Nr. 237
Andreas Karlstadt an Thomas Müntzer
Wittenberg, 1522, 21. Dezember

Einleitung
Bearbeitet von Ulrich Bubenheimer und Alejandro Zorzin

1. Überlieferung

Handschrift:

[a:]Rossijskaja Gosudarstvennaja Biblioteka Moskva, Fonds 218, Nr. 390, fol. 25r–v
Editionen:

Literatur:

2. Entstehung und Inhalt

Karlstadt antwortet auf Müntzers vorausgegangenen Brief (KGK 236) und bittet ihn zu einem Treffen in seine Wittenberger Unterkunft bei Simon Fleischer.1 In seinen Ausführungen nimmt Karlstadt sowohl kritisch wie auch tröstend Bezug auf Müntzers Schreiben und dessen darin erwähnte Schwierigkeiten. So wie bei dem seine Geburt verfluchenden Jeremia (Jer 20,14) das in die Erde gefallene Weizenkorn (Joh 12,24) noch nicht gestorben war, spüre Müntzer die Bitterkeit des Senfkorns, jedoch noch ohne der Kleinste von allen geworden zu sein (Mt 13,31 f.).2Karlstadt begrüßt Müntzers Distanzierung von Ereignissen bei den Zwickauern. Im bevorstehenden Treffen beider – Müntzer möge allein kommen – werde ihm Karlstadt Weiteres mitteilen, das er dem brieflichen Weg nicht anvertrauen will. Er habe vor, Müntzer in sein neues Heim zu führen, das er sich auf dem Land gekauft hat.3 Über Visionen und Träume habe Karlstadt in Wittenberg mehr gesagt als andere; weiteres dazu werde er ihm persönlich mitteilen. Müntzer soll ihn möglichst bald in seiner Unterkunft aufsuchen.

Müntzer und Karlstadt werden sich bald darauf getroffen haben. Im Dezember 1522 hatte Müntzer in dem Zisterzienserinnenkloster St. Georg in Glaucha (vor Halle) für einige Monate eine Anstellung als Kaplan gefunden.4 Ob er Karlstadt mit seinem vorherigen Brief um Vermittlung einer geistlichen Anstellung gebeten habe, ist ungeklärt.5


1S. hierzu KGK 237 (Anmerkung). Bräuer, Briefwechsel, 190; TMA 2, 150 Anm. 1 Nr. 53; Bräuer/Vogler, Müntzer, 173–175 vermuten, dass sich Müntzer bei der Abfassung seines Briefes in der Nähe Wittenbergs, wahrscheinlich in Kemberg, aufgehalten habe. Allerdings bietet die Quellenlage dafür keinen triftigen Anhaltspunkt.
2Karlstadt stellt einen Bezug zur Selbstverfluchung des Jeremia nach seiner Erhebung zum Seher und Propheten durch Gott her (Jer 20,7–18). Vermutlich hatte Müntzer in seinem Brief über den eigenen, verkannten Status geklagt, was Karlstadt zu dieser Referenz und einer Einordnung in sein Gelassenheits- und Bußkonzept bewegte: Müntzer habe sein Selbst noch nicht hinreichend »gelassen«. Vgl. die von Hasse, Karlstadts Predigt, 106 gemachte Beobachtung, dass sich zwischen dem Inhalt der am 29. Sept. 1522 in Joachimsthal gehaltenen Predigt am Michaelistag (KGK 232; zusammengefasst auch in Hasse, Karlstadts Predigt, 108–110) und dem Antwortbrief an Müntzer auffallende Bezüge feststellen lassen; siehe hier vor allem die Auslegung von Mt 13,31 f. (KGK 232 (Textstelle)). Zur Exegese dieser Textstelle vgl. auch KGK 231 (Textstelle). Das biblische Gleichnis vom Weizenkorn, das zuerst in der Erde ersterben müsse, um Frucht zu tragen (Joh 12,24 f.), verwendet Karlstadt intensiv im Kapitel »Zwaierlay kornlin Joan. XII.« seiner im folgenden Frühjahr 1523 verfassten Schrift Was gesagt ist: Sich gelassen (KGK VI, Nr. 241). Es steht für den Prozess der Aufgabe des eigenen Selbst auf dem Weg zur Gelassenheit aller Dinge und der anschließenden Vereinigung mit dem Willen Gottes.
3Das Landhaus befand sich in Wörlitz; vgl. die Adresse in KGK VI, Nr. 244.
4Vgl. TMA 3, 115 f. Nr. 69; s. auch Bräuer, Briefwechsel, 194; Bräuer/Vogler, Müntzer, 176–179; Delius, Reformationsgeschichte, 27 f.
5So Bräuer, Briefwechsel, 194; TMA 2, 150 Nr. 53; Bräuer/Vogler, Müntzer, 173–175. Etwas abweichend Elliger, Müntzer, 242 f., der Müntzer schon als Kaplan in Glaucha sieht, als er den Brief an Karlstadt schrieb.

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