1. Überlieferung
Frühdruck:
Von dem Newen vnd Al∥ten Teſtament. ∥ Antwurt auff diſen ſpꝛuch ∥ Der Kelch das New ∥ Teſtament in mei⸗∥nem blut ꝛc. ∥ Luce xxij.i. Coꝛin.xj. ∥ Andꝛeas Carolſtat. ∥ wie Carolſtat widerrieft. ∥ M. D. xxv. ∥
[Augsburg]: [Philipp Ulhart], 1525.
4°, 18 ungez. Bl. (fol. A1v und E4r/v leer), A4–C4, D2, E4.
Editionsvorlage:
BSB München, 4° Polem. 557.Weitere Exemplare: BSB München, 4\Circ{} Polem. 557a. — ÖNB Wien, 20.Dd.360. — RFB Wittenberg, Kn A 23/223.
Bibliographische Nachweise:
- VD 16 B 6225.
- Freys/Barge, Verzeichnis Nr. 143.
- Zorzin, Flugschriftenautor, Nr. 75.
- Köhler, Bibliographie, Nr. 1936.
- Pegg, Great Britain, Nr. 258.
- Pegg, Colmar, Nr. 77.
Frühdruck:
Von dem Newen vnd Al⸗∥ten Teſtament. ∥ Antwurt auff diſen ſpꝛuch ∥ Der Kelch das New ∥ Teſtament in mey⸗∥nem blut ꝛc. ∥ Luce xxij.i. Coꝛin.xj. ∥ Andꝛeas Carolſtat. ∥ wie Carolſtat widerriefft. ∥ M. D. xxv. ∥
[Augsburg]: [Philipp Ulhart], 1525.
4°, 18 ungez. Bl. (fol. A1v und E4r/v leer), A4–B4, C2, D4–E4.
Editionsvorlage:
HAB Wolfenbüttel, M: Ts 417 (4).Weitere Exemplare: BSB München, Res/4 J.can. 161\#{}Beibd.2. — RFB Wittenberg, EKU 629.
Bibliographische Nachweise:
- VD 16 B 6224.
- Freys/Barge, Verzeichnis, Nr. 144.
- Zorzin, Flugschriftenautor, Nr. 75.
- Köhler, Bibliographie, Nr. 1937.
- Pegg, Swiss Libraries, Nr. 440.
- Pegg, Copenhagen, Nr. 370.
- Schottenloher, Philipp Ulhart, Nr. 105.
Druck A ist der Erstdruck und bildete die Vorlage für Druck B, der mit denselben Typen gesetzt wurde. Druck B zeigt sich weitgehend zeilengleich, weicht aber von Anfang an in den Seitenumbrüchen leicht ab. Druck B nimmt gegenüber Druck A zahlreiche kleinere Änderungen in der Schreibung vor,1 die jedoch nur gelegentlich Verbesserungen darstellen.2 Notwendig erscheinende Korrekturen, z.B. die Ergänzung fehlender Wörter wurden dagegen unterlassen. Das aus der Erklärung von 1. Kor 10,16 (KGK 289) und dem vorliegenden Traktat bestehende Doppelwerk weist mit der Verwendung von Geminationen eine stilistische bzw. rhetorische Eigentümlichkeit in Karlstadts bisherigem Werk auf.3 Der folgende Text gibt die Geminationen wieder, sofern die Verständlichkeit gewährleistet ist, und erläutert sie im Sachapparat. Auftretende Geminationen, die um der Verständlichkeit willen im Haupttext getilgt wurden, finden sich im textkritischen Apparat dokumentiert.
