1. Überlieferung
Frühdrucke:
Von Engelen vnd Teüf⸗∥felen ein Sermon. ∥ Andꝛeas Botenſtein von ∥ Carolſtadt. ∥ [Am Ende:] Gedꝛuckt ʒů Straßburg ∥ M. D. xxiiiȷ. ∥
Straßburg: [Johann Prüss d.J.], 1524.
4°, 12 Bl., a4–c4 (a1v leer).
Editionsvorlage:
BSB München, 4° Hom. 332 [Digitalisat].Weitere Exemplare: UB Tübingen, Gf 1020 4°. — UB München, 4° Theol 5463 2.16.
Bibliographische Nachweise:
- VD 16 B 6242.
- Freys/Barge, Verzeichnis, Nr. 122.
- Zorzin, Flugschriftenautor, Nr. 55B.
- Köhler, Bibliographie, Nr. 1951.
- Pegg, Colmar, Nr. 80.
- Pegg, Great Britain, Nr. 270.
- Pegg, Lindesiana, Nr. 115.
- Pegg, Strasbourg, Nr. 370.
- Pegg, Swiss Libraries, Nr. 454.
Ayn ſtchoͤner Sermonn/ ∥ vonn Spalttung der ∥ gůtten vnnd boͤßen ∥ Engeliſtchen gay⸗∥ſtern jm himel: ∥ A: Karolſtat: ∥ Von erſt getruckt ʒů ∥ Straßburg. ∥ [TE]
[Augsburger]: [Heinrich Steiner], [1524].
4°, 12 Bl., A4, B2, C4 (A1v und C4r–v leer). — TE.
Editionsvorlage:
BSB München, 4° Hom. 333.Weitere Exemplare: HAB Wolfenbüttel, A: 151.24 Theol.(23).
Bibliographische Nachweise:
- VD 16 B 6187.
- Freys/Barge, Verzeichnis, Nr. 123.
- Zorzin, Flugschriftenautor, Nr. 55C.
- Köhler, Bibliographie, Nr. 1904.
- Pegg, Great Britain, Nr. 240.
Bis auf eine signifikante Abweichung1 und die Differenz des Titels handelt es sich um einen Version A sehr nahestehenden Nachdruck mit eigenständiger Orthographie.2 Das Titelblatt besitzt eine das Titelfeld umgebende Einfassung. Auf zwei mit Verziehrungen reich ausgeschmückten korinthischen Säulen (mit zusätzlichem Schmuck aus Eierstab, Auskehlungen, Akanthus etc.) rechts und links des Titelfelds, die auf Postamenten ruhen, stehen zwei Engelsfiguren mit Ährenbündeln in der Hand, zwischen ihnen befindet sich ein ebenfalls reich verzierter Tympanon (mit Blütenband, Eierstab, Mäanderband). Unterhalb des Titelfelds sitzen drei musizierende Putten (mit Laute, Posaune und Schlagwerk) auf dem eingerückten Säulenpostament, auf deren Vorderseite Figuren entlangziehen, die die Grenzen zwischen figürlicher und realer Darstellung phantastisch überschreiten.
Literatur:
- Jäger, Carlstadt, 349–358.
- Barge, Karlstadt 2, 77f. mit Anm. 173.
- Zorzin, Flugschriftenautor, 98.
2. Entstehung und Inhalt
Die Schrift Von Engeln und Teufeln beruht auf einer Predigt, die Karlstadt am Michaelistag (dem 29. September) 1523 – vermutlich in Orlamünde – gehalten hat.3 Anders als bei Druckschriften üblich, erfolgt die zeitliche Einordnung gemäß dem Tag der Predigt, da diese, wie eine Disputation für Thesenreihen, das Kriterium der Öffentlichkeitswirksamkeit des Textes bildet. Im Druck erschienen beide Textausgaben erst 1524, wobei auf dem Titelblatt der Augsburger Ausgabe der Straßburger Druck als Erstdruck bezeichnet wird.4 Vermutlich hinterließ Karlstadt das Manuskript bei seinem kurzen Aufenthalt in Straßburg im Oktober 1524 zum Druck.5Ob es tatsächlich einen im Oktober/ November 1523 erschienenen »Urdruck«6 gab, ist ungewiss. Diese Annahme stützt sich auf Georg Christoph Kreysigs bibliographische Angabe aus dem 18. Jahrhundert, die eine Ausgabe des Traktats mit dem Druckort »Eysenburg 1523« postuliert.7 Eine Verwechslung vorausgesetzt, könnte der Druckort in Eilenburg emendiert werden, in Frage käme dann als Drucker Nikolaus Widemar.8 Ein Exemplar dieses mutmaßlichen Eilenburger Urdrucks ist aber bislang nicht entdeckt worden.
