Nr. 245
Thomas Müntzer an Andreas Karlstadt
[Allstedt] , 1523, 29. Juli

Text
Bearbeitet von Stefanie Fraedrich-Nowag

Buchsymbol fehltSuo charissimo fratri

Andree Carolostadio

In Worlitz agricole.1

Buchsymbol fehlt Salve Frater in d'omi'no/ Quid intercesserit/ te nihil scripsisse/2
Ignore/ spoponderas enim mihi sepea te scripturum3 Nescio an
laycus vel sacerdos sis4 mortuus vel vivens quia mihi
tacuisti/ qui crebro oportunos habuisti tabelliones in oral-
mundam5 quare nec parvam veteris charitatis renova-
tionem6 impartitus sis: refer/ Ego semper tuis respondebo
litteris/ Nihil est/ quod querularis de intercipiendis
epystolis/ dum dominus agat rem nostrum/ Hunc hominem
Nicolaum fratrem in d'omi'no7 ad te destino/ Opitulare eidem
in causa pauperum nostrorum8 Monialibus enim nostris
subtraxerunt census ut largiantur egenis9 dicet tibi
ipse singular/ Interrogabis interrogandum Deumb, non fallet
te/ ut nosti/ Crede huic homini Sincerus est in spiritu dei10
Vale/ vult te dominus forsitan procuratorem11 ut luas que
commisisti in pompatico fastu Antichristi12 Tibi charissime
quasi mihipsi loquor〈.〉 Iterum vale〈.〉 datum anno d'omi'ni 1523
die 29 Julii

