1. Überlieferung
Handschrift:
Gestempelte Blattnummerierung, alte hsl. Nummerierung »8«; Ausfertigung von unbekannter Schreiberhand; fol. 3v Dorsalvermerk: »Doctor Carolstadt«.
Die Supplikation Karlstadts (ohne Adresse und Datum) war vermutlich dem Schreiben aus Orlamünde (Beilage 1) beigelegt.
Edition:
- Hase, Orlamünda, 91f. Nr. V (mit Lesefehlern).
Beilage 1: Rat von Orlamünde an Herzog Johann von Sachsen, Orlamünde, 26. Mai, 1523
Handschrift:
Gestempelte Blattnummerierung, alte hsl. Nummerierung »7« bzw. »11«; Ausfertigung mit Unterstreichungen bzw. Hervorhebungen von anderer Hand; fol. 2v Dorsalvermerk: »die von orlamünde/ doctor Carolstats halben«.
Edition:
- Hase, Orlamünda, 88--90 Nr. IV (mit Lesefehlern).
Beilage 2: Herzogliche Urkunde über die zwischen Andreas Karlstadt und Konrad Glitzsch getroffene Vereinbarung bezüglich der Pfarrei Orlamünde, Weimar, 1522, 9. April
Handschriften:
Alte hsl. Nummerierung »23«; Abschrift mit Kassationsstrich.
Überschrift: »Reces zwischen doctor Carolstat und magister Conradus glitzsch«.
Editionen:
- Trefftz, Karlstadt und Glitzsch, 348f.
- BAKFJ 2, 709 Nr. 1565 (Regest).
Beilage 3: Herzogliche Urkunde über die zwischen Andreas Karlstadt und Konrad Glitzsch getroffene Vereinbarung bezüglich der Pfarrei Orlamünde, Weimar, 1522, 14. Oktober
Handschriften:
(Überschrift »Schied zwischen doctor Carolstadt und magistro Conrado Glitzsch pfarrer zu Orlamundt«; Abschrift von [a:]; fol. 42r Randvermerk »vid Vol.A 3 fol. 65b«).
Editionen:
- Trefftz, Karlstadt und Glitzsch, 349f.
- BAKFJ 2, 791 Nr. 1683 (Regest).
Literatur:
- Hase, Orlamünda, 57--62.
- Barge, Karlstadt 2, 95--97.
- Müller, Karlstadt, 137--150.
- Barge, Übersiedlung, 338--348.
- Wähler, Orlamünde, 57--64.
- Joestel, Ostthüringen, 80--83.
- Barge, Gemeindechristentum, 234--240.
2. Entstehung und Inhalt
Das vorliegende Schreiben entstand wohl um den 26. Mai 1523, wie aus einer Mitteilung Herzog Johanns an seinen Bruder Kurfürst Friedrich III. vom 2. Juni 1523 hervorgeht. Hierin nimmt er auf das Gesuch Karlstadts Bezug und erwähnt zugleich die »schrifft« des Orlamünder Rats vom 26. Mai 1523 (Beilage 1), die er dem Kurfürsten zusammen mit Karlstadts Schreiben übersandte.2
Hierin ersuchte KarlstadtHerzog Johann, ihn mit der Pfarrstelle in Orlamünde zu betrauen. Als Begründung für dieses Gesuch nutzte er die zunehmende Kritik auswärtiger Anhänger der Reformation, die ihm mit Blick auf seine Verstrickung in das von ihm ebenfalls kritisierte kirchliche Pfründenwesen entgegenschlug. In Karlstadts Fall handelte es sich um seine Einnahmen als Archidiakon des Wittenberger Allerheiligenstifts, bestehend aus den Präsenzgeldern für kirchliche Tätigkeiten, die er »armuts und grosser nodt halben pfleg holenn und nehmen«, sowie aus den in absentia gezahlten Pensionen der dem Archidiakonat zugehörigen Pfarrei Orlamünde. Diese stellten für seine Kritiker ein »Ärgernis«3 dar, dem Karlstadt nun aufgrund dieser Kritik, aber auch aus eigenem Antrieb entgegentreten wollte. Er bat daher Herzog Johann, ihn für »ein jar lang oder czwei« mit der Pfarrstelle in Orlamünde zu betrauen oder ihn »uff euserste und letzte« gegen eine »czymliche und ertregliche pension«, also eine geringe Abgabe nach Wittenberg, als Konventor in Orlamünde einzusetzen. Andernfalls sähe er sich aus Gewissensgründen gezwungen, die Pfarrei als Pfründe aufzugeben. Für den Fall, dass der Herzog mit der Ausführung seines Dienstes vor Ort nicht zufrieden sein sollte, wollte Karlstadt die Zeit nutzen und sich auf eigene Kosten in der Nähe als Bauer niederlassen.4
