1. Überlieferung
Handschriften:
Ausfertigung. Der Wittenberger Universitätsnotar Nikolaus Sybeth schrieb die Adresse (fol. 24r), den Text des Schreibens und die Unterschriften, abgesehen von derjenigen Melanchthons, sowie den beigefügten Zettel nieder. Die Unterschrift Dölschs fügte er nachträglich ein. Eigenhändig ist vielleicht die Unterschrift Melanchthons. Die Siegel von Justus Jonas und Nikolaus von Amsdorf sind erhalten. Auf der Adressseite (fol. 24v) Dorsalvermerke des kfstl. Sekretärs Hieronymus Rudelauf; über der Adresse: »Sontags nach Lucae Anno etc. 21.«; unterhalb der Adresse: »d'ie' zu wittenberg meßhalten belangend«. Darunter von anderer Hand: »Phil. Mel. und ander Theolog und gelerten In Wittenb. bedencken, uber der Abschaffung der Mess, von den Augustiner München beschehen.« Der Text der Handschrift setzt nur wenige Zeichen zur Begrenzung von Nebensätzen; Kommata übernehmen häufig Satzschlussfunktion.
Kopie, ausgeführt von zwei verschiedenen Händen. Mit Fehlern und Auslassungen. Eine weitere Handschrift neben diesen beiden überlieferten, die Hzg. Georg von Sachsen am 21. November 1521 einem Brief an Hzg. Johann von Sachsen beigelegt hatte, konnte nicht identifiziert werden.1
Frühdrucke:
Frühdrucke:
Ein vndericht dem ∥ Churfurſtenn von Sachſenn ∥ zugeſchickt/ warūb die ∥ Auguſtiner zu wit⸗∥tenberg nit meß ∥ halten ∥ ᛭ ∥ M. D. XXij. ∥
[BambergCoburg]: [Georg Erlinger], .
4°, 4 Bl., A4 (A1v leer).
Editionsvorlage:
HAB Wolfenbüttel, A: 189.27 Theol. (20).Weitere Exemplare: ULB Halle, AB 67 9/g,2(2).
Bibliographische Nachweise:
- Köhler, Bibliographie-Probedruck, Nr. 965.
- Zorzin, Flugschriftenautor, Nr. 45B.
- MBW 1, 361 Nr 174.
- VD 16 U 190.
EJn vndericht dem ∥ Churfurſten von Sachſſenn ∥ zugeſchickt warumb die ∥ Auguſtiner zu wit⸗∥temberg nit meß ∥ halten ∥ ᛭ ∥ M.D.XXij. ∥
[Erfurt]: [Matthes Maler], .
4°, 4 Bl., A4.
Editionsvorlage:
Ebfl. Akademische Bibliothek Paderborn, Th 5975 (36).Bibliographische Nachweise:
- Zorzin, Flugschriftenautor, Nr. 45A.
- MBW 1, 361 Nr. 174.
Ernſtlich ∥ Handlung der ∥ Vniuerſitet zů Wittenberg ∥ an den Durchleüchtigſten/ ∥ Hochgeboꝛnē Churfür⸗∥ſtē vnd herren Herr ∥ Friderich von ∥ Sachſen/ ∥ Die Meſz be-∥treffendt. ∥
[Basel]: [Adam Petri], , fol. a2r–b1r.
4°, 11 Bl., a4–c4 (a1v u. c4 leer). – TE.
Editionsvorlage:
BSB München, Res/4 Polem. 3341,12 (mit handschriftlichen Annotationen von unbekannter Hand).Weitere Exemplare: BSB München, 4 Polem. 1473 g.
Bibliographische Nachweise:
- Zorzin, Flugschriftenautor, Nr. 45aC.
- MBW 1, 362 f. Nr. 174.
- VD 16 ZV 15565.
