Nr. 288
Anzeige etlicher Hauptartikel christlicher Lehre, in welchen Doctor Luther Andreas Karlstadt durch falsche Zusage und Nachrede verdächtig macht
1525, [März]

Einleitung
Bearbeitet von Stefanie Fraedrich-Nowag

1. Überlieferung

Frühdruck:

[A:] Karlstadt, Andreas Bodenstein von
Anʒeyg etlicher Hauptar⸗∥tickeln Christlicher ∥ leere. ∥ In wölchen Doct. Luther ∥ den Andresen Carol⸗∥stat durch falsche zu ∥ sag vnd nachred ∥ verdechtig ∥ macht. ∥ M. D. XXV.
[Augsburg]: [Philipp Ulhart d.Ä.], 1525.
4°, 28 Bl., A4–G4 (fol. G3v–G4v leer).
Editionsvorlage:
HAB Wolfenbüttel, A: 77.2 Theol. (12).
Weitere Exemplare: BSB München, 4 Polem 536. — BSB München, 4 Polem. 200. — Staatliche Bibliothek Regensburg, 999/4Theol.syst.540(15. — UB München, 0014/W 4 Theol. 5463(1.
Bibliographische Nachweise:

Editionen:

Literatur:

2. Entstehung und Inhalt

Die hier edierte Schrift Anzeige etlicher Hauptartikel christlicher Lehre bildet Karlstadts Antwort auf den ersten Teil von Luthers Polemik Wider die himmlischen Propheten1, die ihrerseits eine Reaktion auf die seit September 1524 erschienenen Traktate Karlstadts vornehmlich zum Abendmahl darstellte.2 Luthers Schrift verließ wohl noch im Dezember 1524 die Presse, es ist also nicht auszuschließen, dass Karlstadt sie bereits im Januar 1525 kannte.3 Im ersten Teil seiner Schrift fokussiert Luther sich in erster Linie auf die Grundzüge seiner Glaubenslehre in Abgrenzung zu Karlstadt einhergehend mit der Kritik an dessen angeblicher Überbetonung der äußeren Werke. Die Auseinandersetzung mit den Schriften zur Abendmahlslehre folgt dann im zweiten Teil der Schrift Wider die himmlischen Propheten, der Ende Januar im Druck vorlag und Karlstadt nach eigener Aussage am 26. Februar 1525 zur Kenntnis gebracht wurde.4 Mit dem Erscheinen des zweiten Teils wurde zugleich der in der Anzeige etlicher Hauptartikel formulierte Vorwurf Karlstadts obsolet, Luther versuche ihn in eine Diskussion über die Hauptartikel zu verwickeln, um ihn daran zu hindern, seine Abendmahlslehre weiterzuverbreiten.5 Karlstadt dürfte den zweiten Teil der Schrift also bei der Abfassung seines Textes noch nicht gekannt haben. Aus diesen Überlegungen ergibt sich für diese Schrift ein Entstehungszeitraum zwischen Mitte Januar – der Rückkehr Karlstadts nach Rothenburg von seiner Reise nach Crailsheim und Nördlingen6 – und dem 26. Februar.7 Die Anzeige etlicher Hauptartikel bildet gleichsam den Auftakt der Trilogie zur Erwiderung auf Luthers polemischen Angriff; die Auseinandersetzung mit dem zweiten Teil von Wider die himmlischen Propheten und damit auch mit der Abendmahlsfrage erfolgte dann mit den Schriften Erklärung zu 1. Kor 10,16 (KGK 289) und Von dem alten und neuen Testament (KGK 290). Auch wenn die hier edierte Schrift also bereits Ende Februar fertiggestellt gewesen sein dürfte, kam sie erst im März 1525 wahrscheinlich zusammen mit der Erklärung zu 1. Kor 10,16 (KGK 289) bei Philipp Uhlhart in Augsburg zum Druck, der dritte Teil der Trilogie erschien dann Ende April / Anfang Mai ebenfalls dort. Den Transport der Manuskripte besorgte wohl der Buchführer Lienhard Götz.8

