Nr. 182
Andreas Karlstadt an kfstl. Räte
[[Wittenberg]], [1521, [24. Juni]]

Einleitung
Bearbeitet von Ulrich BubenheimerAlejandro Zorzin

1. Überlieferung

Handschrift:

[a:]ThHStA Weimar, EGA, Reg. O, Nr. 320, fol. 1r–v und fol. 3r–v (undatiertes Autograph Karlstadts, fol. 3r vacat)
Edition:

Beilage: Zusammenfassender Bericht Spalatins, 24. Juni 1521.

Handschrift:

[b:]ThHStA Weimar, EGA, Reg O, Nr. 320, fol. 2r–v (datiertes Autograph Georg Spalatins)

Das im Archiv angelegte Deckblatt des beide Stücke enthaltenden Konvoluts (frühere Signatur: Reg. O. 124. ZZ. 10) trägt die Aufschrift: »1521. ∣ Schriften betr die Unterhandlungen des Dr. Carlstadt mit dem ∣ Churfürsten Friedrich v. Sachsen über die Bedingungen unter welchen ∣ er nach Dänemark als Lehrer u. Prediger1 gehen will ∣ namentlich mit Rücksicht auf die Lectionen an der Universität Wittenberg gestellt.«

Edition:

Literatur:

2. Inhalt und Entstehung

Anfang März 1521 reiste Martin Reinhart2 im Auftrag des dänischen Königs Christian II.3 von Kopenhagen nach Wittenberg. Hier übergab er Karlstadt einen Geleitbrief des Königs und vermittelte ihm dessen Einladung, an die dortige Universität zu kommen.4 Karlstadt nahm das Angebot positiv auf und scheint bei dem in Worms weilenden Kurfürsten um dessen Einwilligung nachgefragt zu haben. Eine Antwort des Kurfürsten stand am 9. April noch aus.5 Am 25. April teilte Reinhart aus Worms6 dem dänischen König die positive Reaktion Karlstadts auf die Einladung mit. Für den 13. Mai 1521 ist Karlstadts Vorsitz bei zwei Wittenberger Disputationen belegt (KGK 179 u. KGK 180); seine Dänemarkreise wird erst nach diesem Datum anzusetzen sein.7

Vermutlich ist Karlstadt von Wittenberg über Rostock und von dort über den Seeweg nach Kopenhagen gereist. Möglicherweise reiste er zusammen mit Martin Reinhart, denn der begab sich nach Erledigung seiner von König Christian II. erhaltenen Aufträge wieder über Rostock zurück nach Dänemark.8 Als Reisedauer sind mindestens sieben bis acht Tage zu veranschlagen. Karlstadt kann daher kaum vor Pfingsten (19. Mai) in Kopenhagen angekommen sein. Zu Pfingsten plante auch Reinhart wieder in Kopenhagen zu sein, wie er am 25. April an den König geschrieben hatte.9

Die weiteren Umstände sprechen dafür, dass Karlstadt diese Reise von Anfang an zum Zweck der Erkundung und Vereinbarung seiner näheren Arbeitsbedingungen in Kopenhagen geplant hatte. Denn in Wittenberg war er im Sommersemester 1521 Dekan der theologischen Fakultät. Seine Vertretung in diesem Amt und in seinen Lehrverpflichtungen war vor seiner Abreise nicht geregelt. Ferner hatte er weder seine Bücher auf dieser Reise mitgenommen noch sonstige Vorkehrungen für eine längere Abwesenheit von Wittenberg getroffen.10 Am 20. Juni ist Karlstadts Anwesenheit bei einer Wittenberger Disputation belegt (KGK 181). Somit kann er sich maximal zwischen etwa 19. Mai und 14. Juni 1521 in Dänemark aufgehalten haben. Christians II. bevorstehende Abreise aus Kopenhagen Richtung Niederlande am 17. Juni 152111 könnte ebenfalls eine Rolle für Karlstadts Entschluss zur Beendigung seiner »Antrittsreise« gespielt haben.

