1. Überlieferung
Frühdrucke:
Predig oder homilien vber ∥ den prophetē. Mala⸗∥chiam gnant. ∥ Andres Bo. von Carolſtatt. ∥ Jn der Chriſtlichen ſtatt ∥ Wittemberg. ∥ [TE] ∥ [Am Ende:] Gedruckt tzu Wittemberg/ Nach ∥ Chriſt gepurth Tauſent funff ∥ hundert vnd tzway vnd ∥ tzwentzigſten Jar. ∥ Nick. Schyr. ∥ ⸪ ∥
Wittenberg: Nickel Schirlentz, 1522.
4°, 8 Bl., A4–B4, B4v leer, TE.
Editionsvorlage:
HAB Wolfenbüttel, A: 146.12 Theol. (6).Weitere Exemplare: SUB Göttingen, Th. Polem. 246/65. — ULB Halle, Pon Vg 492,QK.
Bibliographische Nachweise:
- Freys/Barge, Verzeichnis, Nr. 93.
- Köhler, Bibliographie, Nr. 1900.
- Zorzin, Flugschriftenautor, Nr. 49A.
- VD 16 B 6181.
Pꝛedig oder Homilien ∥ vber den Pꝛopheten Mala⸗∥chiam genant. ∥ Andꝛes Boden. von Carolſtat. Jn der ∥ Chꝛiſtlichen ſtat Wittemberg. ∥
[Augsburg]: [Sigmund GrimmMarx Wirsung], [1522].
4°, 8 Bl., A4–B4, B4v leer.
Editionsvorlage:
BSB München, 4 Hom. 329.Weitere Exemplare: BSB München, Res/4 Hom. 1279#Beibd.19. — RFB-Luthergedenkstätten Wittenberg, Kn 292. — HAB Wolfenbüttel, A: 131.2 Theol. (39). — HAB Wolfenbüttel, H: G 511.4 Helmst. (5).
Bibliographische Nachweise:
- Freys/Barge, Verzeichnis, Nr. 94.
- Köhler, Bibliographie, Nr. 1899.
- Zorzin, Flugschriftenautor, Nr. 49B.
- VD 16 B 6180.
Nachdruck von A unter Auslassung der Titeleinfassung und der Angaben im Kolophon.
Literatur:
- Barge, Karlstadt 1, 414–416 mit Anm. 221; 452 mit Anm. 291.
- Zorzin, Flugschriftenautor, 93–96.
2. Entstehung und Inhalt
Die zeitliche Einordnung der Schrift erfolgt an Hand des Widmungsbriefs Karlstadts an Bartholomäus Bach,1 den Stadtschreiber in Joachimsthal, der auf den 18. Februar 1522 datiert ist. Dort ist dargelegt, dass die Abhandlung Ausfluss der wochentags stattfindenden, öffentlichen Auslegung des Buches Maleachi durch Karlstadt vor dem Kirchenvolk Wittenbergs war.
Am Anfang geht Karlstadt der von Hieronymus in dessen Prophetenexegese aufgeworfenen Frage nach, ob der Prophet Esra Autor des Buches Maleachi sei, da dieses als titellos dem vorherigen, nach diesem Propheten benannten Buch zu subsumieren und beide ähnlichen Inhalts seien.2Karlstadt verneint dies, da sie sich seiner Ansicht nach hinsichtlich Gegenstand und inhaltlichem Schwerpunkt unterschieden; zumal das Buch Maleachi in der lateinischen und hebräischen Bibel dem Buch Sacharja folge.3 Der Prophet Maleachi war allem Anschein nach geringen Standes, ein einfacher Bauer, Schäfer oder Hirte wie Amos; dennoch sei er von Gott zu seinem Werkzeug auserkoren. Letztlich bedeute der Name im Hebräischen nichts anderes als Bote (Gottes) oder Verkünder.4 Der Name stehe somit für jeden Künder des Gotteswortes, auch die Apostel waren solche Verkünder, die der Menschheit das Reich Gottes, Buße, Vergebung der Sünden und ewiges Leben predigten. Christus empfahl dies der erweiterten Schar der 72 Jünger. Wie in einer Predigt, die Karlstadt zwei Tage vorher5 – also am 16. Februar, wenn auf die Widmung bezogen – gehalten hatte, bezieht er diese göttliche Verkündigungsstrategie in Nutzanwendung auf seine Hörer bzw. Leser: Alle Hausväter sollten die Heilige Schrift so verstehen lernen, dass sie ihren Kindern bzw. ihrer Familie das Gotteswort verkünden könnten.6 Im reformatorischen Sinn ist jeder Christ und Laie ein Prediger und Verkünder.
Dieser Auffassung stehe das päpstliche Privileg der Schriftauslegung als eine frevelhafte Anmaßung diametral entgegen. Die Last bzw. Bürde des Wortes Gottes, von der Maleachi eingangs spricht, meine nicht eine Last auf den Seelen der Menschen, sondern deute auf die feste Unverrückbarkeit der göttlichen Wahrheit. Menschliche Worte seien dagegen nur Wind und Staub. In diesem Sinne haben die Päpste ihre Träume zur göttlichen Lehre erhoben und gelehrt.
