Nr. 284
Verschollen: Martin Luther an Andreas Karlstadt
Wittenberg, 1524, 23. Dezember

Einleitung
Bearbeitet von Stefanie Fraedrich-Nowag

Luther an Spalatin, Wittenberg, 29. Dezember 1524: »De Carlstadio nunciabo nova, ubi venerit, quod expecto. Scripsi ad eum spe tali, quod conveniamus & de pace tractemus, si Christus volet. Premitur (ut suspicor) exilio, vel potius conscientia lese fame principum Saxonie; Sunt, qui ex ore eius ad nos retulerunt. Christus faciat, quod bonum est.«1

Karlstadt an Luther, 18. Februar 1525: »Epistola tua, mi reverende D'octor' M'artinus' ac frater in Christo, quam 6. feria post Thomae anno 24. dedisti, sero ad me venit, nempe hoc die.«2

Literatur:

1. Inhaltliche Hinweise

Zur Entstehungszeit des hier behandelten Schreibens befand sich Karlstadt in einer durchaus bedrängten Lage. Anfang Dezember hatte er nach kurzen Aufenthalten in Schweinfurt und Kitzingen Zuflucht bei seinen Anhängern in Rothenburg ob der Tauber gefunden.3 Von hier aus versuchte er nun, sowohl eine neue Anstellung zu finden als auch freies Geleit nach Sachsen zu erlangen, um seine Familie zu holen, die sich zu diesem Zeitpunkt noch in Orlamünde aufhielt. Ein entsprechendes Gesuch, dass er Mitte November an Herzog Johann gerichtet hatte, war am 28. November von den herzoglichen Räten negativ beschieden worden.4

Wie aus dem oben zitierten Brief Karlstadts hervorgeht, erreichte ihn das auf den 23. Dezember 1523 datierte und heute verschollene Schreiben Luthers, das er noch am selben Tag beantwortete, erst am 18. Februar.5 Wie aus dieser Antwort hervorgeht, hatte LutherKarlstadt in seinem Schreiben die Hand zur Versöhnung gereicht und einen gütlichen Ausgleich der Differenzen befürwortet, die bei ihrem Aufeinandertreffen am 22. August in Jena zum offenen Bruch geführt hatten.6 In diesem Zusammenhang scheint er Karlstadt auch angeboten zu haben, bei den sächsischen Herzögen auf ein freies Geleit hinzuwirken.7

Was Luther zu diesem Vorstoß veranlasste, ist unbekannt. Möglicherweise reagierte er hiermit auf Berichte über die eingangs geschilderte, bedrängte Situation Karlstadts, die ihn auf verschiedenen Wegen erreichten.8 Hierin könnte Luther mit Blick auf die gegen ihn und seine Lehre gerichtete Publikationsoffensive im Herbst 15249 eine Chance gesehen haben, Karlstadt»ruhigzustellen«, indem er ihm eine Möglichkeit eines Auswegs aus seiner momentanen Situation als persona non grata in Sachsen und den angrenzenden Territorien offenbarte. Ein möglicher Ausgleich mit Luther konnte Karlstadt nicht nur freies Geleit in Sachsen und damit ein Zusammentreffen mit seiner Familie ermöglichen, sondern ihm auch die Option eröffnen, in Sachsen ein neues Betätigungsfeld zu erhalten, um den Lebensunterhalt für sich und seine Familie zu verdienen.


1WA.B 3, 409,4–9 Nr. 811.
2WA.B 3, 441,3–5 Nr. 830. Dieses Schreiben wird in KGK VIII neu ediert.
3Hierzu siehe KGK 282.
4Vgl. KGK 282 und KGK 283. In WA.B 3, 410 Nr. 811 wird die Vermutung ausgesprochen, dass Karlstadt sich im Dezember erneut an die sächsischen Fürsten wandte, was durchaus plausibel erscheint, da nicht klar ist, ob der Brief der herzoglichen Räte Karlstadt überhaupt erreichte.
5Vgl. Karlstadt an Luther, [Rothenburg o.T.], 18. Februar 1525: »Epistola tua, mi Reverende D'octor' M'artinus' ac frater in Christo. quam 6. feria post thome Anno 24 dedisti, fero ad me venit, nempe hoc die.« (WA.B 3, 411,3–5 Nr. 830, wird in KGK VIII neu ediert). Warum dieses Schreiben Karlstadt, der sich wohl ab Mitte Januar wieder in Rothenburg aufhielt, erst so spät erreichte, ist unklar.
6Vgl. KGK 267.
7Vgl. Karlstadt an Luther, [Rothenburg o.T.] 18. Februar 1525: »Impetra tu igtur a Principibus nostris illustrissimis, Electore et fratre eius germano Ioanne etc., Dominis meis gratiosissimis, quam promittis publicam securitatis fidem, et ego protinus advolabo« (WA.B 3 441,10–13 Nr. 830, wird in KGK VIII neu ediert).
8Vgl. u.a. Nikolaus Gerbel an Luther, Straßburg, 22. November 1524 (WA.B 3, 378–381 Nr. 796).

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