Die Stoßrichtung der gegen Luther und seinen polemischen Angriff auf Karlstadts Lehre gerichteten Anzeige etlicher Hauptartikel christlicher Lehre wird bereits im Titel deutlich, in dem Karlstadt Luther vorwirft, ihn durch falsche Aussagen und Verleumdungen gezielt in Verruf zu bringen.9 Im Anschluss folgt ein Inhaltsverzeichnis (»Inhalt dises Biechlins«) mit insgesamt 15 Gliederungspunkten, die im Text inhaltlich zwar alle behandelt werden, sich dort jedoch nicht oder nur in abweichender Form als Zwischenüberschriften wiederfinden.10 Insgesamt folgt Karlstadt in seiner Darstellung der im Inhaltsverzeichnis skizzierten Argumentationslinie, unterwirft sich aber zugleich im Sinne der direkten Widerlegung der von Luther in Wider die himmlischen Propheten vorgegebenen äußeren Struktur der fünf Hauptartikel.

Den ersten Teil der Schrift bildet eine im Inhaltsverzeichnis als »Sendtbrief« bezeichnete Widmungsvorrede an die »Brüder an der Saale«, also Karlstadts Anhänger in Orlamünde und Umgebung,11 die er auch im weiteren Verlauf seiner Ausführungen immer wieder direkt anspricht. Dabei stellt er nicht nur Bezüge zur aktuellen Situation in Orlamünde unter seinem Nachfolger Kaspar Glatz sowie zu seinem eigenen Wirken in der Saalestadt her und versichert so die Orlamünder seiner Anteilnahme und Zuneigung in ihrer »bedrängten Situation«, sondern nutzt diese Gegenüberstellung auch als Blaupause für seine Kritik an Luther und seinen Anhängern. Vor diesem Hintergrund bildet die Anzeige etlicher Hauptartikel christlicher Lehre zusammen mit den beiden anderen Erwiderungen auf Luthers Schmähschrift – Erklärung zu 1. Kor 10,16 (KGK 289) und Von dem alten und neuen Testament (KGK 290) – eine wohlkomponierte Aufnahme des von Luther hingeworfenen Fehdehandschuhs und gleichsam eine logische Fortsetzung der im August 1524 in Jena vereinbarten publizistischen Auseinandersetzung.12 Gerade an der immer wieder aufgenommenen Ansprache an die Orlamünder wird zudem deutlich, dass Karlstadt mit seiner Schrift auch einen seelsorgerischen Aspekt verbindet, hier v.a. in Bezug auf die Orlamünder, die durch den »falschen« Prediger Kaspar Glatz der wahren Lehre, in diesem Fall derjenigen Karlstadts, entfremdet würden. Diese »Brüder an der Saale« versucht Karlstadt durch sein Schreiben in ihrem Glauben zu bestärken.13 Sowohl formal als auch inhaltlich lehnt sich Karlstadt hierbei an den Stil der paulinischen Briefe an, so dass die Anzeige etlicher Hauptartikel christlicher Lehre insgesamt als Sendbrief paulinischen Vorbilds gesehen werden kann.14

In der Überschrift der Widmungsvorrede kreiert Karlstadt zunächst – analog zum Titel der Gesamtschrift – eine Verfolgungssituation (»Andres Carolstat: der warheit halben unverhoͤrt/ vertriben«)15 und verweist auf seine göttliche Erwählung zum Predigeramt (»zů der lauter verkündigung des Creützes Christi/ von Gott dem vatter/ erwoͤlt und berůffen«).16 Damit bereitet er nicht nur die im Verlauf der Schrift herausgearbeitete Kritik an den aus seiner Sicht »falschen Propheten« lutherischer Prägung vor, sondern reagiert zugleich auf den von Luther in Wider die himmlischen Propheten erneut aufgebrachten Vorwurf, er habe sich unberechtigt – gleichsam wie ein Wolf – in die Pfarrei Orlamünde gedrängt und seine falschen Lehren verbreitet.17 Daran anknüpfend geht Karlstadt im weiteren Verlauf der Vorrede direkt zum Angriff auf Luther über, dem er vorwirft, ihn wider besseren Wissens zu beschuldigen, die Hauptstücke christlicher Lehre nicht zu kennen bzw. diese zu ignorieren.18 Auch wenn Karlstadt akzeptieren kann, von Luther als ungelehrt bezeichnet zu werden, wehrt er sich doch deutlich gegen den Vorwurf der Blasphemie. In Luthers Aussagen sieht er gleichsam einen »Frontalangriff auf seine Theologie«,19 dem er mit der Anzeige etlicher Hauptartikel christlicher Lehre nun seinerseits entgegentreten möchte. Dabei richtet er sich vor allem an diejenigen, denen seine Lehre nicht so vertraut ist wie den Orlamündern,20 die er aufruft, zu bezeugen, von ihm in den lutherischen Hauptstücken unterwiesen worden zu sein.21 Gleichzeitig hofft er, diejenigen, die zu Unrecht und aus Unverstand und blinder Gefolgschaft zu Luther über ihn richten, zu widerlegen und gleichzeitig den Hochmut und Irrtum Luthers zu Tage zu fördern.22 Dabei stilisiert er sich seinerseits als derjenige, der das Wesen des Evangeliums besser verstanden habe als Luther und geht sogar so weit, seine eigenen Schriften denen der Apostel gleichzusetzen.23

