Nr. 94
Martin Luther an Andreas Karlstadt
Augsburg, 1518, 14. Oktober

Text
Bearbeitet von Alejandro Zorzin

Buchsymbol59v
Glück und seligkeit/ Achtbar Herr D'octor' nemet wenig für
viel/ Denn die zeit und sach dringt mich dazu/ Auff ein an-
dermal wil ich euch/ auch andern mehr leuten schreiben.
Diese drey tag uber ist mein Sach in eim seer harten Stand
gestanden/ also das ich gar keine hoffnung hatte wiederumb
zu euch zu komen/ und das ich mich nichts gewissers denn
des Bannes versahe/ Denn der Legat1 wolt in alle weg/ ich solt nicht offent-
lich disputirn/ So wolt er mit mir allein auch nicht Disputirn/ und rühmet
sich allezeit/ er wolt nicht mein Richter sein/ sondern in allen Sachen ve-
terlich mit mir umbgehen. Aber nichts deste weniger wolt er nichts an-
ders von mir hören denn dis wort/ Ich widersprich/ ich widerrufe und
bekenne das ich geirret hab. Welchs ich nicht hab wöllen thun. Buchsymbol60r
Aber am aller meisten ist uber diesen zweien Artickeln gefochten
worden. Zum Ersten/ Das ich gesagt hab/ das der Ablas nicht sey der
Schatz des Verdiensts unsers lieben Herrn und Seligmachers
Christi.2 Zum Andern/ Das ein Mensch/ dera zu dem aller hochwirdigsten Sacrament
gehen wil/ Gleuben müsse etc.3


Dagegen der Legat gesetzt hat /die Extravagans in Sexto Decre-
talium4/ die sich anhebt/ Unigenitus.5 Darauff er sich feste verlies/ und
gentzlich vermas/ als were ich dadurch uberwunden/ wolt mich derhalb
zu einem Widerspruch bringen. Er zog für sich an die gemeine Opinion
und wahn der Scholasticorum oder Schul Lerer von der krafft und wir-
ckung der Sacrament/ und von der ungewisheit des/ der das hochwir-
dig Sacrament empfehet.


Nach dem nu der Legat alle Sachen allein mit macht und gewalt
triebe und handelte/ hab ich heut erst auff viler Leut fürbitte erlanget/
mir zugestatten mein Antwort6 in Schrifft zustellen. Darauff obenante
Extravagans, Unigenitus/ verlegt7 ist worden/ und wider den Legaten und
sein fürnehmen beweiset/ als ich hoffe/ durch göttlichen Rat/ also das der
Legat beschempt/ das ander alles lies faren/ und meins abwesens/ begert
sich mit dem Ehrwirdigen Vater Vicarien Doctor Johan Stupitz8 al-
lein zu unterreden. Als nu der Vicarius zu im komen ist/ hat er sich freund-
lich erboten. Aber wir gleuben den Wahlen9 nicht weiter denn wir sehen/
Denn der Legat gibt es vielleicht alles betrieglicher weise für.


Aber mir wird gemacht eine Appellation10/ so viel es müglich ist/
wol zugericht/ gegründet/ und der sachen bequem und gemes/ Auch ist
mein meinung/ so der Legat sich unterwind mit mir mit gewalt zuverfa-
ren/ mein Antwort uber benante zween Artickel/ auszugehen lassen/ da-
mit die gantze Welt sein ungeschickligkeit in dieser Sach vermercken mü-
ge/ denn warlich es fliessen aus seiner meinung viel ungereimbte und Ketzri-
sche Setze und meinung. Er ist vieleicht ein namhafftiger Thomist/
aber ein undeutlicher/ verborgener/ unverstendiger Theologus oder
Christ/ und derhalb diese Sach zu richten/ erkennen und urteilen/ eben so
geschickt/ als ein Esel zu der Harffen.11


Derwegen auch meine Sach in so viel mehrer ferligkeit stehet/
das sie solche Richter hat/ welche nicht allein Feinde und ergrimmet
sind/ sondern auch unvermüglich diese Sach zuerkennen und zuver-
stehen. Aber wie dem allen/ so regirt und lebt der Herr/ welchem
ich mich und alles das meine/ befihl/ und zweivel nicht/ mir werde durch
etlicher gottfürchtiger Leute Gebet hülff widerfaren/ wie ich mich schier
lasse dünken/ als geschehe Gebet für mich.


