1. Überlieferung
Frühdrucke:
Bedingung: ‖ Andꝛes Bodenſtein von Carolſtat: ‖ Doctoꝛ vnd Archidiacon ‖ zu Vuittemberg. ‖ Vuittemberg. ‖ [Am Ende:] Jm ‖ Tauſentfunffhundert/vnd.xx.Jar. ‖
Wittenberg: [Melchior Lotter d. J.], 1520.
4°, 4 Bl., A4 (fol. A4v leer).
Editionsvorlage:
HAB Wolfenbüttel, A: 350.5 Theol. (11).Weitere Exemplare: SB-PK Berlin, Cu 1190 R.
Bibliographische Nachweise:
- Freys/Barge, Verzeichnis, Nr. 36.
- Köhler, Bibliographie, Nr. 1856.
- Zorzin, Flugschriftenautor, Nr. 23A.
- VD 16 B 6114.
Bedingung: ‖ Andꝛes Bodenſtein von Carolſtat: ‖ Doctoꝛ vnd Archidiacon ‖ zu Vuitemberg. ‖ [Am Ende:] Jm 1520. Jar. ‖
[Leipzig]: [Wolfgang Stöckel], 1520.
4°, 4 Bl., A4 (fol. A1v und A4v leer).
Editionsvorlage:
HAB Wolfenbüttel, A: 264.21 Quod. (5).Weitere Exemplare: SB-PK Berlin, Cu 1191 R.
Bibliographische Nachweise:
- Riederer, Versuch, Nr. 22.
- Freys/Barge, Verzeichnis, Nr. 37.
- Köhler, Bibliographie, Nr. 1855.
- Zorzin, Flugschriftenautor, Nr. 23B.
- VD 16 B 6115.
Der Druck A ähnelt in Druckbild und – weitgehend – Orthographie den ebenfalls bei Lotter erfolgten Drucken von Päpstliche Heiligkeit (KGK 167) und Appellation (KGK 168). Umlaute fehlen oftmals ganz und sind auch nicht durch Suprascripta (wie in B) gekennzeichnet, es besteht eine Tendenz zur Verwendung von sz (»szo« in A statt »so« in B), zur Vorsilbe vor– statt ver– (»vormanung«), zum Einsatz des y (»yhn«/»yhm« und »ey« in A statt »in«/»im« und »ei« in B), zum plosiven p (»prechen« in A statt »brechen« in B), zu Konsonantendoppelungen am Wortende (»leszenn« statt »lesen«) und wiederum kurzen Vokalen (»schrifft« in A statt »schriefft« in B).
Literatur:
- Jäger, Carlstadt, 140–142.
- Barge, Karlstadt 1, 223f.
- Bubenheimer, Consonantia, 186–189.
2. Inhalt und Entstehung
Mit der Bedingung legte Karlstadt einen formalrechtlichen Vorbehalt1 gegen die päpstliche Bannandrohungsbulle Exsurge Domine2 ein, allerdings ohne ihre juristischen Fehler aufzudecken wie in den folgenden Schriften. Sie ist zugleich seine erste öffentliche Reaktion auf die Publikation der Bulle. Johann Eck hatte am 15. Juni 1520 in Rom bei Papst Leo X. die Bannandrohungsbulle erwirkt, verfasst auf Grundlage der von ihm zusammengestellten Liste von 27 Irrtümern Luthers, unter denen sich auch vier Karlstadts befanden,3 sowie der von den theologischen Fakultäten Löwen und Köln erteilten Urteile über die Lehre Luthers.4Eck selbst wurde, gemeinsam mit dem Nuntius Hieronymus Aleander, mit der Veröffentlichung und Vollstreckung der Bulle beauftragt, verbunden mit der Erlaubnis, die Namen hartnäckiger Lutheranhänger eigenmächtig der Bulle anzufügen.5 Er nutzte diese Vollmacht und setzte neben KarlstadtJohannes Dölsch, Bernhard Adelmann, Johannes Sylvius Egranus, Willibald Pirckheimer und Lazarus Spengler auf die Liste. Diese Namen sind bereits im Meißner Notariatsinstrument vom 21. September 15206 sowie im Merseburger Notariatsinstrument vom 25. September 15207 aufgenommen. Der Anschlag der Bulle in Merseburg erfolgte am selben Tag. Der Bulle selbst war Karlstadt, als er die Bedingung verfasste, noch nicht ansichtig geworden.8 Angesichts des allgemein gehaltenen Inhalts der Bedingung, die die Einsetzung des Ketzerprozesses auf Grund der Schriftunkundigkeit der päpstlichen Prälaten und der verstrichenen Einspruchsfristen formaljuristisch bestreitet, ansonsten nur die Gefahr des Bruchs des freien Geleits zu einer Disputation thematisiert und Bettelorden als Schiedsrichter ablehnt, muss es nicht einmal als gesichert gelten, dass ihm das Notariatsinstrument vorlag.9 Daraus ergibt sich eine zeitliche Fixierung der undatierten Schrift auf Ende September 1520. Vermutlich hatte Karlstadt nur Gerüchte über Ecks Wirken in Meißen und Merseburg vernommen, die ihm die Bannandrohung kolportierten.10
Nach der eingängigen Versicherung über die aktenkundige Veröffentlichung seiner Bedingung als zettel (also vermutlich als Einblattdruck) und kurzer Information über den aufgenommenen Ketzerprozess11 setzt Karlstadt der Tatsache der Verurteilung sechs Rechtsvorbehalte entgegen.12