Druck des Traktats
Lienhart Götz, ein Buchführer aus dem markgräflich-brandenburgischen Ort Schnelldorf, das südlich von Rothenburg zwischen der Residenzstadt Ansbach und der Landstadt Crailsheim liegt, wurde Anfang Juli 1525, nach der Niederschlagung des Bauernaufstands, festgenommen. Im Gewölbegefängnis unter dem Rothenburger Rathaus unterzog man Götz einem »gütlichen Verhör« über seine Aktivitäten für Karlstadt. Götz berichtete, kurz nach Mitte April 1525 nach Rothenburg gekommen zu sein – mit Büchern, die er in Augsburg bei dem Drucker Philipp Ulhart4 erworben hatte, darunter auch Schriften aus der Feder Karlstadts. Als er diese in der Reichsstadt feilbot, kaufte der Ratsherr Ehrenfried Kumpf »etlich tractetlin«.5 Im Haus des Tuchscherers Philipp Schleyt, in das man Götz bestellt hatte, stieß er unerwartet auf Karlstadt selbst. Götz wollte im Verhör sichtlich kein Interesse an Karlstadt verraten und antwortete, wie er schilderte, auf Karlstadts Frage nach dem Verkaufserfolg seiner Schriften ausweichend. Auch habe er bei der Begegnung nicht erfahren, wo oder bei wem in Rothenburg Karlstadt dauerhaft untergebracht war. Auf Nachfrage beteuerte Götz, für Karlstadt nicht als Briefbote tätig gewesen zu sein.6 Als Götz im Haus des Ratsherren Ehrenfried Kumpf Bücher ablieferte, sei es Kumpf gewesen, der ihm das Karlstadt-Manuskript Von dem neuen und alten Testament übergeben und dabei befohlen habe, das »tractetlin« zum Druck zu bringen.7 Götz habe den Auftrag ausgeführt, unter Einsatz auch eigener Finanzmittel. Ihn leitete vor allem – diesen Eindruck wollte er im Verhör erwecken – ein verlegerisch-kommerzielles Interesse.
Der Traktat Von dem neuen und alten Testament erschien in Augsburg beim Drucker Philipp Ulhart, vermutlich – in Anbetracht der Wegstrecke von etwa 150 Kilometern – Ende April oder Anfang Mai 1525. Auf der Rückreise nach Rothenburg verkaufte Götz den Karlstadt-Traktat bereits »in etlichen flecken«, wobei vor allem an die auf dem Weg liegenden Reichsstädte Donauwörth, Nördlingen und Dinkelsbühl zu denken ist. In ihnen durfte Götz mit einem interessierten, kaufwilligen Publikum rechnen. Kurz nach Mitte Mai 1525 gelangte Götz wieder nach Rothenburg. Er traf Ehrenfried Kumpf aber nicht an, weil dieser sich zu den Würzburger Bauernhaufen begeben hatte. Götz wollte ihn dort freilich nicht aufsuchen.8
Zur Publikation der drei Repliken auf Luther
Lienhard Götz gab im Verhör Auskunft über die Drucklegung des Traktats Von dem neuen und alten Testament, des letzten Teils der Antwort-Trilogie Karlstadts auf Luthers zweiteilige Polemik Wider die himmlischen Propheten, die zu Beginn und Ende Januar 1525 erschien. Die Verhöraussagen des Buchführers verraten allerdings nicht, wie und durch wen die Manuskripte der beiden ersten Teile der Trilogie, der Anzeige etlicher Hauptartikel christlicher Lehre (KGK 288) und der Erklärung von 1. Kor 10,16 (KGK 289), zum Druck, gleichfalls bei Philipp Ulhart in Augsburg, gebracht wurden. Dass dies ebenso Lienhard Götz geleistet hat, scheint keineswegs ausgeschlossen. Details der von Götz selbst bezeugten Reisetätigkeit legen eine solche Annahme sogar nahe, da sie gut zur Chronologie der Entstehung und Publikation der Schriften Karlstadts passen.