Der Traktat bricht mit den mittelalterlichen Angelologien – Fragen nach dem Leib der Engel und zur Geschichte des Himmelsturzes Lucifers werden nur gestreift. Karlstadt geht es um die biblische Begründung von Engelserscheinungen und ihrer Verkündigungen, deren Deutung er als Gesichte und Stimmen ins Innere des Gläubigen verlegt, und um die Abwehr jeglicher Teufelsfurcht und abergläubischen Angst vor Geistern.9 Diese Engelslehre integriert er in seine Offenbarungs- und Gelassenheitstheologie. Engel sind keine herausgehobenen Wesen, sondern von Gott zur Verkündigung beauftragt; ihre kultische Verehrung ist abzulehnen. In den meisten Fällen paraphrasiert Karlstadt die angeführten biblischen Belegstellen; gibt er aber eine zitatnahe Übersetzung wieder, ist diese unabhängig von Luthers Bibelübersetzung des Septembertestaments.
Der Sermon ist in vier Abschnitte untergliedert: 1. Eine kurze Engelslehre unter der Fragestellung: Was sind Engel? 2. Zur Unterscheidung von Engeln und Teufeln. Dabei steht der Sturz Lucifers und der apokalyptische Kampf im Mittelpunkt. 3. Vom Teufel – zentral ist hier die Angst vor dem Teufel und Geistererscheinungen und wie sie zu vermeiden ist. 4. Von den Engeln als Gottesgenossen, d.h. von der Gottesnähe der Engel. Thema ist die Verkündigung des Gotteswortes durch Engel und die Verlegung der prophetischen Stimmen ins Innere des Menschen.
Noch vor der Überschrift zum ersten Kapitel bietet Karlstadt eine Worterklärung und weist darauf hin, dass Engel schwach seien und wie schwache Seelen dem Teufel unterliegen können. Der erste Teil bildet dann eine Art Angelologie, beginnend mit unterschiedlichen Theorien zur Physik des Engelleibs, um dann überzugehen zu Belegstellen in der Bibel und der Frage nach Engeln als Seelen.
Der zweite Abschnitt setzt ein mit der Erzählung von den Engeln als Geistern und den Ursachen des himmlischen Sturzes Lucifers und seiner Mitstreiter im Kampf mit Gott,10 dem sie zur Last legten, einen Menschen zu seinem Sohn, zum Anführer der Gemeinde Gottes und zum Hüter des göttlichen Schatzes (der Gnade) gemacht zu haben.11Karlstadt verwebt diese nachbiblische Legende mit apokalyptischen Anspielungen. Teufel seien somit nichts als gefallene Engel, ein Wechsel der Engel auf die teuflische Seite sei möglich.12 Der Teufel war schon vor Adam da, wie Christus als Lamm Gottes von Anbeginn getötet wurde.13
Im apokalyptischen Kampf der guten und bösen Engel gegeneinander14 versuche der Teufel, alle Engel gegen Christus zu führen,15 da sie laut seiner Behauptung ihm gleiche geistliche Wesen seien.16 Eine Mehrheit der Engel jedoch bestreite diese Wesengleichheit und erkenne den Sieg Christi an. Der Kampf der Engel um die Verheißung Christi ist synonym mit dem (inneren) Kampf der Menschen.