Ernſtlich Handlung der Uniuer∥ſitet zů Wittenberg/ an den durchleüch∥tigiſten/ Hochgeboꝛnen Churfürſten ∥ vn̄ herꝛen Herꝛ Friderich ∥ von Sachsen. ∥ Die Meſz betreffend. ∥
[Augsburg]: [Sigmund GrimmMarx Wirsung], , fol. a2r–b1r.
4° [12] Bl. a4–c4 (a1v u. c4 leer).
Editionsvorlage:
BSB München, 4 Polem. 1473 f.Weitere Exemplare: ÖNB Wien, 20.Dd.103. — HAB Wolfenbüttel, A: 103.1 Theol. (15); A: 151.35 Theol. (30); A: 240.83.6 Quod.; A: 289.4 Quod. (25).
Bibliographische Nachweise:
- Köhler, Bibliographie-Probedruck, Nr. 1519.
- Zorzin, Flugschriftenautor, Nr. 45aA.
- MBW 1, 362 f. Nr. 174.
- VD 16 ZV 15564.
Ernſtlich handlung der ∥ Vniuerſitet zů Wittenberg an den ∥ Durchleüchtigſten Hochgeboꝛ⸗∥nen Churfürſten vnd herren. ∥ Hertzůg Friderich von ∥ Sachſen/ ∥ Die Meſz be∥treffendt. ∥
[Straßburg]: [Johann Knobloch d. Ä.], , fol. a2r–b1r.
4°, 12 Bl., a4–c4 (a1v u. c4 leer). – TE.
Editionsvorlage:
FB Gotha, Druck 1226 R.Bibliographische Nachweise:
- Zorzin, Flugschriftenautor, Nr. 45aB.
- MBW 1, 362 f. Nr. 174.
- VD 16 ZV 20121.
Die Drucke A und B stimmen bei geringen Druckabweichungen in den meisten Abschnitten bis in den Zeilenfall überein. Das Verhältnis der beiden Drucke zueinander lässt sich nicht bestimmen. A und B folgen hinsichtlich einiger Abweichungen, Auslassungen und Wortumstellungen eher Handschrift b als a. An einigen, wenn auch wenigen Stellen scheint der Sinn des Satzinhalts von der Ausfertigungshandschrift a verloren gegangen zu sein. Die Drucke erfolgten augenscheinlich ohne Autorisierung von Universität und Hof. Möglicherweise stehen A und B dennoch am Anfang der Drucküberlieferung; der Erfurter Druck B könnte über die Verbindung zu Johannes Lang ausgeführt worden sein. Die Drucke C, D und E sind gegenüber A und B eigenständig. Sie haben wenige der Abweichungen von Handschrift b bzw. A und B übernommen, allerdings die gewichtige Änderung von »verblendung« statt »vorkleynigung« des Glaubens. C ist in dieser Gruppe prioritär, aber vermutlich später als A und B veröffentlicht worden. Das ist allein an der Zusammenstellung der beigefügten Texte zu erkennen, zu denen die Instruktion Kfst. Friedrichs III. an Christian Beyer (KGK 201) und das Bedenken des Universitätsausschusses vom 12. Dezember 1521 (KGK 207) gehören. Auf Grund wörtlicher und orthographischer Übereinstimmungen ist Druck E in eigener Linie direkt von C abhängig, weist allerdings auf der ersten Seite einen veränderten Satz und Zeilenfall auf. Variante D folgt C zwar bis in den Zeilenfall ohne nennenswerte Abweichungen, ist aber orthographisch selbstständig und hat einige zusätzliche, verschlechternde Lesarten.
Editionen:
- CR 1, 465–470 Nr. 143.
- Müller, Wittenberger Bewegung, 35–41 Nr. 16.
- MBW 1, 360–370 Nr. 174.
Literatur:
- WA 8, 399–407.
- Bubenheimer, Scandalum, 302 f.
