Nr. 243
Verschollen: Herzogliche Räte an Andreas Karlstadt
[[Weimar], 1523, vor 2. Juni] (verschollen)

Einleitung
Bearbeitet von Stefanie Fraedrich-Nowag

1. Referenz

Herzog Johann an Kurfürst Friedrich III., 2. Juni 1523, LATh-HStA Weimar, EGA, Reg.O, Nr. 358, fol. 5r: »So haben wir Ime darauf Zuantwort geben lassen/ das wir nit wusten, was dem Capitel unnd auch der universitet doselbst und zuvorderst Eur lieb/ diweil der Archidiaconus zu ainer lection In der universitet verbunden. Inen [Karlstadt] zu Orlamunde als ainen pfarner ader umb pension/ zu residiren lassn gelegen sein wold. Darum gedechtn wir Eur lieb/ von solchen seinem ansuchen anzcaig zuthun/ und was uns vonn Eur lieb, die villeucht sein schreiben furder/ berurtem Capitel/ und universitet zu schigkenn, und sich bey Inen Irer gelegenhait/ erkunden wurde zu andwort einkeme darnach wolten wir uns auf sein ferner ansuchen gegn Ime vornehmen lassn.«

Edition:

2. Inhaltliche Hinweise

Karlstadt wandte sich mit dem Plan einer Übernahme der dem Allerheiligenstift als Präbende des Archidiakonats inkorporierte Pfarrei Orlamünde zunächst an den Hof in Weimar (KGK 242), obgleich die Besetzung der Stelle gemäß den Statuten des Allerheiligenstifts in den Händen von Universität, Stiftskapitel (Nomination) und Kurfürst (Präsentation) lag, umging also den offiziellen Weg. Herzog Johann war sich des Konfliktpotentials einer Übernahme der Pfarrei durch Karlstadts wohl durchaus bewusst und ließ ihm zur Antwort geben, dass dieses Vorhaben auf Einwände bei Universität, Stiftskapitel und Kurfürsten stoßen könnte, da mit dem Archidiakonat am Allerheiligenstift zugleich eine Lehrverpflichtung an der Universität verbunden war, der Karlstadt bei einer dauerhaften Übersiedelung nach Orlamünde schon aufgrund der Entfernung kaum nachkommen konnte. Gleiches galt für seine kirchlichen Verpflichtungen am Allerheiligenstift. Vor diesem Hintergrund leitete Herzog Johann die Supplication Karlstadts (KGK 242) zusammen mit dem unterstützenden Schreiben des Orlamünder Rates (Beilage 1 zu KGK 242) am 2. Juni 1524 an Kurfürst Friedrich III. zur Kenntnisnahme und Absprache des weiteren Vorgehens weiter.1

Friedrich III. äußerte in seinem Antwortschreiben an Herzog Johann zwar keine Bedenken, dass sich Karlstadt »von Witnberg begebe/ weil er doch sonst/ dy merer zeit/ Im land hin und her zeuhet«, wies aber darauf hin, dass das Wittenberger Kapitel Karlstadt in diesem Fall wohl keine Absenzen und Präsenzen mehr bewilligen würde, es sei denn, er würde seine Präbende am Allerheiligenstift aufgeben und die Pfarrei als Konventor übernehmen »und die pflicht daran thun […], in massen, der vorig sein conventor [Glitzsch] getan hat.«2 Sollte sich Karlstadt unter diesen Bedingungen bereiterklären, die Pfarrei zu übernehmen »und e'uer' l'ieben' es auch fur gut ansehn/ so ist es uns nit entgegen« unter der Bedingung, »das es mit bewilligung des itzigen conventors beschee.«3 Friedrich III. war also anscheinend nicht bewusst, dass Glitzsch zu diesem Zeitpunkt die Pfarrei bereits geräumt hatte, obgleich dies aus dem ihm ebenfalls durch Herzog Johann übermittelten Schreiben der Orlamünder hervorging.4

