1. Überlieferung
Handschrift:
Fol. 68r–v in reinschriftl. Ausfertigung von unbekannter Hand; fol. 69v mit Dorsalvermerk (vermutlich Ansbacher Kanzleihand): »Doctor Karlstats Suplication, an mein g'nädigen' h'errn' marggraf Casimirn gestellt, und durch Contzen Gutman Castner zu Kitzingen uberantwurt, das in sein f'ürstlich' g'naden' inn seiner g'naden' furstenthumb unntterkomen lasse und verglaitten sollt.« Darunter die Beschlussnotiz von derselben unbekannten Hand, die den Bittbrief geschrieben hat: »No'ta' Non fiat«.
Editionen:
- Lith, Reformations-Historie, 126–128.
- Quellen Wiedertäufer Brandenburg, 2f. Nr. 4.
- Bubenheimer, Andreas Rudolff Bodenstein, 46f.
Literatur:
- Schornbaum, Kasimir, 66 und 195f. Anm. 198.
- Barge, Karlstadt 2, 310f.
- Bubenheimer, Andreas Rudolff Bodenstein, 46f.
- Vice, Kumpf, 154–161.
Beilage 1: Eucharius Steinmetz an Thomas Zweifel, [Würzburg] 24. Januar 1525
Die Ausfertigung unten am Seitenrand ist ein Kanzleivermerk von späterer Hand: »D. Steinmetzens sentiment vom Carolstadio den man auß der Statt schaffen sollt. 1525«.
Die Reinschrift der Chronik »buch der bewrischen uffrur« des Rothenburger Stadtschreibers Thomas Zweifel.
Edition:
- Baumann, Quellen, 18f.
Beilage 2: Edikt des Rothenburger Rates gegen Karlstadt vom 27. Januar 1525
[= Suppl. 3], fol. 25r–26r (Abschrift von Kanzleihand).
Es handelt sich hierbei um eine Abschrift von Kanzleihand.
Es handelt sich um eine Reinschrift, wie oben Anm. 1.
Edition:
- Baumann, Quellen, 19f.
Beilage 3: Dekret der Ansbacher Kanzlei vom 1. Februar 1525
Handschrift:
Es handelt sich um eine Kanzlei-Reinschrift.
Editionen:
- Lith, Reformations-Historie, 129f.
- Quellen Wiedertäufer Brandenburg, 3f. Nr. 5.
2. Entstehung und Inhalt
Vorgeschichte
Am 18. September 1524 wurde Andreas Karlstadt aus Kursachsen ausgewiesen und machte sich einige Tage später auf den Weg nach Zürich. Er folgte seinem Mitstreiter und Schwager Gerhard Westerburg, der sich etwa vier Wochen früher auf dieselbe Reise begeben hatte, um in der Schweiz Karlstadt-Manuskripte zum Druck zu bringen. Karlstadt bewegte sich vermutlich auf dem kürzesten Weg durch Franken – mit der Zwischenstation Rothenburg ob der Tauber Ende September – und Oberschwaben in Richtung Zürich.2 Dort traf er Mitte Oktober 1524 beim Kreis der radikalen Zwingli-Kritiker um Konrad Grebel ein. Karlstadt und die Zürcher »Brüder« verband seit etwa Mai 1524 ein Briefwechsel.3 In Basel, wo Karlstadt gegen Ende Oktober 1524 mit Westerburg zusammentraf, beabsichtigte er, zwei von ihm selbst mitgeführte Manuskripte drucken zu lassen.4
Auf ihrem gemeinsamen Rückweg von Basel in Richtung Thüringen in der ersten Novemberhälfte 1524 führten Karlstadt und Westerburg wohl eine beträchtliche Menge an Druckexemplaren von Karlstadt-Schriften mit sich und sorgten selbst für deren Verbreitung, namentlich in Straßburg und Heidelberg,5 aber wohl auch in den weiteren Orten, durch die sie zogen. Diese neuen theologischen Publikationen mit ihrer offenen Polemik gegen Luther erregten großes Aufsehen, namentlich in den Städten Süddeutschlands. Am Vorabend des sog. Bauernkrieges verstärkten sie den öffentlichen Druck auf die Obrigkeiten, kirchliche Reformen vorzunehmen.