Gewiss hat Lienhard Götz sich im Verhör über das gesamte Ausmaß seines Einsatzes für die Veröffentlichung und Verbreitung der Karlstadt-Schriften bedeckt gehalten. Der Buchführer war selbstverständlich darauf bedacht, seine Verwicklung in die Causa Karlstadt nicht größer erscheinen zu lassen als unbedingt notwendig. Dem aus der Reichsstadt geflohenen radikalen Reformator schob man eine erhebliche Mitschuld am Aufstand zu, ebenso dem Ratsherren Ehrenfried Kumpf, den der Buchführer Lienhard Götz, wie er beteuerte, vor seinem Besuch in Rothenburg nicht gekannt hatte.9 Für Götz galt es daher, sich von Kumpf und Karlstadt so weit wie möglich zu distanzieren. Da beide geflohen waren, musste Götz bei seinem Geständnis offenbar nicht mit Aussagen rechnen, die ihn stärker belasteten.10 Götz gestand vermutlich nur das, was ohnehin bekannt war, etwa die Besorgung der Drucklegung des Traktats Von dem neuen und alten Testament. Götz hatte den Auftrag dazu Mitte April 1525 von Kumpf erhalten,11 als Karlstadt sein Versteck schon verlassen hatte. Dieser zeigte sich öffentlich in der Reichsstadt, seit ihn Kumpf Ende März 1525 öffentlich ins Rothenburger Rathaus geführt hatte.12 Da Karlstadts Anwesenheit in Rothenburg bekannt war, konnte Götz den Auftrag zur Beförderung des Karlstadt-Traktats zum Druck nach Augsburg in aller Öffentlichkeit annehmen und musste dies auch später so im Verhör gestehen.
Eine Schlüsselrolle bei der Drucklegung und Verbreitung der in Rothenburg entstandenen Trilogie von Karlstadt-Schriften spielte unzweifelhaft Ehrenfried Kumpf. Er unterstützte Karlstadt in Rothenburg von Anfang an und begleitete ihn bereits im Dezember 1524 nach Crailsheim.13 Nach Karlstadts Rückkehr war die Unterstützung, erst recht seine Beherbergung durch den Rothenburger Rat verboten. Diese konnte nur heimlich geschehen.14 Kumpf und sein enger Umkreis waren dazu bereit. Darum war es wohl auch Kumpf, der die Drucklegung der ersten beiden Schriften der Trilogie bewerkstelligte. Der für die Reise nach Augsburg eingesetzte Bote, der ja brisante Manuskripte eines »verbotenen« Autors zum Druck beförderte, hat aber die Identität seines Auftraggebers nicht gekannt.
Aufschlussreich ist, dass Kumpf Anfang Mai 1525 versuchte, in Nürnberg »puchlin« Karlstadts verkaufen zu lassen – deren Verbreitung dort bekanntermaßen verboten war.15 Daher liegt die Annahme nahe, dass es sich bei diesen Büchlein um Exemplare handelte, die Götz nach Mitte April direkt von der Druckerei Ulharts in Augsburg nach Rothenburg gebracht hatte. Es handelte sich vermutlich um die neuen Karlstadt-Publikationen Anzeige etlicher Hauptartikel christlicher Lehre (KGK 288) und Erklärung von 1. Kor 10,16 (KGK 289). Die beiden als komplementäres Doppelwerk aufzufassenden Schriften Erklärung von 1. Kor 10,16 und der Traktat Von dem neuen und alten Testament annoncierten auf ihrer Titelseite augenfällig: »Wie Karlstadt widerruft«. In den Schriften selbst findet sich ein solcher Widerruf indes nicht.16
Wenn sich die beiden Schriften Anzeige etlicher Hauptartikel christlicher Lehre (KGK 288) und die Erklärung von 1. Kor 10,16 (KGK 289) tatsächlich unter den Büchlein Karlstadts befanden, die Anfang Mai 1525 durch einen »Knappen« Kumpfs, also einen aus Rothenburg gesandten Dienstmann, in Nürnberg zum Verkauf angeboten wurden, müssten diese – in Anbetracht der Reisedistanzen – spätestens Mitte April aus der Presse Ulharts in Augsburg gekommen sein und dazu vorher Mitte März in Rothenburg abgeschlossen vorgelegen haben.17 Diese Erwägungen fügen sich insgesamt gut zu den Angaben von Lienhard Götz. Sein daher erwägbarer Einsatz zur Beförderung dieser beiden Manuskripte zum Druck nach Augsburg Anfang März 1525 vermag jedenfalls das ansonsten schwer nachvollziehbare Faktum zu erklären, warum das bereits Mitte März fertiggestellte dritte Karlstadt-Manuskript Von dem neuen und alten Testament einige Wochen in Rothenburg ungedruckt liegen blieb.