Vor Ort hatte er ungefähr bis zu drei Wochen Zeit, um sich einen Überblick über die von ihm erwarteten Aufgaben zu verschaffen, sich ein Bild von der akademischen Dynamik und der Ausstattung der Kopenhagener Universität zu machen und zu klären, wie die von ihm gewünschte richterliche Tätigkeit gestaltet sein sollte. Die Spannungen, die die Politik des Königs einschließlich der von ihm eingeleiteten Maßnahmen zur Veränderung der kirchlichen Verhältnisse auslöste, dürften Karlstadt nicht verborgen geblieben sein. Über die Gewalttätigkeit, die Christian II. im Jahr zuvor im Krieg gegen Schweden und insbesondere im sogenannten Stockholmer Blutbad (7./8. November 1520) an den Tag gelegt hatte, wurde in Wittenberg spätestens seit März 1521 geredet. Melanchthon schrieb am 30. März an Spalatin über den König: »Er hat in Schweden einige Bischöfe mit dem Beil hingerichtet und einige Mönche ertränkt.«12 Der mit Melanchthon befreundete Wittenberger Humanist Heinrich Stackmann notierte 1521 in seiner Biblia latina zu der Erzählung von Sauls und Jonathans Tod im Kampf gegen die Philister und Davids Dank an die Männer von Jabesch und Gilead, die die Leichname würdig bestattet hatten (1. Sam 31,11–13 und 2. Sam 2,4–7): »Merke auf, Christiernus, König von Dänemark, wie übel du gehandelt hast, als du gegen den Leichnam des Schweden Sten Sturesund und der Seinigen nach dem Tod gewütet hast.«13 Christian II. hatte den Leichnam seines im Krieg gefallenen Gegenspielers Sven Sture d. J. (1493–1520) ausgraben und zusammen mit den im Rahmen des Blutbads Hingerichteten auf einem Scheiterhaufen verbrennen lassen.

Karlstadt sah offenbar realistisch die Risiken, die für ihn mit einer Tätigkeit im Dienst des dänischen Königs verbunden sein konnten. Er zögerte, nach Kopenhagen zurückzukehren, ohne zuvor weitere Sicherheiten vom dänischen König und von Kurfürst Friedrich erhalten zu haben. Am 24. Juni 1524 wurde Karlstadt in der kurfürstlichen Kanzlei von adligen kurfürstlichen Räten14 und von Georg Spalatin vernommen oder angehört.15 Dabei stellte Karlstadt Bedingungen, unter denen er für ein Jahr in den Dienst des Königs treten würde, und trug seine Bedenken vor. Die Räte forderten ihn auf, seine Ausführungen schriftlich zusammenzufassen. Noch in der Kanzlei fertigte Karlstadt das hier edierte Memorandum an, dessen Adressaten, wie die der Unterschrift vorausgehende Anrede »Euer gestrengheiten« zeigt16, die adligen kurfürstlichen Räte waren.

Karlstadt gab sich große Mühe, ein gepflegtes Schriftstück (Abb. 1) in Anlehnung an den in der Kanzlei damals gepflogenen Stil aufzusetzen und näherte seine Handschrift dem Kanzleistil an.17 In keinem der von Karlstadt erhaltenen deutschen Autographen schrieb er so sorgfältig in der ihm eigenen gotischen Kursive wie hier. Meist schrieb er schnell und flüchtig. Doch im vorliegenden Schreiben passte er sich in der äußeren Form erkennbar den von ihm angenommenen Ansprüchen der kurfürstlichen Kanzlei an. Im Postskript am Schluss bringt er diese Absicht zum Ausdruck: »Ich bithe mein schreiben fur gut anczunhemen/ dan ich hethe gern besser geschrieben/ so ich gleich vermuglich/ wie ich willig gewest.«18 Zwei weitere formale Elemente dieses Schreibens entstammen dem Kanzleistil. Am Anfang steht über dem Memorandum mit dem Wort »Jesus« eine Invocatio. In der Kanzlei wurde über Schreiben des Kurfürsten oft die Invocatio »Gott walt's' « gesetzt. Karlstadt verzichtete in seinen Briefen auf eine Invocatio, während Luther über den Briefanfang bis 1522 meistens »Jesus« setzte, so auch in Briefen an den Kurfürsten und an Spalatin. Auffallender noch ist, dass Karlstadt auf der Rückseite des gefalteten Schriftstücks eigenhändig einen Dorsalvermerk (»Bewilligung19 doctor Carolstats «; Abb. 3) anbrachte, was üblicherweise erst nach Eingang eines Schreibens seitens der Kanzlei erfolgte.