Im Anschluss an die Widmungsvorrede folgt die eigentliche Auseinandersetzung mit dem ersten Teil von Luthers Schrift Wider die himmlischen Propheten, dem Karlstadt zunächst ein sophistisches, aber auch arglistiges und tückisches Verhalten nach Art der Kreter (Advokaten)24 vorwirft.25 Deren Technik bediene sich Luther, indem er in seiner Schrift Vorwürfe gegen Karlstadt vorbringe, die in erster Linie dazu dienten, seinen eigenen Ruhm zu mehren, Karlstadt von der strittigen Abendmahlsfrage abzulenken und ihn dazu zu bringen, auch die Dinge zu kritisieren, in denen sie einer Meinung seien.26 Luther hatte Karlstadt vorgeworfen, nur über die äußeren Dinge zu schreiben bzw. schreiben zu können und die eigentlichen Hauptstücke christlicher Lehre dadurch in Vergessenheit zu bringen.27 Auf diese Weise kehre er die Ordnung Gottes um.28 Diesen Vorwürfen begegnet Karlstadt nun unter Berufung auf seine bisherigen Schriften und Disputationen mit dem Argument, dass die äußeren Dinge nicht ohne Berücksichtigung der Hauptstücke behandelt werden könnten.29 Hierbei stellt er sich erneut in eine Reihe mit den Aposteln, Propheten und Christus selbst, die ebenfalls beides gelehrt hätten und die er nun ebenso wie sich selbst in polemischer Überspitzung vor dem Richterstuhl Luthers sieht.30

Nach diesem einleitenden Absatz setzt sich Karlstadt unter der Überschrift »Von den Hauptstücken« detailliert mit Luthers Darstellung der fünf Hauptstücke christlicher Lehre auseinander,31 auf die Karlstadt einzeln eingeht und erstmals die Unterschiede zwischen ihren Positionen klar definiert. Hierzu bedient sich Karlstadt der Form einer disputatorischen Refutation,32 indem er Luthers Darstellung durch die Gegenüberstellung wörtlicher Zitate aus Wider die himmlischen Propheten und eigener, thesenhafter Ansichten Satz für Satz zu widerlegen sucht. Inhaltlich greift Karlstadt hierbei auf Gedanken und Argumente zurück, die er bereits seit 1521 in seinen Schriften formuliert hatte, fasst sie aber zu einem Gesamtkonzept zusammen.33