Tomas Munczerus

parochus Allstedtensis

Uxorem tuam13 saluta in domino Jesu ego in prisca erga deum versor
severitate.14


ahsl. verbessert aus spe
bübergeschrieben und gestrichen

1Gemeint ist das Amt Wörlitz, ca. 15 km südwestlich von Wittenberg. Karlstadt hatte um die Mitte des Jahres 1522 einen Landsitz in der Nähe von Wittenberg erworben, wie er Müntzer in seinem Schreiben vom 21. Dezember 1522 berichtete (KGK 237); der vorliegende Brief ist der einzige Hinweis, wo sich dieser befand.
2Karlstadt hatte sich anscheinend seit seinem Brief vom 21. Dezember 1522 bzw. ihrem darauffolgenden Zusammentreffen in Wittenberg nicht mehr bei Müntzer gemeldet; hierzu siehe auch KGK KGK (Anmerkung). Auch den Gruß Müntzers in seinem Brief an Luther vom 9. Juli 1523 (TMA 2, 170 Nr. 57) scheint Karlstadt nicht beantwortet zu haben.
3Vermutlich bei Müntzers Besuch in Wittenberg; zu diesem Besuch siehe KGK KGK (Anmerkung).
4Spätestens seit Januar 1522 brach Karlstadt sukzessive mit »seiner bisherigen Rolle als Theologieprofessor und Pfründeninhaber im Stile der altkirchlichen Ordnung« und vollzog einen Wandel hin zum neuen Laien; vgl. Zorzin, Gelassenheit, 230f. sowie die Einleitungen zu KGK 239 und KGK 241.
5Da die Pfarrei Orlamünde dem Archidiakonat am Allerheiligenstift in Wittenberg inkorporiert war, unterhielt Karlstadt schon vor seiner Übernahme der Pfarrei im Spätsommer 1523 intensive Kontakte dorthin; vgl. Einleitung zu KGK 242. Müntzers Hinweis auf Karlstadts Botenverbindung nach Orlamünde könnte implizieren, dass er ihm über diesen Weg hätte Nachrichten zukommen lassen können, da auch Müntzer Verbindungen nach Orlamünde hatte; vgl. KGK 245 zu dieser Einheit.
6Den Wunsch nach Erneuerung der (christlichen) Liebe im Sinne von gegenseitigem Wohlwollen und Freundschaft hatte Müntzer bereits in seinem Schreiben an Luther vom 9. Juli 1523 geäußert: »Conservet te Dominus et veterem dilectionem renova« (TMA 2, 170 Nr. 57). Müntzer suchte also nach der Übernahme der Pfarrstelle in Allstedt scheinbar zunächst erneut den Anschluss an die Wittenberger Reformatoren; vgl. oben KGK KGK (Anmerkung).
7Wahrscheinlich Nikolaus Rucker, 1516/17 im Dienst des Amtes Allstedt, 1519 Vogt in Wiehe, 1521 Ratsherr in Allstedt, 1523/24, möglicherweise aber auch schon 1522/23, übte er das Schultheißenamt aus, 1524 wandte er sich von Müntzer ab; vgl. Bräuer, Briefwechsel, 196 und TMA 2, 189f. Anm. 9 sowie TMA 2, 339 Anm. 12.
8Müntzer spielt hier wahrscheinlich auf Karlstadts Erfahrungen bei dem Versuch einer Neuordnung der Armenversorgung in Wittenberg an; vgl. Bräuer, Briefwechsel, 195. Zur Neuordnung des Armenwesens in Wittenberg vgl. KGK 219.
9Dem Zisterzienserinnenkloster Naundorf in der Nähe von Allstedt waren im Zusammenhang mit den reformatorischen Neuerungen die Abgaben zugunsten der Armenfürsorge entzogen worden. Die Äbtissin Sophie von Schafstedt hatte daraufhin beim Kurfürsten Einspruch eingelegt und erreichte dadurch schließlich, dass der Abgabenentzug rückgängig gemacht werden musste; vgl. Bräuer/Vogler, Müntzer, 203f. Siehe auch TMA 2, 512 Anhang 4.
10Mit dieser Formulierung wird der Brief gleichzeitig zum Beglaubigungsschreiben für den Überbringer Nikolaus Rucker; vgl. Bräuer, Briefwechsel, 196.
11Sachwalter, Bevollmächtigter einer Partei bei Rechtsangelegenheiten; vgl. DWb 14, 1640. Möglicherweise hoffte Müntzer auf Karlstadts kirchenjuristische Unterstützung im Konflikt der Allstedter mit dem Zisterzienserinnenkloster Naundorf (s.o. Anm. 9) und legt mit seiner Formulierung nahe, Karlstadt»könne auf diese Weise gewissermaßen als ›Haushalter‹ (›procurator‹) Gottes das sühnen, was er in seiner vorreformatorischen Zeit schuldig geblieben sei« (Bräuer, Briefwechsel, 195). Die Äußerung kann aber auch unabhängig von den Differenzen mit dem Kloster Naundorf als Möglichkeit verstanden werden, sich nun als Sachwalter für die wahre Kirche zu verwenden; so TMA 2, 190 Anm. 13. Elliger erblickt in den Worten Müntzers im Zusammenhang mit dem Wandel im persönlichen Lebensstil Karlstadts und dem damit verbundenen Rückzug ins bäuerliche Leben eine Mahnung, sich weiterhin für den rechten Glauben einzusetzen: »Das wäre, so hält er ihm [Karlstadt] entgegen, in der jetzigen Situation der Kirche, wo Menschen rechter christlicher Erkenntnis in der vordersten Front des Kampfes gegen die Herrschaft des Antichristen gebraucht werden, ein unmögliches Verhalten, das vor Gott und den Menschen nicht zu verantworten ist. Es ist vielleicht ein Teil der von Gott für das unbedachte Mitmachen ›in pompactio fastu Antichristi‹ auferlegten Buße, jetzt unter erschwerten Bedingungen Gottes Sachwalter zu sein.« (Elliger, Müntzer, 367). Barge schließlich sieht hierin eine »versteckte Aufforderung zu revolutionärer Gewalttat.« (Barge, Karlstadt 2, 16) – eine Interpretation, die mit Blick auf Müntzers Sendbrief an die Stolberger vom 18. Juli 1523 (TMA 2, 172–184 Nr. 60), in dem er diese noch vor »unfuglichen auffrur« warnte, sehr unwahrscheinlich erscheint.
12Damit spielt Müntzer wohl auf Karlstadts Funktion und Lebensstil als Archidiakon am Wittenberger Allerheiligenstift an, der auch von Karlstadt als »Ärgernis« angesehen wurde; vgl. KGK 242. Nach Bräuer könnte Karlstadt hier auch das Gleichnis von den Arbeitern im Weinberg (Mt 20,1–16) im Blick gehabt haben; vgl. Bräuer, Briefwechsel, 165.
13Anna von Mochau, mit der Karlstadt seit dem 19. Januar 1522 verheiratet war; vgl. KGK 215.
14Die Interpretation, diese Äußerung sei dahingehend zu verstehen, dass Müntzer zu diesem Zeitpunkt noch nicht verheiratet war, ist unsicher. Hierzu siehe Bräuer, Briefwechsel, 197f.; TMA 2, 190f. Anm. 16.

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