Diese Bemühungen Karlstadts um die äußere Form seines Memorandums, die einer nonverbalen captatio benevolentiae gleichkamen, hingen möglicherweise auch damit zusammen, dass er damit rechnete, sein Schreiben könnte dem Kurfürsten vorgelegt werden, denn darin berührte Karlstadt auch Wünsche, über die der Kurfürst zu befinden hatte. Karlstadt eröffnet sein Memorandum mit der grundsätzlichen Feststellung, dass er bereit sei, nach Dänemark zu gehen, jedoch nicht länger als ein Jahr, weshalb er die Zusicherung benötige, sein Archidiakonat behalten zu dürfen. Außerdem möchte er die Erlaubnis bekommen, seine Wohnung (»Behausung«) verkaufen zu dürfen.20 Nach dieser Präambel kommt Karlstadt zu seinen Wünschen und Vorbehalten im Einzelnen:21 Zunächst trägt Karlstadt sechs finanzielle Anliegen vor, wobei er seine schlechte finanzielle Lage herausstreicht: Bezahlung seiner Vertreter an der Universität und am Stift solle so erfolgen, dass ihm von den Einkünften aus dem Archidiakonat selbst noch etwas übrig bleibt; Anfertigung zweier standesgemäßer Roben, die aus seinen zu Michaelis (29. September) fälligen künftigen Einnahmen finanziert werden sollten; Finanzierung seiner Reise und des Transports seiner Bücher aus dem Erlös für den Verkauf seiner Wohnung; Begleichung seiner ungetilgten Schulden aus den rückständigen Zahlungen seines Vikars auf der dem Allerheiligenstift inkorporierten Pfarrei Orlamünde.

Von diesen finanziellen Wünschen hebt Karlstadt die ihm wichtigeren Sicherheiten ab22, die er vom Kurfürsten und vom dänischen König erhalten möchte. Der Kurfürst solle ihm einen Schutzbrief ausstellen, mit dem er ausweisen könne, dass ihn der Kurfürst nach Dänemark gesandt habe. Der König wiederum solle ihm vorweg eine verbriefte Zusage zuschicken, ihn ungehindert und sicher abziehen zu lassen, falls über ihn der päpstliche Bann und die kaiserliche Acht verhängt werden sollte. Er traute es dem König zu, dass er in einer solchen Situation gegen Karlstadt »unwillig« werden könnte. Zu seinen Aufgaben in Dänemark gehörten Vorlesungen und Disputationen (an der Universität); außerdem müsse er pro Woche zwei Tage »zu rath und gericht sitzen«. Die königliche Auflage, dass er ohne vorherige Zensur nichts gegen den Papst veröffentlichen dürfe, könne er in Disputationen nicht einhalten und bittet daher, dieser Auflage entbunden zu werden. Für seine juristische Aufgabe benötige er die verbindliche Zusage, dass er nur nach »Biblischen Rechten« urteilen dürfe.

Von der Hand Georg Spalatins liegt eine hier als Beilage edierte Zusammenfassung der mit Karlstadt geführten Verhandlungen vor (s. Abb. 2).23 Spalatin hat eine sehr individuelle und daher unverwechselbare Handschrift, die leicht zu identifizieren ist, auch wenn – wie hier – sein Name nicht genannt ist. Runde Buchstabenformen und teils lang ausgezogene runde Bögen kennzeichnen seinen kursiven Schreibstil. Selbst lange Worte kann er in einem Zug schreiben ohne abzusetzen. Diesen Stil verwendet er sowohl in lateinischen Texten, in denen er überwiegend auf die Buchstabenformen der humanistischen Kursive zurückgreift,24 als auch in deutschen Texten, in denen er zwar auf das Zeichenrepertoire der gotischen Kursive zurückgreift, doch dieses nach seinem individuellen Schreibstil abwandelt; so auch in vorliegendem Schriftstück. Manchmal fließen ihm im Schreibfluss noch die für die gotische Kursive typischen Brechungen innerhalb einzelner Buchstaben in die Feder. Spalatins sehr gepflegte und gut lesbare Schrift war eine günstige Voraussetzung für den Erwerb eines Notarprivilegs im Jahr 150725 als auch für seine Tätigkeit als Sekretär des Kurfürsten.