Luthers Darstellung seiner Glaubenslehre in fünf »Hauptstücken« – Offenbarung der Sünde durch die Predigt des Gesetzes, Predigt von Evangelium und Sündenvergebung zum Trost angesichts der Erkenntnis der eigenen Sündhaftigkeit, Abtötung des Alten Adam, Werke der Nächstenliebe und Betreiben der Gebote für die Ungläubigen34 – stellt Karlstadt nun in der Anzeige etlicher Hauptartikel christlicher Lehre sein mystisch beeinflusstes Konzept der Gelassenheit gegenüber. Den Kern des Glaubensprozesses, der schließlich zu Gelassenheit führt, bildet dabei die durch Gott vorgenommene Einpflanzung des göttlichen Geistes ins menschliche Herz. Erst hierdurch wird der Mensch befähigt, die Gnade Gottes – offenbart im Kreuzestod Christi – und damit die Sünde zu erkennen und zum Glauben zu gelangen.35 Die Offenbarung der Sünde obliegt also allein dem Geist Gottes und kann nicht – wie aus Karlstadts Sicht von Luther in den ersten zwei Hauptstücken formuliert – durch die reine Predigt des Gesetzes bzw. des Evangeliums und der Sündenvergebung erreicht werden.36 Auch wenn Karlstadt die Notwendigkeit, von der Vergebung der Sünde zu predigen (Lk 24,47), nicht bestreitet, sieht er in der von Luther aus seiner Sicht vorgenommenen Beschränkung hierauf ein Hemmnis der Gläubigen in ihrem Streben nach der Erfüllung des göttlichen Willens.37 Damit mache Luther das Gesetz gleichsam zu einem Abgott.38 Durch die Erkenntnis der Gnade Gottes durch das Kreuz wird der Gläubige der eigenen Sündhaftigkeit gewahr und damit zur wahren Buße im Namen Jesu bereit.39 Diese Erkenntnis nämlich führt nach Karlstadt zu Scham, Trübsal (tribulatio) und Abscheu vor dem eigenen sündigen Leben und damit zum unbedingten, inneren Verlangen nach der Abkehr von der Sünde mit dem Ziel der Willensvereinigung mit Gott, der höchsten Stufe der Gelassenheit.40 Dies geschieht prozesshaft durch die Tötung des alten Adam und die geistige Wiedergeburt als neuer Adam, die durch die Beschneidung des Herzens von allem Kreatürlichen bewerkstelligt wird und den Menschen schließlich zur Christusnachfolge befähigt, die in den Werken der Nächstenliebe zu Tage tritt. Hierbei ist für Karlstadt zentral, dass der Mensch, um die wahren Werke der Nächstenliebe zu tun, weder bereits zur vollkommenen Erkenntnis des Kreuzes Christi gelangt, noch der Prozess der Tötung des Fleisches abgeschlossen sein muss, solange er sie uneigennützig aus der inneren Erkenntnis der Liebe Gottes und des Menschen geschieht.41 Vor diesem Hintergrund kritisiert Karlstadt die von Luther vorgenommene Trennung zwischen der Tötung des sündigen Menschen und den Werken der Nächstenliebe (Hauptstücke drei und vier) durch die Luther aus seiner Sicht zugleich eine ungerechtfertigte Rangfolge der beiden Hauptstücke vornimmt, indem er die Werke des Leidens (Tötung des alten Adam) vor die Werke der Liebe setzt. Für Karlstadt dagegen sind diese beiden Aspekte des Weges zum Glauben untrennbar miteinander verbunden, da sie beide den Drang zur Erfüllung des göttlichen Willens entspringen und damit Gottesliebe ausdrücken.42 Nur auf diese Weise, also durch die Erkenntnis Christi (als Vorbild und Erlöser) und die Werke der Liebe, gelangt der gläubige Mensch zur Freiheit – in Karlstadts Augen die Erkenntnis der Wahrheit Gottes – wodurch er zugleich in der Lage ist, den eigentlichen, inneren Kern der Schrift zu erfassen und danach zu handeln.43 Dies schließt auch die geistliche, aus dem inneren Bedürfnis heraus entstehende Befolgung der biblischen Gesetze ein, in denen für Karlstadt der Bund mit Gott begründet ist.44 Dementsprechend lehnt Karlstadt die von Luther in seinem fünften Hauptstück getroffene Aussage, dass die biblischen (mosaischen) Gesetze und äußeren Werke für die »Rohen und Ungläubigen« betrieben bzw. nur für diese gelten würden,45 kategorisch ab, da dies aus seiner Sicht eine Verleugnung dieses Bundes mit Gott darstellt.46