Aber ich kome entweder wiederumb zu euch unverletzt und unab-
gesondert12/ oder aber ich wende mich an ein andern ort verbannt/ So
gehabt euch wol/ halt fest und erhöhet Christum getrost und unver-
zagt.


Herr Christoffel Langenmantel13 thut so ganz treulich bey mir/
das mich sein so grosse sorgfeltigkeit verdreusst.


Ich hab aller Menschen gunst und zufall/ Allein ausgenomen vie-
leicht den hauffen/ der es mit dem Cardinal helt. Wiewol der Car-
dinal mich auch stetigs sein lieben Son nennet/ und meinem Vicario14 ge-
sagt hat/ das ich kein bessern Freund hab denn in. Ich halts aber/ wie
oben/ umb ehre willen/ Das weis ich/ das ich der allerangenemst und
liebst were/ wenn ich dis einig wort spreche/ revoco. Das ist/ Buchsymbol60v
Ich widerruffe.15 Aber ich wil nicht zu einem Ketzer werden mit dem Wi-
derspruch/ der meinung durch welche ich bin zu einem Christen worden.
Ehe wil ich sterben/ verbrand/ vertrieben und vermaledeiet werden etc.
Gehab dich wol, mein liebster Herr/ und zeige diese meine Schrifft/
unsern Theologis/ dem Amsdorff16/ dem Philippo17/ dem Otten18/ und an-
dern/ damit ir für mich/ ja auch für euch bittet/ Denn allhie wird gehan-
delt euer Sach/ also/ nemlich des glaubens an den Herrn Chri-
stum/ und der gnaden Gottes. Geben zu Augsburg/ an S. Calixten
tag. 1518.


adas.

1Kardinal Thomas de Vio aus Gaeta (1469–1534), genannt Cajetan.
2Luthers These 58 (aus seinen 95 Thesen gegen den Ablass); vgl. Acta Augustana (WA 2, 7,29–31).
3Luthers Resolutio zur 7. These (seiner 95 Thesen gegen den Ablass); vgl. Acta Augustana (WA 2, 7,35–7).
4Im Brief an Spalatin richtig: »[…]Extravagante […]Cle'mentis' Sexti, quae incipit: Unigenitus.« (vgl. WA.B 1, 214,15f).
5Vgl. die Bulle Unigenitus Papst Clemens’ VI. (vom 27. 1. 1343) in CICan 2, 1304–1306; ein Auszug aus derselben bietet WA 2, 5.
6Luther an Cajetan, Augsburg 14. Okt. 1518; vgl. Acta Augustana (WA 2, 9,16–22,35).
7widerlegt.
8Johann von Staupitz (1465–1524).
9Götze, Glossar 222: Wahl m. Wälscher, Italiener.
10WA 2,28–33 (vgl. a. WA 9, 787f.); zur Ausarbeitung dieser Appellation vgl. WA.B 1, 225 Anm. 3.
11ASD II, 335 (Asinus ad lyram).
12nicht exkommuniziert.
13Christoph Langenmantel (Freisinger Domherr); vgl. Luthers Brief an ihn vom 25. 11. 1518 (WA.B 1, 256f., mit biographischen Angaben, ebd., 255).
15Bei »Das ist/ Ich widerruffe.« handelt es sich wahrscheinlich um einen erklärenden Zusatz in der deutschen Übersetzung.
17Philipp Melanchthon (1497–1560) – Die Bitte Luthers, diesen Brief u. a. Melanchthon zu zeigen, bestätigt, dass Luthers Hinweis im Brief vom 11. Oktober an Melanchthon (Genaueres über seine in Augsburg verhandelte Sache bei Karlstadt erfahren zu können) wahrscheinlich vor dem Hintergrund eines (verschollenen) Schreibens Luthers (vom 10. oder 11. Oktober 1518) an Karlstadt getätigt worden ist (vgl. KGK 092).
18Otto Beckmann (ca. 1476–1556).

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