In vorliegendem Schreiben bietet Spalatin zusammenfassende Auszüge aus Karlstadts Memorandum sowie aus dem im Anschluss daran geführten Gespräch mit ihm, in dem es gelungen ist, Karlstadts Position aufzuweichen. Die Form von Spalatins Zusammenfassung entspricht derjenigen, wie sie Spalatin pflegte, wenn er Schriftstücke oder Gespräche für den Kurfürsten zusammenfasste, damit sich der Kurfürst entweder durch Lektüre oder den Vortrag Spalatins rasch über die entscheidungsrelevanten Punkte eines Vorgangs informieren konnte.26 Knapp berichtet Spalatin über das Ergebnis von Karlstadts erster Reise nach Dänemark, nämlich über dessen dem König gegebene Zusage, ihm ein Jahr mit Vorlesungen, Predigten und »Raten« (d. h. mit juristischer Tätigkeit) zu dienen. Als Problem benennt Spalatin nicht, dass Karlstadt aus Dänemark noch einmal zurückgekehrt war, sondern dass er Sorgen vortrug, die ihn jetzt zögern lassen, sich ohne weitere Abklärungen und Sicherheiten erneut nach Dänemark zu begeben.

Spalatin berichtet, wie man versucht habe, Karlstadts Sorgen zu zerstreuen: Die Auflage, ohne vorherige königliche Zensur nichts gegen den Papst zu publizieren, sei eine Maßnahme, ihn zu schützen. Vor den Folgen des Banns und der Acht brauche sich Karlstadt nicht zu fürchten, denn der König stehe nicht in gutem Einvernehmen mit dem Papst und er gestatte auch nicht den Vollzug der kaiserlichen Acht in seinen Königreichen. Spalatin ergänzt, wohl aus dem mit Karlstadt geführten Gespräch schöpfend, dass Karlstadt sich vor einer bestimmten Person fürchte, deren Namen Spalatin nicht nennt. Auffallend ist, dass Spalatin dazu keine weitere Aussage macht. Der Hintergrund dürfte diplomatische Zurückhaltung sein.

Als entscheidenden Punkt arbeitet Spalatin die Verbindlichkeit der Zusage heraus, die Karlstadt dem König vor seiner Rückreise gegeben hatte. Würde Karlstadt diese Zusage brechen, könnte dies zu einer Verstimmung des Königs gegenüber dem Kurfürsten führen. Denn der Kurfürst hatte während des Wormser Reichstags die »Verschiebung« Karlstadts in den Herrschaftsbereich des rom- und papstkritischen Neffen in Kopenhagen befürwortet und dürfte sowohl aus politischen als auch verwandtschaftlichen Motiven Wert darauf gelegt haben, dass Karlstadt seine Zusage einhält.27

Die finanziellen Wünsche Karlstadts nahm Spalatin nicht in seine Vorlage für den Kurfürsten auf. Jene Wünsche sowie die Frage von Karlstadts Vertretung an der Universität wurden – wahrscheinlich von Spalatin – an die Universität weitergeleitet.

Spalatin hat in einem Bericht zu verschiedenen Universitätsangelegenheiten Folgendes knapp festgehalten: »Doctor Karlstadts halben antwort die Universitet, hab doctor Karlstadt hinden meinem G'nädigen' H'errn' [= Kfst. Friedrich III.] dem Konyg etwas zugesagt, so wisten sie [scil. die Universität] den Statuten zu entgegen nicht zu bewilligen[,] anders dann das er [scil. Karlstadt] sein ampt mit einem gleichmaßigen [Vertreter] zu verwalten. So war es in irem Vermůgen nicht[,] im ichts zu kauffen. Wolt i[h]m mein G'nädiger' H'err' etwas am hauß aus gnaden nachlaßen, das wurd bey seiner C'hurfürstlichen' G'naden' steen. Sunst achten sie das für das best, das doctor Karlstadt sein zusage volzihe.«28