Zur Untermauerung und Illustration seiner Argumentation geht Karlstadt gemäß seiner eingangs getroffenen Aussage, dass die von Luther dargestellten Hauptstücke untrennbar mit den äußeren Dingen verbunden seien,47 beispielhaft auch auf die »äußeren Dinge« ein. Ein besonderes Augenmerk liegt hier auf der Kritik an den Predigern, die durch ihr unchristliches Verhalten sündigten und damit bewiesen, dass sie die Sünde selbst nicht erkannt hätten48 und daher nicht in der Lage seien, auf die rechte Art vom Gesetz zu predigen. Diese rechte Art der Predigt setze die Erkenntnis der eigenen Sünde voraus und bestehe darin, den Gläubigen diese zu offenbaren, gemeinsam mit ihnen um Gottes Gnade anzurufen und so gemeinschaftlich zum Glauben zu kommen.49 Dies entspricht Karlstadts Grundauffassung, dass die »Starken«, die die göttliche Wahrheit schon (besser) erkannt haben und dadurch frei vom Buchstaben des Gesetzes geworden sind, ihre von Gott erhaltenen Gaben uneigennützig und gottesfürchtig einsetzen, um die »Schwachen« zu unterstützen und so gemeinschaftlich zur Erkenntnis der göttlichen Wahrheit zu gelangen.50 Anknüpfend an die im vierten Hauptstück formulierte Kritik Luthers an seinem bäuerlichen Lebenswandel, insbesondere am Tragen bäuerlicher Kleidung, geht Karlstadt auch nochmals auf sein Selbstverständnis als »neuer Lai« ein.51 Luther hatte ihm und den »falschen Propheten« vorgehalten, hierdurch einen falschen Weg der Tötung des alten Adams zu wählen, indem sie das ihnen von Gott zugewiesene Schicksal nicht annähmen, sondern sich ihr eigenes erwählten.52 Diesem Vorwurf setzt Karlstadt das Vorbild Jesus und der Apostel entgegen, die ebenfalls einfache Kleidung getragen und ihren Lebensunterhalt mit körperlicher Arbeit verdienten hätten.53 Abschließend wendet sich Karlstadt nochmals direkt an seine Anhänger in Orlamünde, die anhand seiner Ausführungen gesehen haben sollten, wie sehr Luther irre.