Auf der Rückreise in Richtung Jena und Orlamünde erreichten Karlstadt und Westerburg nach Mitte November 1524 Schweinfurt. Während Karlstadt hier zurückblieb, zog Westerburg allein weiter und beförderte ein Schreiben Karlstadts an die Regierung in Weimar,6 mit der Bitte, ihn zur Regelung seiner Angelegenheiten erneut nach Kursachsen einreisen zu lassen.7 Außerdem wollte er seine schwangere Ehefrau und den wohl im Frühsommer 1523 geborenen Sohn, die noch in Orlamünde lebten, zu sich nehmen. In Jena fand Westerburg den an ihn ausgestellten Befehl vom 1. Oktober 1524 zum Verlassen des Landes vor und protestierte dagegen.8 Karlstadt, der in Schweinfurt auf Bescheid wartete, erhielt gegen Ende November das auf den 26. November 1524 datierte Antwortschreiben der Weimarer Räte, das ihm die Wiedereinreise verwehrte.9 Aus Kursachsen ausgewiesen, ohne Geleit und schützenden Aufenthaltsort,10 bewegte sich der prominente, an der Seite Luthers vom Papst gebannte und vom Wormser Edikt und den folgenden Reichsmandaten bedrohte Karlstadt nun in schwerer Bedrängnis.
Von Schweinfurt über Kitzingen nach Rothenburg
Karlstadt wandte sich zunächst nach Kitzingen, wo er wohl Anfang Dezember 1524 eintraf. In dieser an die Markgrafen von Brandenburg-Ansbach verpfändeten Landstadt fungierten Karlstadts Vertrauter Konrad Gutmann11 als markgräflicher Kastner und der ihm bekannte frühere Wittenberger Student Christoph Hoffmann12 als Ratsprädikant. In Kitzingen verbrachte Karlstadt »etliche Tage«, konnte aber wegen der Nachrede, die ihm seit seiner Ausweisung aus Kursachsen anhaftete, nicht »unterkommen«.13 Es war den Kitzingern nur zu gut bekannt, dass ihr Landesherr, Markgraf Kasimir von Brandenburg-Ansbach, das Auftreten frei herumziehender Prediger entschieden ablehnte.14 Markgraf Kasimir verdächtigte diese, Aufruhr zu säen oder zumindest Unruhe zu stiften.15 Die unterwegs von Karlstadt und Westerburg selbst verbreiteten neuen Schriften Karlstadts, in denen er Luther direkt angriff, taten ihr Übriges.
Der seit der Veröffentlichung seiner Schrift Von Abtuung der Bilder (KGK V, Nr. 219) im Februar 1522 immer deutlicher als Protagonist einer von der Wittenberger Reformation abweichenden Richtung hervorgetretene Karlstadt musste also von Kitzingen aus weiterziehen und traf wohl noch vor Mitte Dezember 1524 in Rothenburg ob der Tauber ein.16 Erste Bezugspersonen in der Reichsstadt waren für ihn der Schulmeister Valentin Ickelsamer, der in Wittenberg studiert hatte,17 und der evangelisch gesinnte Ratsprädikant Johannes Teuschlein, dem Karlstadt noch in Wittenberg Gastfreundschaft gewährt hatte.18 Gleichwohl blieb Karlstadt ein sicheres Unterkommen in Rothenburg verwehrt.
Im Bistum Würzburg ging man nämlich – worauf in Rothenburg Rücksicht zu nehmen war – seit dem Reichstagsabschied von 18. April 1524 entschieden gegen Protagonisten der evangelischen Bewegung vor, auch die Regierung der eine Vormachtstellung in der Region anstrebenden brandenburgischen Markgrafentümer Ansbach und Kulmbach hatte am 5. Dezember 1524 einen Befehl erlassen, der bei Strafe die Verbreitung von Schriften Karlstadts und Müntzers verbot.19 Unter dem Eindruck von Luthers Brief an die Fürsten zu Sachsen von dem aufrührerischen Geist fahndete man nach aus Sachsen ausgewiesenen »Jüngern« Müntzers und Karlstadts, da ein solcher heimlicher Prediger bereits in der ersten Novemberhälfte in Erlangen aufgetreten sei.20 Am 16. Dezember 1524 fasste auch der Rat der Reichsstadt Nürnberg den Beschluss, die Verbreitung der Schriften Karlstadts zu unterbinden und aufgefundene Exemplare zu beschlagnahmen.21 Über das markgräflich-ansbachische Verbot von Karlstadt-Schriften hatte der Rothenburger Stadtschreiber Thomas Zweifel den reichsstädtischen Rat informiert.22 Der ohnehin mehrheitlich gegen die evangelische Bewegung eingestellte Rat konnte das markgräfliche Verbot für sein Hoheitsgebiet nicht ignorieren, so dass Karlstadt auch in Rothenburg über keine Bleibe verfügte.23 Dies war offenbar der Grund, warum Karlstadt bereits Mitte Dezember 1524 in die Reichsstadt Nördlingen weiterzog.
