Nr. 242
Andreas Karlstadt an Herzog Johann von Sachsen
[Orlamünde?], [1523, um 26. Mai]

Einleitung
Bearbeitet von Stefanie Fraedrich-Nowag

1. Überlieferung

Handschrift:

[a:]LATh-HStA Weimar, EGA, Reg. O, Nr. 358, fol. 3r–v

Gestempelte Blattnummerierung, alte hsl. Nummerierung »8«; Ausfertigung von unbekannter Schreiberhand; fol. 3v Dorsalvermerk: »Doctor Carolstadt«.

Die Supplikation Karlstadts (ohne Adresse und Datum) war vermutlich dem Schreiben aus Orlamünde (Beilage 1) beigelegt.

Edition:

Beilage 1: Rat von Orlamünde an Herzog Johann von Sachsen, Orlamünde, 26. Mai, 1523

Handschrift:

[a:]LATh-HStA Weimar, EGA, Reg. O, Nr. 358, fol. 1r–2v

Gestempelte Blattnummerierung, alte hsl. Nummerierung »7« bzw. »11«; Ausfertigung mit Unterstreichungen bzw. Hervorhebungen von anderer Hand; fol. 2v Dorsalvermerk: »die von orlamünde/ doctor Carolstats halben«.

Edition:

Beilage 2: Herzogliche Urkunde über die zwischen Andreas Karlstadt und Konrad Glitzsch getroffene Vereinbarung bezüglich der Pfarrei Orlamünde, Weimar, 1522, 9. April

Handschriften:

[a:]LATh-HStA Weimar, EGA, Kopialbuch A 3, fol. 25v–26r

Alte hsl. Nummerierung »23«; Abschrift mit Kassationsstrich.

[b:]LATh-HStA Weimar, EGA, Kopialbuch A 6, fol. 22r–23r

Überschrift: »Reces zwischen doctor Carolstat und magister Conradus glitzsch«.

Editionen:

Beilage 3: Herzogliche Urkunde über die zwischen Andreas Karlstadt und Konrad Glitzsch getroffene Vereinbarung bezüglich der Pfarrei Orlamünde, Weimar, 1522, 14. Oktober

Handschriften:

[a:]LATh-HStA Weimar, EGA, Kopialbuch A 3, fo. 70v--71v (alte hsl. Nummerierung »65--66«, Abschrift mit Kassationsstrich)

[b:]LATh-HStA Weimar, EGA, Kopialbuch A 6, fol. 42r–43r

(Überschrift »Schied zwischen doctor Carolstadt und magistro Conrado Glitzsch pfarrer zu Orlamundt«; Abschrift von [a:]; fol. 42r Randvermerk »vid Vol.A 3 fol. 65b«).

Editionen:

Literatur:

2. Entstehung und Inhalt

Das vorliegende Schreiben entstand wohl um den 26. Mai 1523, wie aus einer Mitteilung Herzog Johanns an seinen Bruder Kurfürst Friedrich III. vom 2. Juni 1523 hervorgeht. Hierin nimmt er auf das Gesuch Karlstadts Bezug und erwähnt zugleich die »schrifft« des Orlamünder Rats vom 26. Mai 1523 (Beilage 1), die er dem Kurfürsten zusammen mit Karlstadts Schreiben übersandte.2

Hierin ersuchte KarlstadtHerzog Johann, ihn mit der Pfarrstelle in Orlamünde zu betrauen. Als Begründung für dieses Gesuch nutzte er die zunehmende Kritik auswärtiger Anhänger der Reformation, die ihm mit Blick auf seine Verstrickung in das von ihm ebenfalls kritisierte kirchliche Pfründenwesen entgegenschlug. In Karlstadts Fall handelte es sich um seine Einnahmen als Archidiakon des Wittenberger Allerheiligenstifts, bestehend aus den Präsenzgeldern für kirchliche Tätigkeiten, die er »armuts und grosser nodt halben pfleg holenn und nehmen«, sowie aus den in absentia gezahlten Pensionen der dem Archidiakonat zugehörigen Pfarrei Orlamünde. Diese stellten für seine Kritiker ein »Ärgernis«3 dar, dem Karlstadt nun aufgrund dieser Kritik, aber auch aus eigenem Antrieb entgegentreten wollte. Er bat daher Herzog Johann, ihn für »ein jar lang oder czwei« mit der Pfarrstelle in Orlamünde zu betrauen oder ihn »uff euserste und letzte« gegen eine »czymliche und ertregliche pension«, also eine geringe Abgabe nach Wittenberg, als Konventor in Orlamünde einzusetzen. Andernfalls sähe er sich aus Gewissensgründen gezwungen, die Pfarrei als Pfründe aufzugeben. Für den Fall, dass der Herzog mit der Ausführung seines Dienstes vor Ort nicht zufrieden sein sollte, wollte Karlstadt die Zeit nutzen und sich auf eigene Kosten in der Nähe als Bauer niederlassen.4