Diese verschiedenen Indizien deuten darauf hin, dass der Buchführer Lienhard Götz bereits an der Drucklegung der ersten beiden Schriften von Karlstadts Trilogie (KGK 288 und KGK 289) mitwirkte – und dabei wohl auch die etwa gleichzeitig in Rothenburg entstandene Verteidigungsschrift des Schullehrers Valentin Ickelsamer für Karlstadt, die Klage etlicher Brüder,18 ebenfalls bei Philipp Ulhart zum Druck beförderte. Karlstadt und Ickelsamer verfolgten anscheinend gemeinsam das Projekt einer publizistischen Reaktion auf Luthers Polemik Wider die himmlischen Propheten. Auch wenn die Botentätigkeit weiterer Personen nicht ausgeschlossen ist, so deuten doch die vorliegenden Indizien darauf hin, dass Lienhard Götz als der Verbindungsmann zwischen dem Autor Karlstadt bzw. seinem Unterstützer Kumpf und dem Drucker Ulhart in Augsburg fungierte. Der Traktat Von dem neuen und alten Testament konnte erst zum Druck gelangen, als Götz aus Augsburg nach Rothenburg zurückgekehrt war.
Editionen:
- Walch1 20, 378–409.
- Walch2 20, 286–311.
- Burnett, Eucharistic Pamphlets, 238–257 Nr. 12 (engl. Übersetzung »On the New and Old Testament«).
Literatur:
- Jäger, Carlstadt, 457.466f.
- Barge, Karlstadt 2, 283–287.
- Zorzin, Flugschriftenautor, 102–105.126f.; [299] Nr. 75.
- Burnett, Eucharistic Controversy, 71–74.146f.
2. Entstehung und Inhalt
Entstehung
Der Traktat Von dem neuen und alten Testament gehört zur Reihe der drei Schriften, mit denen Karlstadt auf die in zwei Teilen veröffentlichte Polemik Luthers Wider die himmlischen Propheten antwortete, die wie ihr Titel bekundete, auch »von den Bildern und Sakrament« handelte.19 Der erste Teil der Polemik Luthers, die Karlstadts Publikationen des Jahres 1524 widerlegen wollte, erschien um Neujahr 1525 und gelangte vermutlich gegen Ende Januar 1525 nach Rothenburg. Er behandelte die theologischen Positionen, die Karlstadt und Luther entzweiten. Der andere Teil von Luthers Polemik Wider die himmlischen Propheten erschien Ende Januar20 und kam am 26. Februar 1525 in Karlstadts Hände.21 In ihm setzte sich Luther mit Karlstadts eigentümlicher, kontroverser Auffassung des Abendmahls vor allem anhand des Dialogus von dem Missbrauch des Sakraments (KGK VII, Nr. 277) auseinander.
Auf den ersten Teil von Luthers Polemik Wider die himmlischen Propheten reagierte Karlstadt mit seiner Schrift Anzeige etlicher Hauptartikel christlicher Lehre (KGK 288).22 Die Replik auf den anderen Teil von Luthers Polemik, bei dem es um das Abendmahl ging, teilte Karlstadt auf zwei Publikationen auf: die Erklärung von 1. Kor 10,16»Das Brot, das wir brechen, ist es nicht eine Gemeinschaft des Leibes Christi« (KGK 289) und den hier edierten Traktat Von dem neuen und alten Testament»Der Kelch, das neue Testament in meinem Blut«. Die sachlich komplementär zusammengehörenden Titel behandeln anhand der beiden »Zeichen«, Brot und Kelch, die zentralen Punkte von Karlstadts Abendmahlsverständnis – in Auseinandersetzung mit dem Luther'schen Verständnis.23 Dabei nahm Karlstadt im Traktat Von dem neuen und alten Testament grundlegende Gedanken wieder auf, die er in seiner Schrift Von dem Priestertum und Opfer Christi (KGK IV, Nr. 249) im Spätjahr 1523 entfaltet hatte.24 Der Traktat Von dem neuen und alten Testament, der wie die Anzeige etlicher Hauptartikel christlicher Lehre (KGK 288) durch eine Widmungsvorrede eingeleitet ist, bildete aber auch den Abschluss der gesamten Trilogie der Repliken Karlstadts auf Luthers Polemik Wider die himmlischen Propheten.25 Karlstadt hat – anders als die Anzeige etlicher Hauptartikel christlicher Lehre (KGK 288) und der Erklärung von 1. Kor 10,16 (KGK 289) vorangestellten Verzeichnisse von zu behandelnden »Artikeln« andeuten – allem Anschein nach keine weiteren Schriften dazu verfasst oder veröffentlicht.26