Die Pfarrei Orlamünde war als Präbende dem Archidiakonat am Allerheiligenstift in Wittenberg inkorporiert, dessen Inhaber Karlstadt seit dem 1. Dezember 1510 war.5 Die Stelle in Orlamünde wurde üblicherweise durch einen Konventor oder vicarius perpetuus versehen, zum Zeitpunkt des Schreibens war sie aller Wahrscheinlichkeit nach jedoch bereits seit dem 1. Mai 1523 vakant. Zuvor war es seit über einem Jahr immer wieder zu Auseinandersetzungen zwischen Karlstadt und dem damaligen Konventor Konrad Glitzsch6 wegen ausgebliebener Pensionszahlungen gekommen, die nur durch gerichtliche Verfahren am Weimarer Hof hatten geschlichtet werden können (Beilagen 2 und 3). Am 9. April 1522 verpflichtete sich Glitzsch, seine Schulden ratenweise zu begleichen und die Pfarrei bis zum 29. September 1522 (Michaelis) zu verlassen. Im Gegenzug wurde ihm von Seiten der Herzöge ein frei werdendes Lehen in Aussicht gestellt. Dieser Verpflichtung kam Glitzsch jedoch nicht nach, sondern trat stattdessen mit dem Wunsch an Karlstadt heran, noch bis zum 1. Mai 1523 (Walpurgis) in Orlamünde bleiben zu dürfen »auf das er sein getraid und anders zu seinem besten underbrengen mochte.«7 Auch wenn Karlstadt dieses Ansinnen zunächst ablehnte, kam es doch am 14. Oktober 1522 im Beisein des Kurprinzen Johann Friedrich zu einem erneuten Vergleich, in dem Glitzsch verpflichtet wurde, nicht nur seine Restschulden und vierzig Gulden für das zusätzliche halbe Jahr an Karlstadt zu zahlen, sondern auch die Pfarrei bis 1. Mai 1523 ohne »eintrege ader behelf« zu verlassen.8
Dieser Verpflichtung kam Glitzsch zwar nach, hinterließ die Pfarrei jedoch in einem herabgewirtschafteten und ausgeräumten Zustand. Dies zumindest geht aus einem Schreiben des Orlamünder Rates an Herzog Johann (Beilage 1) hervor, dem das Schreiben Karlstadts wahrscheinlich zur Unterstützung seines Anliegens beigelegt war.9 Demnach war das Pfarrhaus baufällig, ein Haus im Garten und die Zäune abgebrochen, die Weinberge wüst, die Äcker so mager und ausgedorrt, »das sie ein Jar langk uffs wenigst stilligen und ruhen mussen« und das Holz »vorhauben [verhauen] und vorwust/ das ein zu kunfftiger pfarher […] sein eygen gelt vor holcz auß geben« muss.10 Angesichts des desolaten Zustandes der Pfarrei fürchtete der Rat nun, keinen Nachfolger für Glitzsch zu finden und bat den Herzog daher, Karlstadt die Übernahme der Pfarrei »auffs wenigste ein Jar oder czwey« zu gestatten.11
Indem sich Karlstadt und die Orlamünder direkt an Herzog Johann wandten, umgingen sie die eigentlichen Entscheidungsträger für die Besetzung der Pfarrstelle, die der Universität und dem Allerheiligenstift (Nomination) und dem Kurfürsten (Präsentation) oblag.12Herzog Johann leitete die beiden Schreiben am 2. Juni 1523 dann auch zur Entscheidung über das weitere Vorgehen an Kurfürst Friedrich III. weiter, da »wir nit wusten, was dem Capitel und auch der universitet daselbst und zuvorderst Eur lieb, diweil der Archidiaconus zu einer lection in der universitet verbunden, inen zu Orlamunde als ainen pfarrer oder umb pension zu residiren lassen gelegen sein wold.«13