Die Pfarrei Orlamünde war als Präbende dem Archidiakonat am Allerheiligenstift in Wittenberg inkorporiert, dessen Inhaber Karlstadt seit dem 1. Dezember 1510 war.5 Die Stelle in Orlamünde wurde üblicherweise durch einen Konventor oder vicarius perpetuus versehen, zum Zeitpunkt des Schreibens war sie aller Wahrscheinlichkeit nach jedoch bereits seit dem 1. Mai 1523 vakant. Zuvor war es seit über einem Jahr immer wieder zu Auseinandersetzungen zwischen Karlstadt und dem damaligen Konventor Konrad Glitzsch6 wegen ausgebliebener Pensionszahlungen gekommen, die nur durch gerichtliche Verfahren am Weimarer Hof hatten geschlichtet werden können (Beilagen 2 und 3). Am 9. April 1522 verpflichtete sich Glitzsch, seine Schulden ratenweise zu begleichen und die Pfarrei bis zum 29. September 1522 (Michaelis) zu verlassen. Im Gegenzug wurde ihm von Seiten der Herzöge ein frei werdendes Lehen in Aussicht gestellt. Dieser Verpflichtung kam Glitzsch jedoch nicht nach, sondern trat stattdessen mit dem Wunsch an Karlstadt heran, noch bis zum 1. Mai 1523 (Walpurgis) in Orlamünde bleiben zu dürfen »auf das er sein getraid und anders zu seinem besten underbrengen mochte.«7 Auch wenn Karlstadt dieses Ansinnen zunächst ablehnte, kam es doch am 14. Oktober 1522 im Beisein des Kurprinzen Johann Friedrich zu einem erneuten Vergleich, in dem Glitzsch verpflichtet wurde, nicht nur seine Restschulden und vierzig Gulden für das zusätzliche halbe Jahr an Karlstadt zu zahlen, sondern auch die Pfarrei bis 1. Mai 1523 ohne »eintrege ader behelf« zu verlassen.8

Dieser Verpflichtung kam Glitzsch zwar nach, hinterließ die Pfarrei jedoch in einem herabgewirtschafteten und ausgeräumten Zustand. Dies zumindest geht aus einem Schreiben des Orlamünder Rates an Herzog Johann (Beilage 1) hervor, dem das Schreiben Karlstadts wahrscheinlich zur Unterstützung seines Anliegens beigelegt war.9 Demnach war das Pfarrhaus baufällig, ein Haus im Garten und die Zäune abgebrochen, die Weinberge wüst, die Äcker so mager und ausgedorrt, »das sie ein Jar langk uffs wenigst stilligen und ruhen mussen« und das Holz »vorhauben [verhauen] und vorwust/ das ein zu kunfftiger pfarher […] sein eygen gelt vor holcz auß geben« muss.10 Angesichts des desolaten Zustandes der Pfarrei fürchtete der Rat nun, keinen Nachfolger für Glitzsch zu finden und bat den Herzog daher, Karlstadt die Übernahme der Pfarrei »auffs wenigste ein Jar oder czwey« zu gestatten.11

Indem sich Karlstadt und die Orlamünder direkt an Herzog Johann wandten, umgingen sie die eigentlichen Entscheidungsträger für die Besetzung der Pfarrstelle, die der Universität und dem Allerheiligenstift (Nomination) und dem Kurfürsten (Präsentation) oblag.12Herzog Johann leitete die beiden Schreiben am 2. Juni 1523 dann auch zur Entscheidung über das weitere Vorgehen an Kurfürst Friedrich III. weiter, da »wir nit wusten, was dem Capitel und auch der universitet daselbst und zuvorderst Eur lieb, diweil der Archidiaconus zu einer lection in der universitet verbunden, inen zu Orlamunde als ainen pfarrer oder umb pension zu residiren lassen gelegen sein wold.«13