Der folgende dritte Teil befasst sich weniger mit dem Teufel und seinem Wesen,17 als mit den Auswirkungen der Teufelsangst auf die Menschen. Die Wahrheit Gottes und der Heiligen Schrift überwinde den Teufel.18 Geistererscheinungen seien nur teuflische Versuchungen.19 Diese tief eingetriebene Teufelsfurcht führe dazu, dass die Menschen Zuflucht bei abergläubischen Kulthandlungen, bei Götzen (Bildern) und Wallfahrten suchten.20 Zur Überwindung dieser Furcht sollten sich die Gläubigen weniger auf Hilfe der Engel verlassen, sondern einfältig die Gottesweisheit suchen, um die eigene Stärke auf Gott aufzubauen.21 Gottesfurcht sei geboten, nicht Furcht vor dem Teufel.22
Die evozierten Bilder der Gotteserkenntnis sind mystischer Provenienz und typisch für Karlstadts Schriften aus dem ersten Halbjahr 1523. Gott offenbare sich als in den Seelengrund einblickendes Licht; wahre Gotteserkenntnis, von Gott geschenkt, münde in die Heirat der Seele mit Gott.23Karlstadt verbindet diese Offenbarungslehre mit seiner Gelassenheitskonzeption. Für die Gotteserkenntnis müsse der Gläubige all seine Habe verlassen.24 Sorge um den Verlust der irdischen, geschaffenen Dingen vermehre die Furcht vor dem Teufel; auch Angst vor weltlicher Macht erschwere es ins Gottesreich einzugehen.25 Diese Haltung rühre aus dem Unglauben und der Glaubensblindheit. Daher müssten diese Blinden und Unwissenden durchs Fegefeuer, wo sie »gefegt« und beschnitten werden.26 Daher solle man nicht um die Entfernung des Teufels bitten, der nur eine Zuchtrute Gottes ist, sondern darum, das Leiden zu ertragen.27
Der letzte und vierte Abschnitt befasst sich mit der Frage, wie Menschen den Engeln, die die Nähe Gottes genießen,28 begegnen und wie die Verkündigung des Gotteswortes durch Engel erfolgt. Da die Engel auf Grund dieser Nähe in Sorge seien, dass die Menschen sich vor ihnen fürchteten, näherten sie sich ihnen meist mit der Ansprache »Fürchte dich nicht«. Hieran sind gute Engel zu erkennen: Sie nehmen den Menschen die Angst vor ihnen, um sie Gottesfurcht zu lehren. Böse Engel aber schürten Furcht (vor sich)29 und wollten so die Menschen in die Lüge führen. Die Verkündigungen der Engel erfolgten in Gesichten und Prophetien, die es zu entschlüsseln gelte. Der Gläubige müsse dabei genau die Stimme des Engels beachten.30 In mystischer Deutung ist die Stadt Gottes für Karlstadt die Seele des wahren Christen, seine »inwendigkeit«.31 Engel verkündeten nicht nur Zukunftsprophetien, sondern legten auch die Heilige Schrift als Botschaften (im Sinne des Evangeliums) aus. Karlstadt lehnt an dieser Stelle noch einmal die römischen Kultpraktiken32 für Engel ab: sie seien keine Herren in einer Hierarchie, Verehrung stehe nur Gott zu.33 Schutzengel und Schutzapostel für Bruderschaften, Innungen, Feste, Krankheiten, Wallfahrten etc. seien nur Erfindungen, die sie zu Unrecht in ihrer Wirkung neben Gott (auf eine Stufe) stellten. Engel aber sind Brüder der Gläubigen. Sie können nicht selbst helfen und daher auch nicht angerufen werden, da Gott sie geschickt habe.34
Die Schrift Von Engeln und Teufeln bildet einen Baustein in Karlstadts laientheologischer Offensive des Jahres 1523. Angst vor dem Teufel führe von der Gottesfurcht weg, sie sei ein Mittel, um den Glauben zu schwächen. Engel seien keine herausgehobenen Wesen, sondern den menschlichen Geschöpfen, die im Glauben an den Mensch gewordenen Gottessohn Rechtfertigung erfahren, untergeordnet.35Karlstadt erklärt die Erscheinung von Engeln zu einer inneren Stimme der Berufung, Offenbarung und Auslegung des Gottesworts. Daher seien alle Anrufungen von Engeln, ihre Verehrung und verbundene kultische Praktiken abzulehnen. Das Datum, an dem Karlstadt die Predigt hielt, der Tag des Erzengels Michael, stellt nur noch eine symbolische Verbindung dar: Wie Michael und seine Engel die äußeren Heerscharen des Teufels niederrangen,36 so habe der gläubige Christ mit seinen inneren Dämonen zu kämpfen. Den Ausweg aus Anfechtung und Angst bildet die Praxis der Gelassenheit und der Gehorsam gegenüber Gottes Willen. Damit verzahnt Karlstadt den Inhalt des Sermons Von Engeln und Teufeln mit den in den zeitnahen Schriften Von Mannigfaltigkeit des Willens Gottes und Was gesagt ist: Sich gelassen beschriebenen, mystisch grundierten theologischen Konzepten. Die Beschäftigung mit der Figur des Teufels und der Ursache des Bösen ließ Karlstadt noch nicht los. Im Januar 1524 veröffentlichte er in Jena eine weitere thematisch verwandte Schrift (Ob Gott Ursache sei des teuflischen Falls, KGK VII, Nr. 251), die eine Disputation aus dem Jahr 1522 aufnahm, deren Publikation aber als Ausfluss seiner pastoralen Praxis in Orlamünde zu verstehen ist.