1Vgl. WA 18, 62–125.
2Zu diesen Schriften siehe KGK VII, Nr. 273–279.
3Vgl. Melanchthon an Thomas Blarer, [Wittenberg], 2. Januar [1525]: »Lutheri responsio edita est« ( 2, 234,9 Nr. 368). Mitte Januar kehrte Karlstadt von einer Reise nach Crailsheim und Nördlingen nach Rothenburg zurück; hierzu siehe die Einleitungen zu KGK 285 und KGK 286.
6Zu dieser Reise siehe die Einleitungen zu KGK 285 und KGK 286.
7Zur Datierung der vorliegenden Schrift siehe auch Zorzin, Karlstadts Dialogus, 35. Dieser geht von einer Entstehung bis spätestens Ende Januar aus. Die von Barge, Karlstadt 2, 287 angestellte Vermutung, die vorliegende Schrift sei als letzte der drei Erwiderungsschriften und damit erst nach dem 27. Februar entstanden, ist vor dem Hintergrund des oben Dargestellten abzulehnen.
8Zur Druckgeschichte dieser drei Schriften siehe KGK 290 (Textstelle).
10Kaufmann, Mitte der Reformation, 435 Anm. 780 sieht hierin ein Indiz dafür, dass Karlstadt am Redaktionsproszess der Schrift nicht beteiligt war, was mit Blick auf ihre Druckgeschichte plausibel erscheint. Zur Druckgeschichte der Schrift siehe auch KGK 290.
11Vgl. KGK 288 (Textstelle). Damit widmet Karlstadt erstmals seit der im Dezember 1521 erschienenen Druckfassung seiner Predigt vom Empfang des Sakraments (KGK IV, Nr. 210, hier S. 730, Z. 7f.) eine Schrift einer Anhängergruppe innerhalb einer Gemeinde; vgl. Zorzin, Flugschriftenautor, 160. Zu dieser Grußformel siehe unten KGK 288 (Anmerkung).
12Hierzu siehe die Acta Jenensia (KGK VII, Nr. 267, S. 189; S. 206, Z. 10 – S. 208, Z. 8).
13Darüber hinaus kündigt er weitere Schriften zu den Hauptstücken an, die er aufgrund seiner bedrängten Situation in den folgenden Jahren jedoch nie realisiert haben dürfte; vgl. KGK 288 (Textstelle). Die Orlamünder dürften hier überdies durchaus als pars pro toto für die Christen gelten, die durch die der »wahren« Lehre Karlstadts durch die »falsche« Lehre Luthers entfremdet werden. Hierzu siehe auch unten KGK 288 (Anmerkung).
14Vgl. Zorzin, Flugschriftenautor, 174f. Diese Anlehnung an die paulinischen Briefe wird auch in der Grußformel zu Beginn der Schrift deutlich (KGK 288 (Textstelle)), mit der sich Karlstadt an die von Paulus in seinem ersten Brief an die Korinther genutzte Grußformel (1. Kor 1,1–3) anlehnt; vgl. Zorzin, Flugschriftenautor, 175 Anm. 46. Die abschließende Ansprache der Orlamünder (KGK 288 (Textstelle)) erfüllt in diesen Zusammenhang die Funktion einer Schlussformel.
15KGK 288 (Textstelle). Diese Selbstbezeichnung verknüpft mit dem Vorwurf, seine Lehre nicht verteidigen zu dürfen, taucht nach seiner Ausweisung aus Sachsen regelmäßig in den Schreiben Karlstadts auf, vgl. sein Schreiben an die Orlamünder Männer und Frauen (KGK VII, Nr. 272 mit Anm. 4), aber auch in Von dem neuen und alten Testament (KGK 290 (Textstelle)).
16KGK 288 (Textstelle). Zu Karlstadts Verständnis der göttlichen Berufung zum Predigeramt siehe Ursachen seines Stillschweigens und von rechter Berufung (KGK VI, Nr. 248); zur Interpretation der hier genutzten Selbstbezeichnung als »Prediger des Kreuzes Christi« siehe Hasse, Beobachtungen, 69f.
17Vgl. Luthers Wider die himmlischen Propheten: »Ynn dissen unrad und unglueck hat D. Carlstad bracht, acht ich, das er unberuffen seyn ding thut und seyn beruffen mutwiliglich faren lies, Denn er hat sich zu Orlamuende alls eyn wolff eyngedrungen, Daruemb war es nicht mueglich, das er was gutts solt anfahen« (WA 18, 94,13–16).
18Vgl. KGK 288 (Textstelle). Hiermit bezieht sich Karlstadt auf die von Luther in Wider die himmlischen Propheten (WA 18, 65,2–66,11) definierten sog. Hauptstücke der christlichen Glaubenslehre und ihre Bedeutung für den Heilsprozess. In Bezug auf die Begrifflichkeit nutzt er den von Luther in diesem Zusammenhang eingeführten Begriff »Hauptstück« in der Folge auch synonym zum von ihm präferierten Begriff »Hauptartikel«. Diese Differenzierung ergibt sich daraus, dass für Karlstadt auch Taufe, Messe und Bilderentfernung zu den Hauptstücken zählen, während sie Luther als »äußere Dinge oder Werke« bezeichnet, die von den »Hauptstücken« getrennt zu behandeln seien; vgl. Wider die himmlischen Propheten: »So soll nu hie unser vleys seyn, das wyr weyt von eynander scheyden, die zwo lere: Eyne, die von den heubtstücken leret, das gewissen ym geyst fur Gott zu regirn. Die andere, die von eusserlichen dingen odder wercken leret« (WA 18, 63,21–23).