Karlstadt hatte aus den Gesprächen mit den kurfürstlichen Räten und Spalatin einerseits entnommen, dass er nicht mit großer Bereitschaft rechnen konnte, dass man seinen Wünschen entgegen kommen würde. Andererseits erkannte er auch, dass der Kurfürst nach dem Wormser Edikt nicht nur Luther, sondern auch ihn nicht in Wittenberg wissen wollte. Er vollzog daher nach dem Bericht Spalatins eine Kehrtwende: »[…] so wolt er sich alles des so er alhie hat zuverlassen, und auf Gottes gnaden und berat zutziehen wo er hinkommenn muge Domit meinem Gnedigsten Hern seyner halben keyn beschwerung begegen mocht.«29 Karlstadt erklärte also seine Bereitschaft, alles aufzugeben, was er in Wittenberg hatte, und dort hinzugehen, wo ihn Gott hinführen werde. Dabei ließ er sogar offen, wohin ihn seine Reise führen werde, schloss aber Dänemark auch nicht aus. Karlstadt fand damit zurück zu einer Haltung, die er 1520 angesichts der päpstlichen Bannandrohung in seiner Schrift Tugend Gelassenheit (KGK III, Nr. 166) eingenommen hatte. Darin hatte er bereits erklärt: »[…] ich will mich meines Archidiaconat/ aller gütter/ ßo ich hab gutwilliglich erwegen« und am Rand hinzugefügt: »Archidiaconat/ ßo ich des fellig erkannt wirt.«30 In der Bereitschaft zum Verzicht auf die irdischen Güter hätte er Wittenberg verlassen, in der Konfrontation mit seinen Ängsten vor dem Martyrium31 hätte er sich auch mit den Risiken einer Wirksamkeit in Dänemark neu auseinandersetzen können.32

Tatsächlich gibt es einen Hinweis, dass Karlstadt die Rückkehr nach Dänemark weiterhin plante. Johann Büttner aus Bayreuth, ein Schreiber in der Kanzlei Christians II., wandte sich zu einem nicht genannten Zeitpunkt (nach 24. Januar 152233) mit einem Bittschreiben an den König. Sein früherer Dienstherr, Markgraf Kasimir von Brandenburg-Culmbach habe ihm vor einem Jahr gestattet, sich ein bis zwei Jahre in fremden Landen aufzuhalten. »[…] und Doctor Andreas Bodenstain Carolstat gnandt mir furderung und andere brieff (mit underrichtung ine inn vier wuchen nach mir hyher zu erscheynen vorghehen) geben, derhalben ich hyeher zu land komen und bey mayster Dietrichen dinst angenomen, von dem ich furter Steffan Schreybern eur. kon. Mt. cantzleyschen stilum zu begrieffen und hinfuro zu gebrauchen bevolhen wurd […].«34 Karlstadt hatte also Johann Büttner35 mit einem Empfehlungsbrief als Schreiber an den königlichen Hof empfohlen. Er wurde von Diedrik Slaghoeck, Sekretär und Rat des Königs, in Dienst genommen und dem deutschen Sekretär Stephan Hopfensteiner beigegeben. Die Antwort auf die bislang ungeklärte Frage, wann und wie es zu dem geschilderten Kontakt zwischen Büttner und Karlstadt kam, wird beantwortet durch den Nachweis von Büttners Immatrikulation an der Universität Wittenberg am 1. Juli 152136. Büttner machte also nach Karlstadts Rückkehr aus Kopenhagen in Wittenberg Station und traf dort auf Karlstadt. Dieser empfahl ihn weiter an die königliche Kanzlei in Kopenhagen, gab ihm Briefe mit und die Information, dass er selbst binnen vier Wochen nach Kopenhagen kommen wolle. Leider fehlt ein näheres Datum zur Abreise Büttners aus Wittenberg. Diese könnte zwischen Juli und September 1521 erfolgt sein. In der königlichen Kanzlei hat er auch noch für Stephan Hopfensteiner geschrieben, der Ende Dezember 1521 nach Lübeck floh.37

Vom 29. Juli38 bis 20. September 152139 gibt es zu Karlstadt bislang keine biographischen Daten. Während er davor in auffallend dichter Folge an akademischen Graduierungen und den zugehörigen Disputationen beteiligt war40 und im Zeitraum zwischen der Rückkehr von Kopenhagen und dem 29. Juli eine intensive Publikationstätigkeit an den Tag gelegt hatte, ist danach fast zwei Monate keine Aktivität Karlstadts belegt, auch nicht in dem von ihm als Dekan geführten Dekanatsbuch. Der Grund dafür könnte sein, dass er in dieser Zeit seine Reise nach Kopenhagen vorbereitete und sich deshalb zeitweise auch außerhalb Wittenbergs aufhielt, insbesondere in seiner Pfarrei Orlamünde, um dort die erforderlichen Regelungen zu treffen, u. a. angesichts der von ihm in seinem Memorandum angesprochenen rückständigen Zahlungen seines dortigen Konventors. Ein weiteres nicht einfach zu lösendes Problem war das Verlangen der Universität, Karlstadt müsse einen ebenbürtigen Vertreter stellen. Doch an der theologischen Fakultät war er nach dem Ausfall Luthers zunächst der einzige Doktor. Am 23. Juli war Johannes Dölsch von Karlstadt zum Doktor promoviert worden41 – möglicherweise hätte Dölsch die Vertretung für Karlstadt übernehmen können. Warum Karlstadts Plan, nach Kopenhagen zu gehen, letztendlich doch begraben wurde, wissen wir mangels Quellen nicht. Das muss nicht nur, wie man bisher unterstellte, an Karlstadt gelegen haben. Auch Christian II. könnte dieses Projekt aufgegeben haben, zumal es auch gegenüber dem Kaiser nicht geheim geblieben war und er im Interesse vorrangiger Wünsche gezwungen gewesen sein könnte, auf den Kaiser Rücksicht zu nehmen. Und schließlich könnte auch der Kurfürst Gründe gehabt haben, das Vorhaben nicht weiter zu verfolgen.


