1. Überlieferung
Handschrift:
Originalurkunde
Pergamenturkunde1 mit Bleisiegel an Hanffaden2. Wie bei litterae cum filo canapis üblich, ist die Initiale des Papstnamens vergrößert und geschwärzt, der erste Buchstabe der Adresse etwas weniger vergrößert und dünnstrichig. Erster Buchstabe des Kontextes in vergrößerter, geschwärzter Majuskel.3
Vermerke der päpstlichen Kanzlei:
Ferner finden sich auf der Rückseite Kanzleivermerke, die auf den Geschäftsgang bzw. die Archivierung im Domstift Brandenburg zurückzuführen sind: »A«, rechts darunter die überstrichene Zählung »46«. Darunter (unterhalb des Kreuzes in der Mitte) von einer späteren Hand. »Bulla Leonis de visitatione annua habenda per Decanum et Capitulum Brandeb'urgense' de an'no' 1519 [sic!].« Darunter: »Cop. n. f. 53b V. III.« Darunter die heute gültige Urkundensignatur: »431«.
Edition:
- Riedel, Codex, 479f., Nr. 524.
Literatur:
- Bubenheimer, Consonantia, 22 Anm. 17.
- Beck, Urkundeninventar Kurmark, 247, Nr. 1668 (Kurzregest).
- Schößler, Domstiftsarchiv Brandenburg 2, 135f., Nr. 697 (Regest und Urkundenbeschreibung).
2. Inhalt und Entstehung
Die Urkunde Papst Leos X. ist an den Archidiakon und den Scholastikus der Allerheiligenkirche in Wittenberg in der Diözese Brandenburg gerichtet. Dekan und Kapitel des Domes in Brandenburg hatten in einer Klage ausgeführt, dass das Recht zur Visitation der innerhalb der Grenzen des Jurisdiktionsbezirks der Propstei Brandenburg gelegenen Kirchen und anderer geistlicher Einrichtungen sowie das Recht zur Abhaltung von Synoden sowie zum Empfang der mit der Visitation verbundenen Abgaben (procurationes, synodaticum und cathedraticum) Dekan und Kapitel und nicht dem Propst seit Menschengedenken mit Wissen und Duldung des Bischofs von Brandenburg und des Propstes zugestanden habe und zustehe. Dennoch wollen die derzeitigen Priester und Kleriker und insbesondere die Inhaber von geistlichen Lehen in jenem Jurisdiktionsbezirk seit einer gewissen Zeit Dekan und Kapitel an der Ausübung der genannten Rechte und dem Empfang der genannten Abgaben hindern. Der Papst ist deshalb von Dekan und Kapitel um Beistand gebeten worden. Er beauftragt die Empfänger des vorliegenden Mandats, die Parteien zu laden, anzuhören und, was Recht ist, unter Ausschluss der Möglichkeit der Appellation zu entscheiden und mit Androhung von Kirchenstrafe dafür zu sorgen, dass diese Entscheidung befolgt wird. Zeugen, die sich der Aussage entziehen möchten, sollen mit Androhung von entsprechender Kirchenstrafe unter Ausschluss der Möglichkeit der Appellation zum Erscheinen und zur wahrheitsgemäßen Aussage gezwungen werden. Der vorliegende Auftrag kann auch von einem der beiden Empfänger ausgeführt werden, falls bei der Ausführung nicht beide anwesend sein können.
Bei der vorliegenden Urkunde handelt es sich um ein Delegationsreskript18, das die Adressaten beauftragt, eine von Dekan und Kapitel des Domstifts Brandenburg an der Kurie vorgebrachte Klage19 vor Ort zu untersuchen und zu entscheiden. Die Bezeichnungen der Adressaten nicht mit ihrem Eigennamen, sondern nur mit ihrem Amt ist in Papsturkunden jener Zeit selten.20 Vermutlich sollte dadurch sichergestellt werden, dass das Mandat auch ausgeführt wird, falls es in den angesprochenen Ämtern zwischen Ausstellung der Urkunde und der Ausführung des Mandats einen personellen Wechsel geben sollte, was allerdings im vorliegenden Fall nicht eintrat. In jener Zeit hatte das Amt des Archidiakons am Wittenberger Allerheiligenstift Karlstadt inne, das des Scholastikus Matthäus Beskau. Warum die beiden Wittenberger Kanoniker mit der Schlichtung des Streites im Brandenburger Domstift beauftragt worden waren, ist unbekannt. Jedenfalls hatten beide eine adäquate juristische Vorbildung. Sie waren Doktoren beider Rechte, Beskau zudem an der Universität Professor des kanonischen Rechts21. Da die Initiative für das päpstliche Reskript von Dekan und Kapitel des Domstifts ausging, könnten von dieser Seite die beiden Wittenberger vorgeschlagen worden sein.
Der Umstand, dass die Urkunde im Domstiftsarchiv Brandenburg aufbewahrt wird, weist darauf hin, dass Karlstadt und/oder Beskau im Domstift Brandenburg aktiv wurden und die Urkunde dort als Beglaubigung für ihre Beauftragung vorgelegt hatten. Allerdings haben die beiden Wittenberger entgegen ihrem Auftrag den Brandenburger Streitfall nicht endgültig entscheiden können. Möglicherweise hat der Propst Busso von Alvensleben, der sich 1518 in Rom aufhielt22 und als Rat dem Markgrafen Joachim I. von Brandenburg nahe stand, die Beauftragung der beiden Wittenberger als Streitschlichter hintertrieben. Denn nach einer am 2. Mai 1519 in Cölln an der Spree ausgestellten Urkunde23 haben Markgraf Joachim und der Bischof von Brandenburg, Hieronymus Schulz,24 den Streit geschlichtet, nachdem sich beide Parteien auf diese Personen als Schlichter geeinigt hatten25. Nach dieser Schlichtungsurkunde standen die zwischen den Parteien umstrittenen Einkünfte des Synodaticums und des Cathedraticums bis zur Umwandlung des Domkapitels von einem Prämonstratenser-Chorherrenstift in ein weltliches Stift im Jahre 150626 dem Propst zu. Danach ist ein Rechtsstreit entstanden, den der Propst auf seine Kosten, das Domkapitel jedoch aus einer gemeinsamen Kasse finanziert haben. Das Geld, das während dieser Zeit aus den genannten Einkünften übrig geblieben ist, soll nun der Propst erhalten. Von den Einkünften aus der Gerichtsbarkeit, dem Synodaticum und dem Cathedraticum soll der Propst künftig jährlich 200 Gulden erhalten,27 woraus geschlossen werden kann, dass die Wahrnehmung des Visitationsrechts und die Erhebung der einschlägigen Abgaben vom Kapitel ausgeübt werden sollte.