Nr. 94
Martin Luther an Andreas Karlstadt
Augsburg, 1518, 14. Oktober

Einleitung
Bearbeitet von Alejandro Zorzin

1. Überlieferung

Editionen:
  • Wit deutsch 9, fol. 59v–61r (L 3333 )
  • WA.B 1, 215f., Nr. 100.Das lateinische Original ist verschollen; das Schreiben wurde in den ersten deutschen Sammlungen von Luthers Werken überliefert.

Literatur:

2. Inhalt und Entstehung

Luther berichtet von zähen Verhandlungen mit Cajetan während der letzten drei Tage. Der habe sich geweigert mit ihm zu disputieren, Luther auch nicht disputieren lassen, sondern ihn nur zum Widerruf gedrängt. Cajetan habe Luthers 58. und seine Erklärung zur 7. [Ablass-]These in Abrede gestellt und ihm die Extravagante Unigenitus Papst Clemens’ VI. vorgehalten. Um sich gegen Cajetans scholastische Argumentation Gehör zu verschaffen, wurde Luther gestattet, schriftlich eine Antwort zu verfassen. Sollte Cajetan ihm mittels Gewalt beikommen wollen, werde Luther seine Antwort zu den von Cajetan beanstandeten Thesen veröffentlichen. Cajetan sei ein berühmter Thomist, aber ein schlechter Theologe. Die Lage sei umso gefährlicher, da er solche Richter habe, die nicht nur feindlich gesinnt, sondern auch nicht in der Lage seien, die Sache zu verstehen. Auch wenn Luther nicht nach Wittenberg zurückkehrt und anderswohin verbannt wird, soll Karlstadt unverzagt an Christus festhalten. Luther weiß, von ihm werde erwartet, dass er widerrufe; er wolle aber kein Ketzer werden, indem er der Überzeugung abschwört, durch die er zum Christen wurde; lieber wolle er sterben, verbrannt, vertrieben und verdammt werden. Karlstadt solle den Brief Amsdorff, Melanchthon, Beckmann und anderen zeigen; sie sollten für Luther und für sich selbst beten, denn in Augsburg würde ihre Sache verhandelt.

Luther war am 7. Oktober 1518 in Augsburg eingetroffen; von dort schrieb er am 10. Oktober einen (ersten) Brief an Spalatin1 und wahrscheinlich parallel dazu auch einen ersten an Karlstadt (vgl. KGK 092). Luther korrespondierte mit seinen Wittenberger Kollegen in lateinischer Sprache (vgl. KGK 091). Dass sich von diesem (zweiten) Schreiben an Karlstadt – zu dem es auch einen kürzeren lateinischen Parallelbrief gleichen Datums an Spalatin gibt2– keine lateinische Fassung erhalten hat, obwohl eine solche als Grundlage der 1557 veröffentlichten deutschen Übertragung gedient haben wird, ist überraschend. Der ausführliche Brief, in dem Luther seinem Kollegen und theologischen Mitstreiter detailreich Einblick in den gegenwärtigen Stand der Verhandlung mit Cajetan bietet, belegt eine offene und vertrauensvolle Beziehung zwischen beiden. Gleich zu Beginn stellt Luther in Aussicht, bei Gelegenheit sowohl Karlstadt wie anderen mehr berichten zu wollen. Ein dritter (verschollener) Brief von Luther an Karlstadt – vor seiner Rückkehr aus Augsburg nach Wittenberg3 – kann daher nicht ausgeschlossen werden. In einem Brief an Spalatin »bald nach 14. Oktober«4 drückte Luther seine Sorge darüber aus, dass nach seiner mit Gewalt vorangetriebenen Unterdrückung nun auch die Tür zu einem Vorgehen gegen Karlstadt und andere Theologen geöffnet worden sei.5 Luthers Aufforderung an Karlstadt, diesen Brief vom 14. Oktober auch Amsdorf, Melanchthon, Beckmann und anderen zu zeigen, könnte dank der dadurch stattgefundenen Verbreitung zum Erhalt desselben über die Zeit positionell motivierter Entzweiungen hinweg bis 1557 beigetragen haben.


1WA.B 1, 210, Nr. 97.
2WA.B 1, Nr. 99. Darin gibt Luther eine ähnliche, hauptsächlich für den Kurfürsten bestimmte Zusammenfassung der bisherigen Verhandlung zwischen ihm und Cajetan in Augsburg wieder.
3Luther hat Augsburg erst in der Nacht vom 20./21. Oktober 1518 verlassen.
4Vgl. WA.B 1, 218f.
5»Me autem per vim oppresso, aperta est ianua contra D. Andream Carlstadium et totam theologiae professionem […].«, WA.B 1, 219,31–33.

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