20Vgl. KGK 288 (Textstelle). Im Sinne seines Verständnisses der teilnehmenden Gemeinde und der Mündigkeit der Laien in Glaubensfragen, hatte Karlstadt seine Lehren dort nicht nur in Predigten sondern auch im Rahmen gemeinschaftlicher Bibelauslegung (lectiones und collationes) mit den Laien verbreitet; zur Gemeindereform in Orlamünde insgesamt vgl. Joestel, Ostthüringen, 83–103 sowie Kotabe, Laienbild, 252–259. Karlstadt kündigt weitere Schriften zu den Hauptstücken an, die den Orlamündern als Erinnerung an das Gelernte dienen sollen; siehe oben KGK 288 (Anmerkung).
24Zur Wortbedeutung siehe KGK 288 (Anmerkung).
25Vgl. KGK 288 (Textstelle). Gleiches war ihm von Urbanus Rhegius in seiner Schrift Wider den neuen Irrsal (VD 16 R 2014) vorgeworfen worden, vgl. Bl. Aii.
27Vgl. Wider die himmlischen Propheten: »Daraus auch ein iglicher mercke, wie D. Carlstadts geyst eyn falscher, boser geyst ist, der yhm nicht genugen lesst, dass er die hohen rechten stueck so schweyget und ligen lesst und die geringsten so auff bleset, alls lege der wellt ferligkeit mehr dran denn an Christo selbst, sondern zwingt auch uns von solchen hohen noettigen stuecken erunter zu den geringen, das wyr mit yhm die zeyt verlieren, und in fahr geben, die hohen stueck zu vergessen« (WA 18, 66,26–67,2).
28Vgl. Wider die himmlischen Propheten: »Aus dem sihestu nu, dass D. Carlstad und seyne geyster das unterst zu oberst, das gerinst fur das beste, das letzte fur das erste setzt, und will doch gesehen seyn der allerhohest geyst mit feddern und mit all gefressen habe« (WA 18, 66,17–10).
29Vgl. KGK 288 (Textstelle). Gleichzeitig wirft er Luther aber auch eine gewisse Doppelzüngigkeit vor, indem er ihn darauf hinweist, selbst von den äußeren Dingen geschrieben zu haben; vgl. KGK 288 (Textstelle).
31Vgl. WA 18 65,2–66,11; hierzu siehe auch oben KGK 288 (Anmerkung).
32Zu dieser Form der akademischen Auseinandersetzung siehe auch die Einleitung zu Karlstadts Erklärung zu 1. Kor 10,16 (KGK 289), in der er sich ebenfalls dieser Technik bediente.
33Die Anzeige etlicher Hauptartikel christlicher Lehre bildet somit eine umfassende Zusammenstellung von Karlstadts bisheriger Lehre; vor allem seiner mystisch fundierten Gelassenheitstheologie. Gleichzeitig offenbart sich hier jedoch auch ein tiefes Missverständnis der gegenseitigen Positionen, das – wie auch in Luthers Wider die himmlischen Propheten – durch die polemische Überspitzung und Verkürzung in der Darstellung der Unterschiede nach außen hin noch verstärkt wird. Inwieweit es sich hierbei um ein bewusstes oder unbewusstes Missverstehen der Lehren des jeweils anderen handelt, muss an dieser Stelle allerdings offenbleiben.
35KGK 288 (Textstelle). Zur Gelassenheit als höchster Stufe der Erkenntnis des Willens Gottes siehe auch Von Mannigfaltigkeit des Willens Gottes (KGK VI, Nr. 239), Was gesagt ist: Sich gelassen (KGK VI, Nr. 241) sowie Von den zwei höchsten Geboten der Liebe (KGK VI, Nr. 247).
37Vgl. KGK 288 (Textstelle). Karlstadt sieht die Verkündigung des Evangeliums von der Sündenvergebung hier dagegen als unterstützendes Element im Glaubensprozess. Darüber hinaus wirft er Luther vor, mit seiner Beschränkung auf die Sündenvergebung die weiteren im Evangelium verheißenen Gaben (»Schätze«) Gottes aus dem Blick zu verlieren.
38KGK 288 (Textstelle). Zu diesem Vorwurf siehe auch KGK 290 (Textstelle).
39Vgl. KGK 288 (Textstelle). Die Predigt von der Sündenvergebung dient vor diesem Hintergrund in erster Linie der tieferen Erkenntnis des in die Seele gepflanzten göttlichen Geistes und der Verstärkung des Verlangens nach Erfüllung des göttlichen Willens.