Karlstadt begann mit der Niederschrift der Erklärung von 1. Kor 10,16 am 27. Februar 1525.27 Während der Niederschrift musste er sich in seiner Rothenburger Unterkunft versteckt halten und durfte sich nicht öffentlich zeigen. Der Aufenthalt in der Reichsstadt und ihrem Landgebiet war ihm durch den Rat offiziell verboten.28 Die Niederschrift des Traktats Von dem neuen und alten Testament, vermutlich im Anschluss an die Erklärung von 1. Kor 10,16 (KGK 289) entstanden, erfolgte anscheinend unter Hast, wie die zahlreichen, auch im Druck wiedergegebenen Flüchtigkeitsfehler andeuten. Den Text schloss Karlstadt, wie das Datum seiner Vorrede erkennen lässt, am 16. März 1525 ab. Zu diesem Zeitpunkt befanden sich offenbar jedoch die beiden anderen Manuskripte der Trilogie, die Anzeige etlicher Hauptartikel christlicher Lehre (KGK 288) und die Erklärung von 1. Kor 10,16 (KGK 289), bereits auf dem Weg zum Druck bei Philipp Ulhart in Augsburg.29
Im Traktat Von dem neuen und alten Testament reagierte Karlstadt vor allem auf Luther, aber auch auf Theobald Billican, den evangelischen Prediger der Reichsstadt Nördlingen. Dieser hatte in seiner Ende Februar 1525 in Augsburg erschienenen Schrift Renovatio ecclesiae Nordlingiacensis30 Karlstadts Bestreitung der Realpräsenz Christi in den Elementen des Abendmahls ausdrücklich kritisiert.31 Der Druck dieser Rechtfertigungsschrift der Nördlinger Reformen gelangte wohl noch Anfang März 1525 nach Rothenburg und bot Karlstadt Anlass, sich mit ihr im Traktat Von dem neuen und alten Testament auseinanderzusetzen. Dabei hatte Karlstadt in der zweiten Monatshälfte Dezember 1524 Billican persönlich in Nördlingen aufgesucht32 und ihm sicher auch seine Basler Publikationen bekannt gemacht. Offenbar hatte sich Billican Karlstadt gegenüber zunächst aufgeschlossen gezeigt. Mit der Renovatio ecclesiae Nordlingiacensis, die bereits unter dem Eindruck von Luthers Polemik Wider die himmlischen Propheten stand, stellte Billican seine theologische Position gegenüber Karlstadt in der Öffentlichkeit klar – mit einer schroffen Ablehnung. Billican wollte unmissverständlich zum Ausdruck bringen, dass man sich in der Reichsstadt Nördlingen an der Wittenberger Reformation orientierte.
Inhalt
Der Traktat besteht, nach einer Vorrede (KGK 290 (Textstelle)), aus drei Hauptteilen, überschrieben mit diesen Überschriften: »Der Kelch, das neue Testament« (KGK 290 (Textstelle)), »Das Alt Testament« (KGK 290 (Textstelle)) und »Von unserm Priestertum« (KGK 290 (Textstelle)). Anhand des Abendmahlswortes »Der Kelch, das neue Testament« (Lk 22,20 bzw. 1. Kor 11,25) wenden sich Karlstadts Ausführungen demnach zuerst gegen die Rede vom Abendmahl als »neues Testament« (KGK 290 (Textstelle)), in dem mit dem Kelch das Blut Christi dargereicht und so die Vergebung der Sünden »beschieden«, d.h. mitgeteilt werde. Karlstadt ging es mit diesen Argumenten erneut darum, die Realpräsenzlehre und eine sakramentale Wirkung des Abendmahls theologisch-exegetisch zu bestreiten.