Mit der Antwort des Kurfürsten lag die grundsätzliche Zustimmung zur Übernahme der Pfarrei durch Karlstadt zwar vor, einige essentielle Punkte, wie die Frage nach der rechtlichen Stellung Karlstadts in Orlamünde und – damit zusammenhängend – etwaige nach Wittenberg zu leistende Abgaben5, blieben jedoch offen bzw. wurden dem Herzog zur Regelung übertragen.6 Tatsächlich stellte sein Ansuchen ein Novum dar, dessen finanzielle und juristische Rahmenbedingungen noch festgelegt werden mussten, was jedoch ausblieb; ein offizielles Antwortschreiben des Herzogs oder des Kurfürsten Friedrich III. auf das Gesuch Karlstadts ist zumindest nicht bekannt, ebenso wenig ein Schreiben der Universität und des Stiftskapitels. Dementsprechend muss aufgrund fehlender Quellen offen bleiben, in welcher Funktion Karlstadt die Pfarrei schließlich übernahm – als Pfarrherr, der er als Archidiakon ja offiziell war, oder als Konventor – eine Frage, die auch in der Folgezeit zunächst weder von fürstlicher Seite noch von Seiten der Universität und des Stiftskapitels thematisiert wurde.7 Gleiches gilt für die Frage, ob mit der Übernahme der Pfarrei in Orlamünde auch der Verzicht auf das Archidiakonat verbunden war. Erst im März des Folgejahres forderten Universität und Stiftskapitel Karlstadt, möglicherweise auf Initiative Luthers hin, auf, nach Wittenberg zurückzukehren und seinen Aufgaben als Archidiakon nachzukommen.8 Diese Vorgehensweise sowie die Tatsache, dass Karlstadt erst im Juni 1524 gegenüber Kurfürst Friedrich III. offiziell auf sein Amt als Archidiakon verzichtete, spricht dafür, dass Karlstadt dieses Amt aus Sicht der beteiligten Parteien auch nach der Übernahme der Pfarrei weiterhin formal inne hatte.9 Auch aus der Tatsache, dass Universität und Stiftskapitel bei der Neubesetzung der Stelle im August 1524 Kaspar Glatz ausdrücklich als Nachfolger des ausgeschiedenen Konventors Konrad Glitzsch wählten,10 kann nicht sicher geschlussfolgert werden, in welcher Funktion Karlstadt die Pfarrei übernahm. Tatsächlich scheint die Regelung der finanziellen Aspekte der Übersiedelung erst nach der Resignation des Archidiakonats und Aufgabe der Stelle in Orlamünde erfolgt zu sein – um den 22. Juli 1524 einigten sich Universität und Stiftskapitel mit Karlstadt darauf, ihm für das vergangene Jahr das Corpusgeld aus dem Archidiakonat zu überlassen, die Einnahmen aus der Pfarrei (pension) wurden dem Archidiakonat zugeordnet.11 Was dies für die etwaigen Zahlungsverpflichtungen Karlstadts bedeutete, bleibt in den Quellen jedoch unklar.12

Auch der Zeitpunkt der endgültigen Übersiedelung nach Orlamünde muss wegen fehlender Quellen offen bleiben. Es ist jedoch anzunehmen, dass sich Karlstadt bereits seit Mai zumindest zeitweise in der Pfarrei aufgehalten hat, da das gemeinsame Vorgehen mit dem Orlamünder Rat, das in den zum 26. Mai 1523 verfassten Briefen an Herzog Johann (KGK 242) zum Ausdruck kommt, eine vorherige persönliche Absprache erforderte.13 Wahrscheinlich pendelte Karlstadt eine geraume Zeit zwischen seinem Landsitz in Wörlitz14, Orlamünde und Wittenberg, wo er im Wintersemester noch eine Vorlesung über Sacharja (KGK 238) gehalten hatte, bevor er nach der oben erwähnten Stellungnahme endgültig nach Orlamünde übersiedelte.15 Die Tatsache, dass die Schrift Selig ohne Fürbitte Marias (KGK 244) auf den 27. Juli 1523 in Wittenberg datiert ist, kann in diesem Zusammenhang lediglich als Indiz für einen kurzzeitigen Aufenthalt in Wittenberg angesehen werden, der aber keinen Aufschluss über den Zeitpunkt seiner Übersiedelung gibt. Der Beginn seines Wirkens in Orlamünde kann unabhängig davon spätestens für Mai 1523, dem Zeitpunkt des gemeinsamen Herantretens an den Herzog angesetzt werden, da mit hoher Wahrscheinlichkeit davon auszugehen ist, dass es bei Karlstadts Aufenthalten in der Stadt zu einem Austausch mit den Orlamündern über seine theologische Ansichten und Reformvorhaben sowie einer vereinzelten Predigttätigkeit gekommen ist.