Was bedeute nun Maleachis Rede von der Last [des Gotteswortes] in der Hand des Verkünders? Die Aussage klinge befremdlich, doch hieße es Mund statt Hand, würde dies auf menschliches Zutun im Sinne einer Übersetzung und Interpretation des Gotteswortes deuten. Des Menschen Mund und Lippe fügen dem Gotteswort etwas Fremdes hinzu, die Hand aber belasse Sprache und Wort im ursprünglichen Zustand. Die menschlichen Organe seien sehr gebrechliche Werkzeuge. Gott schenke den Menschen einen neuen Mund und neue Lippen, die ihn, den Herrn, bekennen.7 Daher heiße es in der Bibel, dass Moses zunehmend verstummte,8 was bedeutet, dass der menschliche Mund weniger gesprächig und »unmündig« wird, wenn ihm Gottes Wort eingelegt wurde. Wie Gesang durch Orgeln und Pfeifen oder wie Wasser durch das Wasserrohr gehe die Verkündigung des Gotteswortes durch den menschlichen Mund ohne Zutun der [menschlichen] Natur. Auf Grund dessen ist die päpstliche Verkündigung nur als Frevel gegen Gott zu disqualifizieren. Sie sei nicht einmal dazu bereit, wie die Juristen (von Karlstadt als päpstliche Knechte diffamiert) den Willen des Gesetzgebers [in diesem Fall Gottes als Ursprung des göttlichen Rechts] zu erforschen. Stattdessen verfälsche die päpstliche Verkündigung und Auslegung die Bibel durch ihre selbstverfassten, menschlichen Satzungen.
Ein wahrhafter Christ wisse, dass allein Gott sein Wort ausspricht und die Propheten nur die Instrumente seien. Dies sei ein Grund zur christlichen Gelassenheit.9 Der Mensch könne nichts zur Lehre Gottes hinzufügen, stattdessen nur freudig das Bewusstsein bekennen, im Willen Gottes zu stehen.
Die Abhandlung gibt einen Einblick in eine kurzzeitige Praxis der öffentlichen Schriftauslegung Karlstadts und seinen Umgang und Verkehr mit der Wittenberger Gemeinde. Es steht zu vermuten, dass Karlstadt im Rahmen dieser Auslegungspraxis auch Laien nach ihrem Verständnis des Gotteswortes befragte und versuchte, einen Diskussionsprozess in Gang zu setzen.10 In der Widmung der Maleachi-Predigt erwähnt Karlstadt im Zusammenhang mit dieser Exegese auch seine auf Deutsch gehaltene Auslegung des Buches Deuteronomium, die möglicherweise parallel zu seiner seit Anfang Oktober 1521 laufenden Vorlesung über dieses Buch oder gar identisch mit dieser war.11
Mit der Aufforderung zur Beachtung der mosaischen Gesetze und des biblisch verbürgten Zeremoniells passt sich die Schrift programmatisch und theologisch in die zeittypische Entwicklung Karlstadts ein. Die von Gott erwählten Verkünder der Schrift – meist einfache Leute, also Laien – haben sich streng an den biblischen Text zu halten. Das Befolgen dieser Regel verschafft ihnen das Bewusstsein, im Wort Gottes zu stehen, und entlastet von der irdischen und fleischlichen Drangsal. Die Ablösung vom Selbst, in Karlstadts Terminologie die Gelassenheit, ist Voraussetzung für eine Verkündigung, die auf einer Geistbegabung der Laien beruht.12 Da Karlstadt die in Wittenberg durchgeführten und in der Stadtordnung am 24. Januar 1522 fixierten Messreformen als eine Rückkehr zu den biblisch verbürgten Riten betrachtete, erscheint seine Wahl des Buches Maleachi als Auslegungsgegenstand vor der Gemeinde folgerichtig. Der Prophet fordert zur Beachtung des Gesetzes und der mosaischen Zeremonien auf, Karlstadt erweitert die Aufsicht auf die Hausväter, die im privaten Rahmen die Verkündigung des Gotteswortes durch Bibellesung betreiben möchten. In Anbetracht der in der Widmung angesprochenen Personen, dem Stadtschreiber von JoachimsthalBartholomäus Bach, dem dortigen Berghauptmann Heinrich von Könneritz13 und dem ebenfalls dort tätigen Richter Lukas Schüpgen (hier Zupke; auch Tschick)14, erweitert sich zugleich der intendierte Rezeptionskreis. Karlstadt war bestrebt, dass die reformatorischen Maßnahmen und Gottesdienstreformen auch in den Ordnungen der noch jungen Bergbaustadt Joachimsthal Anwendung fanden.15 Dazu passt, dass er seine unmittelbar zuvor Anfang Februar erschienene, umfassende Reformschrift Von Abtuung der Bilder Graf Wolfgang Schlick widmete, einem aus der Falkenauer Linie stammenden Verwandten des Herren von Joachimsthal, Graf Stefan Schlick.16