Beilage: Heinrich von Zütphen:
Contra Missam Privatam
Handschrift:
Handschrift unbekannt, vermutlich von Heinrich von Zütphen (lt. Findbuch im ThHStA Weimar, Spalatiniana Fasc. II Q. 16, 462 Nr. 47). Fol. 415r mit Überschrift von der Hand Georg Spalatins: »1521. Contra Missam Privatam Heinric. Zutphanienn.« Rechts oben Folienzählung: »415.« Links oben eine andere alte Nummerierung: »18.« Hand des 19. Jhd.: »Kapp, Nachlese, II, 487.« und mit Bleistift: »47«. Fol. 415v u. 418r vacat. Fol. 418v mit von Spalatin beigefügter Beischrift: »Der Augustiner ∣ zu Wittenberg ∣ positiones von ∣ der Mesß ∣ 1521«.
Edition:
- Kapp, Nachlese 2, 484–494.
Literatur:
- WA.B 14, 142 f.
- Bubenheimer, Scandalum, 339–342.
- Simon, Messopfertheologie, 432–439.
2. Entstehung und Inhalt
Der Augustinermönch Gabriel Zwilling hatte am 6. Oktober 1521 in Wittenberg eine Predigt gehalten, die auf eine umfassende Erneuerung des Messwesens im Augustinerkloster drang.2 Dabei wurde nicht nur das Abendmahl in beiderlei Gestalt erteilt. Zwilling lehnte auch Elevation und Anbetung der Hostie ab und betonte, dass die Augustinermönche in Wittenberg keine Seelmessen mehr halten würden. Kfst. Friedrich III. ordnete daraufhin am 10. Oktober die Bildung eines Universitätsausschusses an,3 der am 12. Oktober die Vorkommnisse im Augustinerkloster untersuchte.4 Der Kommission gehörten der Vizerektor der Universität Tilemann Plettner,5 der Stiftspropst Justus Jonas,6Karlstadt, Johannes Dölsch,7Nikolaus von Amsdorf,8Hieronymus Schurff,9 der Rat Christian Beyer und Philipp Melanchthon10 an. Die Augustinermönche wurden vom Ausschuss aufgefordert, innerhalb von zwei Tagen eine schriftliche Stellungnahme abzugeben. Am 20. Oktober übersandte der Ausschuss dem Kfst. das vorliegende Schriftstück als ersten Bericht, der in drei Hauptpunkten die Anliegen und Gründe der Augustiner zusammenfasst. Grundlage bilden mündliche Anhörungen der Mönche wie ein dem Bericht beigelegter »Zettel« mit einer schriftlichen Stellungnahme. Bei diesem handelt es sich um die Sätze des niederländischen Augustiners Heinrich von Zütphen11 gegen die Privatmesse (Beilage). Demnach hatten die Augustiner nach Aufforderung des Universitätsausschusses augenscheinlich über die Messangelegenheiten diskutiert und dem Ordensbruder Heinrich von Zütphen die Abfassung der schriftlichen Erklärung in Form thetischer Sätze namens des Ordens übertragen.12 Ihre Verfertigung und Aufzeichnung muss zwischen dem 12. und 14. Oktober erfolgt sein, da der Ausschuss eine Frist von zwei Tagen für den Eingang einer Stellungnahme angesetzt hatte.13 Dass es sich nicht um zu disputierende Thesen im herkömmlichen Sinne handelte, verdeutlicht nicht nur die Vergabe des Titels »Der Augustiner zu Wittenberg positiones von der meß 1521«14 durch Georg Spalatin, sondern auch die häufige Verwendung der 1. Person Plural, die den Charakter einer kollektiven Erklärung betont.15 Den situativen Funktionszusammenhang unterstreicht der vorletzte Satz, mit dem der Ausschuss bzw. der Kurfürst gebeten wird, auch den [abwesenden] Ordensbruder Martin vor einer Entscheidung anzuhören.16 Mit seiner bald darauf verfassten Schrift De abroganda missa privata scheint Luther dem nachgekommen zu sein.17 Dass sich Zwilling von der Vorladung und dem Verhör durch die Kommission nicht sonderlich beeindruckt zeigte, ist an seiner Predigt vom 13. Oktober erkennbar, in der er erneut die Abschaffung der Messe in ihrer gegenwärtigen Form forderte.18