Der zweite Hauptteil »Das Alt Testament« (KGK 290 (Textstelle)) arbeitet zunächst heraus, dass das alttestamentliche Kultgesetz zu wiederholende »äußerliche«, »leibliche«, also körperhafte Vollzüge vorschreibe: Tieropfer und die rituelle Besprengung des Volkes mit Blut zur Reinigung von den Sünden. Das Opfer des Neuen Testaments mit Christi Hingabetod am Kreuz habe dagegen ein für alle Mal stattgefunden und werde in seiner Wirkung nicht äußerlich, sondern rein geistlich zugewendet: Christus als neuer Priester besprenge die »Gottesfürchtigen« oder »Gläubigen« mit seinem »Blut des neuen Testaments«, nämlich mit dem Heiligen Geist, der zur rechten Erkenntnis Christi führe und ihre Gewissen dadurch reinige. Die Feier des Abendmahls Christi diene diesem Vorgang, dem »Gedächtnis des Todes Christi«, das Karlstadt auch als »Erkenntnis Christi« bezeichnen kann.
Der dritte Hauptteil »Von unserm Priestertum« (KGK 290 (Textstelle)) führt die Auseinandersetzung mit der Sakramentslehre Luthers, des »neuen Papstes«. Sie behaupte die Vermittlung der Sündenvergebung durch den Trank aus dem mit Christi Blut gefüllten Kelch und falle damit – wie die überkommene römische Messopferlehre des »alten Papstes« – frevelhaft in die alttestamentliche Opfervorstellung zurück.
Detailliertere Inhaltsangabe
In seiner an die »Brüder zu Rothenburg« gerichteten Vorrede (KGK 290 (Textstelle)) erklärt Karlstadt zunächst, dass er der Polemik Luthers inhaltlich differenziert in verschiedenen Schriften antworten möchte. Der vorliegende Traktat widmet sich dabei dem rechten Verständnis des Kelchwortes Christi nach Lk 22,20 und 1. Kor 11,25. Wie üblich bittet Karlstadt um eine unvoreingenommene, gründliche und kritische Lektüre und um bessere Belehrung. Er habe ein gutes Gewissen, denn ihm gehe es allein um den rechten Glauben an Christus. Er sei bereit und fordere auch, öffentlich Rechenschaft darüber ablegen zu dürfen. Der eigentliche Hauptteil des Traktats zeigt sich bis etwa zur Hälfte (KGK 290 (Textstelle)) durch Zwischenüberschriften strukturiert. Im weiteren Verlauf weist der Text keine solchen äußeren Gliederungssignale mehr auf, mit einer Ausnahme, nämlich der Stelle, an der der Traktat anscheinend bereits zum Schluss kommt, dann aber doch noch ein redundanter Neueinsatz unter der Überschrift »Luther hat den Glauben an Christum wider sich« (KGK 290 (Textstelle)) erfolgt.
Im ersten Hauptteil, betitelt mit der Überschrift »Der Kelch, das neue Testament« (KGK 290 (Textstelle)), unterstreicht Karlstadt, dass die Jünger beim letzten Mahl vor seinem Tod »natürlichen«, also noch unkonsekrierten Wein getrunken haben. Die später so bezeichneten Konsekrationsworte ergingen erst, nachdem Jesus die Jünger zu trinken aufgefordert hatte. Wie die Evangelisten Matthäus und Markus überliefern, sprach Jesus dabei zunächst vom Kelch und nicht von seinem Blut. Luther dagegen argumentiere mit Lukas und Paulus und stimme – zusammen mit seinen Anhängern – in seinem irrigen Schriftverständnis mit dem Papsttum überein. Nach Karlstadts Überzeugung wollte Christus beim letzten Mahl lehren, was sein Blut und der Gedächtniskelch künftig, nach seinem Tod, bedeuten. Unter der Zwischenüberschrift »Testament« (KGK 290 (Textstelle)) erinnert Karlstadt daran, dass Christus im Moment der Stiftung des Abendmahls noch lebte und die Jünger nur natürlichen Wein genossen hätten. Nach Karlstadts Überzeugung sprach Christus dabei von seinem »geistlichen Priestertum« und »Opfer«, durch welches er (in die Herrlichkeit) »eingehen« wollte. Im Alten Testament diente die Besprengung mit Blut der Reinigung von Sünde; das Neue Testament muss dem entsprechen und es zugleich übertreffen.