1Möglicherweise spielte für die Entscheidung Herzog Johanns auch die Erinnerung an die Auseinandersetzung zwischen Karlstadt und Friedrich III. um die Besetzung der vakanten Pfarrstelle in Uhlstädt in Jahr 1517 eine Rolle; vgl. KGK I.1., Nr. 49–57.
2LATh-HStA Weimar, EGA, Reg.O, Nr. 358, fol. 4r = Hase, Orlamünda, 93 Nr. VII.
3LATh-HStA Weimar, EGA, Reg.O, Nr. 358, fol. 4r = Hase, Orlamünda, 93 Nr. VII.
4Vgl. Beilage 1 zu KGK 242.
5Karlstadt strebte die Übernahme der Pfarrei als Pfarrherr an, Abgaben wären dann aufgrund der Tatsache, dass er dieses Amt als Archidiakon inne hatte, wahrscheinlich nicht angefallen. Die Übernahme der Pfarrei als Konventor kam für ihn nur im äußersten Fall und bei Festlegung einer aus der Pfarrei auch zu erwirtschaftenden Abgabe nach Wittenberg in Frage; vgl. Einleitung zu KGK 242.
6»und zweiveln nit, E. l. werdn Im auf sein weiter ansuchen wol geburlichen anczugeben wissen« (LATh-HStA Weimar, EGA, Reg.O, Nr. 358, fol. 4r = Hase, Orlamünda, 94 Nr. VII).
7Tatsächlich ist fraglich, ob Universität und Stiftskapitel zu diesem Zeitpunkt überhaupt in die Entscheidungsfindung einbezogen waren, Herzog Johann hatte dies Kurfürst Friedrich III. in seinem Schreiben anheimgestellt: »Darum gedechten wir Eur lieb von solchem seinen ansuchen anzaig zu thun, […], die vielleicht sein schreiben furder berurten Capital und universitet zu schigkenn, und sich bey inen irer gelegenhait erkunden wurde […]« (LATh-HStA Weimar, EGA, Reg.O, Nr. 358, fol. 5r = Hase, Orlamünda, 92f. Nr. IV). Von einer solchen Korrespondenz zwischen Friedrich III. und den Wittenbergern ist nichts bekannt.
8Das eigentliche Zitationschreiben ist verschollen, die Existenz dieses Schreibens geht aus der, sich daran anschließenden Korrespondenz hervor; vgl. KGK VII bzw. Hase, Orlamünda.
9Die v.a. in der älteren Forschung vertretene Meinung, mit der Übernahme der Pfarrei sei der Verzicht auf das Archidiakonat verbunden gewesen (so bspw. bei Müller, Karlstadt, 137), erfolgte zumeist in Unkenntnis dieser Korrespondenz; vgl. Friedensburg, Verzicht. Zum Verlauf der zu Beginn des 20. Jahrhunderts v.a. zwischen Barge und Müller entstandenen Forschungsdiskussion in Bezug auf Karlstadts Übersiedelung siehe Barge, Übersiedlung.
11Vgl. Johann Taubenheim an Kurfürst Friedrich III., 2. Oktober 1524: »das corpus gelt ist ime dis jar alltenthalben umb frydens und aynikeit willen zufolgen nachgelassen. Aber das eynkomen diser prebend des nachfolgenden jars wird E. churf. g. heymfallen, E. churf. g. gefallens damit zugebaren« (Sider, Karlstadt, 304). Hierzu siehe auch Universität und Stiftskapitel an Kurfürst Friedrich III., undatiert (Hase, Orlamünda, 112 Nr. XXI).
12Es ist recht unwahrscheinlich, dass Karlstadt Zahlungen nach Wittenberg leistete, da nach Ausweis seiner und der Berichte der Orlamünder kaum Gewinne aus der heruntergewirtschafteten Pfarrei zu generieren waren. Ob er qua Amt dazu verpflichtet gewesen wäre, bleibt in den Quellen offen. Dass von Seiten der Universität und des Stiftskapitels keine diesbezüglichen Nachforderungen gestellt wurden, könnte für eine stillschweigende Akzeptanz der von Karlstadt gewünschten Konstruktion der Übernahme der Pfarrei als Pfarrherr sprechen, die sich aus pragmatischen Erwägungen vor dem Hintergrund des sowieso schon vollzogenen Verzichts erklären würde (siehe vorherige Anm.). Unstrittig dagegen scheint der Verzicht auf Präsenzen und Absenzen aus dem Archidiakonat gewesen zu sein, die der Kurfürst als einzigen Punkt in seinem Schreiben angesprochen hatte, deren Verzicht Karlstadt aber ja auch schon in seinem Gesuch zumindest indirekt angekündigt hatte.
14Hier vermutete ihn Müntzer noch im Juli; vgl. KGK 245.
15Dies geht auch aus der Äußerung Kurfürst Friedrichs III. in seinem Antwortschreiben hervor »weil er doch sonst/ dy mere zeit/ Im land hin und her zeuhet« (Hase, Orlamünda, 93f. Nr. VII), die er in einem Schreiben an Hieronymus Schurff vom 7. August 1523 nochmals wiederholte: »[…] daß der Probst [Justus Jonas] und Karlstadt, […], bei der Kirche nichts tun, ziehen hin und für ihrem Lust nach […]« (CR 1, 620).

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