1. Überlieferung
Frühdrucke:
Byt vnd vermanūg ∥ an Doctor Och⸗∥ßenfart. ∥ Endreßen Boden. von ∥ Carolſtatt. ∥ Wittenberg. ∥ [TE] ∥ [Am Ende:] Gedruckt tzu Wittenberg ∥ M.D. xxii. Jar. ∥ Nick. Schyr. ∥
Wittenberg: Nickel Schirlentz, 1522.
4°, 5 Bl., A5.
Editionsvorlage:
HAB Wolfenbüttel, A: 265 Quod. (17).Weitere Exemplare: UB Bonn, Gf 172. — UB Heidelberg, Sal. 83. — HAB Wolfenbüttel, H: Yv 1742.8° Helmst. — HAB Wolfenbüttel, A: 189.27 Theol. (21) [fehlt Blatt A3].
Bibliographische Nachweise:
- Freys/Barge, Verzeichnis, Nr. 91.
- Köhler, Bibliographie, Nr. 1859.
- Zorzin, Flugschriftenautor, Nr. 50B.
- VD 16 B 6119.
Byt vnd vermanūg ∥ an Doctor Och⸗∥ßenfart. ∥ Endreßen Boden. von ∥ Carolſtatt. ∥ Wittenberg. ∥ [TE] ∥ [Am Ende:] Gedruckt tzu Wittenberg ∥ M.D. xxii. Jar. ∥ Nick. Schyr. ∥
Wittenberg: Nickel Schirlentz, 1522.
4°, 5 Bl., A5.
Editionsvorlage:
KB Kopenhagen, 24–164.4°.Weitere Exemplare: BSB München, 4 Polem. 538. — UB Würzburg, Th. dp. q. 455v.
Bibliographische Nachweise:
- Freys/Barge, Verzeichnis, Nr. 90.
- Köhler, Bibliographie, Nr. 1860.
- Zorzin, Flugschriftenautor, Nr. 50A.
A1 und A2 sind Pressvarianten aus derselben Druckwerkstatt (Nickel Schirlentz) und mit gemeinsamer Titelblatteinfassung. Zum Titelblatt mit der Titeleinfassung vgl. KGK 208. Fol. A3r–v hat viele variante Lesarten (vermehrte Konsonantenverdoppelungen bei A1, unterschiedliche Wortabstände, Einfügung bzw. Weglassen von Virgeln, Einsatz von Elisionen mit Nasalstrichen bzw. umgekehrt Auflösung dieser, Einfügung von Absätzen in A2). Die Möglichkeit, den Bogen A3 separat zu bedrucken, zeichnet sich durch die Bindung ab.1 Die Bögen A1 und A5 sowie A2 und A4 bilden jeweils ein Doppelblatt, während A3 auf einem separaten Bogen gedruckt und die (vermutlich) unbedruckte Hälfte des Doppelblatts bis auf einen kleinen Steg entfernt wurde. Bei dem Wolfenbütteler Exemplar A: 189.27 Theol. (21) fehlt A3, sodass es sich weder Pressvariante A1 noch A2 zuordnen läßt. Eine Möglichkeit ist, dass A1 eine Vorvariante von A2 war. Dafür spricht eine Verbesserung sowie die gliedernde Einfügung von Absätzen in A2. Eine andere Möglichkeit ist, dass beide Pressvarianten zeitgleich auf dem Bogendruck A3 hergestellt wurden und es dabei zu unterschiedlichen Setzungen kam.
Bit vnd verma∥nung an ᴅoctoꝛ ∥ Ochßenfart. ∥ Endꝛeßen Bodenſtein ∥ von Carolſtatt. ∥ Wittenberg. ∥ [Am Ende:] ¶ Getruckt ʒů Wittenberg ∥ M.D.XXij. Jar. ∥
[Augsburg]: [Erhard Oeglin (Erben)], 1522.
4°, 6 Bl., A4, B2, fol. A1v und B2v leer.
Editionsvorlage:
BSB München, 4 Polem. 539.Weitere Exemplare: SLUB Dresden, Hist.eccl.E 243,28.
Bibliographische Nachweise:
- Freys/Barge, Verzeichnis, Nr. 92.
- Köhler, Bibliographie, Nr. 1858.
- Zorzin, Flugschriftenautor, Nr. 50C.
- VD 16 B 6118.
Nachdruck von A. Titelblatt ohne Titeleinfassung, vollkommen veränderter Drucksatz ohne Kustoden, im Gegensatz zu A häufigere Verwendung von Suprascripta.