1 »Lehrer u. Prediger« über der Zeile für durchgestrichenes »Abgesandter des Churfürsten« von einer Hand des 19. Jh. eingefügt.
2Zu Reinhardt vgl. Hoyer, Reinhart. Er war Ende 1520 (zusammen mit dem Melanchthonschüler und Gräzisten Mathias Gabler) von der Wittenberger an die Kopenhagener Universität gesandt worden; am 21. Dez. 1520 wurde er dort aufgenommen – mit dem Hinweis: »[…] ex iussu Principis [= Christian II.] vocatus huc venit.« (Gram, Rex Christiernus Secundus, 8). Als »Capelan« des dänischen Königs reiste Reinhart 1521 (mit königlicher Korrespondenz) über Wittenberg (Anfang März) weiter nach Worms. Am 7. März 1521 berichtete Luther an Spalatin, dass Reinhart nach Wittenberg gekommen sei, um hier zu promovieren und darauf nach Kopenhagen zurückkehren wolle (WA.B 2, 283,15–17 Nr. 385). Reinhart erwarb jedoch keinen akademischen Grad. Im Auftrag des Königs bemühte er sich, Wittenberger Dozenten für Kopenhagen zu gewinnen.
3Zu ihm Bietenholz, Contemporaries 1, 302 f.; Brandi, Karl V. 121 f., und Ludolphy, Friedrich, 274–279.
4In einem am 25. April 1521 (in Worms) datierten Brief an Christian II. schreibt Reinhardt: »[…] Allergnedigster Künig! Alsz ich von Euer Kü'niglichen' M'ajestä't zu Koppenhagen in Bevelch derselbigen E'uer' Kü'niglichen' M'ajestä't umb Doctorn Andreen Bodenstein von Karolstat, gen Wittenberg, in Hoffnung denselbigen bisz an E'uer' Kü'niglichen' M'ajestä't Universitet ze bringen, gerayst, In allda gefunden, und das Geleid, so E'uer' K'üniglichen' M'ajestä't eegenanten Doctorn zugesandt, gegeben, hat sich bemeldter Doctor Andreas gantz gutwillig E'uer' K'üniglichen' M'ajestä't zu dienen ertzaigt und befinden lassen, auch das Geleid in groszen Freyden angenommen. […] «, zitiert hier nach Kolde, Carlstadt, 290.
5Vgl. Spalatins Bitte an den Kfst. (am 9. April 1521), ihm und Jakob Vogt mittzuteilen, was sie Karlstadt auf eine Anfrage desselben, antworten sollen: »E'uer' c'hurfstlich' g'naden' wirt ob gott will zu irer gelegenheit den beichtvater und mich wissen lassen, was wir dem Karlstadt für eyn antwort geben sollen.« Waltz, Epistolae Reformatorum 1, 12. Schon Kolde interpretierte die Stelle in diesem Sinn (Kolde, Carlstadt, 287 Anm. 4); vgl. auch DRTA.JR 2, 540, mit Hinweis auf diese Notiz Spalatins und der Signaturangabe: »Weimar, Reg. N. pag. 110 H., nr. 43.1c«. Zu in Worms kursierenden Gerüchten über Pläne Kfst. Friedrichs III., Wittenberger Dozenten nach Dänemark zu senden, vgl. Kalkoff, Depeschen, 159–161 Nr. 22 (29. April 1521), bzw. Kalkoff, Depeschenebd. 175 f. Nr. 24 (11. Mai 1521).
6Der Brief bei Kolde, Carlstadt, 289–291; Reinhart könnte in Worms (im Kontakt mit Spalatin) die Zustimmung des Kurfürsten abgewartet haben, um dann erst dem König einen positiven Bescheid zu geben.
7Vgl. auch Bubenheimer, Consonantia, 235 Anm. 172.
8So Reinhart in einem Widmungsbrief an Anton Tucher, Hieronymus Ebner und Willibald Pirckheimer, Nürnberg, 17. März 1524; Pirckheimer, Briefwechsel 7, 484,35–38 Nr. 826a: »So hat es sich gefügt, das ich im 1521. iare gen Rostock (als ich wider in Denmarcken raiset) kame, alda bey einem liebhaber evangelischer warheit herberge hate, wölchs name der jung Hans Kaffmeister