Reise nach Crailsheim und Nördlingen (Dezember 1524 / Januar 1525)
Für eine Reise etwa zu diesem Zeitpunkt spricht die Nachricht von Joachim Camerarius, die Anfang Januar 1525 aus Bamberg in Wittenberg eintraf, dass »Karlstadt nach Nördlingen gegangen sei«.24 Dieser Camerarius zugetragenen Information entsprechend muss Karlstadt – wenn man die Entfernungen und Übermittlungsdauer von Nachrichten berücksichtigt – Mitte Dezember 1524 nach Nördlingen aufgebrochen sein. Begleitet von dem Rothenburger Ratsherrn Ehrenfried Kumpf, einem führenden Mitglied der evangelischen Bewegung der Reichsstadt,25 suchte Karlstadt freilich zuerst die etwa 40 Kilometer südwestlich gelegene brandenburg-ansbachische Landstadt Crailsheim mit ihrem Reformator Adam Weiß auf.26 Die dann folgende Zusammenkunft Karlstadts mit Theobald Billican in Nördlingen bezeugt auch der Brief eines unbekannten Autors aus dem Jahr 1525, der freilich in der Rückschau ohne exaktere Zeitangabe davon berichtete.27
Wie lange sich Karlstadt bei Billican um die Jahreswende 1524/25 in Nördlingen aufhielt und von seiner Reise durch ansbachisches Territorium nach Rothenburg zurückkehrte, ist unklar.28 Karlstadt erzählte Billican offenbar vom Scheitern des Johannes Sylvius Egranus als Pfarrer in Kulmbach.29 Dieser »Schiffbruch« wurde etwa Mitte Dezember 1524 bekannt und bietet einen Anhaltspunkt für die ungefähre Datierung der Reise Karlstadts nach Crailsheim und Nördlingen. Die Reise von Rothenburg über Crailsheim nach Nördlingen und wieder zurück bedeutete eine Wegstrecke von mindestens 155 Kilometern. Vorstellbar ist also, dass Karlstadt Mitte Dezember zusammen mit Kumpf aus Rothenburg aufbrach und spätestens Mitte Januar 1525 wieder dorthin zurückkehrte. Als sich Karlstadt jedenfalls im Januar 1525 »wieder« in Rothenburg befand – so der Brief des würzburgischen Syndikus Dr. Eucharius Steinmetz30 an Thomas Zweifel31 (Beilage 1) –, konnte er dort weiterhin nicht öffentlich in Erscheinung treten.32 Immerhin war es ihm hier, im Rothenburger Versteck, möglich – der Ort und Umstände der Abfassung dieser Schriften waren bislang nicht sicher ermittelt –, seine ausführliche dreiteilige Antwort auf Luthers vernichtenden Angriff Wider die himmlischen Propheten auszuarbeiten.33
Die frühere Forschung nahm an, Karlstadt habe die Reise nach Crailsheim und dann nach Nördlingen zu Theobald Billican, dem Ratsprädikanten der Reichsstadt, erst nach dem 27. Januar 1525 unternommen, also nach der Publikation des Edikts des Rothenburger Rats gegen Karlstadt am 27. Januar (Beilage 2) und nach der Ablehnung des hier edierten Bittgesuchs an Markgraf Kasimir am 1. Februar34 Dem widerspricht jedoch die spätere Aussage von Ehrenfried Kumpf gegenüber dem Rothenburger Rat, dass Karlstadt seit dem Erlass des Edikts die Reichsstadt nicht verlassen habe.35 Auch der Ratsprädikant Teuschlein bekundete, dass er Karlstadt nur vorher Unterkunft gewährt habe.36 Außerdem lässt das Schreiben Billicans an Adam Weiß vom 12. Februar 1525 (Beilage zu KGK 286), das ebenfalls zur zeitlichen Ansetzung von Karlstadts Nördlingen-Reise im Februar 1524 herangezogen wurde, durchaus die Annahme zu, dass Karlstadt bereits im Dezember 1524 die schwäbische Reichsstadt aufgesucht hat.37
Edikt des Rothenburger Rats gegen Karlstadt und Bittgesuch an Markgraf Kasimir
Als Markgraf Kasimir von Brandenburg-Ansbach davon Kenntnis erhielt, dass sich Karlstadt durch sein Herrschaftsgebiet bewegte, schritt er ein. Er verbot – vermutlich noch im Dezember 1524 – jegliche Unterstützung und Beherbergung und befahl seine Festnahme.38 Der aus Kursachsen ausgewiesene vormalige Wittenberger Theologe war allenthalben in Süddeutschland zur unerwünschten Person geworden, die man sogar wie andere »Winkelprediger« als »aufrührisch« kriminalisierte und verfolgte.