Literatur:
- Jäger, Carlstadt, 284–289.
- Barge, Karlstadt 1, 412–414 mit Anm. 219.
- Freudenberger, Dungersheim, 186–190.
- Zorzin, Flugschriftenautor, 93–96 u. 151 f. mit Anm. 86–88.
2. Entstehung und Inhalt
Eine zeitliche Einordnung der undatierten Schrift kann nur auf Grund inhaltlicher und kontextueller Hinweise vorgenommen werden. Barge nahm an, dass die Schrift zwischen den Ende Januar in Wittenberg vorgenommenen Reformen und Luthers Rückkehr von der Wartburg (6. März 1522), vermutlich also Anfang Februar 1522 verfasst wurde und bald darauf erschien.2 Der Ansatz Barges, dass nach den Invokavitpredigten, noch klarer aber nach der Zensur und Konfiskation der Schrift über die Messe gegen Dungersheim im April 1522 (KGK 227) keine weiteren Werke Karlstadts in Wittenberg gedruckt worden waren, verschaffte der Datierung eine Logik, zumal Karlstadt in der Bitte an Ochsenfart seine Bemühungen um Reform der Messe in Schrift und Handlung ungebrochen positiv darstellte.3 Die der Schrift vorangestellte, kurze Vorrede an den Leipziger Professor Hieronymus Dungersheim aus Ochsenfurt (daher als Ochsenfart bezeichnet) besitzt nicht den Charakter eines Widmungsbriefes. Dungersheim war einer der exponierten Feinde der Wittenberger Reformen, und Karlstadt verwendet das Stilmittel einer scheindedikatorischen Ansprache, wie es andere polemische Schriften, die Reformatoren und Reformgegner austauschten, auch einsetzten.4 Zu Beginn der Schrift nimmt Karlstadt Bezug auf Predigten Dungersheims5 – wie er es auch in seiner vom Senat der Universität Wittenberg zensierten und konfiszierten Schrift über die Messe tat. Dort erwähnt er nicht nur, dass er sich gegen die Predigten wendet, die Dungersheim in Herzberg auf der Visitationsreise Bischof Johanns VII. von Meißen gehalten hatte;6 der Bezug ist auch inhaltlich und theologisch nachweisbar.7 Die in Herzberg abgehaltenen Predigten wie die Verhöre der Prediger Valentin Tham in Torgau und Franz Günther in Lochau, die in Abschriften über den kurfürstlichen Amtmann Hans von Minckwitz an den Hof des Kürfürsten und nach Wittenberg gelangten, sorgten dort für Aufruhr und eine publizistische Reaktion, die im Falle von Karlstadts Schrift gegen Dungersheim von der Universität unterdrückt wurde.8 Auch wenn der Bezug auf die Herzberger Predigten in der Bitte an Ochsenfart nicht gesichert ist, da Dungersheim selbstverständlich auch andernorts Predigten hielt,9 ist doch der – wenn auch ohne Begründung – angeführten These Freudenbergers nachzugehen, dass dieses Werk nichts anderes sei als die umgearbeitete zensierte Schrift über die Messe vom April 1522.10 Es stellt sich daher die Frage, in welchem Verhältnis die beiden Karlstadttexte zueinander stehen. Dafür ist zuerst ein Abriss des Inhalts der Bitte an Ochsenfart zu geben.
