Nr. 287
Andreas Karlstadt an Martin Luther
[Rothenburg ob der Tauber] , 1525, 18. Februar

Einleitung
Bearbeitet von Stefanie Fraedrich-Nowag

1. Überlieferung

Handschrift:

[a:] StA Bern, B II 72, fol. 17r–18r

Eine Abschrift von unbekannter Hand mit Korrekturen Spalatins, Überschrift von Spalatins Hand »A. Carolostadius ad Lutherum; Die XVIII. Februarii«.

Editionen:
  • Enders V, 126–128 Nr. 889.
  • WA.B 3, 441f. Nr. 830.

Beilage: Georg Spalatin an Friedrich III., [Wittenberg], 1525, nach 4. März

Handschrift:

[a:] LATh-HStA Weimar, EGA, Reg.N, Nr. 623, fol. 11r–14r

Ein Autograph, fol. 14v Dorsalvermerk von anderer Hand: »was doctor Martinus doctor Karlstats halben umb glait fur selbigen getan«.

Edition:

Literatur:

2. Entstehung und Inhalt

Mit dem vorliegenden Schreiben antwortete Karlstadt auf den Brief Luthers vom 23. Dezember 1524, in dem dieser ihm eine Zusammenkunft zur Beilegung ihrer Differenzen vorgeschlagen und ihm angeboten hatte, ihm zu diesem Zweck freies Geleit nach Sachsen zu verschaffen oder sich außerhalb des Kurfürstentums mit ihm zu treffen.1 Da sich Karlstadt wahrscheinlich ab Mitte Dezember in Begleitung von Ehrenfried Kumpf aus Rothenburg kommend zunächst in Crailsheim und später im Nördlingen aufhielt,2 erreichte ihn der Brief Luthers erst verspätet. Der in Bamberg ansässige Joachim Camerarius, ein Vertrauter und Anhänger Luthers, der in diesem Fall wohl als Bote fungierte,3 berichtete in der ersten Januarhälfte nach Wittenberg, Karlstadt habe sich nach Nördlingen begeben,4 hatte er ihn also vermutlich in Rothenburg nicht angetroffen. Wohl Mitte Januar kehrte Karlstadt nach Rothenburg zurück, war jedoch aufgrund eines durch den Rat gegen ihn erlassenen Beherbergungs- und Verpflegungsverbots und in Ermangelung anderer Alternativen ab dem 27. Januar 1525 gezwungen, sich im Verborgenen zu halten.5 Auf welchem Wege ihn der Brief Luthers schließlich erreichte, ist unklar.

Karlstadt bedauert in seiner Antwort dann auch zunächst, dass ihn der Brief nicht früher erreicht habe, geht anschließend zustimmend auf das Angebot Luthers zur Überwindung ihrer Differenzen ein und fordert ihn auf, ihm, wie in seinem Schreiben in Aussicht gestellt, freies Geleit bei den sächsischen Fürsten zu verschaffen. Ohne ein solches sei er nicht bereit, sich auf den Weg zu machen und sich damit unnötig in Gefahr zu begeben, gebe es doch Gerüchte, dass die Fürsten ihm nicht wohl gesonnen seien, wofür u.a. Luther verantwortlich gemacht werde.6 Mit Blick auf die möglichen Verhandlungen zeigt er sich zu einer sachlichen Auseinandersetzung bereit und fordert Luther auf, gemeinsam den alten Adam abzulegen und den Harnisch der Wahrheit (Eph 6,11–17) anzulegen, sich also auf Basis des Wortes Christi auseinanderzusetzen, dem er sich wie Schnee dem Feuer ergeben möchte.7

Im Postscriptum bittet Karlstadt Luther darum, seine Verwandten in Bezug auf sein Schicksal zu beruhigen. Es sei der Wille Gottes gewesen, dass er »gepeinigt und angefochten« worden sei, dennoch habe er die ganze Zeit unter seinem Schutz gestanden. Damit verweist Karlstadt nicht nur allgemein auf die Schwierigkeiten, denen er sich seit seiner Ausweisung aus Sachsen ausgesetzt war, sondern stellt zugleich auch einen Bezug zu seiner Buß- und Gelassenheitstheologie her, in der die innere und äußere Anfechtung gleichsam die Vorstufe auf dem Weg zur Erlangung der Gelassenheit darstellen.8 Abschließend bringt er seine Hoffnung zum Ausdruck, dass Gott dafür sorgen werde, dass die vorgeschlagene Zusammenkunft zu seinen Ehren zustande komme und fordert Luther erneut auf, ihm mit dem gleichen Boten einen Geleitbrief zu schicken – andernfalls müsse dieser ihn in seinem Elend besuchen, was er um Luthers willen nicht wolle.

Das Schreiben Karlstadts traf am 2. März in Wittenberg ein und wurde dort mit deutlichen Missfallen und Misstrauen aufgenommen – sowohl Luther als auch Melanchthon bescheinigten ihm einen gewissen Hochmut.9 Dennoch verfasste Luther am 4. März wie zugesichert ein Gesuch an Friedrich III., in dem er um freies Geleit für Karlstadt für eine Zusammenkunft auf kursächsischem Territorium bat, gleichzeitig jedoch auch Zweifel zum Ausdruck brachte, dass eine solche Unterredung zu einem Ausgleich führen würde. Dass er sich dennoch für eine solche einsetzte, diente wohl in erster Linie dem Zweck, mögliche Vorwürfe der Gegenseite im Vorhinein zu entkräften, er habe sich einer Diskussion verweigert.10 Dieses Schreiben überschickte er zusammen mit Karlstadts Brief an Georg Spalatin mit der Bitte, sich beim Kurfürsten für dieses Anliegen einzusetzen.11 Spalatin leitete es wiederum mit einem hier als Beilage abgedruckten Begleitschreiben an Friedrich III. weiter, in dem er nicht nur Luthers Schreiben sowie das Schreiben Karlstadts in deutscher Übersetzung (»verteutscht«) wiedergab, sondern dem Kurfürsten außerdem nahelegte, dem Gesuch zu entsprechen,12 was Friedrich III. jedoch nach längeren Beratungen mit seinen Räten am 20. März 1525 schließlich ablehnte.13