Anscheinend wurde Karlstadt besonders von Ehrenfried Kumpf unterstützt, der zur Führungsgruppe der evangelischen Bewegung Rothenburgs gehörte.39 Diese Protektion wurde dessen Schwager Thomas Zweifel, dem reformationsfeindlichen Stadtschreiber, bekannt. Vielleicht war es sogar Zweifel selbst, der das Schreiben von Eucharius Steinmetz (Beilage 1) anregte, um damit den Rothenburger Rat zu einem entschiedenen Vorgehen gegen Karlstadt zu bewegen. Steinmetz warnte vor den schädlichen Folgen der Unterstützung Karlstadts und forderte die Reichsstadt auf, den »erzbuben und erzketzer« auszuweisen.40 Der Rat kam dem entsprechenden »Anmahnen« des Stadtschreibers nach. Er ließ das Edikt des Rothenburger Rates gegen Karlstadt vom 27. Januar 1525 (Beilage 2), das die Beherbergung Karlstadts in seinem Herrschaftsgebiet untersagte, am Rathaus anschlagen.41
In dieser Bedrängnis wagte Karlstadt nun, möglicherweise angeregt von seinem Kitzinger Freund Konrad Gutmann, eine Art Befreiungsschlag. In einem eigenen Schreiben wandte er sich direkt an Markgraf Kasimir, um seine notvolle Situation als unschuldig Vertriebener zu erklären. Er appellierte an ihn als christlichen Regenten und bat um die Erlaubnis, sich in dessen Fürstentümern Ansbach und Kulmbach als gewöhnlicher Laie und einfacher Mann niederzulassen.42 Der prominente Theologe Karlstadt bekundete also ausdrücklich, nicht nach einer Anstellung im Kirchendienst etwa einer Stadt in den fränkischen Markgrafentümern zu streben. Den Bittbrief überbrachte Karlstadts Fürsprecher, Konrad Gutmann, selbst markgräflicher Beamter, der Ansbacher Regierungskanzlei, die von dem entschiedenen Luther-Anhänger Georg Vogler als Oberstem Sekretär geleitet wurde.43 Sie befasste sich sogleich mit Karlstadts Gesuch. Der Ablehnungsbescheid vom 1. Februar 1525 wurde Gutmann noch am selben Tag mitgeteilt.44 Gutmann wird Karlstadt in Rothenburg umgehend informiert haben.
3. Inhalt
Das Edikt des Rothenburger Rates vom 27. Januar 1525 (Beilage 2), das auf das Warnschreiben von Eucharius Steinmetz vom 24. Januar 1525 (Beilage 1) reagierte, bezog sich zuerst auf die ketzerische und verführerische Glaubens- und Abendmahlslehre, deren Verbreitung im Reich und bei einigen Nachbarn Rothenburgs streng verboten war. Dies gelte auch für Rothenburg. Auch die Beherbergung oder heimliche Unterstützung Karlstadts sei in Rothenburg strikt untersagt. Dazu sei man Kaiser und Reich gegenüber verpflichtet.
In seinem vor dem Hintergrund des gegen ihn gerichteten Rothenburger Edikts abgefassten Schreiben an Markgraf Kasimir von Brandenburg beteuerte Karlstadt, sich beim Landesherrn Herzog Johann von Sachsen gegen die unberechtigten Anschuldigungen Luthers verwahrt zu haben. Er sei bereit gewesen, seine Lehre öffentlich zu verantworten und sich auch in einer Disputation aus der Hl.Schrift belehren zu lassen. Trotzdem sei er ohne Anhörung und ohne Begründung aus Kursachsen ausgewiesen worden. Darum bittet Karlstadt um die Erlaubnis, sich im Fürstentum des Markgrafen als Laie und gemeiner Mann niederlassen zu dürfen. Er wolle für seine Familie sorgen und als Untertan ein christliches, bürgerliches Leben führen. Er appelliert an die Barmherzigkeit des als »Liebhaber der Wahrheit« und »Beschützer der Verlassenen« bekannten Fürsten und bittet um das Geleit in dessen Fürstentum, um sein Auskommen zu finden. Karlstadt beteuert, erneut dazu bereit zu sein, seine Lehre zu verantworten, sich durch »bessere Gründe« aus dem »Wort Gottes« belehren zu lassen und sich als gehorsamer und gutwilliger Untertan zu fügen.
Das Antwortdekret der markgräflichen Kanzlei in Ansbach vom 1. Februar 1525 (Beilage 3) begründete die Ablehnung des Bittgesuchs Karlstadts mit der Tatsache seiner Ausweisung aus Kursachsen wegen Aufruhrs und Ärgernisses. Da die Markgrafen von Brandenburg mit dem Haus Sachsen in Erbeinigung verbunden seien, könne Karlstadts Gesuch keine Annahme finden.
KGK 284
Transkription