Karlstadt setzt ein mit der Empörung über Dungersheims jüngste Predigten und dessen Ablehnung einer Reform der Messe. Dabei erwähnt er dessen Aussage, dass er Leib und Leben verlieren wolle, wenn er nicht beweisen könne, dass die Schriften der Reformatoren Luther und Karlstadt über die Messe ketzerisch seien.11 Im Folgenden skizziert Karlstadt knapp die eigene Lehre und gibt eine reformatorische Methodik zur Wahrheitsprüfung,12 vermischt dies aber mit Polemik gegen Dungersheim. Ausgangspunkt ist die paulinische Aussage, dass der Prediger seine Widersacher mit einer heilsamen Rede überwinden solle.13 Philosophie sei dafür unbrauchbar, ebenso die Lehre der Dominikanermönche des Paulinerklosters der Universität Leipzig, die sich lieber den Bauch vollschlügen, wofür wiederum die Lehren der Philosophen am besten taugten.14 Damit desavouierte Karlstadt einerseits die thomistische Theologie und Philosophie der Dominikaner, ebenso die Universität Leipzig, für deren Lehre das Paulinerkloster als zentraler Zeremonialort reklamiert wird,15 anderseits auch das Mönchswesen an sich in seiner ökonomischen Schädlichkeit. In gleicher Weise könne Dungersheim nicht behaupten, dass die Kirchenväter die heilsame Lehre verkündigten, habe doch Augustin selbst gesagt, dass ihm nicht gefolgt werden solle, wenn er nicht im Einklang mit der Heiligen Schrift lehre.16 Schlimmer sei aber eine Berufung auf Konzilsentscheide, stünde doch einer gegen den anderen; das Apostelkonzil aber, das Opfer und Unkeuschheit verboten habe, werde in Rom verachtet – einer Stadt voller Bordelle, die wiederum die Bischöfe in jeder Stadt zuließen. Die Pfaffen seien gierig auf die Opfergaben. Also lebe die Papstkirche gegen das Apostelkonzil; die Reformer dagegen stünden bei den göttlichen Räten.17 Nur die Bibel sei die einzige Quelle zur Bestimmung der heilsamen Rede, sie dürfe nicht durch Allegorien bzw. durch von außen an den Text herangetragene Figuren verdunkelt werden.18 Ausdeutungen seien allenfalls erlaubt, wenn der Bibeltext selbst einer Stelle einen tieferen Sinn beilege.19 Die eigene Gewissheit, argumentativ auf dem Boden der Schrift zu stehen, befuge zur Messreform. Daher ficht Dungersheims Entrüstung Karlstadt nicht an.20
Wie im Fall der konfiszierten Schrift vom April des Jahres sieht Karlstadt auch hier in Predigten Dungersheims den Anlass zur Abfassung der Schrift, und hier wie dort gibt er seinem Gegner abwertend ironisch den Vornamen Hans.21Dungersheim hatte vor allem in der zweiten Herzberger Predigt die Messreformen in Wittenberg und die Traktate zur Messe von Luther und Karlstadt angegriffen, insonderheit das Abendmahl in beiderlei Gestalt und das Ablegen des Priesterornats;22 auch hier verteidigt Karlstadt seine und Luthers Ausführungen und Handlungen, allerdings betont er nun ausdrücklich, dass Luther sich selbst verteidigen könne.23 Dennoch wirkt der wiederholte Rekurs auf Luthers Schriften zur Messreform wie eine Rückversicherung. In beiden Schriften erhebt Karlstadt die Bibel zum Maßstab für die theologische Argumentation und die Reform des Gottesdienstes, woraus sich die Kommunion in beiderlei Gestalt ergebe.24 Doch während die konfiszierte Schrift das Befolgen einer falschen, papistischen Lehrauslegung durch das Kirchenvolk und die Kommunion in einer Gestalt für Spender und Empfänger zur Sünde deklariert,25 argumentiert die Bitte an Ochsenfart zurückhaltender. Die Abendmahlsreichung in beiderlei Gestalt wird an einer Stelle als bibelgerechter Sakramentsempfang bezeichnet, gegen den die papistische Lehre und Dungersheim nichts anführen könnten;26 an anderer Stelle deutet Karlstadt an, dass die Nichtbeachtung der in der Bibel angezeigten Zeichen der Verheißung eine Verkürzung und Enthauptung der Messe und somit eine Lästerung Gottes nach sich ziehe.27 Diese Argumentation weicht von der prononciert vertretenen Auffassung in Thesenreihen (Mitte bis Ende 1521), der Wittenberger Stadtordnung (Januar 1522) und der konfiszierten Schrift (April 1522) ab. In der Bitte an Ochsenfart finden sich keine Aussagen zur Abschaffung der Bilder und der Elevation,28 ebenso wenig zur genauen Beschreibung des reformierten Ablaufs der Sakramentsspende.29 Diese Schwerpunktverlagerung lässet den Eindruck entstehen, als folge KarlstadtLuthers Bitte zur Schonung der Schwachen. Selbstverständlich reklamiert er das reformatorische Schriftprinzip in der theologischen Argumentation, und einzig die Betonung, dass die Schrift als Instanz für die Gottesdienstreform zu gelten habe, lässt Karlstadts Denken und Handeln aus der Zeit vor Luthers Rückkehr von der Wartburg nach Wittenberg erkennen. Auch wenn eine endgültige Klärung des Verhältnisses der beiden Schriften zueinander nicht möglich ist, erscheint es auf Grundlage dieses Befundes zumindest möglich, dass die Bitte an Ochsenfart die umgearbeitete, entschärfte Version von Karlstadts zensierter und konfiszierter Schrift über die Messe (KGK 227) darstellt und daraus folgend etwa in den Mai 1522 zu datieren ist.