Nr. 82
Andreas Karlstadt an Georg Spalatin
Wittenberg, 1518, 21. Mai

Einleitung
Bearbeitet von Alejandro Zorzin
unter Mitarbeit von Antje Marx

1. Überlieferung

Editionen:

Literatur:

2. Inhalt und Entstehung

Karlstadt hat zwei Briefe von Spalatin empfangen. Er bittet ihn, dem Kurfürsten dafür zu danken, dass er die Ausbildung in mehreren Sprachen kundiger Schullehrer fördert.1Spalatin hat Karlstadt mit Hinweisen auf »Güte und Gnade« des Kurfürsten erfreut.2[Degenhart] Pfeffinger, Bernhard von Hirschfeld und Spalatin sollen bitte als seine rechtmäßigen Stellvertreter bei der Erlangung und Entgegennahme eines Lehens oder einer kirchlichen Versorgung vom Kurfürsten agieren. Durch Spalatin soll Pfeffinger erfahren, dass Eck in einem weiteren Brief an Johannes [Dölsch aus]Feldkirch3Luther verunglimpft hat. Auch die Leipziger warten auf Fertigstellung von Karlstadts Augustinkommentar, um daraus »wie aus einer Rüstungskammer« Waffen zum Angriff gegen ihn hervorzuholen. Da er mehr als 130 Zuhörer [in der Augustinvorlesung] hat, seien keine Exemplare mehr erhältlich. Gerne würde er den Leipzigern welche zur Verfügung stellen, da er zum Kampf mit ihnen entschlossen ist. Vielleicht sei Pfeffinger wegen Karlstadts Aussagen über die Leipziger im letzten Brief [an Spalatin] verstimmt; aber die Leipziger machten Lärm, da sie sich von der Wittenberger Universität übertroffen fühlten. Karlstadt verweist Spalatin auf den Absatz »salvo iure [addendi][…]« in seinen [Apologeticae] Conclusiones4, wodurch er Tetzel und dessen Lehrer [Wimpina5] gebunden habe. Er habe erreicht, »dass die versteckten Schlangen« hervorkämen, damit der Kurfürst sie bemerke. Er steht unter Zeitdruck, da Pfingsten bevorsteht und er seinen Augustinkommentar fertigstellen will. Er hat erfahren, dass der Drucker noch 15 Exemplare davon hat, sie aber nicht verkaufen will.

Karlstadt ist weiterhin darum bemüht, dass seine Supplikation beim Kurfürsten das Ziel erreicht, ihm eine Einkommensverbesserung zu erwirken, die ihn von Kirchenverpflichtungen an der Schlosskirche befreit.6Pfeffingers Unbehagen über Karlstadts im letzten Brief an Spalatin geäußerte Angriffslust den Leipzigern gegenüber könnte durch den Hinweis auf Tetzel im Brief vom 14. Mai 1518 verursacht worden sein. Tetzel gehörte dem Leipziger Dominikanerkloster an und hatte an der dortigen Universität studiert.7 Damit der kurfürstliche Rentmeister über die sich kontinuierlich gegen die Wittenberger regenden akademischen Feindschaften im Bild ist, informiert Karlstadt Spalatin über neue Schmähungen Ecks gegen Luther und den sich zu Attacken gegen Karlstadt »rüstenden« Leipzigern.8 Einem dem Kurfürsten nahestehenden, hochrangigen Hofbeamten wie Pfeffinger musste jeder Anlass zu einem diplomatischen Konflikt zwischen den beiden Sächsischen Herrscherhäusern unwillkommen sein. Der in Dresden residierende Herzog Georg von Sachsen9, ernestinischer Cousin der beiden Albertiner Friedrich und Johann von Sachsen, war Schirmherr der Leipziger Universität.


1Vgl. KGK 072 und folgende.
2Möglicherweise hinsichtlich der von Karlstadt eingereichten Supplikation.
3Johannes Dölsch um 1484–1523, aus Feldkirch, studierte nach drei Heidelberger Anfangssemestern (1502/03) seit 1504 in Wittenberg, Mag. art. (10. 2. 1506), lehrte dort ab 1507 an der artistischen Fakultät. 1507 Priesterweihe; seit 1510/11 Kanoniker am Wittenberger Allerheiligenstift, ab Mai 1521 Custos desselben. Nach seiner Doktorpromotion (23. 7. 1521) war Dölsch auch ordentliches Mitglied der theologischen Fakultät (1521/22 Dekan). Wohl wegen seiner Verteidigungsschrift für Luther gegen die Angriffe der Löwener und Kölner (April 1520, D 2137) setzte Eck ihn auf die am 24. Juni 1520 veröffentlichte Bannandrohungsbulle gegen Luther (wodurch sich damals laufende Verhandlungen zerschlugen, Dölsch als Domprediger für Bamberg zu gewinnen). 1521/22 beteiligte er sich aktiv mit Thesenreihen an der reforrnatorischen Disputationsdynamik. Er heiratete 1522 und verstarb im folgenden Jahr am 22. Juli 1523. Vgl. zu ihm Kropatscheck, Dölsch; Kropatscheck, Biographie. In einem Brief an Dölsch (vom 31. 10. 1517) teilt Scheurl ihm mit, dass er den Kontakt von Eck mit Trutvetter, Luther, Karlstadt und Beckmann eingeleitet habe (Vgl. Scheurl, Briefbuch, 2, 33).
4Daraus ergibt sich, dass Spalatin zu diesem Zeitpunkt ein Exemplar besitzt, in dem er sie nachlesen kann; der am 14. Mai erst in den Anfängen stehende Druck der Apologeticae Conclusiones war nun weit fortgeschritten oder gar fertig.
5Konrad Wimpina (1460–1531); vgl. zu ihm Bäumer, Wimpina und VerLex (Hum) 2, 1375–1404.
7Daher muss kein verlorener Brief vermutet werden. Karlstadt hatte am 14. Mai geschrieben, dass »wir« – wenn sich die Tetzelschen Attacken gegen die Wittenberger fortsetzten – in einen »gelehrten Kampf« mit ihm treten würden. Das könnte Pfeffinger als Kampfansage gegen die Leipziger Dominikaner bzw. die dortige Universität verstanden haben. Der Leipziger Dozent Hieronymus Dungersheim von Ochsenfurt hatte Thesen gegen Johannes Wildenauer (Egranus) in Umlauf gebracht (vgl. WA.B 1, 157,4f.), dessen Apologetica responsio (W 3071) Anfang April 1518 mit einem kurzen einleitenden Brief Luthers in Wittenberg gedruckt worden war (KGK 076 (Anmerkung)). Auch das konnte als Wittenberger Positionierung gegen die Leipziger interpretiert werden (vgl. KGK 076 (Anmerkung); Luthers Aussage im Brief vom 9. Mai 1518 an Jodokus Trutfetter in Erfurt: »Scripsi epistolium, quo approbavi sua [= Wildenauers] dicta a Lipsensibus Theologis in calumniam satis insidiose traducta«, WA.B 1, 171,69ff.).
8Zum Hass der Leipziger gegen die Wittenberger, vgl. auch KGK 094.
9Georg von Sachsen (1471–1539); vgl. TRE 12 (1984), 385–389.

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