Der erste Entwurf des Ausschussberichts scheint bereits vor der Disputation am 17. Oktober angelegt worden zu sein,19 ging aber erst am 20. Oktober an den Kurfürsten. Mit dem Bericht befürwortet der Ausschuss die Bestrebungen der Augustiner und fordert wie diese eine schnelle Abschaffung der Missbräuche bei der Messe. Inhaltliche Grundlage bilden die Thesen, die Karlstadt am 17. Oktober disputieren ließ, sowie einige Ergebnisse der anschließenden Diskussion.20 Dies wird im grundsätzlichen Zuspruch zur Austeilung des Abendmahls in beiderlei Gestalt und in der Ablehnung der gestifteten Opfer- und Seelmessen deutlich, aber auch in der zurückhaltenden Behandlung der Privatmesse, deren Abschaffung nicht gefordert wird. Zugleich sind Parallelen zu MelanchthonsPropositiones de missa nicht zu übersehen.21 Eingangs referiert der Bericht den Gegenstand seiner Untersuchung, den Widerspruch der Augustiner gegen die bisherige Messpraxis, der sich in drei Punkten zusammenfassen lässt: 1. Die Auffassung, die Messe sei ein gutes Werk zur Versöhnung Gottes, verkehre ihre ursprüngliche Anlage (als Erinnerung an Christi Tod). 2. Christus habe nicht allein bzw. privat kommuniziert. 3. Christus habe das Abendmahl in beiderlei Gestalt ausgeteilt, womit die Messe sub una specie abzulehnen sei. Die Ausschussmitglieder stimmen den Augustinern in wesentlichen Punkten zu: 1. Messstiftungen sind als gute Werke bzw. Opfer angelegt. Um einen Mehrwert an Heilsmitteln zu erlangen, würde eine hohe Zahl von Messen gestiftet, vier bis fünf pro Priester wöchentlich. Diese übten ihre Tätigkeit allein des Geldes wegen aus, was wiederum zu einer lustlosen Ausführung ihres Amtes beitrage. Letztlich seien die Gebete der Priester ohne jeden Heilswert. 2. Die von den Augustinern geforderte Abschaffung der Privatmessen werde nicht gebilligt. Mögen sie der Heiligen Schrift im strengen Sinn nicht entsprechen, so verbiete diese sie nicht ausdrücklich. Zudem sei sie für die schwachen Brüder im Glauben zu belassen.22 3. Die Austeilung des Kelchs an die Laien, mithin des Abendmahls in beiderlei Gestalt, sei unverrückbar, da biblisch mit Jesu Worten »yr solt alle daraus trincken«23 belegt. Zum Ende bittet der Ausschuss Kfst. Friedrich III., er möge die Missbräuche der Messe abstellen. Drohenden Verleumdungen, er handele wie ein [hussitischer] Böhme,24 möge er keine Beachtung schenken, denn alle, die sich für die Sache Gottes einsetzten, hätten in der Geschichte Schande erlitten. In einem Nachtrag auf einem gesonderten Blatt geht der Ausschuss noch auf einen bisher unerwähnten, thematisch jedoch besonders heiklen Punkt ein: Den Vorwurf an Zwilling, er habe sich gegen eine Anbetung des Sakraments gestellt.25Zwilling umging im Verhör durch die Ausschussmitglieder diese Anklage, indem er betonte, sich in keiner Weise gegen eine Anbetung Christi im Sakrament ausgesprochen zu haben – was die Ablehnung der Adoration der elevierten Hostie nicht ausschloss. Tatsächlich hatte er sich vermutlich ähnlich in seiner Predigt am 6. Oktober geäußert.26
Das Aktenstück des Berichts wurde handschriftlich an den Kurfürsten gesandt und bereits 1522 separat und anonym, ohne Nennung der Ausschussmitglieder, veröffentlicht.