Im zweiten Hauptteil »Das Alt Testament« (KGK 290 (Textstelle)) argumentiert Karlstadt – im Gegensatz zu Billican, der die Realpräsenz aus dem Neuen Testament heraus zu erweisen versuchte –, dass beim Kultgesetz des Mose, alles »äußerlich« und »leiblich« war. Das kultisch versprengte Blut berührte nur den äußeren Leib, das Gewissen der Sünden blieb jedoch. Dagegen sei das »neue Testament« (KGK 290 (Textstelle)) vollkommen, weil der starb, der es stiftete. Das Blut Christi musste – wie das der Böcke und Kälber – am Kreuz vergossen werden, um zum »Blut des neuen Testaments« (KGK 290 (Textstelle)) zu werden. Unter der Zwischenüberschrift »Besprengung« (KGK 290 (Textstelle)) legt Karlstadt dar, dass der neue Bund, das »neue Testament«, das »alte Testament« übertreffe und vollkommen sei, weil sein Priester, Christus, nicht leiblich mit seinem Blut besprenge, sondern geistlich, mit dem Heiligen Geist. Nach Christi Worten sei dieses »ein Blut der Geister, der Seelen, der Herzen und der Gewissen« und »nicht ein Blut des Leibes« (KGK 290 (Textstelle)). Christus besprenge die Herzen und reinige Seelen und Gewissen durch den Glauben. So erfolge die Vergebung der Sünden.
Wiederholt übt Karlstadt scharfe Kritik an Luther, der den Sinn der Abendmahlsworte Christi mit seiner Lehre von der Realpräsenz »verwüste« (KGK 290 (Textstelle)). Mit dieser Lehre sei eben keine wesentliche Unterscheidung zwischen dem Blut bzw. dem Kelch des »neuen Testaments« und dem zur Besprengung des Volks verwendeten Blut des mosaischen Gesetzes getroffen. Luther erweise sich so als »Mosischer Prediger und Lehrer« und nicht als »christlicher« (KGK 290 (Textstelle)). Karlstadt lehnt auch Billicans Abendmahlsdeutung ab, gerade weil dieser das Verhältnis des alten zum neuen Testament einigermaßen zutreffend erfasst habe. Hinter den »neuen Päpsten« – gemeint sind in schärfster Polemik Luther und seine Anhänger – stecke der Teufel, der nun »Pfaffen« in »neuen Chorröcken« einsetze, um Christi Testament und Blut, das nur »geistlich« im Glauben, im Herzen und im »Grund der Seele« genossen sein will, verkehrt darzureichen, nämlich »leiblich« und »äußerlich«. Eben darum sei dieses »kein Blut des neuen Testamentes« (KGK 290 (Textstelle)). Wenn Christus sein Volk durch sein Blut heilige, könne dies nicht durch die Darreichung eines Kelchs vermittelt werden. Luther verweigere sich der Einsicht, dass er mit seiner Abendmahlslehre »die Wurzel des pfäffischen Irrtums« behalte, mag er noch so entschieden die überkommene Messopferlehre ablehnen (KGK 290 (Textstelle)).