1Unter Mitarbeit und Verwendung der Vorarbeiten von Alejandro Zorzin.
2LATh-HStA Weimar, EGA, Reg.O, Nr. 358, fol. 5r: »[…] unns hat doctor Carolstat von witenberg alhie angesucht unnd gebeten, das wir Ime gestaten wolten, [ihn] ein Jar ader zway auf der pfarn zu Orlamunde[…] sizen zu lassenn, als das Eur lieb aus seiner supplication, so wir Eur lieb samt des Radts zu Orlamünde neben schrifft hiebey ubersenden […]« (= Hase, Orlamünda, 92f. Nr. VI). Karlstadt und die Orlamünder wandten sich mit ihrem Gesuch an Herzog Johann, da Orlamünde durch seine geographische Lage seit der Mutschierung des ernestinischen Herrschaftsgebietes 1513 politisch unter seiner Verwaltung stand. Da Wittenberg und das dortige Allerheiligenstift, dem die Pfarrei Orlamünde inkorporiert war, jedoch dem Kurfürsten unterstanden und außerdem die eigentlichen Entscheidungsträger für die Besetzung der Pfarrstelle umgangen wurden, leitete Johann das Gesuch zur Entscheidung an seinen Bruder weiter; siehe auch KGK 242 (Anmerkung).
3Ein Ärgernis liegt für Karlstadt dann vor, »wenn etwas objektiv im Widerspruch zum göttlichen Gesetz steht. Ein solcher Tatbestand ›ärgert‹, d.h. hindert am richtigen Glauben«; vgl. Bubenheimer, Scandalum, 285. Zu Karlstadts Kritik am altkirchlichen Messwesen siehe auch KGK 195.
4Karlstadt hatte anscheinend nicht zwingend vor, nach Wittenberg zurückzukehren, sondern wollte sein Leben mit seiner Hände Arbeit verdienen. Dieses Vorhaben kann als Teil der persönlichen Entwicklung Karlstadts gesehen werden, der spätestens ab Mitte des Jahres 1522 sukzessive mit »seiner bisherigen Rolle als Theologieprofessor und Pfründeninhaber im Stile der altkirchlichen Ordnung« brach und sein Leben in Wittenberg immer häufiger mit der bäuerlichen Umgebung seines Landsitzes in Wörlitz tauschte; vgl. Zorzin, Gelassenheit, 230f. sowie die Einleitungen zu KGK 239 und KGK 241. Tatsächlich erwarb oder erhielt er während seiner Zeit in Orlamünde ein Haus in Naschhausen ganz in der Nähe des Ortes; vgl. Hase, Orlamünda, 59 Anm. 26. Eine weitere Motivation Karlstadts, sich ein Tätigkeitsfeld außerhalb Wittenbergs zu suchen, könnte seine zunehmende Isolation und Tätigkeitsbeschränkung ebendort gewesen sein. Hierzu siehe z.B. Barge, Gemeindechristentum, 207--228.
5Vgl. KGK I.1, S. xxvi.
6Zu Konrad Glitzsch (*1465/66) imm. Leipzig WS 1491/92, bacc. art. WS 1493/94, darauf imm. Wittenberg WS 1502/03, bis 1518 Inhaber der Vikarie St. Wenzels am Allerheiligenstift, ab 1518 Konventor in Orlamünde, vgl. Bubenheimer, Müntzer, 175 Anm. 176 und 180.
9Diese Vermutung ergibt sich daraus, dass Karlstadts Schreiben im Gegensatz zum Schreiben der Orlamünder kein Datum und keine Adresse aufweist. Karlstadt und der Rat hatten ihr Vorgehen sicherlich vorher abgesprochen. Der von Karlstadt verfasste Entwurf seines Briefes wurde dann wahrscheinlich von einem Schreiber in Reinform gebracht und dem Orlamünder Schreiben beigelegt.
11Vor dem Hintergrund der wirtschaftlichen Situation der Pfarrei erscheint die von Müller, Karlstadt, 143f. aufgestellte These, Karlstadt habe sich aus finanziellen Gründen um eine Übernahme der Pfarrei bemüht, sehr unwahrscheinlich. Hierzu siehe auch Barge, Gemeindechristentum, 231--233.
12Vgl. Bünger/Wentz, Brandenburg, 127f. Die Umgehung von Kurfürst, Universität und Kapitel könnte zum einen mit den sich überlappenden Zuständigkeiten (siehe oben KGK 242 (Anmerkung)), aber auch mit der zurückliegenden Auseinandersetzung zwischen Karlstadt und Friedrich III. in Verbindung mit der Besetzung der der Pfarrei Orlamünde untergeordneten Pfarrstelle in Uhlstädt im Jahr 1517 zusammenhängen. Karlstadt hatte sich unter Berufung auf die noch nicht in Kraft getretenen neuen Statuten des Allerheiligenstifts über das darin festgelegte Präsentationsrecht des Kurfürsten hinweggesetzt und selbst einen Pfarrer ernannt; vgl. KGK I.1, Nr. 49–57 und Wähler, Orlamünde, 47--49.
13Herzog Johann an Kurfürst Friedrich III., Weimar, 2. Juni 1523 (LATh-HStA Weimar, EGA, Reg.O, Nr. 358, fol. 5r = Hase, Orlamünda, 92f. Nr. VI). Zur Antwort des Kurfürsten siehe KGK 243. Ob Universität und Stiftskapitel zu diesem Zeitpunkt überhaupt in die Entscheidungsfindung einbezogen wurden ist unklar, von einer entsprechenden Korrespondenz zwischen Friedrich III. und den Wittenbergern ist nichts bekannt.

Downloads: XML · PDF (Druckausgabe)
image CC BY-SA licence
»