Der Vergleich der Sätze Heinrichs von Zütphen zur Erklärung der Position der Wittenberger Augustiner mit dem Bericht des Ausschusses lässt viele Übereinstimmungen erkennen, wobei Heinrich in seinen Forderungen über den Kommissionsbericht hinausgeht.27 So spricht sich bekanntlich der Bericht nicht gegen Privatmessen bzw. das Abhalten der Messe durch Einzelne aus, wie es die Augustiner geboten hatten. Zütphens Erklärungssätze sind von Wolfgang Simon28 in drei größere und sieben untergliedernde Argumentationsblöcke aufgeteilt worden, die hier in leichter Abwandlung wiedergegeben werden.
Abschnitt 1: Die Wirklichkeit der gegenwärtigen Messe (Thesen 1–29). Er entwickelt am Beginn in zwei Sätzen die Grundthese, dass die gegenwärtige Messfeier die Auslöschung von Glaube und Liebe bewirke. An dem falschen Verständnis der Messe als gutes Werk und Opfer hingen alle Missbräuche der Messfeier. Darauf baut eine soteriologische Argumentation auf (Thesen 3–10). Sie setzt ein mit einer Kritik am Prunk der Kirchenbauten, deren Ausstattung ihre Aufgabe als Versammlungsraum der Gläubigen weit übersteige.29 Diese Kritik erhält sodann eine messtheologische Dimension, da die enorme Größe der Kirchenbauten Ausdruck des Wunsches sei, möglichst viele Messen abzuhalten, um Gott die eigene Frömmigkeit zu beweisen und zur Erteilung des Heils zu bewegen. Dies aber sei Ausdruck einer Werkgerechtigkeit. Zütphen stellt das Wort Gottes und den einfältigen, schlichten Glauben in einen unüberwindbaren Gegensatz zum Prunk der Zeremonien, Messen und Gesänge.30
Der nächste Abschnitt (Thesen 11–29) entwickelt mit der Kontrastierung von Priester und Laien im Angesicht der Einsetzung Christi eine ekklesiologische Argumentation. Dem Einsetzungswort gemäß sei der Empfang des Abendmahls zentral, nicht das Messzeremoniell. Auf Grund dieser Schwerpunktverschiebung von der liturgischen Handlung auf die Austeilung verschwindet der Unterschied zwischen Priestern und Laien in messtheologischer Hinsicht. Die gegenwärtig praktizierte Trennung des Volkes Christi sei eine Entstellung des Antlitzes der Kirche, ihre Überwindung ziehe das Ende der innerpriesterlichen Hierarchien, der kirchlichen Jurisdiktion sowie des weltlichen und politischen Anspruchs des Klerus als auch seiner rechtlichen Exemtion nach sich. Die Ursache all dieser Missstände sei die Idee von der Verdienstlichkeit der Messe. Auf ihr beruhten der ganze religiöse Geschäftsbetrieb als auch die Ausweitung des Kirchenbaus.
Abschnitt 2: Die allgemeine Wahrheit der Messe (Thesen 30–41). Im Mittelpunkt dieses Abschnitts steht die Entwicklung der Messe als Kommunion31 und Kommunikationsgemeinschaft (Thesen 30–39). Kriterien für die Messbeurteilung seien das Wort Gottes, die Heilige Schrift, Glaube und Liebe. Das Abendmahl als Erinnerung an die Hoffnung des Glaubens bedeute einerseits, dass für Gott kein Opfer mehr zu erbringen sei, andererseits, dass die Erinnerung in der Gemeinschaft erfolge und alle Werke sich auf den Nächsten als Akte der Nächstenliebe bezögen. Im Gegensatz dazu stehe die Privatmesse, da sie einen Gottesbezug des einzelnen, isolierten Gläubigen darstelle (Thesen 40 f.). Sie ist – im Kontrast zur Gemeinschaft des Mahls und der Nächstenliebe – Ausdruck einer »egoistische[n] Ökonomisierung«32 der Messe.