Im dritten Hauptteil, überschrieben »Von unserm Priestertum« (KGK 290 (Textstelle)), betont Karlstadt, dass die biblische Rede Christi vom allgemeinen Priestertum einem neuen besonderen Priestertum widerspreche, das über Christi Leib und Blut verfügt, um dieses den Gläubigen darzureichen. Vielmehr geht es um ein Priestertum durch die Erkenntnis des Opfers Christi (KGK 290 (Textstelle)). Karlstadt wirft Luther vor, in ein alttestamentliches leiblich-äußerliches Verständnis zurückzufallen. Dies stelle eine »große greuliche Sünde«, eine »widerchristliche Lehre wider das Blut des Kreuzes« und eine »Verachtung des neuen Testamentes« dar (KGK 290 (Textstelle)). Luther könne sich nicht auf die Hl.Schrift berufen. Er lege sie, wie Karlstadt überzeugt ist, unsachgemäß aus und könne nicht die leibliche Gegenwart des Blutes Christi im Kelch nachweisen (KGK 290 (Textstelle)). Das Blut Christi sei eben nicht »leiblich« zu trinken, vielmehr gelte: Nur wer »das Blut Christi, am Kreuz vergossen, wohl erkennt, der trinkt wohl« (KGK 290 (Textstelle)). Der »Durst nach der Gerechtigkeit« werde gestillt durch die Erkenntnis Christi, d.h. durch den Glauben, dass der Gottessohn eben am Kreuz »sein Blut durch den Heiligen Geist zur Vergebung der Sünden hat vergossen« (KGK 290 (Textstelle)). Darum, so Karlstadt, »muss unser inwendiger Mensch herzu kommen und nicht der äußerliche«. Die Gottesfürchtigen empfangen das Blut Christi als »geistlichen Trank« und eben »nicht mit dem Maul«, wie Luther und der Papst es hinstellen; sie trinken es »im Herzen und Glauben« (KGK 290 (Textstelle)). Am Kreuz hat Jesus Christus sein Fleisch gegeben und sein Blut vergossen. Dieses einmalige Erlösungsgeschehen habe Luther zwar klar herausgearbeitet, den »Brunnen« jedoch »vergiftet«, indem er aus einem »geistlichen Trank einen leiblichen«, aus einem »Trank des Lebens« und der »Auserwählten« einen »Trank des Todes« und der »Verdammten« gemacht habe (KGK 290 (Textstelle)). Karlstadt sieht sich gezwungen, nachdrücklich vor Luthers »Rhetorik« und Irrlehre vom Blut Christi zu warnen (KGK 290 (Textstelle)).
Unter der markanten Zwischenüberschrift »Luther hat den Glauben an Christum wider sich« (KGK 290 (Textstelle)) setzt Karlstadt erneut an und wiederholt die grundsätzlichen Aussagen, dass nach den Abendmahlsworten Christi die Sündenvergebung durch das Vergießen des Blutes am Kreuz stattfand. Die Gemeinde Christi soll bei ihren Zusammenkünften »aus dem Kelch in rechtem Gedächtnis des vergossen Bluts trinken« (KGK 290 (Textstelle)). »Darum ist der Kelch ein Neu Testament durchs Blut oder in dem Blut des Neuen Testamentes« (KGK 290 (Textstelle)). Wenn das Blut Christi am Kreuz geflossen ist, so kann es nicht beim Abendmahl am Vortag im Kelch gewesen sein. Der Kelch ist also nicht ein Kelch des neuen Testaments, weil er das Blut Christi enthält, sondern weil er dem Gedächtnis des Kreuzestodes dient (KGK 290 (Textstelle)). Dieses Gedächtnis ist die Voraussetzung für das Trinken aus dem Kelch. Die Rede von der sakramental vermittelten Sündenvergebung ist dagegen »erdicht und erlogen«. Tatsächlich geschah die Vergebung der Sünden am Kreuz. Luther führe mit seiner Lehre »die Narren am Affenstrick« und lästere damit das Blut und das Kreuz Christi. Dagegen widerlege die biblische Rede vom »Blut des neuen Testaments« Luthers Darstellung (KGK 290 (Textstelle)). Eine »Bescheidung« der Sündenvergebung durch das Blut des Kelches, wie von Luther postuliert, ist kraftlos und ungültig (KGK 290 (Textstelle)). Wer das Abendmahl mit der Inkraftsetzung der Sündenvergebung verbinde, »der tut dem neuen Testament Christi Gewalt und ist ein Feind des Kreuzes Christi« (KGK 290 (Textstelle)).
Zum Abschluss des Traktats (KGK 290 (Textstelle)) formuliert Karlstadt pointiert sieben falsche Lehrkonsequenzen, die aus dem von ihm bekämpften »Irrtum der Päpste, die zugleich fromm sind« erwachsen – womit er Luther und seine Anhänger kennzeichnet. Der Traktat schließt mit der Mahnung an die »Brüder«, also die Leserschaft, die Aussage über den »Kelch des neuen Testaments« ernstzunehmen (KGK 290 (Textstelle)).
KGK 289
Transkription
