Nr. 236
Verschollen: Thomas Müntzer an Andreas Karlstadt
[Bei Wittenberg?] , 1522, [vor dem 21. Dezember]

Einleitung
Bearbeitet von Ulrich Bubenheimer und Alejandro Zorzin

1. Referenz

Antwortschreiben Karlstadts an Müntzer vom 21. Dezember 1522: »Animadverti ego in literis tuis procellas maris, in quo natas.« (KGK 237).

Literatur:

2. Inhaltliche Hinweise

Müntzer schrieb Karlstadt vermutlich aus der Umgebung Wittenbergs an.1 Laut Karlstadts Antwortschreiben (KGK 237) beklagte er sich über Schwierigkeiten,2 gestand, dass ihm manches, was bei den Zwickauern geschehen sei, missfalle,3 sprach Karlstadt hinsichtlich Visionen und Träume an.

Am 29. März 1522 hatte Müntzer einen Brief an Philipp Melanchthon geschrieben.4 Darin kritisierte er verschiedene Aspekte der neuesten Entwicklung in Wittenberg.5 Am Ende dieses Schreibens bot er an, seine Kritik »[…] aus der Schrift, aus der Ordnung, aus der Erfahrung und aus dem unverschlossenen Wort Gottes«6 belegen zu wollen. Sein Vorschlag wurde angenommen, und Ende März oder Anfang April 1522 fand ein Gespräch zwischen Müntzer, Melanchthon und Johannes Bugenhagen statt.7 Ob er bei der Gelegenheit auch Karlstadt kontaktierte, ist nicht belegt.

Über den Sommer (Juli–September) hielt sich Müntzer in Nordhausen auf.8 Im Oktober scheint er in Weimar gewesen zu sein, bei dem dort erst kurz vorher als Hofprediger angestellten (aus Zwickau stammenden) Wolfgang Stein.9 Vielleicht gaben an Müntzer gelangte Informationen über Karlstadts in Joachimsthal gehaltene Predigt am Michaelistag (vgl. KGK 232) den Anlass zur Kontaktaufnahme mit ihm.10


1Vgl. TMA 2, 150 Anm. 1 Nr. 53: »Müntzer befand sich bereits nahe Wittenberg (Kemberg?). Da Müntzer die derzeitige Wohnung Karlstadts unbekannt war, wird der Bote den Adressaten an einem offiziellen Ort angetroffen haben (Kirche, Universität).« Allerdings läßt sich diese Aussage nicht aus den Quellen belegen.
2Bräuer, Briefwechsel, 191 f. meint, Müntzer habe im Schreiben an Karlstadt»[…] die Zurückweisung seines Sendungsauftrages [beklagt]. […] Schon in seinem sogenannten Prager Manifest […] hatte Müntzer seine Bereitschaft erklärt, die Last Jeremias (onus Jeremiae), die Last des Prophetenamtes nach Jer 23 zu tragen und das Urteil Gottes auszurichten. Als Abgewiesener sah er sich Bodenstein gegenüber berechtigt, dieses Schicksal ebenfalls im Licht von Jer 20,14 zu beklagen.«
3Anfang September 1522 hatte Luther in Wittenberg ein Gespräch mit Nikolaus Storch, einem weiteren nicht namentlich Genannten (»in longa tunica«) und dem diese begleitenden Kölner Juristen Gerhard Westerburg (WA.B 2, 597,26–31 Nr. 535); vgl. Kaufmann, Zwickauer Propheten, 87–90.
4Vgl. TMA 2, 130–137 Nr. 47.
5Bubenheimer, Müntzer und Wittenberg, 37: »[…] Müntzer [war] im Frühjahr 1522 mindestens etwa einen Monat im Wittenberger Raum und hat dort das Ende der Wittenberger Bewegung im Zusammenhang mit der Rückkehr und den Invocavit-Predigten Luthers (9. bis 16. März) miterlebt.«
6TMA 2, 137,1 f.: »Si volueritis, omnia mea scripturis, ordine, experientia apertoque verbo Dei roborabo.«
8Vgl. TMA 2, 139–141 Nr. 48; bzw. 147–149 Nr. 52 (ein Brief, in dem der von Müntzer angeschriebene Johann van den Esschen ihm im Oktober/November 1522 tröstend antwortet).
9Vgl. Bräuer/Vogler, Müntzer, 171–173. Aus Notizen zu einem Gespräch Steins mit Müntzer (in Weimar) geht hervor, dass Müntzer an den Wittenbergern Kritik äußerte und Luther, Karlstadt, Melanchthon und auch Johannes Lang als Narren bezeichnet haben soll: »De Wittenbergensibus male sentit et loquitur, nominans fatuos doctor Martinum Luther, Doctor Carlostadium, Philippum Melanchthonem atque adeo Doctor Langum.« Diese Notizen Spalatins in TMA 3, 113 f. Nr. 68.
10Hasse, Karlstadts Predigt, 106: »Besonders auffallende Bezüge ergeben sich zum Brief Karlstadts an Müntzer vom 21. Dezember 1522.«

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