1Dieses Schreiben ist verschollen; vgl. KGK VII, Nr. 284. Zu seinem Inhalt siehe auch Luther an Spalatin, Wittenberg, 29. Dezember 1524: »Scripsi ad eum spe tali, quod conveniamus & de pace tractemus, si Christus volet.« (WA.B 3, 409,5f. Nr. 811) sowie Luther an Friedrich III., Wittenberg, 4. März 1525: »Nu ists war, ich habe yhm verheyssen, wo er sich lassen freundlich wysen oder mit myr unterreden […] wollt ich besehen, ob ich yhm eyn geleyd erwerben mocht, odder woll an eynen ort ausser E. cf. G. lande, so ichs nicht erworbe, zu yhm kome.« (WA.B 3, 449,6–10 Nr. 837).
2Vgl. die Bauernkriegschronik des Rothenburger Stadtschreibers Thomas Zweifel: »So furet Ernfrid Kumpf genannten Karelstat mit ime gein Crelshaim zu dem pfarrer [Adam Weiß] daselbsten, villeicht denselben seiner opinion auch zu berichten.« (Baumann, Quellen, 17). Zu Karlstadts Reise nach Crailsheim und Nördlingen siehe die Einleitungen zu KGK 285 und KGK 286.
3Vgl. Luther an Spalatin, Wittenberg, 4. März: »Mitto litterae Carolstadii ad me datae, Mi Spalatine, quibus respondet meis per Ioakim ad eum datis, ut vides« (WA.B 3, 450,5f. Nr. 838; zur deutschen Übersetzung Spalatins siehe KGK 287 (Textstelle)).
4Vgl. Luther an Spalatin, Wittenberg, 22. Januar 1525: »Joachimus noster scribit, Carolstadium concessisse Nordlingam« (WA.B 3, 426,20f. Nr. 819). Der Brief Camerarius' traf am 19. Januar in Wittenberg ein (siehe 2, 239,5–240,6 Nr. 371), dürfte also Anfang Januar 1525 entstanden sein. Barge, Karlstadt 2, 250f. mit Anm. 255 setzt den Aufenthalt Karlstadts in Nördlingen hingegen auf Mitte Februar. Dem widersprechen sowohl die Aussagen Camerarius' sowie Ehrenfried Kumpfs vom 26. März, wonach »der Karlstat seyder des edicts [Edikt des Rates der Stadt Rothenburg vom 27. Januar 1525] aus der statt [Rothenburg] nye komen« (Baumann, Quellen, 92). Zur Datierung dieses Aufenthalts siehe auch die Einleitung zu KGK 285.
5Hierzu siehe die Einleitungen zu KGK 285 und KGK 293.
8Zu Rolle der Anfechtung in Karlstadts mystisch beeinflusster Bußlehre siehe u.a. Missive von der Tugend Gelassenheit (KGK III, Nr. 166). Ausgangspunkt seiner Darlegungen bildete hier ebenfalls eine Verfolgungssituation – die Exkommunikation und die päpstliche Bannandrohungsbulle Exurge Domine, die Karlstadt als Anfechtung (affilictio) und Trübsal (tribulatio) interpretierte und der mit Gelassenheit begegnet werden müsse; vgl. KGK III, Nr. 166, S. 387f.
9Vgl. Melanchthon an Joachim Camerarius, Wittenberg 6. März 1525: »Erant literae sic satis humanae, sed non nihil tamen habebant aculeorum. Postulabat tabellarius eo statim die dimitti. […] Videt adplaudere multitudinem, cuius favorem ac gratiam iam olim mihi visus est pluris quam divina humanaque omnia facere. Aut paliggenes'ia| quadam immutatus est aut incredibili ambitione ›mej'uei‹. Libenter enim utor Demosthenico verbo.« ( 2, 258,17–259,25 Nr. 379) sowie Luther an Spalatin, Wittenberg, 4. März 1525: »quamvis enim parum sperem, illum plausu vulgi inflatum et induratum cedere posse.« (WA.B 3, 450,17f. Nr. 838; zur deutschen Übersetzung Spalatins siehe KGK 287 (Textstelle)).
10Vgl. Luther an Friedrich III., Wittenberg, 4. März 1525: »[…] damit gespurt wurde, das ia nicht an myr feylen sollt, was zu ehren dem heyligen Evangelio und unser aller heyl, gutt und nutzlich wurde angesehen. Ist derhalben […] meyn untertenige bitt, […] dem selben D. Carlstad eyne zeytlang mit myr zu reden [ein] schrifftlich geleyt gnediglich geben, auff das er nicht aber klagen [dürfte], Es feyle an yhm nicht, sondern an myr. […] Hillfts so helffs, denn ich habe wenig hoffnung zu yhm, so stoltz als seyne schrifft [Karlstadts Brief vom 18. Februar] lautet.« (WA.B 3, 449,16–450,1 Nr. 837). Dieses Gesuch überschickte er mit dem Schrieben Karlstadts an Spalatin, der es dann seinerseits an Friedrich III. weiterleitete; vgl. KGK 287 (Textstelle).
11Vgl. Luther an Spalatin, Wittenberg, 4. März 1525 (WA.B 3, 450f. Nr. 838).
13Zum Entscheidungsprozess am kurfürstlichen Hof siehe KGK 291.

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