40Vgl. KGK 288 (Textstelle). Diese innere Buße wird durch die Taufe nach außen sichtbar, durch die der Gläubige bereits jetzt an der Gnade Gottes teilhaftig wird; sie stellt gleichsam die Tötung des alten Adam, also die Abkehr vom alten, sündigen Menschen, und die geistliche Wiedergeburt als neuer Adam dar; vgl. KGK 288 (Textstelle). Aus der Überzeugung heraus, dass der Mensch fähig sein müsse, seine eigene Sündhaftigkeit zu erkennen und sie aus dieser Erkenntnis heraus zu bekämpfen (den alten Adam abzustreifen), begründete Karlstadt seine Ablehnung der Kindertaufe, vgl. Dialogus von dem fremden Glauben und der Kindertaufe (KGK 306, KGK 306 (Textstelle)).
41Vgl. KGK 288 (Textstelle). Zum Verhältnis von Gottesliebe und Menschenliebe bei Karlstadt siehe Von den zwei höchsten Geboten der Liebe (KGK VI, Nr. 247, S. 236f. und S. 260–261).
42Vgl. KGK 288 (Textstelle). In diesem Zusammenhang wirft er Luther auch vor, die Liebe nicht als die höchste Gabe Gottes anzusehen; vgl. KGK 288 (Textstelle). Zur Überzeugung Karlstadts, dass der Gläubige auch schon im irdischen Leben in der Lage ist, Gutes zu tun, siehe auch Von Mannigfaltigkeit des Willens Gottes (KGK VI, Nr. 239, S. 40, Z. 23 – S. 42, Z. 28) sowie Von den zwei höchsten Geboten der Liebe (KGK VI, Nr. 247, S. 253, Z. 10–20 mit Anm. 139).
43Vgl. KGK 288 (Textstelle). Analog dazu sind auch nur diejenigen gute Herrscher, Richter und Bischöfe, die nicht aus den äußeren Gesetzen, sondern aus ihrem Herzen, also aus der Erkenntnis Gottes heraus handeln; vgl. KGK 288 (Textstelle). Hierzu siehe auch Selig ohne Fürbitte Marias (KGK VI, Nr. 244, S. 196 Z. 16–18).
44Zum Verständnis des Bundes mit Gott im Gesetz bei Karlstadt siehe auch Ob man gemachfahren soll (KGK VII, Nr. 273, S. 284–288).
45Vgl. WA 18, 66,3–11 (wie KGK 288 (Anmerkung)). Luther hatte in seinen weiteren Ausführungen zudem die Geltung des mosaischen Gesetzes auf die Juden beschränkt und seine Bedeutung für die Christen auf den Charakter eines natürliches Gesetz begrenzt; vgl. Wider die himmlischen Propheten: »Darumb las man Mose der Juden Sachssen spiegel seyn, und uns Heyden unverworren damit, gleich wie Franckreich den Sachssen spiegel nicht achtet und doch ynn dem naturlichen gesetze wol mit yhm stymmet etc. Warum hellt und leret man denn die zehen gepot? Antwort: Darumb. Das die naturlichen gesetze nyrgent so seyn und ordentlich sind verfasset als ynn Mose. Drump nympt man billich das exempel von Mose« (WA 18, 81,14–20). Mit seiner Kritik am mosaischen Gesetz zielte Luther auf eine angebliche Judaisierung der christlichen Gemeinden durch Karlstadt, der die Befolgung der atl. Gesetze (Sabbat, Bann- und Rechtsordnung) wieder einführen würde, sowie gegen eine unterstellte Rückkehr der jüdischen Opfertheologie bei Karlstadt, die er als Formen der »mortificatio carnis« geißelte; vgl. Von dem Sabbat (KGK VII, Nr. 252, S. 64f).
48Vgl. KGK 288 (Textstelle). Karlstadt bezieht sich hier auf die von ihm bereits in seinen früheren Schriften geäußerte Kritik an den altkirchlichen Predigern, die er hier auf die Prediger lutherischer Prägung überträgt.
50Vgl. KGK 288 (Textstelle). Zu diesem Gedankengang siehe bereits Von den zwei höchsten Geboten der Liebe (KGK VI, Nr. 247, S. 261, Z. 18–21); zu den verschiedenen Stufen des Glaubens siehe auch Wie sich Glaube und Unglaube halten (KGK VII, Nr. 274, S. 317–319).
51Zu Karlstadts Verständnis vom »neuen Lai« siehe Zorzin, Gelassenheit sowie Von Mannigfaltigkeit des Willens Gottes (KGK VI, Nr. 239).
52Vgl. WA 18, 65,27–30 (wie KGK 288 (Anmerkung)). Hierzu siehe auch Zorzin, Gelassenheit, 243–247. Um diesen Vorwurf zu entkräften, verweist Karlstadt u.a. auf den Brief, den er seinen Anhängern in Orlamünde nach seiner Ausweisung aus Sachsen hatte zukommen lassen und in dem er sie zur Annahme des ihnen auferlegten Schicksals angehalten hatte; vgl. KGK 288 (Textstelle). Zu diesem Brief siehe auch KGK VII, Nr. 272.
53Vgl. KGK 288 (Textstelle). Hierzu verweist er gleichzeitig auf das Vorbild und die Lehre des Paulus, der es ebenso gehalten habe; vgl. KGK 288 (Textstelle).

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