grammatikalische Begründung seiner Sakramentenlehre,48 die für die meisten Zuhörer nicht nachzuvollziehen sei und sie im Vertrauen auf Karlstadts gepredigtes Wort vom wahren Wort Christi im Evangelium, abfielen.49 In der Folge gehen sie theologisch fundiert auf die Frage der Realpräsenz Christi im Abendmahl ein. Diese stelle ein Geheimnis Gottes dar, das für den Menschen nicht zu ergründen sei. Durch das Evangelium habe Gott den Menschen aber geboten, das Abendmahl in der von Christus vorgegebenen Form zu feiern, wonach sie sich zu richten hätten.50 Vor diesem Hintergrund forderten die unterzeichnenden Bürger Rat und Bürgerausschuss schließlich auf, Karlstadt und die Anhänger seiner Lehre der Stadt zu verweisen und die Bürger stattdessen mit wahrhaft christlichen Predigern zu versorgen und anzuordnen, die Messe und andere Gottesdienste fortan in lateinischer und deutscher Sprache zu halten.
Nach Verlesung dieser Supplikation im Rat traten erneut die unterschiedlichen Positionen zu Tage, die sich auch in der Stadt bemerkbar machten – so gingen die Befürworter dieses Vorstoßes von Haus zu Haus, um weitere Unterschriften für die Unterstützung ihres Anliegens zu sammeln, während die Anhänger Karlstadts begannen, es ihnen gleich zu tun und ihrerseits Unterschriften für eine Gegensupplik zu sammeln. Um die damit angelegte Bildung zweier Lager zu vermeiden, entschied der Rat daraufhin, die Supplikation zurückzuhalten und im Bürgerausschuss nicht verlesen zu lassen, so dass eine Entscheidung hierüber ausblieb.51 Dennoch hatte sich Karlstadts Position in der Stadt deutlich verschlechtert, so dass er befürchten musste, auf absehbare Zeit erneut der Stadt verwiesen oder sogar bestraft zu werden. Anfang Juni kehrte er nach der Reise zum Bauernlandtag nach Schweinfurt nicht nach Rothenburg zurück, sondern begab sich mit seiner Familie zu seiner Mutter nach Karlstadt am Main, wo er nach eigener Aussage eine Stelle erlangt oder zumindest in Aussicht hatte.52
KGK 292
Transkription