Abschnitt 3: Die Durchsetzung der Wahrheit der Messe (Thesen 42–70). Der erste und umfassendere Teil dieses Abschnitts befasst sich mit den Hindernissen beim Kampf gegen die Gefährdung des Glaubens (Th. 42–60). Im Mittelpunkt steht die Diskussion des Ärgernisses (scandalum). Die Debatte um das Verhältnis von öffentlichem Anstoß (scandalum publicum) und Verletzung der göttlichen Gebote (scandalum in rebus divinis)33 erweitert Zütphen um die Frage nach dem Ärgernis bei schwachem Gewissen (scandalum pusillorum).34 Doch stellt er sogleich heraus, dass eine Messfeier, die nicht der Einsetzung Christi gemäß und daher mit Missbräuchen durchsetzt sei, das größte scandalum darstelle. Jeder, der weiterhin Messen stiftet, verlängert den Missbrauch und die Pervertierung des Christentums. Auf Grund der Aufhebung der Unterschiede zwischen Priestern und Laien trügen dafür beide Verantwortung.35 Unter Aktualisierung von Christi Ausruf, dass derjenige, der geringsten Anlass zum Ärgernis gebe, untergehe (Mt 18,6), sei umso entschlossener Widerstand zu leisten, wenn der Glaube in Gefahr sei.36 Da Christus die Privatmesse nicht eingesetzt habe, rückt sie ins Zentrum des Ärgernisses (Th. 55). Dem Einwand, die Abschaffung der Privatmessen belaste das Gewissen der Schwachen (Bezug auf 1. Kor 8,3), stellt Zütphen die Reinigung des Tempels von den Wucherern durch Christus entgegen. Das Ärgernis sei die Perversion der Funktion des Gotteshauses zu einem Wirtschaftsbetrieb (Th. 57). Da gemäß Christus die Messe auf die Gemeinschaft ausgerichtet sei, werde die Austeilung bzw. die Kommunion für das Abendmahl konstitutiv.37 Die Selbstkommunion durch den Priester sei das Gegenteil zum Leib der Kirche; Gottesdienst sei Dienst an anderen, nicht für sich selbst (Th. 61). Die Privatmesse gerät so zu einer ungerechtfertigten Aneignung von Blut und Leib Christi durch eine Privatperson (Th. 65). Nur der Verzicht darauf hebe das Ärgernis auf. Das Abendmahl bestehe in der gemeinsamen Erwartung der Wiederkehr Christi und der Verkündigung seines Todes (Th. 67), die Austeilung in beiderlei Gestalt entspreche der Einsetzung durch Christus und sei daher unhintergehbarer Konsens (Th. 71). Letztlich zähle aber allein der Glaube und das Hören des Wortes, wenn es am Dienst am Sakrament fehle (Th. 64).38
Zum Abschluss folgte eine Zusammenfassung der Argumentation und die erwähnte Bitte um Einholung der Meinung Luthers. Auf Grund dieser Sätze scheint Heinrich von Zütphen einen wesentlichen Anteil an der Diskussionsbildung der sogenannten Wittenberger Bewegung gehabt zu haben.39
Ebenfalls am 20. Oktober 1521 verfasste das Ausschussmitglied Johannes Dölsch ein Sondergutachten zu den Messneuerungen der Augustiner.40 Es befindet sich in wesentlichen Punkten mit dem Ausschussbericht im Dissens. Dölsch hält die Austeilung des Mahls in beiderlei Gestalt für unnötig und erhebt schwere Vorwürfe gegen Zwilling, der sich gegen die Anbetung des Sakraments und die Realpräsenz Christi erhoben habe.41 Die Messe sei kein Opfer, sie aber so zu nennen, kein Frevel, da es schon die Kirchenväter getan hätten. Schließlich spricht Dölsch den Seelmessen Nutzen zu und bestreitet, dass der Messritus in Mailand von dem römischen divergiere. Diese Diskussion wird der Ausschuss in seinem Gutachten vom 12. Dezember 1521 aufnehmen.42