- 1)
- Karlstadt sei bereit, seine Thesen auf Vorladung zu verteidigen, doch erinnert er an das Schicksal von Jan Hus. Daher wolle er sich mit Freunden und Kollegen über einen selbst gewählten Ort und Termin beraten. Denjenigen, die Zusagen wie im Falle Hus13 oder auch des Kardinals Alfonso Petrucci14 gebrochen hätten, könne er keinen Glauben schenken und beruft sich dabei auf das kanonische Recht.15
- 2)
- Da in dieser Zeit viele Prälaten weder schriftkundig noch Theologen seien, den Dekretalen wiederum nicht am Seelenheil gelegen sei, wolle Karlstadt seine Lehre in einer unverdächtigen Stadt vor Laien vortragen, da diese doch schriftkundiger als Prälaten seien.16 Ein Autoritätsbeweis mit Hilfe der Kirchenväter sei nicht notwendig.17
- 3)
- Karlstadt spricht sich gegen Dominikaner und Franziskaner als Richter aus, da er sie angegriffen habe.18 Zuletzt hatte er im August 1520 zwei Schriften gegen Franciscus Seyler veröffentlicht.19 Dabei beruft er sich auf den Satz Papst Clemens V. (1305–1314), nach dem es widernatürlich sei, sich in den Schoss der Feinde zu begeben,20 und nimmt zugleich die 363. These21 aus den Apologeticae conclusiones wieder auf. Schließlich und grundsätzlich schieden Mönche aus, da sie nicht nur Theologie und heidnische Philosophie miteinander vermischten, sondern gegenüber dem – selbstbewusst – schriftkundigen Karlstadt nur das Stroh des Menschenwortes aufführten.22
- 4)
- Gemäß Papst Innozenz IV. sei niemand als ein Ketzer zu betrachten, der sich auf die Heilige Schrift stützt; auch dürfe demnach kein Argument gegen die Bibel vorgebracht werden.23 Dabei greift Karlstadt erneut auf Aussagen in den Apologeticae Conclusiones, De canonicis scripturis und Welche Bücher biblisch zurück.24
- 5)
- Die Termine und Fristsetzungen – als Antwort auf die Bannandrohung – wolle Karlstadt selbst bedenken.25
- 6)
- Auch bei dunklen Stellen der Bibel seien dem Papst und den Bischöfen keine größere Schriftautorität zuzuweisen als den Laien, da der Papst irren kann und im Falle von Ketzerei abzusetzen sei.26 Sollte Karlstadt auf Grund der Diskrepanz ihrer Handlungen und Auslegungen zur Heiligen Schrift feststellen, dass Papst und Bischöfe Ketzer seien, werde er sie so behandeln. Grundlage der Schriftauslegung sei allein Christus als Eckstein. Mit ihm allein seien alle Widersprüche der Schrift zu lösen; er habe die mit sieben Siegeln verschlossene Schrift auch für die Laien geöffnet.27
Karlstadt geht in der Bedingung auf seine bereits in den Apologeticae conclusiones vorgenommene Entwicklung von Rechtsgrundsätzen zur Frage der Häresie zurück.28 Erstmals greift er Luthers Aussagen aus der Leipziger Disputation auf, nach denen einige Sätze von Jan Hus evangelisch seien.29 Die Bannandrohungsbulle führte diese Ansicht als 30. Irrtum Luthers auf.30 Um Innozenz IV. zu retten, dessen Aussagen zur Schriftautorität und zur Befreiung vom Ketzervorwurf bei Verwendung unwiderrufener Aussagen von Kirchenvätern in der antipäpstlichen Argumentation nützlich waren,31 setzte bei Karlstadt die Verfallszeit des Papsttums erst nach diesem Papst in den letzten 300 Jahren ein.32 Aus der vierten Bedingung, die sich auf päpstliche Dekretalen stützt, wonach derjenige, der sich auf die Heilige Schrift beruft, nicht zum Häretiker ernannt werden dürfe, folgert Karlstadt, dass Papst Leo X. und seine Bischöfe in ihrer Schriftunkundigkeit die wirklichen Ketzer seien und als Zerstörer christlicher Ordnung von ihren Ämtern entsetzt und mit »geburlicher peen«33 bestraft werden müssten. Dies kann als Aufruf zum Widerstand der Obrigkeit gegen die römische Hierarchie und ihre Prälaten sowie als Aufforderung zum Ungehorsam an das Kirchenvolk verstanden werden.
Letztlich bewirkte die Bedingung, von der Karlstadt behauptet, sie im eigenen Haus verfasst zu haben, keine Aussetzung des Urteils, doch musste sich ein Gericht mit dem Einspruch in Form einer öffentlichen protestatio auseinandersetzen, was dem Angeklagten Zeitgewinn verschaffte.34