9 Kolde, Carlstadt, 289–291.
10Das ergibt sich aus dem hier als Beilage abgedruckten Bericht Spalatins über die Verhandlungen mit Karlstadt.
11Von seinem zum Wormser Reichstag delegierten Sekretär Stephan Hopfensteiner hatte Christian II. mitgeteilt bekommen, dass der Kaiser plane, zwei Wochen nach Pfingsten zurück in Brabant zu sein (vgl. Hopfensteins Brief vom 25. April 1521 in Kolde, Carlstadt, 291 f.). Am 17. Juni 1521 machte sich Christian II. mit großer Kommitive in die Niederlande auf, um dort seinen Schwager, den vom Wormser Reichstag zurückkommenden Kaiser, zu treffen (Barge, Karlstadt 1, 471). Die Abwesenheit des Karlstadt in Dänemark Schutz bietenden Königs und das am 26. Mai 1521 erlassene Wormser Edikt werden ihn zur Rückreise (in das sichere Wittenberg) bewogen haben.
12 MBW 1, 267,18 f. Nr. 131. Melanchthon bezog sich auf einen Brief, den er an diesem Tag von seinem Schüler Matthias Gabler erhalten hatte, der in Kopenhagen Griechisch lehrte.
13 »N'ota' Rex Datiae Christierne quam male egeris seviendo in cadaver Stenonis Sthur Sueci, et suorum post mortem/ Anno domini etc. 21.« Das Datum bezieht sich auf das Jahr, in dem Stackmann die Notiz niedergeschrieben hat, und zwar in seinem Exemplar der Biblia (1513), fol. 68v am unteren Rand. Das Exemplar Stackmanns heute in RFB Wittenberg, 2 ETh 28.
14Wahrscheinlich Hans von Dolzig und Bernhard von Hirschfeld, die Karlstadt im Brief vom 2. Februar als ihm wohlgesonnen erwähnte (KGK 175), vielleicht auch noch Hugold von Einsiedel. Diesen drei kurfürstlichen Räten widmete Luther am 17. September 1521 sein Evangelium von den zehn Aussätzigen, vgl. WA 8, 340,4–8: »Dem Ehrn vesten und gestrengen Her Haugold von Einsideln, er Hanszen von Doltzck unnd Bernhard von Hyrszfeldt, meynen gunstigen hern und freunden, […].«
15Es ist offen, ob der Termin in der Kanzlei auf Initiative Karlstadts, Spalatins oder der kurfürstlichen Räte angesetzt wurde.
16Entsprechende Titulatur z. B. in Karlstadts Brief an den kursächsischen Rat Johann Pfeffinger vom 23. August 1516: »E'wer' G'estrengheit' williger capellan [End]res Carolstadter «, KGK I.1, Nr. 43, S. 421, Z. 21–23.
17 Karlstadt kannte auch von seiner früheren Schreibertätigkeit an der römischen Kurie (KGK I.1, Nr. 24, S. 358, Z. 34–S. 359, Z. 1; Bubenheimer, Consonantia, 53–55) die Erwartungen, die man in Kanzleien an eine gute Handschrift stellte.
18Vgl. KGK 182 (Textstelle). Ähnlich KGK I.1, Nr. 43, S. 421, Z. 14 f.
19Zustimmung, Einverständnis, Einwilligung, Billigung.
20Anscheinend standen dem Kurfürsten an der Wohnung gewisse Rechte zu.
21Eingeleitet mit der Zwischenüberschrift: »Doch das mir volgende gutheit vnd gnad bescheg«. Danach listet Karlstadt die einzelnen Punkte auf.
22Eingeleitet mit den Worten »Doch vor allem« (vgl. KGK 182 (Textstelle)).
23 Waltz, Epistolae Reformatorum, 128 Anm. 2: »Bei den Acten im Ernestin. Gesammtarchiv zu Weimar Reg. O. p. 124 Lit. ZZ. nr. 10 liegt folgender Originalbericht Spalatins «, datiert »[…] montags sannt Johannis des heiligen taufers tag [= 24. Juni] a. d. 1521« (es folgt die Transkription).
24Eine reine humanistische Kursive bietet Spalatin in seiner Hochzeitsgratulation für den Humanisten Stephan Roth vom 6. Mai 1524, abgebildet in Clemen, Handschriftenproben, T. 62.
26Ein formal entsprechendes Beispiel bietet Spalatins zusammenfassender Auszug aus einem (verschollenen) Gutachten Karlstadts über die Rechtsverhältnisse der 1507 durch Bulle Papst Julius II. errichteten neuen Propstei am Allerheiligenstift (s. KGK I.1, Nr. 42). Seiner Zusammenfassung hat Spalatin den Dorsalvermerk »Außzug Doctor Karlstads bedenckens.« beigegeben (KGK I.1, Nr. 42, S. 415, Z. 1 mit Anm. 1).
27 Barge, Karlstadt 1, 262, Anm. 59 ist der Meinung, dass es zu diesem Zeitpunkt noch keine Anzeichen für eine »persönliche Antipathie des Kurfürsten gegen Karlstadt « gab: »Noch erwog man am Hofe vorübergehend, ihn zum Propst des Allerheiligenstiftes zu machen als Justus Jonas sich weigerte, die ordnungsgemäß vorgeschriebenen juristischen Kollegs zu lesen. Spalatin schreibt Juni 1521 an einen kurfürstlichen Rat (wohl Hans von Dolzig), man könne Jonas vielleicht das Archidiakonat übergeben, ›ob man den karlstat kunnt leyden fur eyn probst, oder denn Otten [Beckmann] […] dan ich holt karlstat wer gernn probst.‹ « Vgl. Drews, Spalatiniana 1, 70–72 Nr. 2.
28 Waltz, Epistolae Reformatorum, 128 Anm. 2: »In einem andern Bericht im cod. chart. Goth. A. 1289. 1. no. 173 meldet Spalatin: […] « (es folgt die Transkription).
30 KGK III, Nr. 166, S. 402, Z. 10 f.
31Vgl. KGK III, Nr. 166, S. 392, Z. 23–S. 393, Z. 7.
32Zum Zusammenhang von Karlstadts aus mystischen Quellen geschöpftem Gelassenheitskonzept und seiner Lebenspraxis s. Bubenheimer, Mystical Books, 110–114. Den geistlichen Gewinn des Verfolgtwerdens hat Karlstadt erneut in seiner Schrift Reich Gottes (KGK 191) reflektiert, deren Widmungsvorrede vom 29. Juli 1521 datiert ist: »Ich geschweig auch/ das wir mit leiden tzu dem hiemel geen. Durch leiden und vervolgung kuembt der mensch yn ein geistlich armut […] « (KGK 190 (Textstelle)).
33Zur Datierung s. Barge, Karlstadt 1, 469.
34Zitiert nach Barge, Karlstadt 1, 469 und Gram, König Christian, 249.
35 Allen, Breve, 358 f. bietet folgende biographische Daten zu Büttner: Er diente zuerst Kurfürst Joachim von Brandenburg, dann Markgraf Kasimir von Brandenburg, kam 1521 an den dänischen königlichen Hof als Schreiber, nach Slaghoecks Hinrichtung nahm er dessen Stelle ein, begleitete den König 1523 ins Exil (auch nach Wittenberg), leistete ihm weiterhin Dienste als Sekretär und in diplomatischen Missionen, mindestens bis 1525.
36 AAV 1, 106a: »Joannes Butner de Bereut dioc. Bamberg. 5 Julij.«
37 Hopfensteiner diente bis 1547 verschiedenen Herren, auch Kaiser Karl V., als informatorischer Agent und Diplomat. Vgl. Häpke, Regierung, 76 f.; Schöne, Rotenburg, 18.
38Datum der Widmungsvorrede Karlstadts an Nikolaus Demuth. Siehe KGK 191.
39Promotion des Vizerektors Tilemann Plettner zum Lizentiaten der Theologie. Liber Decanorum (Faks.), fol. 32r .
40 Liber Decanorum (Faks.), fol. 32r–v .

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